Unter Vorbehalt

Friedensplan nun auch von Israel akzeptiert

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Seit Sonntag ist die Road Map der allseits anerkannte neue Friedensplan für den Nahen Osten. Nachdem die Palästinenser schon seit geraumer Zeit an der Umsetzung ihrer Verpflichtungen arbeiten, hat jetzt die israelische Regierung den Plan, der nach mehreren Etappen im Jahr 2005 in der palästinensischen Staatsgründung münden soll, auch abgesegnet.

Zwölf israelische Minister stimmten für den vom Nahost-Quartett - USA, Europäische Union, Russland und Vereinte Nationen - am 30. April nach langem Zögern veröffentlichten Plan. Sieben Minister votierten dagegen, vier enthielten sich. Damit sprach sich eine Regierung Israels zum ersten Mal knapp für eine palästinensische Staatsgründung aus. Zum Vergleich: Im 1993 unterzeichneten sogenannten Osloer Friedensabkommen war nur von Endstatusverhandlungen nach fünfjähriger Übergangsphase die Rede.

Strittig ist, warum Ministerpräsident Ariel Scharon das Thema überhaupt zur Debatte stellte. Ein möglicher Grund wäre, dass der internationale Druck, insbesondere der USA, auf Israel anstieg, nachdem es lange Zeit alle Friedensinitiativen und Vermittlungsbemühungen abschmetterte. Eine zweite Deutungsmöglichkeit wäre das Erreichen israelischer Ziele in Bezug auf den palästinensischen Verhandlungspartner, die Verhandlungsmasse und die Bereitwilligkeit der Bevölkerung unter der 36-jährigen Besatzung in Ost-Jerusalem, Westjordanland und Gazastreifen zu weitreichenden Konzessionen.

Back to the future

Jassir Arafat, der gewählte palästinensische Präsident, befindet sich seit über einem Jahr unter Hausarrest. Scharons Kampagne zu seiner politischen Isolierung wurde vom Ausland zum großen Teil übernommen. Den Palästinensern konnte dieses Frühjahr deshalb Mahmud Abbas (Abu Masen) als Ministerpräsident vor die Nase gesetzt werden. Der Sicherheitsbereich der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) ist fast völlig zerschlagen. Viele Polizisten wurden vom israelischen Militär erschossen oder befinden sich ohne Gerichtsbeschluss in Haft (Administrative Detention). Gefängnisse und Polizeistationen sind zerbombt. Nur der Verwaltungsapparat funktioniert wieder einigermaßen.

Ost-Jerusalem, Westjordanland und Gazastreifen wurden von Israel 1967 besetzt und teils annektiert. In den 26 Jahren bis zur Unterzeichung des Friedensvertrages von 1993 enteigneten verschiedene israelische Regierungen palästinensisches Land und siedelten darauf eigene Bevölkerung an, 200.000 Menschen etwa. In den sieben "Friedensjahren" danach verstärkten ebenfalls alle israelischen Ministerpräsidenten von Jizhak Rabin bis Scharon die Kolonisierungspolitik und verdoppelten die Siedlerzahl. Das ist der Hauptgrund für das heutige palästinensische Misstrauen gegenüber israelischen Friedensbekundungen.

Dazu kommt die Errichtung des sogenannten Sicherheitszaunes im Westjordanland, teilweise eine acht Meter hohe, mit Wachtürmen bestückte Mauer. Dieses Ungetüm verläuft allerdings nicht auf der Grenze zwischen Israel und den besetzten Gebieten, sondern meist einige Kilometer östlich davon. Insbesondere fruchtbares Ackerland und wasserreiche Gebiete der Palästinenser sind damit auf der israelischen Seite. Ganze Landstriche werden so von Israel schlicht annektiert. Zusätzlich zerschneiden militärisch kontrollierte Siedlerstraßen die palästinensischen Gebiete in Dutzende von kleinen, voneinander abschottbaren Enklaven.

Die palästinensische Bevölkerung steht nun vor der Wahl: Widerstand gegen die Besatzung und damit ein Platz auf Scharons Todesliste oder "israelisches Diktat". Die meisten sind durch die oft monatelangen Ausgangssperren, die willkürlichen Abriegelungen der Ortschaften, die Schikanen an Kontrollen und die ständige Lebensgefahr durch Armeepräsenz weichgekocht. Vor allem die von der Wirtschaftsmisere besonders betroffenen Palästinenser geben im privaten Gespräch zu, dass sie mittlerweile alles akzeptieren würden, um endlich in Ruhe ein normales Leben zu führen.

