Endlich gefunden: Die Wahrheitsvernichtungswaffen im hochmobilen Lügenlabor

Bush und Blair im Regress der Weltöffentlichkeit für ihre fiktiven Geschichten irakischer Bedrohungsszenarien

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Von schrecklichsten Feinden war die Rede, von deren Bereitschaft, die freie Welt mit grausamsten Waffen aus der ABC-Kiste zu überziehen, von deren unmittelbar bevorstehender Absicht, alles, was uns lieb und teuer ist, zu zerstören. Amerika, dessen Militärs ohne Angst vor Widersprüchen einen Wochen-Feldzug im Irak ankündigten, zitterte. Und Bush zitterte wohl mit, als er den Befehl zum Angriff gab. Gerade ist es noch einmal gut gegangen: Im letzten Moment wurden dem Feind, wie es der völkerrechtlichen Lehre von zulässigen Präventionsschlägen entspricht, die Waffen aus der Hand geschlagen. Nun aber schwelt die "smoking gun" kräftig nach. Denn die Waffen gibt es wohl doch nicht, diese teuflischen "weapons of mass destruction" - die in Führerpalästen, Höhlen, mobilen Laboren oder im heißen Wüstensand haufenweise lagern sollen.

Wenn schon keine Waffen, so müssen doch wenigstens Erklärungen zu finden sein (Auf der Suche nach den Kriegsgründen). Und die gibt es reichlich: Erklärungsmuster, die immer bizarrer und durchschaubarer werden (Die Sieger auf Beweissuche im Morgenland). So redet man sich damit heraus, Saddam Hussein hätte die brisanten Gerätschaften nach Syrien verbringen lassen. Syrien streitet ab und echte Anhaltspunkte für diesen heißen Transport gibt es selbstverständlich nicht.

US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld (Rumsfeld und der Gottesbeweis) bietet diese Lösung an: Saddam Hussein habe kurz vor der Invasion das Schreckensarsenal vernichten lassen. Nach endlosen Suchen, die nur imaginäre Bedrohungen an das Tageslicht beförderten, verfällt man auch auf diesen originellen Einfall: Der Irak habe nicht bewiesen, dass er solche Waffen nicht besitze. Der Irak habe solche Waffen seinerzeit besessen, aber eben ihre Entsorgung nicht nachgewiesen. Insofern war die Angst vor der Bedrohung zwar nur eine Anscheinsgefahr, aber - heureka - somit begründet.

Mit anderen Worten: Ob die Waffen existieren oder nicht, spielt letztlich keine Rolle, gar keine Rolle mehr. Das Argument ist freilich nur eines, wenn man die Waffeninspektionen der UNO vergisst und auf Gründe verzichtet zu erklären, warum die Kontrollmaßnahmen abgebrochen wurden. Das Argument funktioniert zudem nur, wenn man gleichzeitig verdrängt, dass der Irak immerhin ein nicht ganz dünnes Dossier zu dieser Frage vorgelegt hatte (Weltpolitik als Farce).

Endlich Klartext von Wolfowitz

Nun beginnt also das apologetische Geschwätz in Washington und London - und jeder weitere Satz verstrickt die beiden Kriegsregierungen immer tiefer in den Begründungsnotstand. Doch wie dreist das Weiße Haus inzwischen mit dem negativen Befund umgeht, machen jetzt die unverblümten Äußerungen des stellvertretenden Verteidigungsministers Paul Wolfowitz gegenüber dem "Vanity Fair Magazine" deutlich: Man habe sich aus "bürokratischen Gründen", denen sich eben jeder anschließen könne, für die Version der Massenvernichtungswaffen entschieden:

The truth is that for reasons that have a lot to do with the U.S. government bureaucracy we settled on the one issue that everyone could agree on which was weapons of mass destruction as the core reason...

Diese Äußerung ist selbst eine Bombe. Denn ihr Sprengsatz lautet, dass man die Gründe, mit denen man die Stimmung der Weltöffentlichkeit aufheizte, selbst nie ernst nahm. Allein auf diese Weise hat Bush die heiß ersehnte "carte blanche" für seinen Krieg vom Senat erhalten können.

