Panikwaffen Schmutzige Bomben

Ein Anschlag mit einer Bombe mit radioaktivem Material ist für die nahe Zukunft wahrscheinlich, schmutzige Munition wurde allerdings schon in großen Mengen eingesetzt, zuletzt im Irak-Krieg

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Es ist keine große neue Erkenntnis, die Eliza Manningham-Buller, die Leiterin des britischen Geheimdienstes MI5, mitteilte. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Terroristen einen Anschlag mit chemischen, biologischen, radioaktiven oder nuklearen Waffen ausführen. Eine erste Wahl dürfte wohl eine "schmutzige" Bombe sein, die am einfachsten zu machen und am effektivsten einzusetzen wäre.

Nach der britischen Geheimdienstchefin habe al-Qaida - die "erste wirklich globale terroristische Bedrohung" - die Absicht, "unkonventionelle Angriffe auf den Westen auszuführen. Wir wissen, dass abtrünnige Wissenschaftler mit al-Qaida zusammen gearbeitet und sie mit dem nötigen Wissen versorgt haben, um solche Waffen zu bauen." Die Funde von Rizin in einer Londoner Wohnung wird von ihr als Hinweis angeführt, dass Terroristen bereits mit Massenvernichtungswaffen hantieren. Ein Anschlag auf eine westliche Stadt sei aufgrund der Geheimdienstinformationen und der großen Verbreitung des erforderlichen Wissens eine "realistische Möglichkeit".

Gleichwohl betonte sie, dass auch weiterhin die größten Gefahren von herkömmlichen Bomben und Selbstmordattentätern ausgingen. Wie man an den Anschlägen vom 11.9. oder anderen wie in Bali sehen kann, sind auch herkömmliche Bomben durchaus Massenvernichtungswaffen, auch wenn von Politikern und anderen interessierten Kreisen oft genug die Panik mit der Warnung vor Anschlägen mit biologischen oder chemischen Waffen geschürt wird (Bomben und Explosionen sind medienästhetisch kaum zu überbieten). Chemische und biologische Waffen sind aber nicht nur komplizierter herzustellen, sondern verlangen auch, um "effektiv" zu sein, entsprechende Verbreitungswege. Einfacher sind daher herkömmliche zu Bomben zu bauen, denen schlicht radioaktives Material hinzugefügt wird.

Das Spiel mit der Angst

Gerade erst wurde wieder ein Thailänder festgenommen, der radioaktives Material verkaufen wollte, und geriet ein Taxifahrer in Georgien in die Hände der Polizei, der radioaktives Material transportierte. Ein aktueller Bericht des General Accounting Office (GAO) warnt davor, dass es weltweit ausreichend Material zum Bau einer schmutzigen Bombe gebe. Radioaktives Material in geschlossenen Behältern, wie sie in der Medizin, der Forschung oder der Industrie verwendet würden, seien in großem Maße verschwunden. Genaue Informationen über die verschwundenen Behälter gibt es ebenso wenig wie über die noch im Einsatz befindlichen. Allein in den USA und in 49 weiteren befragten Ländern soll es 10 Millionen solcher Behälter mit radioaktivem Material geben. Viele der gefährdeten oder nicht mehr auffindbaren Behälter gäbe es besonders in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, beispielsweise in Stromgeneratoren, die radioaktives Strontium-90 enthalten (Verwaiste Atomgeneratoren). Auch im Irak könnte bei der Plünderung der Nuklearanlage Tuwaitha ausreichend Material zur Herstellung von schmutzigen Bomben entwendet worden sein. Hier haben 500 Tonnen natürliches Uran und 1,8 Tonnen leicht angereichertes Uran gelagert.

Die Möglichkeit, schmutzige Bomben zu bauen, gab es, sobald radioaktives Material vorhanden war und Terroristen Anschläge durchführten. Entsprechend wurde auch vor dem 11.9. vor dieser Gefahr gewarnt, aber ohne große Konsequenzen zu ziehen (Nuklearterrorismus). Mit dem 11.9. gehörten schmutzigen Bomben zum Arsenal der Panikwaffen, mit deren möglichen Einsatz seitdem Politik und Kriege gemacht werden. Seitdem kursieren auch Gerüchte, dass al-Qaida möglicherweise bereits eine schmutzige Bombe gebaut haben könnten oder dies tun will. Einen Mediencoup zum Anschüren der Panik landete im Juni des vergangenen Jahres US-Justizminister Ashcroft. Er ließ einen Amerikaner mit dem Namen Abdullah al Muhajir oder Padilla am Flughafen festnehmen, der angeblich einen Anschlag mit einer schmutzigen Bombe durchführen wollte. Schon kurz darauf wurde deutlich, dass diese politisch motivierte Festnahme, die schon fünf Wochen vor der Mitteilung vorgenommen wurde, auf wenig verlässlichen Hinweisen basierte (Über dreckige Bomben und Saubermänner).

