Im Herz der Finsternis

Erotik des Anschleichens - SPLINTER CELL gibt sich wissend und lustvoll der Verführung gewisser Geheimdienst- und Soldaten-Mythen hin

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Man braucht nicht lange suchen nach literarischen Vorbildern für TOM CLANCY'S SPLINTER CELL (bereits erschienen für X-Box und PC, demnächst, mit Zusatzlevels, für Gamecube und PS2) - ein Blick auf den Titel, und die Sache ist klar, oder? Nun, nicht so voreilig - denn in Wirklichkeit haben wir es hier mit einem heimlichen Karl May-Spiel zu tun! Kein anderer Autor hat das Anschleichen so gern, so ausführlich und so oft beschrieben. Auf eine derart einnehmende Weise, dass etliche Lesergenerationen kaum genug davon bekommen konnten. (Und auch Hitler nachweislich speziell von diesen Passagen ganz begeistert war...) Und kein Spiel bisher hat den Reiz des unentdeckten Herantastens an den Feind so gekonnt in die interaktive Virtualität übersetzt wie SPLINTER CELL.

Das Anschleichen, zumal wie Karl May es beschreibt, hat einen geradezu erotischen Unterton: Eine unleugbar starke Komponente des Voyeurismus sowieso, dazu eine seltsame Spannung zwischen Handeln(wollen) und Verharren(müssen), zwischen Ausgeliefertsein und Dominanz, die wie jeder suspense mit einem gerüttelt Maß Angstlust besetzt ist. Außerdem ein Akt, der automatisch mit einem Spannungsbogen versehen ist: Je näher der Anschleichende dem Belauerten kommt, um so größer wird die Gefahr, um so lautloser, unsichtbarer muss er einerseits vorgehen, um so schneller muss er andererseits werden, um das Opfer nicht aus dem Zeitfenster der Vorhersagbarkeit von dessen Handlungen zu verlieren - eine Steigerung der Anspannung, die auf den letzten Metern fast unerträglich werden kann, um sich dann im Höhepunkt der gelungenen Überrumpelung zu lösen. Mithin ein Vorgang, bei dem Raum automatisch mit Emotion und Dramaturgie aufgeladen wird, und somit ein ideales Schema für Videospiele, diese Kunst virtuellen Raums. Was schon einige Games, mit wachsender Beliebtheit, zu nutzen wussten: METAL GEAR und seine Nachfolger, die TENCHU-Reihe, THIEF, HITMAN, mit Wurzeln zurück mindestens bis Activisions HACKER auf dem C64.

Kein revolutionäres Ereignis also, wenn es nicht die Macht der Waffen ist, mit der SPLINTER CELL spielt, sondern die Macht der Blicke. Das Gefühl der Überlegenheit gegenüber den virtuellen Feinden kommt nicht vom Wissen, größere Feuerkraft als sie zu haben, sondern daher, dass man sie beobachten kann, ohne umgekehrt von ihnen wahrgenommen zu werden. Der Vorsprung ist kein technischer, sondern ein kognitiver; man wird zum Herrn über die Bildschirm-Leben nicht durch großkalibrige Munition sondern durch eine privilegierte Position der Wahrnehmung. Sehen und (nicht) Gesehenwerden - das Besondere an SPLINTER CELL ist, wie konsequent es daraus den Grund-Gegensatz entwickelt für seinen (vor allem visuellen) Stil. SPLINTER CELL ist ein Spiel über den Kampf von Licht und Schatten. Mit dem ungewöhnlichen Dreh, dass sein Held - obwohl Vertreter der "Achse des Guten" - keine Lichtgestalt ist, sondern seinen engsten Alliierten gerade in der Dunkelheit hat: Guter Cowboy - schwarzer Tarnanzug.

SECRET AGENT MAN

Sam Fisher, so der Name dieses Helden, ist ein typischer Videospiel-Protagonist, zumindest insofern, als er vor allem eines verströmt: Den Anschein des Durchdesignten. Immerhin ist er ausnahmsweise deutlich älter als die Zielgruppe; seine Schablone ist die des reifen, etwas zynischen Veteranen. Ein bisschen Bruce Willis spielt in sein Gesicht mit hinein, ein wenig George Clooney - Dreitagebart und graue Schläfen. Aber wo beim Film zwischen Reißbrettfigur und Leinwandheroen eben immer noch die (im wahrsten Wortsinn) Verkörperung durch einen Schauspieler steht, der eine Komponente der Unberechenbarkeit und der Wahrhaftigkeit in die Gleichung einbringt, gerät ein solcher Videospielcharakter ohne Reibungsverluste, ohne Aufrauhung von der Konzeptskizze auf den Bildschirm, völlig glatt und kalkuliert.

