Unendlich viele Weltenblasen und Doppelgänger

Das Konzept der Multiplen Universen hat sich unter Kosmologen mittlerweile etabliert

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Am 6.10.1967 wurde erstmals eine breitere Öffentlichkeit mit dem Konzept der Parallelwelten konfrontiert. Damals flimmerte die Star Trek-Episode Mirror, Mirror erstmals über US-amerikanische Bildschirme. In dieser Folge wird Captain Kirk, als Resultat eines Transporterunfalls, in ein Paralleluniversum katapultiert, in dem zwar ebenfalls ein Raumschiff Enterprise existiert, dessen Besatzungsmitglieder haben sich aber offensichtlich eher der dunklen Seite der Macht zugewandt, wo Erpressung, Mord und Totschlag regiert. Eine Welt, in der Mr. Spock nicht nur Bartträger, sondern außerdem auch noch ein ausgesprochen unangenehmer Intrigant ist.

In einem Artikel der aktuellen Ausgabe des Scientific American klärt uns der Physik- und Astronomie-Professor Max Tegmark darüber auf, dass sich die Theorie der parallelen Universen unter modernen Kosmologen mittlerweile etabliert hat. Es ginge nicht mehr um die Frage, ob sie existieren, sondern auf welchem Level sie dies tun.

Laut Tegmark befindet sich in einem Universum, das ca. 10 x 1028 Meter entfernt existiert, eine Zwillingsausgabe von Ihnen, die ebenfalls gerade dabei ist, diesen Artikel zu lesen. Unter Umständen bricht Ihr Zwilling aber hier die Lektüre ab und geht ein Eis kaufen und wird übermorgen als Bundespräsident vereidigt, während Sie weiterlesen und auf Eis und Amt verzichten.

"Diese Entfernung ist so groß, dass sie über astronomische Maßstäbe hinausgeht, aber das macht Ihren Doppelgänger nicht weniger real."

Den entferntesten Punkt im Raum, den wir beobachten können, ist rund 14 Milliarden Lichtjahre entfernt, die Entfernung, die das Licht im Stande war zu reisen, seit mit dem Urknall alles begann. Wir existieren also in einer Kugel von enormen Ausmaßen, außerhalb derer wir absolut nichts mehr wahrnehmen können. Diese Blase nennt sich unter Kosmologen 'Hubble-Volumen' oder im Volksmund schlicht Universum.

Wenn man nun voraussetzt, dass der Raum unendlich ist - und bislang deutet nichts darauf hin, dass irgendwo ein Stopschild mit der Aufschrift 'Ende der Ausbaustraße' aufgestellt wurde -, so ist es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass unser Hubble-Volumen ein Einzelstück darstellt. Alle Gesetze der Wahrscheinlichkeit deuten vielmehr auf eine Serienproduktion besonderen Ausmaßes hin: Dort draußen existieren unendlich viele Weltenblasen.

Nun gut, der Raum ist unendlich, aber sind es auch die möglichen Welten darin? Laut den (nach eigenen Angaben konservativen) Berechnungen von Tegmark, braucht man nur die möglichen Quantenzustände innerhalb einer Hubble-Blase zu zählen, die nicht heißer als 108 Kelvin sein darf und die außerdem eine typische Materieverteilung von 1 : 100.000 Teilchen aufweist - und schon erhalten wir als Resultat eine Kiste, mit einer Kantenlänge von 10 x 10118 Metern, in die sämtliche überhaupt nur mögliche Universen passen würden. Alles, was sich außerhalb dieses Kastens befindet, wäre schlicht und einfach eine Wiederholung.

Level 1 bis Level 4

Es gibt sie also, die Welt, in der die Verwendung des Genitivs im Grundgesetz festgeschrieben ist, in der wir am Sonntag in der Kirche zu Käptn Iglu beten, in der offene Schnürsenkel als sexy gelten und in der Siegfried und Roy gerade zu Päpsten geweiht werden. Das ist übrigens die gleiche Welt, in der Sie gerade vom Eis kaufen zurückkommen und die Lektüre dieses Artikels etwas weiter oben wieder aufnehmen.

Diese Paralleluniversen, wie wir sie beispielsweise auch aus der populären TV-Serie Sliders kennen und die im Grundsatz dem uns bekannten Universum entsprechen, nennt man 'Level 1 Universen'. Sie unterscheiden sich von unserer Welt durch mehr oder weniger große Abweichungen, sind in der Grundstruktur jedoch identisch.

