"Beagle" has landed

Teil I: "Mars Express" - das bislang ehrgeizigste europäische Raumfahrtprojekt startet zum Roten Planeten

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Sechs Jahre anstrengender Projektarbeit liegen hinter den Beteiligten. Nun soll die europäische Sonde "Mars Express" in drei Wochen definitiv zum Roten Planeten aufbrechen und dort auch eine Landeeinheit absetzen. "Beagle 2" wird als erster "Lander" seit den beiden NASA-Viking-Sonden (1976) ganz gezielt nach marsianen Lebensspuren suchen. Da die raue Marsatmosphäre höchstwahrscheinlich alle Hinweise auf Leben von der Oberfläche getilgt hat, soll "Beagle 2" vor allem tiefere Bodenschichten untersuchen. Ausgestattet mit einem "Maulwurf", einem Mini-Bohrer mitsamt Greifarm, kann der Lander erstmals Bodenproben aus einer Tiefe von bis zu 1,5 Metern entnehmen und so zumindest vergangenes Leben auf dem Mars nachweisen. Über den aktuellen Fortgang dieser einzigartigen Mission wird Telepolis fortan regelmäßig berichten.

"Beagle 2" beim Eintritt in die Marsatmosphäre, Bild: ESA

Höchstwahrscheinlich werden spätere Generationen, womöglich gar schon unsere direkten Nachfahren die heutige Diskussion über den Sinn und Unsinn der bemannten Raumfahrt nur noch mit einem müden, gelangweilten Lächeln quittieren. Vor allem die Argumente der Kritiker unserer Tage, die mit der bemannten Raumfahrt nur ein gefährliches, technisch unausgereiftes und zu kostenintensives, bestenfalls "abenteuerliches", aber kaum lukratives Unternehmen assoziieren, werden spätere Raumfahrthistoriker als zu kurzsichtig und zu pragmatisch orientiert entlarven.

Kurzsichtige Futurologen

Fraglos werden die Vergangenheitsforscher der Zukunft auch an der Kurzsichtigkeit der Futurologen der Vergangenheit so einiges zu kritisieren haben, insbesondere im Hinblick auf jene Damen und Herrn, die im 20. Jahrhundert ihren Phantasien offensichtlich "zu" freien Lauf ließen. War da nicht einmal davon die Rede, riesige Raumstationen und Hotels im Orbit zu platzieren, eine ständig bemannte Basis auf dem Mond zu errichten oder bis zum Ende des letzten Jahrhunderts Menschen zum Roten Planeten zu entsenden, ja sogar in diesem Jahrhundert das Abenteuer einer bemannten interstellaren Raumfahrt in Angriff zu nehmen. Aber bis auf den heutigen Tag hat kein Projekt jemals das Zeichenbrett oder die Computer-Simulation "verlassen" - selbst die interstellare Reise mit einer relativistischen Rakete bleibt reine Utopie. Weder im science-fiction-verklärtem Jahr 2001 hat eine bemannte interplanetare Odyssee durch das Sonnensystem, geschweige denn die für die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts angedachte "Mission to Mars" stattgefunden. Alle Zukunftsforscher haben sich - und dies nicht nur in Bezug auf die Raumfahrt - als falsche Propheten erwiesen und an der heutigen Realität (und sicherlich auch der zukünftigen) vorbei fabuliert.

Nein, seit der letzten Apollo-Mission im Dezember 1972 hat kein Vertreter unseres Planeten mehr den Orbit verlassen. Selbst in der Erdumlaufbahn machen sich Astronauten immer rarer. Infolge des Columbia-Unglücks sind es derweil gerade mal zwei Raumfahrer, die auf der Internationalen Raumstation dem irdischen Traum von einer permanent bemannten Station noch ein wenig Leben einzuhauchen versuchen. Statt dessen gewinnen in der Leichtigkeit der Schwerelosigkeit die Sparzwänge immer mehr an Gewicht. Dass an allen Ecken und Enden gespart werden muss, bekommt auch die unbemannte Raumfahrt stark zu spüren.

Aber trotz des letzten missglückten Starts der Ariane-V und dem damit zusammenhängenden Scheitern (in Bezug auf den Zielkometen Wirtanen) der Rosetta-Mission, ungeachtet der zahlreichen interplanetaren unbemannten Raumfahrtmissionen, von denen die NASA schon einige Forschungssonden buchstäblich in den roten Marssand gesetzt hat und unabhängig von dem Streichkonzert der NASA und der ESA, die aufgrund finanzieller Engpässe etliche ehrgeizige Projekte wie beispielweise das Netlander-Projekt aus dem interplanetaren Orchester hinaus dirigiert hat, hat die ESA dennoch noch einmal so richtig tief in die Tasche gegriffen, um am 2. Juni einen Solisten ins All zu schicken, der für längere Zeit in der Tat die erste Geige spielen wird. Nur die Kosten dieser Mission, die sich auf schätzungsweise 330 Millionen EURO belaufen, (er)klingen in den Ohren der Verantwortlichen und Raumfahrtgegner nicht gerade wie Musik.