Wenn er dann noch, wie Fisher, ohne Superheldenfähigkeiten, ohne karikaturhafte Überzeichnung der Anatomie, ohne Science-Fiction-artige Modifikationen des Körpers auskommen muss, ein halbwegs glaubwürdig "normaler" Mensch sein soll, dann gibt es wenig, was solch eine Figur greifbar macht. Eine Tochter hat er, erfahren wir, lernen sie auch kurz kennen. Wie ein Sitcom-Scherz wirkt das, wenn er da neben diesem jungen Mädchen im brav bürgerlichen Wohnzimmer vor dem Fernseher sitzt. Von ihrer Mutter ist nie die Rede, und man kann ihn sich auch schlecht vorstellen mit einer Frau, Sam Fisher, diese bildschirmlebensgroße Action-Figur. Auch die Tochter, ahnen wir, wurde designed, nicht gezeugt.

Das eine, was Fisher ansatzweise echte Persönlichkeit verleiht, ist die Stimme Michael Ironsides - einer jener Charakterdarsteller-Helden, der für Hollywood meist den Bösewicht mimen muss und dabei oft den eigentlichen Star blass aussehen lässt; hier (wo SEIN Aussehen keine Rolle spielt) endlich einmal in der Hauptrolle. Bärbeißig hauchend stößt er seine Sätze hervor, mit einem drohenden Bass-Grollen in der Kehle; nach einem Mann klingt das tatsächlich, der schon zu viel gesehen, erlebt hat, um sich noch von irgendwas merklich erregen zu lassen, der dann aber doch einen gewissen Stolz empfindet, eine spielerische Genugtuung hat bei der professionellen Verrichtung seiner Tätigkeit - und auch an der dadurch bedingten Grausamkeit: Ein Hauch Lebensmüdigkeit schwingt in dieser Stimme, ein guter Schuss Sadismus. (Die deutsche Synchronisation ist übrigens weit über dem für Games üblichen Standard achtbar; trotzdem gibt es keinen guten Grund, sich das amerikanische Original vorzuenthalten, wo es nun mal dankenswerterweise mit auf der Disc ist.)

Im Auftrag einer Unterabteilung der US-amerikanischen National Security Agency ist dieser Sam Fisher unterwegs. (Und ist es nicht verblüffend, wie erst jahrzehntelang der CIA in der Populärkultur ein Finstermänner-Image trug, dann nach seiner Rehabilitierung im kollektiven Bewusstsein der US-Amerikaner kurze Zeit die NSA herhalten musste als der "böse" und richtig GEHEIME, fragwürdige Methoden anwendende Geheimdienst, jetzt aber auch schon die NSA-Agenten auf der Seite der Helden angekommen zu sein scheinen - jüngst im Kino in xXx - TRIPLE X und nun in diesem Game?) Er ist eine Ein-Mann-Kommandoeinheit, eine "Splinter Cell" - im Einsatz jenseits jeder Verfassung, wo immer Aufträge in US-amerikanischem Interesse ohne Rücksicht auf internationales Recht auszuführen sind (und würde uns da nicht spontan ein Einsatzziel einfallen...!). Aufträge, die offiziell gar nicht existieren, eben deswegen der kleinstmöglichen "Truppe" übertragen - Einzeltätern, deren Verbindung zu den Auftraggebern jederzeit verleugnet werden kann.

Weil es die "Splitterzelle" Sam Fisher nun aber in der offiziellen Version der Geschichte, die er zu schreiben hilft, nie gegeben hat, muss er auch vor Ort unsichtbar bleiben.

OUT OF THE SHADOWS, INTO THE LIGHT

Sam Fisher operiert, metaphorisch wie konkret, im Dunklen. Sein Kampfanzug ist mit Fotozellen bestückt, die ihn (und vor allem uns als Gamer) stets darüber unterrichten, wie viel Licht - sein ärgster Feind! - gerade auf ihn fällt. (Die beiden Extreme der Skala beschreibt Fishers Vorgesetzter beim anfänglichen Training so: "Lit up like a Dutch brothel" und "A Ghost's Shadow" - die deutsche Synchro zensiert bei ersterem ein wenig.) Taucht Sam Fisher völlig in die Schatten, verschmilzt mit ihnen, und verharrt dort lautlos, dann ist er für Feinde auch in unmittelbarer Nähe nicht mehr entdeckbar. Er - und wir, als Statthalter, Stellvertreter seines Handlungswillens - weiß immer von der Bedrohung um ihn herum. Seine Gegner/Opfer sind ahnungslos, bis er - durch unsere Hand - ihnen ein Zeichen schenkt seiner Anwesenheit.

(So durchdringend ist diese Grundvorstellung "Nur das Wahrnehmbare ist eine Bedrohung", dass Überwachungskameras im Spiel sich überlisten lassen, in dem man sie zerstört. Der reihenweise Ausfall von Kameras - oder von Lichtern in von ihnen überwachten Räumen - ist für die Überwacher in dieser Welt kein Grund für Alarm - solange sie keinen Feind auf dem Schirm haben, ist alles in Ordnung. Das entspricht nicht der Logik unserer realen Welt, aber es ist in diesem Spiel durchaus stimmig - und wohl auch eine schlicht notwendige Freiheit der Fiktion, um solche Kameras nicht zum allzu schwer überwindbaren Hindernis werden zu lassen.)