Bush und die Seinen reden sich jetzt damit heraus, es läge ein Versagen der Geheimdienste vor. Doch wohl nur umgekehrt wird ein Schuh daraus: Denn Washington soll massiven Druck auf die Geheimdienste ausgeübt haben, um die Begründungen zu liefern, die nie existierten (Lesen Sie den CIA-Bericht noch einmal!. Der peinliche Auftritt Colin Powells vor dem UN-Sicherheitsrat ist noch in guter Erinnerung (Nichts als die Wahrheit oder Onkel Powells Märchenstunde?). Da berief man sich, wie sich hinterher herausstellte, auf gefälschte Berichte, Skizzen und völlig veraltete Sachverhaltsdarstellungen. Für die New York Times steht inzwischen fest, dass Bush nie die Absicht hatte, im Irak bzw. vor dem UN-Sicherheitsrat eine diplomatische Lösung zu suchen. Dieser Vorstoß ist deshalb so bemerkenswert, weil nun auch, besonders nachhaltig in Großbritannien, zunächst eher zurückhaltende bis regierungsgläubige Medien beginnen, über Bush und Blair den Stab brechen.

Die Geheimdienste seien schuld

Tony Blair, der zeitweise eher wie ein fehl geleiteter Mitläufer von Bushs Hegemonialträumen erschien (Trügerische Freiheitsharmonien aus Belfast), steht nämlich selbst inzwischen auch mächtig unter Druck, an der Fabrikation seiner Kriegsgründe tatkräftig beteiligt gewesen zu sein. Die Kernaussage in einem Dossier über die irakische Fähigkeit, innerhalb von 45 Minuten einen Angriff mit chemischen oder biologischen Waffen lancieren zu können, soll auf Anweisung von Downing-Street No. 10 erfolgt sein (Beweise jenseits allen Zweifels ...). Das Regierungsdossier vom September 2002, das sich auf Geheimdiensterkenntnisse berief, soll kräftig aufgerüstet worden sein, um es Furcht erregend genug erscheinen zu lassen. Da wurde nicht lange nach Quellen gefragt oder diese gar überprüft, sondern es ging allein darum, das nebulöse Material für die Öffentlichkeit "sexy" genug zu gestalten.

Das Dossier vom Februar 2003 war ein noch armseligeres Desinformationskonstrukt, um demokratische Öffentlichkeiten zu täuschen. Kurzerhand hatte man die alte Uni-Arbeit eines amerikanischen Studenten abgeschrieben, um die aktuelle Gefahrenlage zu belegen (Geheime Cut-and-Paste-Informationen). Auch die vormals so brisanten Erkenntnisse über die Versuche des Irak, sich nukleares Material in Südafrika zu beschaffen, gelten inzwischen als gefälscht.

Alastair Campbell, Blairs oberster spin-doctor, greift nun zu ähnlichen Verteidigungsstrategien wie Washingtons Offizielle, wenn er erklärt, dass nichts in den Berichten stehe, was nicht auf geheimdienstliche Tätigkeit zurückgehe. Und im inneren Machtzirkel Großbritanniens wird nicht mal mehr hinter vorgehaltener Hand darüber spekuliert, dass man solange weitersuchen werde, bis man etwas finde - und sei es schließlich nur aus politischen Gründen, um Blair die nötige Rückendeckung für sein irakisches Kriegsabenteuer doch noch zu beschaffen. Der smarte Premier, in Großbritannien bislang noch als der große "Persuader" bekannt, ergeht sich derweil in Hymnen auf die Befreiung des irakischen Volkes, weil das viel charmanter ist, als die immer stärker quälenden Fragen nach den Kriegsgründen plausibel zu beantworten.