Premiere eines Solisten

"Mars Express" im Orbit, Bild: ESA

Bei dem Solisten handelt es sich um Mars Express, dem wohl ehrgeizigsten europäischen Raumfahrtprojekt aller Zeiten, das - in der Tradition unbemannter Projekte à la Mariner, Pioneer, Voyager, Pathfinder und Mars Global Surveyor (u.a.) stehend - ganz gezielt auf den Spuren des Viking-Duos wandelt und in erster Linie nach Leben und Wasser auf dem Mars sucht.

Wenn der aufgrund eines technisches Problems verschobene Start (ursprünglicher Starttermin: 23. Mai 2003; das Startfenster schließt genau vier Wochen danach) nicht ein weiteres Mal verschoben wird, soll die erste europäische Mars-Mission am 2. Juni um 19.45 Uhr mitteleuropäischer Zeit mit einer russischen Sojus-Rakete ihre Premiere feiern. Dann tritt Europa mit den USA in einen Wettlauf um mögliche Wasser-Quellen und Spuren von Leben auf dem Mars ein.

Der Zeitpunkt ist günstig: Der Rote Planet nähert sich der Erde immer weiter und wird am 27. August noch 55.758.006 Kilometer entfernt sein - so nah wie zuletzt vor 73.000 Jahren, als noch Neandertaler auf Erden wandelten. Kein Wunder also, dass in diesem Sommer eine wahre High-Tech-Armada gen Mars düst, die mit Kameras, Robotwerkzeugen und automatisierten Experimenten ausgerüstet ist. Dennoch: Wenn die NASA ihrerseits zwei identische Landeroboter zum Mars schickt, die dort Anfang 2004 landen und ebenfalls nach Wasser und nach möglichen Spuren von Leben suchen sollen (2007 soll dann ein großes, fahrbares Labor mit sechs Rädern den Mars erkunden, bevor dann im Rahmen der so genannten Scout-Missionen eine ganze Flotte von kleinen und relativ billigen Marssonden startet) ist "Mars Express" schon mit Volldampf unterwegs zum vierten Planeten des Sonnensystems. Und dieser Vorsprung könnte sich als beträchtlich erweisen, besteht doch das Hauptziel von "Mars-Express" darin, im marsianen roten Wüstensand Relikte von vergangenem Leben in Gestalt von Mikroben oder DNA-ähnliche Strukturen aufzuspüren.

Mars - Planet des Lebens?

Heute gehen viele Mars-Forscher und Exobiologen davon aus, dass auf dem Roten Planeten in tieferen Schichten oder in anderen Regionen durchaus primitive Lebensformen oder zumindest Spuren ehemaligen Lebens existieren könnten. Für den NASA-Wissenschaftler Dr. Irme Friedmann beispielsweise besteht kein Zweifel daran, dass auf dem Mars zumindest in grauer Vorzeit einmal Mikroben gelebt haben. "At the same time that life appeared on Earth, it also appeared on Mars". Auch Frau Dr. Gerda Horneck, die sich seit vielen Jahren als Leiterin des Arbeitsschwerpunktes Strahlenbiologie am Kölner Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR intensiv mit exobiologischen Fragen auseinandersetzt, übt sich in Optimismus:

Es gibt plausible Gründe dafür, dass Lebensspuren auf dem Mars existieren könnten. Sollten wir tatsächlich welche finden, so wäre klar: Leben gehört zum kosmischen Standard.

Bild: ESA

Bereits die NASA-Raumsonde 2001 Mars Odyssey konnte nach dem Auftakt ihrer offiziellen Arbeitsphase gleich einen ersten Erfolg für sich verbuchen, als sie mit Hilfe des Gammastrahlen-Spektrometers erstmals in offizieller Mission die Oberfläche des Roten Planeten untersuchte und dabei in der Nähe des Südpols gleich auf Anhieb beträchtliche Mengen Wasserstoff entdeckte, die nach Angaben der Wissenschaftler in einer Eisschicht, also gefrorenem Wasser eingebettet sind. "Die ersten Daten des Gammastrahlen-Spektrometers deuten darauf hin, dass es dort sehr wahrscheinlich Wasserstoff knapp unter der Marsoberfläche gibt", sagte seinerzeit Dr. Jim Gravin, der leitende Wissenschaftler des MARS Exploration Program im NASA-Hauptquartier in Washington ( D.C.).