Das gefährliche Licht, das uns den Antagonisten als Wahrheit enthüllt; der freundliche Schatten, der das Geheimnis unserer Existenz für uns behält: Um diese Opposition herum baut SPLINTER CELL seine Welt. Das Licht strömt, fließt, strahlt in dieser Welt, jede Lichtquelle ist in ihr mindestens ein Neben-, manchmal sogar Hauptdarsteller. Pfützen und Seen von Helligkeit werfen diese Lichtquellen auf den Boden, machen Wände zu Projektionsflächen, leinwandgleich. Stück für Stück muss Sam Fisher diese weißen Flecken zurückerobern für sein Reich, für die Dunkelheit, mit gezielten Schüssen auf Lampen, oder muss Wege finden um sie herum. Der Kontrast zwischen Licht und Schatten ist immer ein bisschen stärker, als er "naturgetreu" sein dürfte, ist betont und herausgeputzt, und wird immer wieder bewusst im engen, komplexen Zusammenprall in Szene gesetzt:

PUZZLING EVIDENCE

Die Außenperspektive verschafft uns einen Informationsvorsprung gegenüber "Sam Fisher", diesem Konstrukt, das vorgeblich in der Welt von SPLINTER CELL handelt und wirkt. Zum einen offen/sichtlich, da unser virtuelles Kameraauge Blickwinkel einnehmen kann, die sich so der Agentenfigur auf dem Bildschirm nie bieten könnten. Wir können um Ecken und über Kanten schauen, ohne Fisher annähernd nahe genug an diese heranzusteuern, dass ihm das selbst gewährt wäre. Wir können erblicken, was hinter seinem Rücken geschieht.

Zum anderen aber (und derart offenbar, dass man möglicherweise gar nicht dran denkt, wenn man nicht drauf gestoßen wird) haben wir einen Erfahrungs- und Gedächtnisvorsprung vor der Fiktion "Sam Fisher". Die Erinnerung dieser Bildschirmfigur scheint getilgt, wann immer sie eins ihrer unbegrenzten Bildschirmleben ausgehaucht hat: Ihre Geschichte wird ausradiert zurück bis zum letzten Speicherpunkt; alle spielinternen Instruktionen erhält sie aufs Neue, alle Gespräche führt sie gleich, alle Kommentare entfahren ihr identisch wie bei jedem Versuch zuvor, sie scheint dem entsprechenden Abschnitt ihrer Welt immer wieder wie zum ersten Mal zu begegnen.

Wir aber behalten alles bis dahin gesammelte Wissen über diese Welt, und da sie auch nicht fluktuiert, da einmal Gelerntes, Erfahrenes in ihr stets wahr bleiben wird, können wir es auch einsetzen. Beispielsweise: Fisher muss durch eine Tür manövriert werden, die durch ein elektronisches Zahlencode-Schloss versperrt ist. Mittels des einen oder anderen Tricks kommt Fisher in den Besitz des richtigen Codes, aber er stirbt den Bildschirmtod, ohne den nächsten Speicherpunkt erreicht zu haben.

Nähme man die SPLINTER CELL-Welt ernst als eine mit ähnlichen Gesetzen wie die unsere, und folgte man ihrer Fiktion, dass (Sam Fishers) Geschichte in ihr erst als geschrieben gilt, wenn nicht mehr vorzeitiges Spiel-Ableben zwingt, sie zu wiederholen, dann müsste unser Pixel-Agent beim nächsten Versuch sich den Türcode ein weiteres, aus seiner Sicht aber erstes Mal verschaffen. (Bei der X-Box-Version mit ihren dezidierten Speicherpunkten ist diese virtuelle "Gedächtnislöschung" tendenziell umfänglicher als auf dem PC, wo man selbstbestimmt jederzeit speichern kann.) Tatsächlich aber hindert das Spiel einen nicht daran, einen solchen Code zu erinnern und ihn einzusetzen, ohne dass Fisher ihn, fiktionsintern, eigentlich kennen kann. Death is not the end, für uns als Spieler, in der Welt von SPLINTER CELL. Und so können wir etwas spielen, das aus der Sicht "Sam Fishers" wirken muss wie göttliche Inspiration.

À propos Türcodes: Die sind nicht die einzigen Hindernisse, zu deren Überwindung Sam Fisher Waffengewalt nicht das geringste nützt. Auch wenn der Held von SPLINTER CELL schießen kann, und die ganze Agenten-Szenerie drängt den Eindruck auf, dass es sich um ein Action-Spiel handeln muss: SC ist im Grunde seines Herzens ein Puzzle-Game, viel enger verwandt mit beispielsweise der ODDWORLD-Serie als mit GOLDENEYE. Raum ist hier aufgeteilt in linear aufeinanderfolgende Segmente, von denen jedes eine spezifische Aufgabe stellt, die mehr durch Beobachtungs- und Kombinationsgabe als Reaktionsvermögen zu bewältigen ist. Zur Überwindung der Hindernisse ist ein trial & error-Verfahren fast unabdingbar. Denn schwierig ist weniger die Ausführung des rechten Plans, als seine Formulierung: Es muss das Terrain ausgekundschaftet sein und die Wege der Wachen, muss ausgeklügelt werden wann, wie und wo die Gegner umgangen oder überwältigt werden können, müssen genau die Lücken aufgespürt werden, die das Spiel bereit hält, um Sam Fisher durchs Netz schlüpfen zu lassen.