Auch wenn eine schmutzige Bombe nicht nur leicht herzustellen wäre und vermutlich auch die nächste Zeit auch eingesetzt werden dürfte, so gehen die Meinungen über deren wirkliche Gefährlichkeit auseinander. Gleichwohl bleibt sie wegen der Angst vor Radioaktivität eine genuin terroristische Waffe, da sie schon im vorneherein als Massenpanikmittel auftritt. Je stärker die Bombe ist, desto geringer dürfte auch die von ihr verteilte radioaktive Strahlung sein. Nach John W. Poston, der für das Council on Radiation Protection einen Bericht über die Folgen von schmutzigen Bomben schrieb, würde eine solche kaum tödlich sein. Je nach Stärke und bestimmten Bedingungen wie dem Wind könnten Gebiete radioaktiv belastet werden.

Die Belastung wäre meist nicht unmittelbar gefährlich, teuer und schwierig aber wäre, ein großes Gebiet in einer Stadt zu dekontaminieren, wie Henry Kelly, Präsident der FAS, in seiner Aussage vor dem Senatsausschuss für Auswärtige Beziehungen, feststellte. Möglicherweise müssten dann kontaminierte Stadtviertel für Jahrzehnte evakuiert werden. Ein Bombenanschlag mit Plutonium oder Americium wäre hingegen weitaus gefährlicher, da hier die Evakuation schnell erfolgen müsste. Dennoch liegt die Gefahr, die von schmutzigen Bomben ausgeht, weniger in ihren kurzfristigen Wirkungen und daher in schnellen Notstandsmaßnahmen, sondern in den langfristigen Folgen der Kontamination. Aber für die Dekontamination etwa von Stadtvierteln gibt es noch keine Erfahrung und keine Vorkehrungen.

An das Material herankommen dürften Menschen, die eine schmutzige Bombe bauen wollen, relativ leicht. Angeblich haben tschetschenische Rebellen bereits 1996 eine solche Bombe in einem Park in Moskau deponiert, aber nicht explodieren lassen. Schwieriger als die Beschaffung der notwendigen Materialien sind jedoch die Lagerung, die Handhabung und der Transport. Ob sich Terroristen selbst der Gefahr der Verstrahlung aussetzen wollen, ist eine Frage. Möglicherweise nur, indem sie sich dann auch in einem Selbstmordanschlag selbst töten.

Der alltägliche Krieg mit Tonnen von DU-Munition

Auch eine Art schmutziger Waffen wurden von Briten und Amerikanern im Afghanistan-Krieg, im Kosovo-Krieg (Präzise Bomben - unkontrollierbare Schäden) und in den beiden Kriegen gegen den Irak - auch in dicht besiedelten Gebieten - benutzt (Die himmlische Befreiungsbotschaft). Bomben und Granaten mit abgereichertem Uran (DU) wurden dabei reichlich verschossen (WHO-Information). Das Pentagon behauptet zwar, dass dadurch keine Gesundheitsgefährdung entstehe, doch die radioaktiven Partikel gelangen nach der Explosion auch in die Luft, auf den Boden oder in das Wasser (Tödliches Erbe). Wieviel uranhaltige Munition verschossen wurde, ist unbekannt. Das Pentagon hat 75 Tonen angegeben. Manche Schätzungen reichen bis zu 2000 Tonnen. Die US-Soldaten selbst scheinen vorsichtig zu sein und nicht zu nahe an Panzer oder andere Fahrzeuge heranzugehen, die von DU-Munition getroffen wurden. Gelegentlich wurden auch Warnschilder angebracht.

Möglicherweise wurden in Afghanistan neue uranhaltige Waffen bei den bunkerbrechenden Bombem eingesetzt. Eine Untersuchung des Uranium Medical Research Center (UMRC) will jedenfalls bei Zivilisten in der Provinz Nangarhar, in der Bombardements stattfanden, erstaunlich hohe Uranwerte im Urin festgestellt haben, die nicht auf die hermömmliche DU-Munition zurückzuführen wären (Tödlicher Staub). Bislang wurden allerdings nur die Soldaten der alliierten untersucht, die einer Kontamination nur für kurze Zeit ausgesetzt waren. Das könnte sich mit einer mehrjährigen Besetzung des Irak ändern. Auch niedrige Strahleneinwirkung könnte gefährlicher sein, als man bislang glaubte (Neue Risikobewertung erforderlich). Das Europäische Parlament hat in einer Resolution im Jahr 2001 die EU-Mitgliedsländer aufgefordert, sicherheitshalber auf DU-Munition zu verzichten.