Wassersuche aus dem Orbit

Mars Express" wird auch gezielt nach Wasser auf dem Roten Planeten Ausschau halten. Während der NASA-Orbiter Mars Odyssee die Oberfläche des Roten Planeten nur bis zu einer Tiefe von etwa einem Meter sondieren kann, hat "Mars Express" Instrumente an Bord, mit denen sich der Boden bis in mehrere Kilometer Tiefe erkunden lässt. "Mars Express wird uns ein umfassenderes Bild davon vermitteln, wo und in welcher Tiefe Wasser zu finden ist", erklärt Patrick Martin, der stellvertretende ESA-Projektwissenschaftler für die 'Mars-Express-Mission'.

Mit dem Instrument MARSIS (Mars Advanced Radar for Subsurface and Ionospheric Sounding) kann "Mars Express" vom Orbit aus die Struktur des Marsbodens bis zu einer Tiefe von etwa fünf Kilometern analysieren. MARSIS arbeitet wie ein Radargerät: Es sendet Signale aus, die von der Oberfläche und den darunter liegenden Bodenschichten reflektiert werden. Die zurückgeworfenen Echos lassen genaue Rückschlüsse über Beschaffenheit und Zusammensetzung des Marsbodens zu. So können Wasservorkommen anhand typischer Radarechos auch noch tief unter der Oberfläche geortet werden.

Eine Spezialkamera an Bord des Mars-Express-Orbiters wird Aufnahmen von der Marsoberfläche zur Erde funken. Und das hochauflösende Spektrometer "Omega" soll die Zusammensetzung des Marsgesteins kartografieren sowie Informationen über die Verteilung mineralischer Verbindungen auf der Marsoberfläche erbringen. Diese Daten sind wichtig, um Aussagen über die Wasservorkommen unter der Oberfläche machen zu können. Die übrigen vier (der insgesamt sieben) wissenschaftlichen Instrumente sollen Erkenntnisse über die Atmosphäre sowie darüber liefern, wie Wasserdampf und andere atmosphärische Gase ins All entweichen konnten.

Spurensuche nach Leben vor Ort - "Planetenbohrer" Pluto

Wenn Beagle 2 im Süden des alten Einschlagsbeckens Isidis Planitia niedergeht, beginnt eine maximal sechs Monate währende Oberflächenmission, von der sich die Forscher neben wertvollen neuen Daten zur Geologie, Mineralogie und Marsatmosphäre vor allem eines versprechen: einen Paradigmenwechsel in der Astrobiologie. Dank seines "Probennehmers" PLUTO (Planetary Underground Tool), der am Institut für Raumsimulation des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt wurde, ist 'Beagle 2' in der Lage, Proben des sand- und staubähnlichen Bodenmaterials aus bis zu anderthalb Metern Tiefe aufzunehmen und dabei gezielt nach 12 C-Isotopen Ausschau halten.

Sollte es nämlich auf dem Mars in der Vergangenheit einmal Leben gegeben haben, müsste dieses chemische Spuren im Marsgestein oder im Bodenmaterial hinterlassen haben - entweder in Form von Zerfallsprodukten oder bestimmten Verhältnissen der Kohlenstoffisotope. "Das Vorkommen solcher Isotope - Kohlenstoffatome mit unterschiedlicher Neutronenzahl also - hängt eng mit der Existenz von Leben zusammen. Jegliche irdische Lebensform, ob Pflanze oder Tier, bevorzugt bei seinem Stoffwechsel den leichteren Kohlenstoff-12 gegenüber Kohlenstoff-13. Ein entsprechend hoher Anteil an Kohlenstoff-12 im Marsboden lässt daher mit großer Sicherheit auf Leben schließen", erklärt Dr. Lutz Richter, der am Institut für Raumsimulation des DLR in Köln-Porz arbeitet und Projektwissenschaftler bei "Beagle 2" der "Mars-Express"-Mission ist.

The Martian Limb - MGS MOC Release No. MOC2-328, 04 April 2003

Um derlei Spuren auszumachen kommt das "Gas Experiment Package" (GAP) des Landers zum Einsatz. Es erkennt organisches Material wie Kerogen daran, dass Kohlendioxid bei vergleichsweise geringer Temperatur aus der Probe bei deren Oxidation im GAP-Instrument freigesetzt wird. Wenn sich die 12 C / 13 C-Verhältnisse aus unterschiedlichen Reservoirs zudem deutlich voneinander unterscheiden, können die Forscher daraus folgern, dass der organische Kohlenstoff durch biologische Prozesse deponiert wurde und nicht von Organika kohlenstoffhaltiger Meteorite stammt, die die Marsoberfläche von außen erreichten.

Ob bereits in der ersten Probe die erhoffe Konzentration an 12 C-Isotopen sein wird, bleibt abzuwarten. Eines ist aber so gut wie sicher: Wenn in den Kontrollzentren der ESA der Spruch "Beagle has landed!" zum Besten gegeben wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Nachweis außerirdischen Lebens geglückt ist - oder eben auch nicht.