SPLINTER CELL ist ein enorm kontrolliertes, präzise getüfteltes Spiel. Es zeigt klassische Puzzlegame-Tugenden: Es gibt ein genau definiertes, eng umschriebenes Repertoire an Grundelementen - an Fähigkeiten des Spielers, an Verhaltensweisen für alle Antagonisten. Das Zusammenspiel dieser Elemente ist durch klare, transparente Regeln geordnet. Und im Verlauf des Spieles werden zunehmend mehr dieser Elemente in zunehmend komplexeren Anordnungen zusammengebracht. Die Struktur, die hinter der Welt von SPLINTER CELL liegt, ist völlig rational, von fast mathematischer Kalkuliertheit, mit wenig Freiheitsgraden und noch weniger Raum für Unvorhersehbares. Der Weg durch das Spiel ist linear (mit nur seltenen Parallelpfaden im Detail), ist klar segmentiert in weitgehend voneinander abgeschottete Bereiche; die Räume des Spiels sind diktiert von den Handlungsmöglichkeiten des Protagonisten, ihre Bausteine genau darauf zugeschnitten: (Virtuelle) Architektur gewordene Handlungsanweisungen, sozusagen - Räume, die nicht für sich selbst existieren sondern als Vorschriften für das, was man in ihnen zu tun, wie man sich durch sie zu bewegen hat. Das Ganze ist dabei auch eine Welt, die in anderer Weise noch einer klaren Progression gehorcht: Nur nach und nach verlangt sie der Spielfigur ihre Fähigkeiten ab, zunächst schön jede einzeln für sich, erst später in Kombination. Und eine Welt der absolut zuverlässigen Ursache-Wirkungs-Beziehungen: Wie in einem perfekt kontrollierten Experiment folgt hier auf die selbe Aktion stets exakt die selbe Reaktion. Der Zufall hat hier kein Reich.

Mustergültiges klassisches Gamedesign also, hoch befriedigend, da jedes Scheitern, jeder Erfolg völlig einsichtig sind als Resultat der eigenen Verhaltensweise. Zynisch gesehen: Ein Reiz-Reaktions-Lernexperiment, das ideal geeignet ist, die hirneigene Belohnungsmaschinerie mit ihren Glücksgefühlen in Gang zu setzen. Weniger zynisch: Der Reiz fast aller gelungenen Videospiel-Realitäten. Ein paar Stunden Aufenthalt in einer Welt, die gefährlich und fordernd sein mag, aber dafür in zwei Dingen ganz und gar utopisch - eine Welt, die komplett DURCHSCHAUBAR ist und FAIR.

SPLINTER CELL folgt darüber hinaus einer recht gelungenen Dramaturgie von An- und Entspannung - nicht nur in der Mikrostruktur des Anschleichvorgangs: Manch lange Mission hindurch darf kein einziger Gegner getötet werden, muss jeder einzelne mit sanfteren, für einen selbst riskanteren Methoden als Kopfschüssen aus der Ferne unschädlich gemacht werden, was teils den Stresspegel beim Spielen fast in bedrückende Bereiche steigen lässt. Dafür entlohnen dann üblicherweise die anschließenden Level durch höheres Tempo und eine "Feuer frei!"-Maxime; lassen die aufgestaute Spannung per ungebremster virtuelle Gewaltausübung entladen. (Der Unterschied zwischen Ohnmacht und Tod der Opfer ist freilich kein großer, in SPLINTER CELL - er ist kein existenzieller, sondern nur einer der Spalten und Zeilen in der mathematischen Matrix der Puzzle-Elemente, nur ein Status-Unterschied in der Kette der IF-THEN-Relationen: Das eine Geschoss bewirkt Ohnmacht, das andere Tod; tote Feinde bewirken Missionsabbruch, ohnmächtige nicht. Die virtuellen Körper, die da handlungsunfähig am virtuellen Boden liegen, gleichen sich dabei exakt.)

