Öl oder Kultur

Die Kritik ist nicht nur im Ausland groß, auch zwei Berater des Weißen Hauses sind zurückgetreten, weil das Museum in Bagdad im Unterschied zum Ölministerium nicht vor Plünderern geschützt wurde

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Dass die US-Soldaten, obgleich vorgewarnt, nichts gegen die Plünderung und Zerstörung der einmaligen Kulturschätze im Nationalmuseum und in der Nationalbibliothek Bagdads gemacht, aber anscheinend andere Dinge wie das Ölministerium geschützt haben, scheint für viele zu einer Metapher für die Interessen und die Art der Kultur zu sein, die den Irakern von der Bush-Regierung nach der Befreiung gebracht werden soll ("Das passiert"). Zwei Berater des Weißen Hauses, die für Kultur zuständig sind, sind aus Ärger und Scham deswegen schon zurückgetreten.

Die US-Armee hat zwar nicht nur Abteilungen für Psychologische Operationen und Propagandamaßnahmen, sondern auch für Kunst. Die Orientierung ist zwar ein wenig einseitig, aber institutionell geprägt. Aber man hegt keine Scheu vor der Tradition und hält sich auch Künstler, die mehr oder weniger frei die Geschichte des US-Militärs etwa auch mit Ölfarben auf Leinwänden bearbeiten dürfen. In einigen Jahren werden die angesammelten Werke in einem Museum zu bewundern sein, das freilich erst noch gebaut werden muss. Man kann aber schon erahnen, dass in den neuen Gemälden vom Irak-Krieg, bislang zumindest die Mutter aller Schlachten für den obersten Kriegsherrn Bush, die weniger erfreulichen Aspekte kaum als darstellungswürdig erachtet werden. Die Plünderung des Museums aus dem Teil der Alten Welt, in der die (städtische) Kultur ihren Ausgang nahm, unter den Augen der schwer bewaffneten Besatzungsmacht, die am vorläufigen Ende der damals begonnenen Geschichte steht, dürfte wohl kein Thema werden, das der Nachwelt hinterlassen wird.

Das Vorbild hat bereits das US-Außenministerium mit einer Foto-Dokumentation vor Augen geführt. Auch hier schwelgt man in Bildern, da diese ja viel beredter als Worte sind. Vom Krieg selbst spricht man nicht mehr so gerne. Opfer und Zerstörungen sind bereits Vergangenheit oder bestenfalls neue Geschäftsfelder, wenn zunächst die UN das "Öl-für-Lebensmittel"-Programm beendet und dann das irakische Öl für den Wiederaufbau durch diejenigen, die gekämpft haben, oder eher für diejenigen, die eine Berufsarmee für sich haben kämpfen lassen, sprudelt. Die ganz dem Medienzeitalter und der strategischen Kommunikation angepasste Kommunikation hat denn auch schon den Titel "Der befreite Irak". Der Blick zurück, den sich die US-Regierung nicht gerne gönnt, endet stets dort, wo die Befreier als solche von den jubelnden Massen, besonders Kinder, begrüßt werden.

Und es ist auch schön, wie ausgerechnet auch noch eine amerikanische Soldatin, Vertreterin der amerikanischen Zivilisation, die stellvertretend für die "zivilisierte Welt" und diese anführend für Recht und Ordnung sorgt, von lachenden Irakern umschwärmt wird: Alles ist gut! Soldaten kümmern sich, wie das ihr Job ist, um Babys, versorgen irakische Kinder und Erwachsene medizinisch, geben Lebensmittel aus, schließen Freundschaft mit Kindern. Es ist Alltag in einem befreiten Land, wie es noch so viele geben könnte. Kinder überholen auf Fahrrädern US-Panzer und freuen sich, wenn sie von den Befreiern etwas zu essen und zu trinken bekommen. Man spielt völkerverbindend gemeinsam Fußball, stürzt auch mal schnell eine Statue von Hussein und geht ansonsten seinen Beschäftigungen nach. Nun ja, man wird von der US-Regierung auch nichts anderes erwarten dürfen. Schließlich will sie wie jede Regierung ihre Politik verkaufen.

Aber die Begegnung von Alter und Neuer Welt in der Befreiungsaktion, die sich mehr um das Öl als um die Kultur sorgt, ist gleichwohl symbolisch. Auch um die Dollarisierung des Ira ist man offenbar bemüht. Mit 50 Millionen US-Dollar will man die Irakis überschwemmen, was aber nur damit zu tun habe, Geld in die "Hände eines verzweifelten Volkes" zu bringen.

