Tomatenwurf, Busenattentat und Erdbeertorte im Gesicht

Wichtige Provokationen oder dummes bis gefährliches Theater?

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Bill Gates hat es über sich ergehen lassen müssen, James Wolfensohn und Hilmar Kabars auch..

Bernhard Vogel hat die Tortentaufe hinter sich genau wie Hans Olaf Henkel und Mickey Kodak..

In den letzten Jahren ist der Rügebrauch des Tortenwerfens schwer in Mode gekommen, und jetzt hat es einen erwischt, den man eher zu den Tortenwerfern zählen würde: Luca Casarini, das Aushängeschild der "Disobbedienti". einer Gruppe, die in der Nachfolge der "Tute Bianche" fester Bestandteil der italienischen globalisierungskritischen Bewegung ist.

Am 3. Mai wollte Casarini in einer feministischen Buchhandlung namens Bluestockings sprechen, als Thema war "Anti-Authoritarianism and Academia" vorgesehen. Einige der Blaustrümpfe fanden das gar nicht lustig und verpassten Casarini vor dem Auftritt eine Erdbeer-Sahnetorte ins Gesicht. Casarini, der bemerkenswert gelassen blieb, fand sie delicious . [Videolink, Quicktime-Datei].

Sofort brach eine Diskussion über Sinn und Unsinn dieser Aktion aus. Aufgefordert, sie zu erklären, wiesen die Aktivistinnen der verantwortlichen Biotic Baking Brigade auf verschiedene Punkte hin. Luca Casarini, so der Vorwurf, betreibe Politik hauptsächlich als Egoshow und habe zu diesem Zweck auch die Disobbedienti funktionalisiert. Sein machistisches Dominanzgebahren habe bereits zu durchaus negativen politischen Konsequenzen geführt, so z.B. der undemokratischen Infiltrierung und Manipulation verschiedener politischer Gruppen.

Das "Social Forum" in Bologna habe er geradezu "zerstört". Sozialforen sind eine der bevorzugten Organisationsformen der globalisierungskritischen Bewegung, vor allem in Italien.

In der Toskana habe er versucht, sich zum Anführer von Hafenarbeitern aufzuschwingen, die gegen den letzten Irakkrieg streikten, sei aber von ihnen verjagt worden. Wenn man sich an den wortreichen Auftritt Casarinis in der Arte-Dokumentation "Was tun?" erinnert, die im Juli letzten Jahres ausgestrahlt wurde könnte man auf die Idee kommen, dass die Vorwürfe der Biotic Baking Brigade nicht ganz grundlos sind. Besonders unangenehm fiel der Versuch Casarinis auf, die "Tute Bianche" resp. die "Disobbedienti" mit den mexikanischen Zapatisten zu parallelisieren; es kam der Verdacht auf, Casarini sehe sich selbst als so etwas ähnliches wie der europäische Subcommandante Marcos.

Die Anhänger Casarinis sehen das selbstredend ganz anders. Der Tortenanschlag sei eine unpolitische Provokation, man könne Casarini nicht auf eine Stufe mit Leuten wie Bill Gates und anderen früheren Opfern von Tortenanschlägen stellen. Es mache überhaupt keinen Sinn, einen verdienten Aktivisten wie Casarini so zu behandeln. Um Berlusconi eine Torte ins Gesicht zu klatschen, seien die militanten Bäckerinnen wohl zu feige.

Wie auch immer: Der Vorfall hat jedenfalls interessante Vorbilder in der Geschichte der sozialen Bewegungen. Am 13. September 1968 wollte Helke Sander auf einer Delegiertenkonferenz des SDS (Sozialistischen Deutschen Studentenbundes) in Frankfurt sprechen, ohne dass ihr Beitrag auf der Tagesordnung gestanden hätte. Das wurde ihr erst zugestanden, als Sigrid Rüger, ebenfalls Teilnehmerin der Konferenz, mit einem Buttersäuranschlag für den Fall drohte, dass Helke Sander das Rederecht verweigert bliebe.

Als Helke Sanders Rede diskussionslos unterzugehen drohte, griff Sigrid Rüger zwar nicht zur Buttersäure, sondern zu Tomaten und schleuderte sie in Richtung SDS-Vorstand, nachdem sie ausgerufen hatte:

Genosse Krahl, du bist objektiv ein Konterrevolutionär und ein Agent des Klassenfeindes dazu!

