Von Pfählern und Pfahlsitzern

Christoph Schlingensief inszeniert auf der Biennale die "Church of Fear"

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"Habt Angst!" Die Botschaft des Theaterregisseurs und Provokateurs Christoph Schlingensief ist eindeutig. Und er posaunt sie heraus, mit allen Trompeten Jerichos. Church of Fear heißt das neue Projekt, mit dem Mr. Chainsaw-Massaker Deutschland Sturm läuft (Angst als Chance). Doch diesmal schreckt er nicht nur eine kleine Nation - die deutsche nämlich - auf, sondern die ganze Welt oder genaugenommen: Die ganze Kunstwelt. Denn neben dem Start der Website rabaukt Schlingensief auch auf der Biennale in Venedig.

Etabliert sich der Independent Trasher, der mit Aktionen wie "Talk "2000", "Freaks 3000" oder einer Vielzahl absurd-grotesker Filmproduktionen berühmt aber vor allem auch berüchtigt geworden ist, in der Kunst-Szene? Man muss meinen: "Ja!", denn immerhin hat es Schlingensief geschafft, der erste Eye-Catcher auf dem Biennale-Gelände in den Giardini zu sein. Oder besser: seine Pfahlsitzer. Kaum hat der Besucher die Eingangs-Röhren zum Festival-Gelände passiert, ragen ihm die sogenannten sieben Säulenheiligen entgegen.

Diese sind gestrandete Existenzen, von der Gesellschaft ausgestoßene, die ihr Leid öffentlich in einem Pfahlsitz-Wettbewerb bekennen. Sieben Tage lang sitzen sie, prangern ihr Leid an, sind moralischer Zeigefinger einer Gesellschaft, deren Herrscher oberstes Ziel ist, die Masse und ihre Ängste zu synchronisieren.

Eine Sekte als Kunstprodukt

Politiker wie US-Präsident George W. Bush und - natürlich - die Medien schüren bestimmte Ängste, versuchen Kollektiv-Ängste zu generieren und zu synchronisieren. Angst vor Terrorismus zum Beispiel oder Angst vor Seuchen. Das Individuum und seine eigenen Ängste würden indes - so die weise CoF-Botschaft - zurückgedrängt. Und hier will die CoF eingreifen und scheint damit auch Erfolg zu haben. Denn weltweit haben sich bereits weitere Diözesen gegründet, welche die Schriften und Inhalte der CoF in ihrer Region verbreiten - sagt jedenfalls die CoF-Website.

Und so ist auch das CoF-Biennale-Projekt eine Art Missions-Station, die für sich und neue Mitglieder wirbt. Denn nicht nur die Säulenheiligen warten auf die Besucher. Auf dem fünfzehn Minuten entfernten Arsenale-Gelände ragt die CoF-Kirche empor. Sie sieht aus wie die Kirche eines US-amerikanischen Kaffs: weiß lackiert, kleiner Kirchturm, Schwingtüren wie in einem Wild West-Saloon. Und dort halten die CoF-Mitglieder eine Woche lang regelmäßig Messen ab, mitsamt Angstreliquien, Ritualgesängen und sonstigen spektulären Einlagen.

Dass es sich um eine Sekte auf der einen, um ein Kunstprojekt auf der anderen Seite handelt, ist die Ambivalenz der Church of Fear. Der Biennale-Besucher, der Internet-Surfer oder der Normal-Sterbliche: Niemand weiß genau, niemand kann sich sicher sein, was diese CoF nun wirklich ist. Eines aber sicher: Eine Verunsicherung der Masse, der Gesellschaft, der Politik.

Jeder kann Attentäter sein

Obwohl reizvoll am Projekt, ob Kirche oder nicht: Das Thema "Angst" ist gerade heute omnipräsent, umgibt wohl jeden und sucht desgleichen jeden heim. Schlingensief hat sodenn auch selber Angst, wie er bei der CoF-Vorstellung beim deutschen Soft-Talkmaster Alfred Biolek am 27. Mai in der ARD zugab. Aber diese Angst reicht ihm nicht, er erzeugt sie auch. Seit jeher, wie viele seiner früheren Projekte beweisen. Dabei sucht er sich immer wieder Hassobjekte aus, die von ihm dann eine mit der künstlerischen Keule übergebraten bekommen.

"Tötet Kohl!", künstelte er über die Bühne, "Tötet Schüssel!", ließ er Ausländer in Wien schnabulieren. "Tötet Möllemann!", verkündete er höchstpersönlich vor dem Firmensitz des jüngst Verblichenen und wahrscheinlich aus Angst Selbstgemordeten in Düsseldorf. Und nun reihen sich hier eine ganze Reihe neuer Verfänglichkeiten im Werke Schlingensiefs ein. Einen SMS-Schläfer-Service gibt es da zum Beispiel auf der CoF-Website, wo sich Attentäter mit ihrer vermeintlich geplanten Tat registrieren lassen können.

Fiktive Attentatsberichte real lebender Prominenter erzeugen ein seltsames Gefühl der Unsicherheit, denn genau genommen ist niemand vor einem Attentat sicher. Und: Jeder kann Attentäter sein! Stellt sich natürlich die Frage nach moralischer Legitimation eines solchen Projekts. Werden so vielleicht gefährliche Randexistenzen motiviert, zur Tatwaffe zu greifen? Werden Menschen von der CoF auf ihre Ängste gestoßen und letztlich mit diesen aber trotzdem allein gelassen?

Diese Fragen werden künftig wohl viele Philosophen für die hitzigsten Debatten verwenden, um den Ethik-Diskurs aufrecht zu erhalten. Immerhin war es auch kein geringerer als der Philosoph Peter Sloterdijk, der an dem Projekt konkret in Wort und vor allem: Schrift mitarbeitete und sieben seiner Studenten der Karlsruher Hochschule für Gestaltung nach Venedig entsandte, um bei der CoF aktiv mitzuwirken. Aber dies nur nebenbei.

Schon bald ist dies Biennale-Aktion nur noch Kultur-Geschichte in Wort, Bild und Ton. Doch weitere CoF-Aktionen sind bereits in Planung. In den kommenden Wochen wird sich denn auch zeigen, welchen Stein Schlingensief mit der Church of Fear ins Rollen gebracht hat. Still wird es wohl um beide nicht so bald werden.