Allerdings, von einfachen Soldaten, die vermutlich völlig gestresst schneller als erwartet in eine von 5 Millionen Menschen bewohnte Stadt mit wahrscheinlich schlimmen Erwartungen eingedrungen sind, wird man auch nicht annehmen, dass sie alles daran setzen, Kulturgüter, die ihnen selbst vermutlich nicht viel sagen, zu schützen. Das war auch bei den alten Roms der Fall. Das US-Verteidigungsministerium hat zwar die geschichtsträchtigen Orte der Kultur von der Bombardierung ausgespart, aber vermutlich - wer hätte das auch von Rumsfeld, Wolfowitz, Franks sowie Beratern wie Perle oder Rice angenommen? - sonst anscheinend keine großen Gedanken daran verschwendet (Verschwörungstheorien, dass Soldaten die Plünderung durch organisierte Banden nicht nur nicht verhindert, sondern auch begünstigt hätten, lassen wir einfach beiseite). Auch vom Präsidenten George Bush, der am liebsten im Kampfdress vor gut disziplinierten und an den richtigen Stellen applaudierenden Soldaten spricht, ist auch kein besonderer Hang zur Kultur bekannt.

Jetzt ist der Schaden eingetreten - und die US-Regierung verspricht angesichts des Schadens, den sie mit zu verantworten hat, alles zu tun, um die Kulturschätze im Irak zu schützen und die gestohlenen wieder zu erhalten. Vor kurzem suchte Rumsfeld das noch zu übergehen. Man sei daran nicht Schuld, das könne halt geschehen. Es war Krieg, na ja, und die paar Vasen ... Besonders sensibel war Rumsfeld noch nie, aber hier zeigte er sich als wenig unterschieden von den Barbaren, die nur darauf gewartet haben, bis die Amerikaner nach Bagdad kamen, um das Museum zu plündern. Dem Eindruck, der entstanden ist, will man natürlich etwas entgegen stellen: "Wie wir bereits sagten", so Claire Buchan, eine Sprecherin des Weißen Hauses, "haben sich die Vereinigten Staaten bei der Befreiung des Irak sehr darum bemüht, die Infrastruktur des Irak zu schützen und die wertvollen Ressourcen des Irak für die Menschen des Irak zu schonen. Es ist unglücklich, dass das Museum geplündert und beschädigt wurde." Dass die "Infrastruktur" für die Befreier primär anderes umfasste, kann man aus dieser hilflosen Erklärung ersehen.

So sieht das offenbar auch Martin Sullivan, der Leiter des Beratungskomitees des Weißen Hauses für das kulturelle Erbe, der in einem Brief an Bush am Montag seinen Rücktritt erklärt hatte. Auch Gary Vikan, Mitglied des Komitees, schloss sich dem Rücktritt an. Wenn die US-Regierung den Wert von sumerischen Tontafeln für die Vergangenheit so gesehen hätte, "wie wir das beim Öl machen, mit dem wir irgendwohin gelangen, dann wäre dies nicht geschehen", kritisierte Vikan. Sullivan kritisierte, dass das US-Militär zwar in "außerordentlicher Präzision und Zurückhaltung" Waffen eingesetzt habe - "offensichtlich auch zum Schutz des Ölministeriums und der Ölfelder" -, aber dass man nichts zum Schutz des kulturellen Erbes getan habe.

Nicht nur das Ölministerium in Bagdad wurde von den Befreiern geschützt, zu den ersten Handlungen bei der Invasion zählte bekanntlich auch die Sicherung der Ölquellen. Das betonte Bush auch noch einmal bei der Anpreisung des militärischen Erfolgs des von ihm zu verantwortenden Kriegs:

From Kabul to Baghdad, American forces and our fine allies have conducted some of the most successful military campaigns in history. By a combination of creative strategies and advanced technology, we are redefining war on our terms. (Applause.) Even before the fighting began in Iraq, Special Operations forces were inside the country, moving in to protect key infrastructure, protect the oil fields owned by the Iraqi people, secure vital bridges. Overwhelmingly, yet carefully targeted, air strikes left entire enemy divisions without armor and without organization. Precision-guided weapons fatally disrupted the regime's system of command and control.

Die angeblich im Irak befindlichen Massenvernichtungswaffen sind eben sowenig mehr wie die Opfer und die Schäden das Thema von Bush. Man hat die Menschen aus einem Alptraum befreit, den die USA im Irak wie in Afghanistan mit unterstützt haben, solange es den Interessen diente. Die Menschenrechtsverletzungen des Hussein-Regimes waren auch in den 80er Jahren eklatant. Ein Angriffkrieg und Giftgaseinsätze störten wenig. Doch das Bush-Amerika ist frei von jedem Fehler und bringt Freiheit pur:

One week ago, Baghdad was filled with statues and giant pictures of the dictator. They're kind of hard to find today. (Laughter.) The fall of that statue in Baghdad marked the end of a nightmare for the Iraqi people, and it marked the start of a new day of freedom. (Applause.)

Mit den Statuen sind auch andere Gegenstände verschwunden oder wurden zerstört, die selbst die Diktatur überlebt hatten. Nun hat das FBI ein Team in den Irak geschickt, um die entwendeten Kulturschätze wieder aufzufinden. Die UNESCO hat Notmaßnahmen gefordert, um weltweit den Verkauf mit den geplünderten Gegenständen zu verhindern. Der Generaldirektor Koichiro Matsuura ist für die Einführung eines zeitlich beschränkten Embargos über eine UN-Resolution für den Erwerb von irakischen Kulturgütern.