Totgeborenes Kind

Netzgegenrechts.de ist wieder online

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Das ehemalige Projekt vieler deutscher Medien "gegen rechts" wurde im Juli 2002 auf Eis gelegt. Nachdem die bei "Netz gegen rechts" federführende "Woche" eingestellt worden war, war keiner der Medienpartner bereit, das Portal mit aktuellem Inhalt zu füllen. Die Geschichte der Website zeigt, dass das vorgebliche Engagement deutscher Medien "gegen Rechts" vorwiegend aus heißer Luft bestand. Auch das neue alte Produkt ist schon jetzt ein totgeborenes Kind.

Netzgegenrechts.de 2.0 ist das alleinige Projekt des ehemaligen Wissenschafts- und Technikredakteurs der "Woche", Niels Boeing. Das Portal soll Meldungen über "Rechtsextremismus" sammeln, um als Info-Börse zu dienen. Bisher wird Boeing nur von dpa unterstützt. Die Nachrichtenagentur schickt alle Meldungen, die mit "Extremismus" zu tun haben, auch an netzgegenrechts.de. Was dpa darunter versteht, entzieht sich einem rationalen Urteil. Niemand weiß das.

Und daher liefert dpa nicht nur Informationen über Rassisten und Antisemiten, sondern auch über fanatische Islamisten oder gewalttätige Autonome an das "Netz gegen Rechts". Der Betreiber hat mit den Betreibern des jüdischen Portal Hagalil (www.hagalil.com) zwar E-Mails ausgetauscht, eine "Unterstützung", wie Boeing auf seiner Seite behauptet, wurde jedoch nicht vereinbart.

Das Archiv der Jahre 2000 und 2001 ist lückenhaft, da einige Medien entweder nie Links auf Artikel geliefert haben oder, wie zum Beispiel Spiegel online, ihre Inhalte mittlerweile kostenpflichtig anbieten. Das von der alten Version netzgegenrechts.de übernommene Logo suggeriert die Kooperation vieler Zeitungen. Das ist falsch: niemand wurde gefragt. Bei der ZEIT und stern.de ist man nicht nur überrascht über die Vereinnahmung, sondern überlegt sogar juristische Schritte. Boeing: "Ich habe das einfach so gemacht." Vor zwei Jahren "wollte jeder dabei sein, nachher haben sich nur wenige wirklich beteiligt." Boeing meint sich sogar erinnern zu können, dass die ZEIT damals gar nicht gefragt worden sei. Man kann davon ausgehen, dass die grafische Gestaltung im alten Outfit nicht lange so bleiben wird.

Wogegen oder wofür das Portal netzgegenrechts.de nun sein soll, bleibt unklar. Es gibt nur eine vage thematische Struktur. Jeder kann sich wie in einem Bauchladen die Artikel herauspicken, die jeweils weltanschaulich passen. Die richtige Konzeption war ohnehin schnell umstritten. "Die Welt" verließ schon im Februar 2001 die Initiative, weil, so vermutet Boeing, das Ziel "gegen rechts" die eigene Leserschaft verschreckt hätte. Die Domain wurde daraufhin der Totalitarismus-Doktrin angepasst:

Im Frühjahr 2001 wurde die Site auf Wunsch verschiedener Medienpartner in NetzGegenRechtsextremismus.de umbenannt, die in der alten Bezeichnung eine klare Abgrenzung demokratischer konservativer Politik von verfassungsfeindlichem Rechtsextremismus vermisste.

Witzig sind im nachhinein die Statements diverser Medien-Prominenter vor gut zwei Jahren zum ursprünglichen "langfristigen" Projekt, wenn man sie mit der heutigen Situation vergleicht:

"Die Aktion NetzGegenRechts hat einen erkennbaren Nutzen. Sie ist Ausdruck der zivilen Gesellschaft", sagte Joachim Huber, Ressortleiter Medien beim Berliner "Tagesspiegel", der das Netz-Projekt unterstützt. Hans-Helmut Kohl, Chefredakteur der "Frankfurter Rundschau", hält es für selbstverständlich, dass sein Blatt beim Netz mitmacht, "weil wir uns schon immer mit dem Dritten Reich und den Folgen befasst haben."

Der stellvertretende Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, Karl Günther Barth, sagte:

Für die Bild-Zeitung ist es eine moralische Verpflichtung gegen rechtsradikale Gewalt Front zu machen.' ARD-Sprecher Claus Schneggenburger begründet die Teilnahme des Ersten damit, dass 'Toleranz und Offenheit gegenüber Fremden nur in einer informierten Gesellschaft gedeihen

.

Das Hamburger Nachrichtenmagazin beschreibt die damalige Absicht immer noch vollmundig:

SPIEGEL ONLINE und andere Netzmedien machen Front gegen Fremdenfeindlichkeit, rechtsextreme Parolen und Neonazis: Netz gegen Rechts organisiert den Widerstand der Netzdemokraten gegen braunes Gedankengut.

Heute will davon niemand mehr etwas wissen, als hätte sich seitdem irgendetwas geändert.

Das Konzept, im 21. Jahrhundert über "rechts", was auch immer das im Einzelfall sei, informieren zu wollen, ohne einen einzigen Link auf eine Seite zu legen, die sich als Anschauungsmaterial anbietet, ist politisch und medientheoretisch zumindest strittig. Die Betreiber von netzgegenrechts.de weigerten sich seit jeher, Links auf Seiten zu legen, die es wagten, zu "Extremen" zu verweisen. Wer sich über das Thema informieren und nicht mit den pädagogisch vermutlich wertvollen journalistischen Berichten vorlieb nehmen wollte, musste selbst die Originale suchen.

Die These, dass Journalisten weltanschaulich gefestigter seien als das surfende Publikum, somit "böse" Websites und rechte Propaganda stellvertretend und nur häppchenweise für andere referieren sollten, klingt gewagt. Dennoch handelten die Betreiber des Portals, als sei das so.

Wer nachprüft, wer heute die Domains von netzgegenrechts.de verlinkt hat, findet meistens Websites, die seit langem nicht mehr aktualisiert worden sind oder sich nicht darum scheren, um welche Inhalte es geht. Man orientiert sich oberflächlich am Logo. Web-Gegen-Rechts.de zum Beispiel, eine Art virtueller Lichterkette, verlinkt neben den üblichen Verdächtigen auch den Hochstapler Magnus Becker und seine Ein-Mann-Initiative "Weiße Rose Dortmund". Auch der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen scheint sich für die Inhalte der Seiten, auf die er verweist, nicht zu interessieren.

Die Frage, was die zahlreichen Karteileichen "gegen rechts" heute bewirken sollen und vor allem wie sie das tun, kann und will offenbar auch niemand beantworten. Man meint es gut, aber das gut Gemeinte bewirkt meistens das Gegenteil.