Paolo Pinkel - oder: Ab wann ist ein Name kein Deckname mehr?

Ein deutscher Skandal um Kokain und andere Abhängigkeiten

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Schlichte Zeitgenossen, vor allem die mit der erdfarbenen Hasskappe, haben den Mossad nicht weniger als die CIA bitter nötig, um die "Bugs" in ihrer zionistisch-kapitalistisch-rosenkreuzerisch-schwachilluminierten Weltverschwörungsmatrix zu "fixen". Doch auch jenseits der Konspirationslogik möchte man fast metaphysische Momente bemühen, um die Parallelaktion des Absturzes von Michel Friedmann, fast punktgenau nach Möllemanns Tod, zu verstehen (Stürzt nach Möllemann jetzt auch Friedman?). Scheint es doch geradezu so, als würde die Kontroverse zwischen beiden von einem spöttischen Schicksalsgott weitergeführt. Dabei braucht es indes beim gegenwärtigen Skandal der Luxusklasse keine andere Erklärung als die, dass Jürgen Möllemann und Michel Friedman - bei aller Verschiedenheit der Charaktere - eine erstaunliche Selbstzerstörungsfähigkeit vereint.

"Paolo Pinkel" oder "Paolo Pinkas" soll der Deckname Friedmans gewesen sein, als er Prostituierte ins Hotel bestellte und sie möglicherweise anzustiften versuchte, Koks zu nehmen. Friedmans Widersachern wird es eher als das Gegenteil eines Decknamen erscheinen: "Paolo Pinkel" - das klingt nach schmieriger Blasiertheit, nach südländischem Nadelstreifen-Gigolo, nach der mediterranen Variante eines bekannten deutschen Prinzen, der mit unfeinen bis notdürftigen Attributen für seine gelegentlichen gesellschaftlichen Abseitspositionen belegt wurde. Vielleicht hat sich die Polizei beim Abhören der verräterischen Tonbandstimme, die mit der Friedmans identisch sein soll, aber auch verhört und es hieß "Pinkas". Zufällig oder unbewusst absichtsvoll verhört, weil dieses seltsame Pseudonym und seine Umtriebe nicht so weit von dem Bild entfernt sind, das Möllemann seinen Angriffen gegen Friedman zu Grunde legte. So oder so - mindestens grotesk bis hin zur Selbstironie oder gar Selbsthass bliebe die Camouflage eines Moralisten, der so unerkannt wie erkennbar im Rotlicht- und Drogenmilieu verkehrte.

Nach dem bürgerlichen Ehrenkodex ist Michel Friedmans vorherige gesellschaftliche Stellung kaum restaurierbar, wenn sich die Vorwürfe erhärten sollten. Vorliegend sind weniger die strafrechtlichen Folgen relevant, die sich - vorbehaltlich der Zeugenaussagen - in einem Strafbefehl erschöpfen mögen. Hier geht es um die Selbstzerstörung einer Position, die von ihrem hohen moralischen Anspruch lebte. Friedmans auf den Namen "Wahrhaftigkeit" eröffnetes Konto ist ins Debet gerutscht. Die Einnahme von Kokain und die Abhängigkeit von dem Stoff könnte man noch - mit mehr oder minder großen Bedenken - als typisches Kavaliersdelikt des zu Ausfallserscheinungen neigenden Jetset-Milieus abtun. Christoph Daum oder Konstantin Wecker zahlten nicht mit der bürgerlichen Ehre dafür. Selbst Rudolf Augstein wurde ohne weitere Folgen für sein gesellschaftliches Ansehen mit Haschisch erwischt. Kaum einer, der das noch erinnert.

Sexuelle Eskapaden von Politikern, die deutsche Medien ohnehin aus diversen Gründen geflissentlich ignorieren, sind auch per se kein moralisches Todesurteil in dieser Gesellschaft. Mätressenwirtschaft selbst bei Regierungschefs, uneheliche Kinder, Seitensprünge mit oder ohne Heiratsfolge verbucht man unter der selbstberauschenden Wirkung der Macht, die ja nicht als das schlechteste Aphrodisiakum gilt. Bill Clintons politisch korrektes Verhältnis zu einer Praktikantin ohne sexuellen Charakter, aber mit unleugbaren libidinösen Wirkungen, war gegenüber den Verdachtsmomenten im vorliegenden Fall vergleichsweise harmlos. Die Monica-Lewinsky-Affäre war für den präsidialen Womanizer, der es bekanntlich nie genau nahm, zwar hochnotpeinlich. Die Ausbeutung einer Notlage der Praktikantin war aber selbst im puritanischen Amerika zu keiner Zeit ein ernstes Thema. Und anders als die verstörte Bärbel Schäfer, die von Bruch redet, wenn sich die Vorwürfe gegen ihren Freund bestätigen sollten, blieb Hillary Bill, d.h. dem Willen zur Macht, treu.

Der Fall Michel Friedman liegt anders. Die Bestellung von Prostituierten bei einem Menschenhändler- respektive Zuhälterring, wenn es sich denn bestätigen sollte, ist nach moralischen Kriterien kaum mehr zu heilen. Prostituierte sind regelmäßig die Opfer einer normalen, also triebgestörten Gesellschaft. Für die sich hier illegal aufhaltenden und erpressbaren Frauen aus Osteuropa bedarf das ohnehin keiner weiteren Ausführungen. Die Menschenhändler warben laut in Berliner Boulevardzeitungen mit "naturgeilen jg. Ukrainerinnen". Das ist mehr als nur unschön. Das ist menschenverachtend, insbesondere wenn man die sozialen Notlagen solcher Frauen kennt, die ohne Aufenthaltserlaubnis im permanenten Druck leben, jederzeit abgeschoben zu werden und von ihren Arbeitgebern geprügelt zu werden, wenn sie nicht parieren.

Das alles muss Friedman selbstverständlich nicht gewusst haben, so wenig indes beim gegenwärtig fragilen Informationsstand der Angelegenheit auszuschließen ist, dass die Abgründe noch tiefer reichen. Fatal bleibt es - wie weit die Verstrickung auch gehen mag -, weil die Stellung als Vizepräsident des Zentralrats der Juden selbst ein "semper aliquid haeret" wohl nicht gut verkraften würde.

Jenseits des Bruchs mit den minima moralia werden vor allem die Wellen der Häme jener, die es "schon immer gewusst" haben, noch weiter aufschäumen. Selbst ein Prozess, der mit Freispruch endet, wäre verheerend, wenn intime Kontakte zu diesen Kreisen in aller Öffentlichkeit genüsslich bis geschmacklos entfaltet werden. Auch als Talkmaster verliert man damit die moralische Integrität - zudem Friedman, der seinen masochistisch talentierten Gästen besonders zusetzte, jetzt jederzeit mit delikaten Rückfragen rechnen muss, die nicht mehr so eloquent abzufedern wären.

Man kann Michel Friedman nur wünschen, dass er aus dieser Falle, die er sich selbst gestellt hat, andere Konsequenzen zieht, als sie allen plausiblen Anzeichen nach Jürgen Möllemann gezogen hat. Die Lehre könnte indes in beiden Fällen ähnlich sein. Macht, Einfluss, Prominenz sind auch nichts anderes als Kokain und wer von diesem oder jenen Stoff oder gar von beiden zu viel schnupft, darf sich nicht über die Abgründe wundern, die sich auftun, um ihn vor den Augen der Öffentlichkeit zu verschlingen.