Quelle

Der anwesende Hans Jürgen Krahl war zu diesem Zeitpunkt der führende Kopf im Frankfurter SDS.

Sigrid Rüger hat später den Mythos zu zerstreuen versucht, das sei der Beginn der neueren Frauenbewegung in Deutschland gewesen. Tatsache ist, dass sie sich in dieser Aktion eine extrem öffentlichkeitswirksame Bühne gesucht hatte, und zwar in der Auseinandersetzung mit den Machos unter den "eigenen Leuten".

Am 22. April 1969 wollte der Philosoph Theodor W. Adorno ebenfalls in Frankfurt gerade mit seiner Vorlesung "Einführung in das dialektische Denken" beginnen, als drei Studentinnen ihn am Pult umringten, zu küssen versuchten, und schließlich vor ihm die Brüste entblößten, was ihn zu panikartiger Flucht aus dem Hörsaal veranlasste.

Es gab damals genug kritische Stimmen, die solche Provokationen als dummes bis gefährliches Theater bezeichneten. Hans Jürgen Krahl wurde von einer der SDS-Frauen explizit verteidigt:

Also bewarf Sigrid den nach Worten ringenden, vielfach gehandikapten, aber zweifellos klarsten Kopf des damaligen SDS, Hans Jürgen Krahl, - sozusagen meinen letzten Hoffnungsträger - mit ihren Tomaten, so daß ich glaubte, ihm (und mir) zu Hilfe eilen zu müssen. Ich sprang also aufs Podium, drängte mich ans Mikrophon und rief zu gegenseitigem Verständnis und zu Toleranz auf und kritisierte die sezessionistischen Bestrebungen der Frauen vom Berliner "Aktionsrat" - an meine genauen Worte kann ich mich heute nicht mehr erinnern. (...)"

Und Adorno war schließlich nicht irgendein vertrottelter Konservativer, dem man mal eben mit ein wenig Provokation den vermufften Talar lüften musste. Die Bewegung, die sich da vor seinen Augen, in seinem Hörsaal austobte, wäre ohne seine Texte zwar auch entstanden, aber in ihren Analysen nicht so furchtbar weit gekommen.

Ohne Zweifel haftet den Tomatenwürfen wie dem Busenattentat ein pubertäres Element an. Trotzdem: Der SDS war damals ein verkopfter Männerclub, der pausenlos von der Befreiung der Menschheit schwafelte, aber die weibliche Hälfte der Menschheit bei dieser Aufgabe lieber außen vor hielt. Die Meisterdenkerei Adornos ging vielen auf die Nerven, und selbst bei wohlwollendster Betrachtung finden sich in Adornos Texten einige Stellen, die man nur frauenfeindlich nennen kann. Der Wert der Aktionen, die sich gegen die Helden der Bewegung richtete, liegt nicht so sehr in den recht dürftigen nachgeschobenen Begründungen, sondern in der Sichtbarmachung des Konflikts selbst, in dem Angriff auf den versteckten Autoritarismus einer Männerelite, die die antiautoritäre Bewegung anführen oder ihr doch wenigstens die Richtung zeigen wollte.

Und witzigerweise ergibt sich die Ähnlichkeit der aktuellen und historischen Vorfälle nicht so sehr aus Vergleichen zwischen Casarini und Adorno oder Krahl, sondern aus ihrer Struktur: Ein Held der Bewegung kommt in eine Frauenbuchhandlung, um sich als Fachmann für das Antiautoritäre über die Autorität als solche verbreiten - und einige Frauen bekleckern ihn öffentlich mit Erdbeeren und Sahne, um ihm zu zeigen, was sie von seiner Glaubwürdigkeit in diesen Dingen halten.

Es darf bezweifelt werden, dass von dieser Aktion die gleichen Wirkungen wie von dem Tomatenwurf Sigrid Rügers ausgehen. Immerhin lässt sie hoffen, dass die globalisierungskritische Bewegung zur Selbstkritik in der Lage ist - die sie auch dringend nötig hat, weil in ihr die selben Tendenzen zur Ausbildung erst informeller, dann ganz konkreter Macht am Werk sind, wie in vielen anderen sozialen Bewegungen vorher.