Fahndung nach der Polizei

Neuauflage eines Plakats, auf dem gewalttätige Polizisten zu sehen sind, sorgt für Aufregung

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Joschka Fischer, Außenminister und im Nebenberuf Staatsphilosoph, lag nicht völlig daneben, als er 1992 behauptete, das Wesen der Demokratie sei noch immer die Macht.

Und weil das so ist, reagiert der Staatsapparat, der die demokratische Macht mit Hilfe seines Gewaltmonopols durchzusetzen hat, sehr empfindlich, wenn sich jemand Befugnisse anmaßt, die allein ihm zufallen. Nach Gesetzesbrechern zu fahnden ist nun einmal die Aufgabe der Polizei, und wer das anders sieht und dieser Ansicht sogar Taten folgen lässt, kann sich gesteigerter Aufmerksamkeit der Staatsorgane sicher sein. Vor allem dann, wenn er sich mit Gesetzesverstößen durch die Polizei selber befasst.

Nach den Berliner Maikrawallen 2002 fahndete die Berliner Polizei wie auch schon im Jahr davor per Plakat und Internet nach Personen, die der Teilnahme an den Ausschreitungen verdächtigt wurden (vgl. Berliner Polizei packt erneut das Online-Jagdfieber).

Die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) reagierte darauf mit einem eigenen Fahndungsplakat, das verschiedene Polizisten bei Straftaten zeigte und für ihre Ergreifung und Überführung eine Prämie von 1000 € pro Fall auslobte (vgl. Antifa fahndet nach "gewalttätigen" Polizisten). Sprache und Gestaltung des Plakats waren ganz im Stil der polizeilichen Veröffentlichungen dieser Art gehalten. Das als Parodie zu begreifen und als fast schon staatstragenden Aufruf, Schläger in den Reihen der Polizei nicht zu dulden, leuchtete der Berliner Innenverwaltung nicht ein. Sie übte über das Landeskriminalamt (LKA) Druck auf Provider aus, die die Internetversion des Plakats und des zugehörigen Aufrufs spiegelten, ließ geklebte Plakate entfernen und suchte eifrig nach Möglichkeiten, strafrechtlich gegen die Aktion der AAB anzugehen.

Das erwies sich als gar nicht so einfach. Erst im Kunsturhebergesetz fand man das Passende, denn es enthält eine Strafvorschrift, die es verbietet, das Bildnis anderer ohne deren Einwilligung zu veröffentlichen und belegt Verstöße mit Geldstrafen oder Gefängnisstrafen bis zu maximal einem Jahr Dauer. Anfang April diesen Jahres ging dann beim Pressesprecher der AAB (bzw. ihrer aktivsten Abspaltung "Antifaschistische Linke Berlin", ALB) ein Strafbefehl über 2000 Euro ein.

Die ALB reagierte darauf mit einer gehörigen Portion Frechheit. Sie brachte eine Neuauflage ihres Plakats heraus, auf der jetzt nicht nur die vermummten Polizisten zu sehen waren, sondern, angeblich durch nachträgliche Bildbearbeitung kenntlich gemacht, auch die unverhüllten Gesichter dreier vermeintlicher Polizeischläger. Ein zusätzlicher Aufdruck "Kennzeichnungspflicht jetzt!" richtete sich offenbar an die in Berlin mitregierende PDS, die 2001 mit dem Versprechen angetreten war, eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamten einzuführen, seitdem aber nichts mehr davon wissen will. Die ALB kündigte in der begleitenden Erklärung an, dass sie auf der von ihr mitorganisierten Demonstration am 1. Mai über 10.000 Handzettel mit den Portraits gewalttätiger Polizisten verteilen will, um "weitere schwere Straftaten zu verhindern". Gleichzeitig ließ man Verhandlungsbereitschaft durchblicken: Wenn der Senat seine öffentliche Menschenjagd aufgebe, sei man seinerseits bereit, auf weitere Antifa-Fahndungsplakate zu verzichten.

Man darf davon ausgehen, dass diese Eulenspiegelei bei den Berliner Innenbehörden für den einen oder anderen Schreianfall gut ist. Schließlich werden hier drei Mitglieder der Exekutive gut erkennbar zur Fahndung ausgeschrieben von Leuten, die zu den Bösen gehören. Wie man hört, kratzt die Polizei auch diesmal wieder Plakate von den Wänden, Repressionsversuche gegen die Online-Präsenz von Plakat und Aufruf sind bis jetzt nicht bekannt. Allerdings sammelt die ALB schon Spenden wegen zu erwartender Prozesskosten, denn es ist schwer vorstellbar, dass diese Aktion kein juristisches Nachspiel haben wird.

Man könnte all das leicht als eine der Possen in Vorbereitung auf den 1. Mai in Berlin abtun, wie sie in den letzten Jahren zur Gewohnheit geworden sind. Tatsächlich wirft die Plakataffäre aber Fragen auf, die über die Reichweite der normalen Kommunkationsguerilla hinausgehen.

Da ist zunächst die Tatsache, dass die ALB mit dem Plakat satirisch die Machtfrage stellt. Wer wen in diesem Land polizeilich zu verfolgen hat, ist, wie schon gesagt, rechtlich geregelt, eine Umkehrung dieses Verhältnisses sieht das Recht nicht vor. Die Provokation, die schon in der Andeutung der Umkehr liegt, wird noch gesteigert, indem sie sich angeblich technologisch fortgeschrittener Fahndungsmethoden bedient:

Die neuen Bilder zeigen Polizisten beim offensichtlichen Verüben von Straftaten. Die Opfer erlitten zum Teil schwere Verletzungen: Handgelenkbruch, Rippenserienfraktur, Unterarmbruch, schwere Gehirnerschütterung und ein mit Hämatomen übersäter Körper sind die Folgen dieser Übergriffe. Unsere intensiven Recherchen, die Auswertung von Videoaufnahmen und die elektronische Bearbeitung des Bildmaterials ermöglichten jetzt auch die Abbildung von Porträts einiger Schläger.

Man darf gespannt sein, wie die Polizei darauf reagiert, dass ihr in dieser Weise die Initiative aus der Hand genommen wird - in einer Aktion, die die Tradition der "Bürger beobachten die Polizei"-AGs aus den frühen Achtzigern aufgreift - allerdings auf viel höherem technologischem Niveau.

Wenn aber die Vorwürfe der ALB zumindest im Kern stimmen, wovon man leider ausgehen muss, ergibt sich sofort die Frage: Wer beschützt uns vor den Beschützern? Und: Warum gelingt es der Polizei nicht, Schläger fernzuhalten oder doch über die Jahre die Zahl der Übergriffe aus ihren Reihen deutlich zu vermindern? Wie viele schwarze Schafe machen eine Herde? Wird eine "gesunde Härte" toleriert oder gar gefördert, weil es bei der Durchsetzung der demokratischen Macht doch eher um Macht als um Demokratie geht?

Was den 1. Mai als soziale Institution angeht, fragt sich natürlich, warum er sich nicht nur in Berlin seit Ende der Achtziger Jahre zu dem jährlichen Randalefasching entwickelt hat, der er heute ist. Gibt es dafür auch andere Gründe als die Frustration gelangweilter Jugendlicher, die sich in ritualisierter Form austobt?

Die juristischen Auseinandersetzungen um das Plakat werden diese Fragen nicht beantworten, dazu sind sie nicht da. Aber weil es sie überhaupt aufwirft, sollte es ernster genommen werden als eine bloße Provokation.