Wie im Lager

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Was Werkvertragsarbeiter in Deutschland so erleben

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In Deutschland ist alles geregelt. Das gilt auch für die rund 4000 Werkvertragsarbeiter aus Rumänien, die jährlich hierzulande arbeiten. Die meisten am Bau, immer mehr aber auch in großen, privaten Schlachthöfen.

1200 Euro im Monat, geregelte Arbeitszeit, kostenlose Unterbringung und Transport hatte der Chef der rumänischen Firma Social Com versprochen. Ioan Raescu, Daniel Kincza und ihre Kollegen vertrauten ihm. Was sie allerdings in Deutschland erlebten fasst Kincza in einem Satz zusammen: "Es war wie im Lager."

Der Arbeitstag begann morgens um 3.00 h mit dem Transport in oft überfüllten VW-Bussen zur Schlachterei. Kontrollen der Fahrzeuge durch die Polizei finden offensichtlich nicht statt, und wenn doch - so bleiben sie ohne Wirkung. Statt acht Stunden mussten sie in der Regel 10 bis 12, manchmal auch länger als 14 Stunden arbeiten. Es gab auch Pausen - "pro Tag 2 mal 15 Minuten".

Die versprochenen 1200 erhielten sie nach eigenen Angaben nie. Immer wieder gab es Abzüge - für die überfüllte Unterkunft genau so, wie für das benötigte Arbeitsmaterial (Messer, Kettenahndschuhe, Stiefel etc.). Alles mussten sie bezahlen. Abrechnungen wurden ihren Aussagen nach von den Arbeitern blanko unterschrieben, für mögliche Kontrollen durch das Arbeitsamt wurden im Vorfeld bestimmte Aussagen hinsichtlich der angeblichen Arbeitszeit und Entlohnung vorsorglich einstudiert.

Bereits kurz nach Ankunft hatte ihnen der Dolmetscher des deutschen Vertreters der Firma Social Com ihre Pässe und Visa abgenommen, sie erhielten stattdessen Kopien. Daniel Kincza erklärt: "Ich habe das gesamte Jahr 2002 bei der Firma Gausepohl durchgearbeitet, Urlaub habe ich nicht bekommen." Angeblich so wurde ihm erklärt, sei zuviel zu tun und außerdem habe er kein gültiges Visa. Da ihm weiterhin sein Pass verweigert wurde, konnte Kincza das nicht selbst überprüfen. Für eine Verlängerung des Visums wäre zudem das örtliche Ausländeramt zuständig gewesen. So blieb Daniel Kincza bis Januar 2003 durchgehend in Deutschland, "im Lager" wie er sagt.

Weil Löhne aus dem November und Dezember ausstanden, entschlossen sich die Arbeiter zu einem Streik. Was folgte, war die Androhung des Firmenvertreters, er werde sie allesamt rausprügeln und mit dem Bus nach Hause verfrachten. Als auch diese Drohung nichts half, wurden die Streikenden tatsächlich am folgenden Tag in ihrer Unterkunft in Badbergen brutal verprügelt. Eines der Prügelopfer musste mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus, mit dem Kopf von einem der Arbeiter wurde ein Waschbecken zerschlagen.

Ob W. I., der Boss, dabei selbst Hand oder Faust anlegte oder ob er lediglich - bewaffnet mit einer Pistole - "den Streit zwischen den Rumänen lediglich schlichten wollte", wie er sagt, wird das Gericht in Osnabrück klären müssen. Jedenfalls kam er nur vorübergehend in Haft und geht seiner Tätigkeit weiterhin nach. Immerhin befasst sich nun eine Staatsanwaltschaft mit dem Fall. Auch das Oldenburger Arbeitsamt, zuständig für die Standorte der Fleischfirmen Gausepohl und D + S Fleisch nahm Ermittlungen gegen die beteiligten Firmen auf und empfahl, die Firma bis auf weiteres für Werkverträge zu sperren. Doch das Gegenteil geschah.

Denn die Firma D + S Fleisch, stolz auf "Europas modernsten Schlachthof", brauchte gefügiges Personal - also genehmigte das für Werkverträge mit Rumänien zuständige Landesarbeitsamtweitere Werkverträge bis 2004. Erst nach Ablauf des neuen Vertrages soll die Firma Social Com für ein Jahr vom Werkvertragswesen ausgeschlossen werden. Kein Problem. Der Vertreter der Firma Social Com, W. I., vertritt vier weitere rumänische Firmen in Deutschland. Er bestreitet alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe und spricht seinerseits von "Erpressungsversuchen seitens der rumänischen Arbeiter".

Auch weiterhin leben rumänische Schlachter im "Lager" von Badbergen. Ihr Visum ist an die Arbeit gebunden. Verlieren sie diese Arbeitsstelle, etwa weil sie sich beschweren oder aus irgendeinem anderen Grund (ein beliebter Kündigungsgrund ist der Vorwurf angeblichen Diebstahls), müssen sie das Land verlassen und sind darauf angewiesen, ihren Lohn von der Heimat aus, etwa von Rumänien aus, einzuklagen. Hilfe vor Ort, wie z.B. durch einen Betriebsrat: Fehlanzeige. Einen Betriebsrat gibt es bei D + S Fleisch nicht. Tiertransporte werden besser kontrolliert

An den Zuständen ändert sich folglich nichts Grundlegendes. Denn anders als Viehtransporte oder Legebatterien von Hühnern, werden Arbeiterunterkünfte in der Regel nur vor ihrer Belegung kontrolliert. Wie Werkvertragsarbeiter aus Rumänien oder Bulgarien hierzulande wirklich arbeiten und leben müssen, überprüft im Grunde niemand. Zollämter und Arbeitsamt sind allenfalls für das Eintreiben unterschlagener Steuern oder Sozialleistungen zuständig. Hinzu kommt, dass staatliche Kontrollämter hoffnungslos unterbesetzt sind. Mehrfach beschwerte sich die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) bei der Bundesregierung über die Zustände in der fleischverarbeitenden Industrie. So schrieb NGG-Vorsitzender Dr. Franz-Josef Möllenberg bereits im Januar 2001, also ein Jahr vor der Eskalation der Situation in Badbergen, an den damaligen Arbeitsminister Rister:

Lohndumping, unwürdige Arbeits- und Wohnverhältnisse während der Entsendung sind für die in der Regel aus Ungarn, Rumänien und Polen kommenden Kollegen an der Tagesordnung

Quelle

Drei der Arbeiter aus Badbergen versuchen nun mithilfe der Gewerkschaft NGG ausstehenden Lohn in Höhe von insgesamt 15.000 erstreiten.

Als im März dieses Jahres, wenige Wochen nach der Schlägerei von Badbergen, die SPD-Bundestagsabgeordneten Matthias Weisheit und Holger Ortel die Firma D+ S Fleisch besuchten, zeigten sie sich gegenüber der Lokalpresse voll des Lobes. Weisheit wurde mit den Worten zitiert:

Sie haben hier einen beeindruckend modernen Betrieb...Derartig Gutes habe er noch nicht gesehen.

Gemeint waren die schönen neuen Hallen und Maschinen. Auf der Homepage des Betriebs wirbt man für das neue Gütesiegel

Charta QS

Gesunde Tiere - gesundes Fleisch. Um das zu 100 Prozent dokumentieren zu können, setzen wir uns für die gläserne Produktion ein. Deshalb gehen unsere Qualitätsprüfungen auch weit über das gesetzliche vorgeschriebene HACCP-Konzept hinaus.

Wenigstens für das Fleisch gibt es also ein Gütesiegel.