Israelische Vorbehalte zur Road Map

Das "Ja" der israelischen Regierung zur Road Map lässt aber noch keine Hoffnung keimen. Als Vorbedingung hat sie aber nicht weniger als 14 Veränderungsvorschläge formuliert. Die USA, wegen der europäischen Fehlhaltung nun auf einmal der alleinige Sachwalter der Quartett-Initiative, haben versprochen, sich mit diesen "vollständig und ernsthaft" auseinanderzusetzen. Das bedeutet momentan weder eine Zu- noch eine Absage zur Akzeptanz aller Punkte.

Israel will sich in erster Linie des fixierten Zeitplans zur Umsetzung der bilateralen Schritte entledigen. Die palästinensische Regierung soll alle bewaffneten Gruppen und alle Parteien außer der Fatah zerschlagen. Die Fatah stellt die Mehrheit in der Regierung und ist die Organisation Arafats und Abu Masens. "Ruhe" soll bewahrt, "Hetze" gegen Israel unterlassen werden. Falls dies nicht geschehe, werde Israel keinen der in der Road Map vorgesehenen Schritte unternehmen. Allerdings werde Israel, auch wenn alles planmäßig funktioniere, den Siedlungsbau nicht wie in der Road Map gefordert einfrieren. Bereits vor einigen Wochen hatte sich Scharon gegenüber der Zeitung Jerusalem Post zur Beibehaltung aller israelischen Kolonien in den besetzten Gebieten bekannt.

Der palästinensische Staat der Zukunft

Der UN-Teilungsplan von 1947 sprach der jüdischen Minderheit 53% vom Mandatspalästina zu, was die palästinensische Mehrheit ablehnte. Es kam zum Krieg, in dem das neugegründete Israel 78% Palästinas bis 1967 kontrollierte. Im neuen Krieg wurde der Rest besetzt. Der Osloer Friedensvertrag 1993 stellte den Palästinensern unkonkret die Herrschaft über die verbliebenen 22% in Aussicht. Israels Ministerpräsident Ehud Barak bot den Palästinensern 2000 "großzügig" nur noch einen Staat auf vier Fünfteln dieser 22% an, in denen Israel sogar noch Militärbasen unterhalten wollte. Arafat lehnte ab, wenig später begann die jetzige Intifada.

Scharon will nun nur noch 42% der besetzten Gebiete räumen, etwa die Hälfte von Baraks Vorschlag. Das heißt, der palästinensische Staat würde in den größeren Ortschaften gegründet werden, die irgendwie mit schmalen Streifen verbunden wären. Dieser Flickenteppich wäre völlig demilitarisiert, seine Außengrenzen, Luftraum und Funknetz von Israel kontrolliert. Die palästinensische Bevölkerung in den ländlichen Gegenden hätte weiterhin unter der israelischen Besatzung zu leben.

Im kommenden Treffen zwischen Scharon und Abu Masen sind noch keine Durchbrüche zu erwarten. Der palästinensische Premier konnte die Islamisten von der Hamas letzte Woche zwar zur Zurückhaltung überreden. Der nächste israelische Raketenbeschuss auf ein Wohnviertel, ein Panzervorstoß, Ausgangssperren und andere Kollektivstrafen dürften der Hamas aber wieder genug Grund zum Gegenschlag geben.

Wie die palästinensische, so hat auch die israelische Zivilbevölkerung ein Recht darauf, ohne Anschläge zu leben. Wenn aber Israel das alleinige Recht behält zur Definition eines Bruches der (einseitigen) Waffenruhe, dann gehört die Road Map schon jetzt zum Altpapier. Ein einzelner Attentäter könnte so von Israel zum Anlass genommen werden, den Friedensprozess auszusetzen. Notwendig ist deshalb ein internationales Gremium zur Beobachtung der Prozedur. Aber dieses Gremium wird ohne praktische Instrumente zur Umsetzung der Road Map zahnlos bleiben wie die zahllosen internationalen Abkommen und Resolutionen zum israelisch-palästinensischen Konflikt zuvor.