Dabei waren insbesondere die britischen Geheimdienste MI6 and GCHQ selbst dagegen, die reichlich abgestandenen Informationskonserven mit wenig Inhalt für britische Kriegszwecke aufzuwärmen. Dort fürchtete man, hinterher als Verantwortliche für den britischen Präventionskrieg dazustehen. Und so weit ist man nun in der Tat: Downing Street dementiert, je Druck auf die Geheimdienste ausgeübt zu haben. Das passt in das Schema der üblichen angloamerikanischen Agententhriller: "Wenn man sie entdeckt, werden wir jede Verbindung zu ihnen oder Kenntnis von ihrer Person leugnen. Dieses Gespräch hat nie statt gefunden."

Ein Vertreter der britischen Regierung redet nun vom größten Fehler der Geheimdienste in der britischen Geschichte, wo doch die Fehler ganz woanders zu suchen sind. Klar doch, der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Mindestens ebenso ungeheuerlich wie die Geschichten aus den "Nähkästchen" der spin-doctors und Wolfowitz' Anmerkungen sind jüngste Umfrageergebnisse, dass viele Amerikaner inzwischen überzeugt sind, man habe die inkriminierten Waffen bereits gefunden oder sei sich zumindest nicht sicher, weil die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen wären. Mehr Aufklärung über den Stellenwert, den man von Seiten der Regierung der informationellen Selbstbestimmung in Mediendemokratien beimisst, braucht es eigentlich nicht mehr.

Das "Blair Bush Project" lehrt den Umgang mit Lügen

Das "Blair Bush Project" wird nicht dazu führen, dass sich die Justiz um sie kümmert. Immerhin sollten die Demokraten aber hier einen wunderbaren Grund finden, diese Politik der Blendung zu inkriminieren. Eine Demokratie setzt voraus, dass ihre Regierung in wesentlichen Angelegenheiten nicht lügt. Anderenfalls ist die freie Entscheidung der Bürger nicht mehr gewährleistet. Sollten also die Massenvernichtungswaffen erfunden sein, so wie auch die Beziehungen zu al-Qaida, gibt es für Bush und Blair gute Gründe zu gehen. Solche Vertrauensverluste beschädigen nicht nur die persönliche Integrität der sich hochmoralisch gebärdenden Führer, sondern auch die Demokratie in ihrer Gesamtheit.

In Großbritannien regen sich nun auch ernste Zweifel, ob man dieser Regierung noch länger vertrauen kann. Wie immer in Fällen kognitiver Dissonanz, wenn diese Fakten nicht mit jenen Wahrheiten harmonisieren, greift man zu immer neuen Erklärungen.

Der Historiker und Journalist William Shawcross erklärt uns, wie man in einer Zeit der Lügen nicht den Glauben verliert: "Ich glaube schlicht nicht, dass das Ganze ein Lüge war. Aber ich gebe zu, dass es mich verwirrt hat. Aber weil man Saddam Hussein immer noch nicht gefunden hat, heißt das ja auch nicht, dass er nicht existiert."

Auch Friedbert Pflüger, der diese so schlichte wie salomonische Feststellung gleich für die Merkel-Front (Petze beim Großen Bruder und Christian Homeland Security) adaptiert hat, hat nicht den Hauch eines Zweifels, dass Saddam Hussein zu Beginn des Krieges die Massenvernichtungswaffen besessen hat. Woher er das weiß? Vermutlich liegen ihm geheimdienstliche Informationen vor, die bislang noch nicht enthüllt wurden. Stellt sich nur die Frage, woher der Geheimdienst diese Informationen hat. Ad infinitum.

Wolfowitz, der Mann der offenen Worte, pointierte seine originellen Einblicke in die Irrungen und Wirrungen der amerikanischen Regierungsbürokratie noch mit der Feststellung:

Was mich am meisten beunruhigt hat, war immer der Gebrauch von Massenvernichtungswaffen. Wir wissen immer noch nicht, warum sie nicht eingesetzt wurden.

Der Mann hat Charme, hat er doch selbst die Erklärung gegeben und gleich darauf wieder vergessen.