Schade nur, dass der Klimax des Ganzen wenig spektakulär geglückt ist, dass das Spiel am Ende nicht noch richtig einen draufzusetzen weiß, der Payoff zu unbefriedigend ausfällt. Und leider wagt es SPLINTER CELL auch in den "strengen" Leveln nicht, seinen bevorzugten, einzig das Gefühl von RICHTIGKEIT vermittelnden Spielstil den Gamern wirklich konsequent aufzuzwingen - den, sich niemals entdecken zu lassen und möglichst wenig von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Es kann zwar durchaus sein, dass man, je nach individueller Veranlagung, selbst entscheidet, einen Abschnitt noch nicht auf recht befriedigende, souveräne Weise bewältigt zu haben und ihn aus freien Stücken wiederholt. Das Spiel selbst aber lässt erstaunlich viel durchgehen, erlaubt verblüffend schlampige Taktik. Zu viele Alarme darf man in den meisten Missionen auslösen, zu leicht überlebt man Konfrontationen mit aufgeschreckten Wachen, zu oft darf man sich heilen. Ein nicht unverständliches Zugeständnis an weniger geschickte Spieler - das aber der Seele dieses Spiels zuwiderläuft; es besiegbar macht, auch ohne dass man sich wirklich auf sein wahres Prinzip, sein Ideal eingelassen hat. Mit zusätzlichem Nachteil: Wer die neun Missionen schon auf normaler Schwierigkeitsstufe "richtig" spielt, also sich wirklich müht, weitgehend unentdeckt durch die Level zu kommen, dem bietet die alternative, angeblich schwerere Stufe, keine besondere Herausforderungen mehr. Denn der einzige erkennbare Unterschied ist, dass die Wachen etwas aufmerksamer und mit ungezielten Schüssen schwerer verwundbar sind, während die eigene Spielfigur weniger Lebensreserven hat. Das hat Konsequenzen aber fast nur, wenn man sich in offene Feuergefechte mit den Feinden begibt - wer von Anfang an lernt diese, wie es sich gehört, zu vermeiden, wird davon nicht groß behelligt.

Und nicht mal den einfachsten Anreiz für eine Perfektionierung des Spielstils bietet SPLINTER CELL: Es gibt weder am Ende einzelner Levels noch des ganzen Spiels Zensuren, es wird überhaupt nicht gewertet, wie geschickt man sich angestellt hat. Durch ist durch, ob mit Müh und Not und purem Glück oder mit katzengleicher Meisterschaft. Keinerlei freischaltbare Extras belohnen echtes Können, spielerische Eleganz, keine verborgenen Geheimnisse sind zu entdecken - eine halbe Handvoll Datenträger mit die Story etwas anreichernden E-Mails, im Spiel auf nicht unbedingt nötigen, manchmal ein wenig trickreichen Nebenweglein zu ergattern, sind das Höchste der Gefühle. Was andererseits SPLINTER CELL zumindest insofern wirklich auszeichnet: Es ist ein Spiel, das restlos alle seine Energie darauf verwendet, beim ersten, eigentlichen Durchspielen so eindrucksvoll wie möglich zu sein. Nichts lenkt davon ab, nichts vertröstet dabei auf später - SPLINTER CELL ist ganz und gar keins dieser Games, in dem man die Haupthandlung schon fast vergisst, während man sich in irgendwelchen Geheimnissuchen, Aufklaubaktionen, Sub-Abenteuern endlos vertändelt.

A WHOLE NEW WORLD

Die wahre Kunst aber von SPLINTER CELL, die liegt ohnehin nicht in der Konstruktion seiner Puzzlegame-Struktur. (Da lässt es sogar letztendlich etwas zu wünschen übrig: Auch wenn sie die Zahl der Grundelemente gering hält, so sind es doch zu viele, um sie alle gebührend zum Einsatz zu bringen, geschweige denn so richtig raffinierte Kombinationen auszukosten.) Die liegt darin, diesem kalten, rechtwinkligen, geradlinigen, allem Leben so fernen Gerüst ein Kostüm überzuziehen, das es in eine halbwegs (und das heißt: erstaunlich) plausible belebte Welt verwandelt. Und dann wiederum dieser "realistischen" Welt, die sich nicht auf Science-Fiction-Konstrukte und nur gelegentlich auf Actionfilm-Attraktionen kapriziert, dieser Welt, die unseren Protagonisten durch eine Folge von Regierungs- und Firmengebäuden führt, also hauptsächlich durch Büros, Büros, Büros, dieser nüchternen Welt also eine Dramaturgie abzutrotzen, eine Aura des Spektakulären, einen Reiz des immer Neuen, einen "Sense of Wonder".

Letzteres geschieht, wie oben beschrieben, vor allem durch den Einsatz von Licht und Schatten; gepaart mit einem recht feinfühligen Einsatz von wechselnden Raumgrößen, lokalen Detail-Eigenarten, Farbpaletten. Dass das mit der plausiblen Belebung der abstrakten Struktur aber in SPILNTER CELL so gut funktioniert, kommt freilich zunächst gerade aus der strengen und konsequenten Beschränkung der Grund-Freiheitsgrade. Es mag anfangs vielleicht etwas arg bescheiden anmuten, dass Sam Fisher aus seiner Umgebung ausschließlich Flaschen und Getränkedosen aufnehmen kann (um sie, den Wachen zur Ablenkung, zu Wurfgeschossen zu machen) sowie Munition und Lebensenergie-auffrischende Verbandskästen. Aber man hat es schnell begriffen und es genauso schnell akzeptiert - im Gegensatz zu den modischen Games, die mit "unbegrenzter" Freiheit locken, mit angeblich "voll interaktiven" Welten, die diese Versprechen aber stets nur halb einlösen und bei denen man deshalb den ganzen Spielverlauf über immer wieder zum Versuch verlockt wird, mit irgendeinem Umgebungsdetail zu interagieren, nur um dann doch enttäuscht zu werden. Und so immer wieder mit der Frage konfrontiert zu werden: "Warum kann ich zwar dies tun, jenes aber nicht?"

