Politische Pädagogik oder der Befehl zur Freiheit

Allein Amerika entscheidet, wann eine Demokratie im Irak diesen Namen auch wirklich verdient hat

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Die scholastische Frage, ob Gott einen Stein schaffen kann, der so schwer ist, dass er ihn nicht mehr heben kann, ist nicht ganz unähnlich jener, ob man Menschen zur Demokratie verhelfen darf, wenn sie sich in "freier" Unterwerfung schließlich doch für eine Diktatur entscheiden könnten. Wir bewegen uns tief im Reiche der politischen Paradoxien, wenn wir Washingtons jüngste Verlautbarungen zum amerikanisch überwachten und angeleiteten Demokratisierungsprozess im Irak hören.

Ende April dieses Jahres ließ Präsident Bush in Dearborn noch die Freiheitsglocken ertönen: Das irakische Volk sei absolut in der Lage, sich selbst zu verwalten. Dem naiven Beobachter mochte es so erscheinen, als gäbe es dann keinen Grund mehr für die Besatzer, noch einen Tag länger im Irak zu verweilen. Anfang Mai, keine Woche später, klang die Rede des Präsidenten, der den Glauben an die Menschheit im wilden Osten noch längst nicht verloren hat, bereits ein wenig anders: Die Verwandlung einer Diktatur in eine Demokratie nehme einige Zeit in Anspruch. Die Amerikaner würden erst dann abziehen, wenn man einen freien Irak zurücklasse.

US-Verteidigungsminister Don Rumsfeld unterstrich nun das präsidiale Verständnis der Erziehung zur Mündigkeit viel sagend: "Das ist kein ebener (smooth) Weg". Im historischen Verweis auf die Wahl Adolf Hitlers verwahrte sich Rumsfeld gegen Wahlen, die schließlich doch nur eine Diktatur im Irak reinstallieren würden. Den vom Satiriker Gabriel Laub erkannten Selbstzerstörungsmechanismus - "Demokratie - das einzige Gesellschaftssystem, das man auf demokratischem Wege abschaffen kann" - wollen die Besatzer also durch eine demokratische Reifeprüfung endgültig außer Kraft setzen.

Um nun der Weltöffentlichkeit eine ungefähre, auch zeitlich präzisere Vorstellung von der Demokratisierungsverordnung für den Irak zu geben, als sie die bisherigen Tändeleien um repräsentative Interimsregierungen vermitteln, verglich der US-Verteidigungsminister das politische Chaos von Bagdad mit dem über zweihundert Jahre zurückliegenden Weg Nordamerikas zur Demokratie. So wenig diese Retrospektive in zahlreichen Relationen plausibel erscheinen mag, so deutlich wird doch, wie Rumsfeld, der Operationsleiter irakischer Freiheit, es meint. Damals hätten die amerikanischen Gründerväter Jahre harter Arbeit investiert, bevor die Demokratie auch wirklich dieses Attribut verdiente.

Geschichte wiederholt sich also, wenn man nur fest daran glaubt: Bush II. ist also gleichsam der Thomas Jefferson des nachdespotischen Bagdads - wenngleich Jeffersons Motto bei der paradoxen Zwangserziehung zur Demokratie einseitig ausgelegt wird:

Ich habe auf Gottes Altar jeder Form von Tyrannei gegen den menschlichen Geist ewige Feindschaft geschworen.

Sicher aber könnte man Rumsfeld bei seinem kühnen historischen Vergleich assistieren, dass es auch damals in den wilden Jahren der amerikanischen Demokratie zahlreiche Hindernisse gab, sie flächendeckend zu verwirklichen: Die Schwierigkeit etwa, die Indianer in die Schranken zu weisen, die sich dem amerikanischen Freiheitsdrang nicht anders in den Weg stellten als heute al-Qaida oder andere fanatische Fundamentalisten. Amerika weiß noch auf Grund dieser historischen Lektionen, den Weg zur Demokratie so zu pflastern, dass eine Umkehr in überlebte Herrschaftsformen endgültig ausgeschlossen ist. Der Sauk- und Fox-Häuptling Black Hawk sah das freilich etwas anders, als er 1832 im Angesicht von Demokratie und american way of life erklärte:

Sie vergiften uns mit ihren Berührungen...Wir begannen zu werden wie sie, Heuchler und Lügner, Allesversprecher und Nichtstuer...Wir gingen zum Großen Weißen Vater. Sein Großer Rat schenkte uns schöne Worte und große Versprechen; aber wir erhielten keine Zufriedenstellung.

