Science Fiction als Religionsersatz?

Über Allmachtsfantasien und ihre kritische Darstellung: Das Science Fiction Jahr 2003

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Die beiden Herausgeber Wolfgang Jeschke und Sascha Mamczak schreiben in ihrem Vorwort zum diesjährigen SF-Jahrbuch des Heyne-Verlags, dass in dem Genre der Science Fiction wie in keinem anderen "aufklärerische und esoterische Weltsichten" koexistieren. Angeregt durch den letztjährig kurz aufgeblitzten Medienhype um den angeblichen SF-Einfluss auf Osama bin Laden und den SF-"Überbau" so vieler Sekten (siehe auch: Die Literatur am Abgrund der Zeit), haben sich die Herausgeber entschlossen, ein Schwerpunktthema zu präsentieren: SF und Religion. Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, was eine historisch auf den wissenschaftlich-technischen Fortschritt reagierende Literaturform mit dem religiösen Denken zu tun hat. Es gibt ohne Zweifel gläubige Autoren, Konflikte um die Religion sind Thema einiger bekannter SF-Bücher und in der "Star Trek"-Fernsehserie tummelt sich mit Q ein gottgleiches Wesen. Einige Autoren des Jahrbuchs scheinen der SF jedoch eine Glaubensmission zu unterstellen.

Neben einem Überblick von Robert Hector zu Endzeit-Visionen in der SF, die ja nicht gerade selten sind, ausgelöst durch Atomkrieg, Seuchen oder Naturkatastrophen, und einer weiteren Betrachtung von Michael Nagula zum Spätwerk des wichtigen Autors Philip K. Dick, in dem dieser seine "Visionen" zu verarbeiten sucht, drehen sich einige Texte des thematischen Schwerpunktes eher um eine religiöse "Bestimmung" der SF - was die Lektüre erschwert.

Eine Gruppe von Theologen führt materialreich ihre Thesen vor, die sich aber teilweise reichlich esoterisch lesen, da selbst in der religiösen Ideologie steckend. Es mag angehen, der SF in vielen ihrer Werke unlautere, unreflektierte Allmachtsfantasien nachzuweisen, aber es liegen einem sarkastische Bemerkungen auf der Zunge, wenn dies von dem Standpunkt christlicher Frömmigkeit aus geschieht, die die Menschen generell für "erlösungsbedürftig" hält und schon in der Figur Jesus selbst die "Vollendung" der Menschenrasse erblickt. Wenn das keine Allmachtsfantasie ist! Die "schöpferische Mythologie" der SF sei eine noch nie da gewesene Möglichkeit, "den christlichen Glauben in neuen Worten auszudrücken", meint ein Autor dieser Orientierung. Eine verblüffende Feststellung, dass diesen Positionen so viel Platz im Jahrbuch eingeräumt wird, wenn man bedenkt, dass zumindest Jeschke in seinen Texten als überzeugter Atheist aufgetreten ist.

Grundmuster der Vision einer Himmelsreise

Noch einmal wird der SF-Klassiker "2001 - Odyssee im Weltraum" (USA 1968) unter dem Titel "Woher? Wohin? Stanley Kubricks Odyssee zum Unbedingten" aufwändig analysiert, doch leider bleibt das Ergebnis unerquicklich. Bei "2001" handele es sich "im weitesten Sinn um einen religiösen Film", da die durch ihn inspirierten Fragen religiös bedeutsam seien. Sicher bietet dieser Film im Unterschied zu vielen anderen die Gelegenheit, "über erd- und filmgewohnte Grenzen von Zeit und Selbst hinauszublicken", wie der Autor Alexander Seibold pointiert äußert, doch warum wird diese filmische Suche nach einer visuellen Erfahrung der "Transzendenz", der unvorstellbaren Begegnung mit einer höheren kosmischen Intelligenz, sofort wieder an die doch sehr gewohnte Vorstellung des Glaubens gebunden?

Kubrick sagte in einem Interview, das Seibold bekannt ist, dass er nicht an die Gottes-Vorstellungen der irdischen Religionen glaube, aber eine "wissenschaftliche Definition von Gott" für möglich halte, die in Betracht zieht, dass außerirdische Rassen eine extreme Entwicklung durchlaufen haben könnten, die sie schließlich zu Herren über Materie und Energie macht und ihnen Allwissenheit und Allmacht verschafft. "2001" ist eine mehrdeutige fantastische Bilderreise, die die Zuschauer dazu stimulieren soll, über die Bestimmung des Menschen im Universum nachzudenken.