Es ist ein altes Gesetz, das für jede Form der Fiktion gilt, gleich ob Roman, Film oder Videospiel: Die berühmte "willing suspension of disbelief" beim Rezipienten funktioniert dann am reibungslosesten, wenn die Regeln der virtuellen Welt früh und eindeutig etabliert und sie dann strikt befolgt werden. Wenn Leser, Zuschauer, Spieler in eine neue Schein-Realität gerade erst eintauchen, dann sind sie offen für jede "Das ist nun mal eben so!"-Erklärung. Haben sie sich aber erst mal eingelassen auf diese anfänglichen Postulate, dann wollen sie für jede Abweichung und Neuerung einen überzeugenden Grund.

Dazu aber gibt es diese großen Grauzonen, in denen eine Fiktion nicht explizite eigene Regeln aufstellt sondern im Dialog mit dem Erfahrungsschatz der Rezipienten steht. Das ist der heiklere Teil der Angelegenheit, wenn es darum geht, ein Publikum bei der Stange zu halten, welches Durchbrechungen der Illusion als sträfliches Vergehen ansieht. Schwierig genug für traditionelle, nicht-interaktive Formen, da nicht unabsichtlich auf die Künstlichkeit, Gemachtheit des Ganzen aufmerksam werden zu lassen; nicht zu verstoßen gegen das, was das Publikum aus dem wirklichen Leben und (viel, viel entscheidender) aus der ästhetischen Gewohnheit für "realistisch" hält. Wie viel schwieriger aber für ein Videospiel, das einen Teil der Kontrolle dem Publikum selbst überlässt, und noch dazu eines wie SPLINTER CELL, dessen Grundstruktur so gänzlich weltfern ist und das doch vorgibt, seine virtuelle Realität sehr nah am Hier und Heute angesiedelt zu haben. Eben dieser Aufgabe entledigt sich SPLINTER CELL mit einem Bravour, der um so beeindruckender ist, als er ganz unaufdringlich tut.

Wie man von Filmmusik gern behauptet, sie sei dann am besten gelungen, wenn sie nicht bewusst wahrgenommen wird, so geht es auch hier um Dinge, die den meisten Gamern erst auffallen würden, wenn sie NICHT funktionierten. Wie baut man beispielsweise ein Stockwerk so, dass ein vorgeblicher Superagent sich auf genau einem Weg nur hindurchbewegen kann? Ein ganzes Haus? Einen Straßenzug? Und das, ohne das Resultat zu deutlich nach Kulisse wirken zu lassen. Es sind so simple, subtile Fragen wie: Wie viele Büroräume muss ein Korridor haben, wie viele Türen ein Zimmer, dass einerseits nicht zu augenfällig wird, dass es zu wenige sind im Vergleich zur realen Welt, andererseits aber auch nicht die Zahl der unzugänglichen Räume, versperrten Türen verräterisch groß werden muss? Wie steuert man die Aufmerksamkeit des Spielers auf den zu nehmenden Pfad mit dezenten, aber wahrnehmbaren Hinweisen, ohne dass der Eindruck einer lenkenden, von außen diese Welt arrangierenden Hand sich aufdrängt? Wie viel "überflüssiges" Detail braucht diese Welt, um plausibel, belebt zu erscheinen, ohne dabei die Spieler zu überfrachten mit Information, die mit ihrer eigentlichen Aufgabe nichts zu tun hat? Wie unterscheidet man relevante von redundanter Information, ohne "unrealistische" Markierungen in diese Welt einzubauen? Wie gibt man dem (für's Spielprinzip unabdingbare) determinierten Roboter-Verhalten der Gegner den Anschein menschlicher Motivation? Und vor allem: Wie verhindert man, die Spieler an allen Ecken und Enden mit der Nase darauf zu stoßen, was ihre Spielfigur NICHT kann von dem, was für einen "echten" Superagenten in der jeweiligen Situation die eigentlich naheliegende Handlungsweise wäre?

Sicher hat SPLINTER CELL nicht auf all diese Fragen stets die PERFEKTE Antwort auf Lager. Aber es hat mehr und bessere Antworten, als man üblicherweise hoffen dürfte. Es antwortet mit erstaunlicher Cleverness, und wo die nicht weiterhilft, mit überzeugendem Flair. SPLINTER CELL ist kein Magier, dem man allen Ernstes zutraut, wirklich zaubern zu können, aber es ist einer, der seine Tricks so gekonnt präsentiert, dass man sich mit Vergnügen willentlich der Illusion hingibt.