Komplettpaket à la Washington

Für die lernunwilligen Indianer fand man damals bekanntlich eine andere als eine rein demokratische Lösung. Nach Rumsfelds griffiger Geschichtstheorie ist das heute alles anders, da Washington beschlossen hat, dass sich die Geschichte nur in ihren großen Momenten wiederholen darf, während die Irrtümer der Vergangenheit dieser auch endgültig angehören.

Für die ultimative Musterdemokratie im Irak heißt das also, dass eine Mehrheitsentscheidung für eine nichtdemokratische Regierungsform unmöglich ist, weil Bush nur ein in Washington geschnürtes Komplettpaket anbietet. Das sollte irakischen Demokratieanwärtern einleuchten und ist zudem auch sehr praktisch für die amerikanischen Präzeptoren zwischen Euphrat und Tigris, die jedenfalls so nie gefährdet sind, in ihren machtpolitischen Gelüsten je durch eine unbotmäßige irakische Regierung gestört zu werden.

Nun hätte Amerika eigentlich guten Grund, die eigene Demokratie auf ihre Mängel sowie neue und neueste Gefährdungen zu durchleuchten. Wer so als zwingendes Vorbild für noch nicht ganz ausgereifte Nachwuchsdemokraten auftritt, sollte auch besten Anschauungsunterricht bieten. Der Schwund von Bürgerrechten, die Sicherheitsmanie und die rechtsstaatlich hochelastische Verfolgung von Kriegsgegnern zwischen Kabul, Bagdad und Guantanamo Bay könnten die Befreiten ebenso irritieren wie weiland den so ungläubigen wie unglücklichen Häuptling Black Hawk die ihm in Aussicht gestellte Zukunft, die keine war. Und wer die Weltöffentlichkeit, nicht weniger als die eigenen Bürger und politische Opposition, in wichtigen Fragen der Kriegslegitimation hinter das Licht führt, verrät sein Demokratieverständnis gleich im mehrfachen Sinne des Wortes.

Sollte nun die oktroyierte Demokratie nicht funktionieren, weil sich der orientalische Despotengeist nicht so leicht vertreiben lässt, dürfte Bushs Präventionsmoral als Kriegslehre der Zukunft ohnehin entwicklungsfähig sein. Dann geht es in der zukünftigen politischen Pädagogik nicht mehr allein um die amerikanische, also globale Sicherheit, nicht allein um Humanität und Freiheit, sondern um die ungleich komplexere Frage der richtigen politischen Verfassung einer jeden Gesellschaft.

Die amerikanische Nachkriegspolitik im Irak signalisiert gefährlich, dass der immer währende Hegemonialanspruch der Bushisten also in Zukunft noch ganz andere Begründungsmuster vitalisieren könnte als die bisher gelieferten windigen Legitimationen amerikanischer Kriegspolitik. Die berühmte Formel des 6. US-Präsidenten und Mitschöpfers der Monroe-Doktrin (1823), John Quincy Adams, lautete:

Wo immer das Banner der Freiheit entrollt wird, dort ist Amerikas Herz.

Jetzt gilt dagegen: Wo immer das star spangled banner entrollt wird, entstehen die amerikanischen Vorschulen der Demokratie. Die Dauer des kasernierten Schulbesuchs hängt von der Leistungsfähigkeit der demokratisch Kolonisierten ab. Da spielen ein paar Jahre mehr oder weniger doch keine große Rolle, wenn es um ewige Freiheit geht. Und sollte gleichwohl eine islamische Musterdemokratie regredieren, bleibt immer noch die Sintflut, deren biblische Präzedenzen der frömmste aller Präsidenten bisher allerdings noch nicht in seinen Begründungskanon aufgenommen hat.