Level 2-Universen hingegen sehen dem unsrigen schon nicht mehr so ähnlich. Sie können im Gegensatz zu obigen Blasen unterschiedliche physikalische Konstanten oder gar abweichende Raum-Zeit-Dimensionen besitzen. Die Existenz solcher Universen wird von Verfechtern der Theorie der anhaltenden 'chaotischen Inflation' propagiert, die in den achtziger Jahren von Andrei Linde aufgebracht wurde. Die Raumzeit in einer Level 2-Welt, könnte beispielsweise problemlos neun oder aber auch nur zwei Dimensionen aufweisen. Ein Cartoon-Universum, in dem Linus und Charlie Brown nicht aneinander vorbeigehen könnten, da ihnen dazu die Tiefe des Raums fehlen würde.

Das dritte Level bringt uns nun endlich zu dem berühmten Ansatz der Parallelweltentheorie, der uns schon in den Jugendzentren der siebziger und achtziger Jahren von viertelgebildeten Esoterikern, meist nach dem Genuss von canabinolhaltigen Rauchwaren, um die Ohren gehauen wurde: Quantenmechanik.

Um es knapp zu machen: Diese Idee besagt, dass jede getroffene Entscheidung zwischen A und B, unsere Welt in zwei nahezu identische Kopien aufteilt. Der einzige Unterschied: in der einen Welt ist A-Realität geworden, in der anderen B. Somit splittet sich unsere Welt ständig und unaufhörlich in alle nur irgend möglichen Universen und unser Bewusstsein ist pausenlos auf der Durchreise, von Welt zu Welt.

Hier finden wir auch unsere Sigfried-und-Roy-Päpste aus Level 1 wieder, mit dem einzigen Unterschied, dass sie diesmal nicht räumlich unfassbar weit von uns entfernt sind, sondern sich lediglich einige Quantensprünge entfernt, in einem multidimensionalen Hilbert-Raum aufhalten.

Interessant ist die Frage, ob die Anzahl der Universen, die durch ständige Selbstteilung entsteht, ins Unendliche geht. Max Tegmark kommt zu dem Schluss, dass dem nicht so ist, und präsentiert uns - Überraschung - die Zahl 10 mal 10118, die uns bereits auf unserem Ausflug zu Level 1 begegnet ist.

Level 4 schließlich können wir uns auf unserem gedanklichen Kurztrip zu den Multiversen-Theorien eigentlich gleich sparen, da hier eigentlich nur noch ein Adjektiv greift: unvorstellbar. Hier könnte die Zeit ruckartig vorangehen, 2 + 2 könnte problemlos 4,1 oder auch ein Schmalzbrot ergeben, und Dimensionen könnten kommen und gehen wie Postboten und Zeitschriftendrücker, während die Lichtgeschwindigkeit dort das langsamtsmögliche Tempo sein könnte.

Subversion der Einzigartigkeit

Nun, als Laie mag man von der Idee der parallelen Universen halten was man will. Da sich ihre Existenz lediglich durch Wahrscheinlichkeitsrechnungen belegen lässt, ist ein entschiedenes 'Glaub ich nicht' durchaus legitim.

Wenn man aber nur ein paar hundert Jahre zurückschaut, wird man feststellen, wie schwer es den Menschen schon immer Mal gefallen ist, die Idee der Sonderstellung im Universum aufzugeben. Die Erde dreht sich um eine Sonne, die an Durchschnittlichkeit kaum zu übertreffen ist und die sich am Rande einer Galaxie befindet, die wiederum nur eine unter Milliarden ist. Diese Fakten sind mittlerweile allgemein anerkannt. Aber der Weg zu diesen Erkenntnissen war bekanntlich nicht einfach, da wir salamischeibchenweise unseren Solitair-Anspruch zurechtstutzen mussten.

Vielleicht stört uns an der Vorstellung der Multiversen auch nur die simple Tatsache, dass unser aller Einzigartigkeit damit radikal in Frage gestellt wird. Gift für die Eitelkeit ist das.

Aber auch tröstlich. Gibt es doch irgendwo da draußen einen Doppelgänger von Ihnen, der bereits all das geschafft hat, was Sie sich jemals vorgenommen haben, der alle Ihre Träume stellvertretend für Sie verwirklicht hat und der in dieser Sekunde nun unendlich glücklich ist. Gönnen Sie es ihm, er ist Ihnen sehr ähnlich.