DIE GROSSE FREIHEIT NR. 5

Wenn es an die narrative Einbettung dieser Spielelemente geht, dann ist freilich mit allen anfänglich leicht scherzhaft gezogenen Karl May-Parallellen gründlich Schluss. Dann ist wo Tom Clancy draufsteht auch wirklich Tom Clancy drin. Da geht es heim ins Reich der grenzfaschistoiden, Militärtechnik-geilen Befehlsempfänger-Abenteuer. "The Fifht Freedom" ist der zentrale Begriff, um den sich das Spiel dreht, gleich zu Anfang der Titelsequenz etabliert mit einer sich aus dem Dunklen herausschälenden Schriftanimation, etwas ominös, etwas bedeutungsschwanger, halb andeutend, dass man sich auf dem Terrain schwerwiegender moralischer Entscheidungen bewegt, halb verführerisch den Geschmack von Macht und Abenteuer anklingen lassend.

Die Freiheiten Numero Eins bis Vier, wie sie da aufgezählt werden, das sind Grundfesten des demokratischen, aufgeklärten, pluralistischen Staatsverständnisses: Das Recht auf Rede- und Religionsfreiheit, das Recht auf ein Leben, das frei ist von Notleiden, frei ist von Angst. "The Fifth Freedom" aber, das ist eine zynische Sprachregelung für das Recht, all jenen diese vier garantierten Verfassungsfreiheiten zu entziehen, die selbige (angeblich) bedrohen. Und zwar mit allen Mitteln und permanent. Mit anderen Worten: Das Recht, diesen Feinden der Demokratie notfalls auch ihre Freiheit zu nehmen, weiter auf diesem Planeten zu verweilen. Sie zu töten.

Was Sam Fishers Auftraggeber im Falle von SPLINTER CELL konkret auf den Plan ruft, wird vom Spiel zwischen den Leveln in Fernseh-Nachrichten-Ausschnitten erzählt: In Georgien ergreift ein neuer Mann die Macht, der bald (unterstützt von einem chineischen General) die USA und den Rest der Welt bedroht mit Terror und apokalyptischen Plänen. SPLINTER CELL bemüht sich auch hier redlich, seinem Anspruch gerecht zu werden, in einer plausiblen, wiedererkennbaren Welt zu spielen, auch in geopolitischer Hinsicht, und versucht zugleich doch, nie so nah heranzukommen an die Wirklichkeit, dass es unangenehm würde. Die "Achse des Bösen" zieht sich in SPLINTER CELL nur von Schurke zu Schurke, nicht von Schurkenstaat zu Schurkenstaat: Immer sind es hier einzelne machtgierige, skrupellose Männer, die hinter allem stecken. Diese bemächtigen sich eines Regierungsapparats, oder sie handeln auf eigene Faust gegen Willen und Interessen der übrigen politischen Führer, und mit Aufdeckung ihrer Pläne und Liquidierung ist die Bedrohung aus der Welt geschafft.

Die Strukturen der Weltordnung, wie sie SPLINTER CELL abbildet, sind nicht Ursache für die Verbrechenstaten, sie werden nur von individuellen Bösewichten für ihre Vorhaben ausgenutzt. Weswegen ein einzelner Held wie Sam Fisher durch ein paar gezielte Schüsse letztendlich auch alles wieder ins Lot bringen kann.

SPLINTER CELL distanziert sich vom realen tagespolitischen Geschehen allerdings schon dadurch, dass es sich einen kleinen Schritt weit im Territorium der Science Fiction postiert. 2004 spielt die Handlung, also in einem Fiktions-Zeitraum, der noch als unmittelbare Fortsetzung des Heute verstanden, zugleich aber doch nur Vision, nur Möglichkeit sein will. Vielleicht ohnehin ein Parallell-Universum, leicht verschoben zu dem unseren: Zwar wird der Aufstieg des georgischen Übeltäters Nicoladze in eine Machtposition in den Nachrichten erklärt als Folge eines tödlichen Attentates auf den georgischen Präsidenten, aber nie fällt dabei der Name Schevardnaze. Und überhaupt nie erfahren wir, warum die USA nächstes Jahr von einem Präsident Bowers regiert werden und nicht mehr von George Bush, dem Jüngeren (oh, Wunschtraum-Szenario...!).

Trotz aller korrekten Landkarten, die wir zu sehen bekommen: Das "Georgien" dieses Spiels liegt im Reich der Fantasie; gemeint ist nicht wirklich das real existierende Land, sondern das Phänomen eines jungen, instabilen, osteuropäischen Staates und alle Klischeevorstellungen, die wir damit verbinden.