Während der Theologieprofessor Linus Hauser überall das "Grundmuster der Vision einer Himmelsreise" in der SF, also die heimliche Religionskompatibilität, diagnostiziert - natürlich sauber getrennt von den Abtrünnigen wie der Scientology-Sekte, an deren Spitze ein SF-Autor stand -, und den Glauben als probates Mittel gegen die "Verlorenheit im naturwissenschaftlich entzauberten Kosmos" empfiehlt, liefert Hartmut Kasper unter der Überschrift "Beam me up, Jesus!" gewissermaßen als überfällige Korrektur die ironische Kommentierung einer Himmelfahrt, die sich in den USA zu einem riesigen Bestseller entwickelt hat: die "Left behind"-Serie des pensionierten Pastors Tim LaHaye und des Autor Jerry B. Jenkins (der erste Band dt. als "Finale" bei Blanvalet im Taschenbuch).

Was sich da wie ein Stück "fundamentalistische SF" aus dem christlichen Glaubenskreis präsentiert, ist schon eine arge Plotte und dürfte wohl auch den Widerspruch unserer theologisch motivierten SF-Spezialisten hervorrufen. Die Handlung in einem Satz: Die Apokalypse ist da, und während alle Gläubigen (missionseifrige Ehefrauen zum Beispiel und alle Kinder unter zwölf) gen Himmel fahren, müssen sich die Zurückbleibenden mit dem um sich ballernden Antichristen herumschlagen, der aus Rumänien stammt und, wie Kasper bemerkt, eine Mischung aus Stalinist und Dracula-Vampir darstellt. So etwas geht in den USA millionenfach über den Ladentisch.

Die Grenzen des Vorstellbaren

Ist also die Auswahl der Texte zum Schwerpunktthema gelungen? Nur zum Teil. Natürlich ist die Religion Thema, Material für die SF, aber diese ist "ein Spiel, das auf der Vorstellungskraft und einer anderen Weltsicht basiert", wie sie der britische Autor Brian W. Aldiss in seinem Beitrag zur Krise der SF interpretiert, in dem auch die Religion dekonstruiert wird. Für Aldiss geht es darum, in dieser Literatur "der Welt den Schleier von Vertrautheit (...) zu entziehen", also aufklärerisch tätig zu sein - das Gegenteil von Religion. Für viele gilt der "sense of wonder", der Sinn für das Wunderbare der (technisch manipulierbaren) Existenz, die Begeisterung für das Mach- oder Wünschbare, der Spaß an der visionären Kraft von individuellen Weltentwürfen und die Ehrfurcht vor der Weite des Kosmos, als Grund, SF zu lesen, aber auch das ist im engeren Sinn keine Angelegenheit eines christlich verfassten Glaubens.

Was in der Analyse von "2001" verschenkt wird, ist doch gerade die Frage, wie Grenzen des Vorstellbaren literarisch oder filmisch plausibel, fühlbar gemacht werden können, ohne gleich in die religiöse Metaphorik zu fallen. Die Geheimnisse des Universums werden nie vollständig geklärt werden und wir können uns ihnen gefühls- und verstandesmäßig annähern - sie sind eher als Ausdruck einer uns unbekannten kosmischen "Rationalität" denn als Ausdruck religiösen Glaubens zu verstehen.

Andere lesenswerte Artikel beschäftigen sich mit der Künstlichen Intelligenz im SF-Film (wobei wissenschaftliche Durchbrüche in der Forschung und zeitgleiche filmische Darstellungen in einem tabellarischen Überblick präsentiert werden), mit dem Verhältnis von SF und Pornografie, mit Edgar Allan Poe als Vorläufer der SF, mit jüngsten Alternativweltgeschichten um die DDR und der Astrobiologie. Die Leser finden des Weiteren neben Interviews (William Gibson, Marcus Hammerschmitt, Mary Doria Russell) vielfältige Informationen zu neuen Filmen, Büchern, Hör- und Computerspielen aus dem SF-Genre.

Wolfgang Jeschke und Sascha Mamczak (Hg.): Das Science Fiction Jahr 2003, Wilhelm Heyne Verlag, München 2003, 840 S., 22 EUR