Wie überhaupt TOM CLANCY'S SPLINTER CELL wenig hat vom dämlichen, patriotischen Ernst der pseudofaktenhubernden Thriller-Fantasien seines Namenspatrons. Schon deswegen, weil die Entwickler des Spiels Kanadier sind, die ja traditionell die US-Amerikaner ähnlich betrachten wie die Österreicher die Deutschen: Mit einer Mischung aus Mitleid, Amüsiertheit, Überlegenheit, Freundschaft und Neid. SPLINTER CELL ist ein gutes Stück davon entfernt, eine Satire zu sein, aber das Satirische schleicht sich immer wieder ein, lugt durch die Nähte, versteckt sich im Detail. Sei es die etwas lächerliche Figur, die der fiktive US-Präsident Bowers macht. Seien es nah an der Karikatur angelegte vox populi-Nachrichtenausschnitte, in denen amerikanische Durchschnittsbürger nicht gerade als die Hellsten erscheinen, seien es kleine Gags im Newsticker wie der Oscar-Gewinn für Macauley Culkin, die Entfernung einer Cashew-Nuss (nein, keiner Brezel) aus der Luftröhre von President Bowers, oder seien es Monatskalender an georgischen Wachstuben-Wänden, auf denen statt Pinups Bilder von Traktoren prangen.

Dass SPLINTER CELL seine narrative Komponente nicht so bierernst nimmt, macht vieles von dem problemlos erträglich, was sonst als Hauruck-Patriotismus von Clancys Gnaden sehr sauer hätte aufstoßen können. Nein, SPLINTER CELL ist kein Propagandaspiel, es ist eine Fantasie, die sich wissend und lustvoll der Verführung gewisser Geheimdienst- und Soldaten-Mythen hingibt und dabei den Gamern genug zuzwinkert, um sie als mündige, freiwillige Mit-Fantasierer anzuerkennen. Zugleich aber kann dieser Unernst befremdlich, unpassend, frivol wirken, wenn es in der Story des Spiels immer wieder um Themen geht, die unmöglich mit Humor zu nehmen sind. Da ist die ganze Geschichte mit der "Fifth Freedom", deren fragwürdigeren Implikationen nie zum Gegenstand des Spiels werden, da sind insbesondere regelmäßig Passagen, in denen von Folter die Rede ist, oft mit grausigen Andeutungen unmenschlicher Details.

HEART OF DARKNESS

Ein bisschen verlegen tänzelt da SPLINTER CELL drum herum, dass zweifelsohne auch sein Held Sam Fisher bei Bedarf jederzeit ohne Zögern zu Methoden der Auskunftserzwingung greifen würde, aufgrund deren es bei jedem nicht sadistisch veranlagten Gamer sehr schnell Schluss sein dürfte mit der Identifizierungsbereitschaft. Ja, ein wenig zu lange hat er sich vielleicht im Dunklen aufgehalten, unser "Held", hat es in sich aufgesogen. Ein Schatten ist er, ein Geist, wir erinnern uns an die Worte seines Vorgesetzten am Anfang. Ein wenig Vampir wohl auch, wie er da auftaucht aus der Schwärze und seinen Opfern um den Hals fällt, sie an einer Stelle sogar im Schlaf überrascht... Diese lichtscheue Gestalt, für die jeder Schritt ins Helle eine Gefahr bedeutet. Die Vorstellung scheint gar nicht ganz fern zu liegen, dass er sich in Rauch auflösen könnte, wenn er in gleißende Sonnenstrahlen geriet.

Vielleicht sind die Witzeleien, die sich SPLINTER CELL immer wieder nebenher gönnt, auch ein Versuch, nicht zu stark spüren zu lassen, dass es im Grunde ein düsteres Spiel ist, ein finsteres Herz hat. Und zwar auf viel ernstere Weise als jene Games, die ein bisschen Teenager-Düsternis inszenieren, sich dem Chic der Gothic-Ästhetik bedienen. Gewiss, es hat alles gute Game-Design-Gründe, warum über manches Bedenkliche in SC nicht weiter nachgedacht wird, warum immer ausgewichen wird, bevor etwas wirklich weht tun könnte. Aber an den Rändern, in den Ritzen dieses Spiels hängt so ein Gefühl, dass hier mehr auf dem Tablett ist als nur saubere, logische Anschleich-Rätsel. Dass die Fiktion, in die diese eingekleidet sind, ein Eigenleben entwickelt, das dem Spiel manchmal fast unangenehm ist. Der flapsig-ironische Unernst, mit dem SPLINTER CELL seine Story, seine Charaktere gelegentlich behandelt hat auch etwas von whistling in the dark.

SPLINTER CELL scheint oft kurz davor, etwas Substantielles sagen zu können über die Themen, die ihm eigentlich bloßer Vorwand sind für die Etablierung seines abstrakten Spielprinzips. Über Sachen wie Staatsmacht, Befehlsempfängertum und letztlich wieder und wieder: Den Tod. Und genau da traut es sich dann immer nicht weiter, bleibt an der Oberfläche, flüchtet ins Klischee. Sam Fisher bleibt ein hollow man, wir bekommen nur eine vage Ahnung von der Schwärze, die in ihm hausen könnte; er, unser Held, unser dark knight, darf uns leider nie wirklich unheimlich werden. SPLINTER CELL ist, abstrakt als Spiel betrachtet, eine brillante Leistung. Nur erweckt es manchmal den Eindruck, dass es auch noch hätte viel mehr sein können. Aber das ist eine Sache, für die Videospiele insgesamt, als Medium, wohl noch nicht so recht reif sind: Ernsthaft das Dunkle im Inneren des Menschen zu erkunden.