Mullahs balancieren. Der Präsident schweigt

Iran in der Krise: Studentenunruhen, internationaler Druck auf die Atompolitik. Ist das französische Vorgehen gegen die Volksmudschahedin ein Geschenk zur rechten Zeit?

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Könnte die gegenwärtige Rebellion der Studenten im Iran zur ersten Revolution im 21. Jahrhundert geraten?, fragte gestern der Kommentator der Asian Times. Ganz sicher sei, so der Kommentator der Studenten-Proteste, die am 7.Juli 1999 in Teheran stattfanden, dass diese Revolte unzweifelhaft in die Geschichte eingehen würde, als "Signal für eine neue Ära der iranischen Politik": Der einmal eingeschlagene Weg führe in eine Einbahnstraße, an deren Ende der "totale Umsturz der islamischen Republik" stünde.

Vier Jahre später steht die islamische Republik noch immer Vor zwei Jahren beobachtete Hans-Magnus Enzensberger gar eine Gelassenheit auf den Strassen Teherans, "von der Europa nur träumen kann". Bis zum 7.Juli 2003 sind es noch knapp drei Wochen. Von offizieller Seite, so heißt es, sei den Studenten jetzt bewilligt worden, an diesem Tag den Ereignissen vor vier Jahren zu gedenken.

Nur auf dem Campus allerdings, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Keine Hupen auf großen Strassen mehr, kein Blut, leisere Töne, rein intern , so will der Wächterrat die Sache geregelt haben. Ein Entgegenkommen immerhin, der zweite Schritt der velayat, der geistlichen Führerschaft der islamischen Republik, näher hin zum Dialog mit der rebellischen, akademischen Jugend. Der erste wurde vor ein paar Tagen unternommen: einige Schläger der berüchtigten Ansar Hezbullha und der Basij-Milizen, letale Easy-Rider-Ritter auf Harley-Davidsons, die mit Knüppel auf Demonstrierende einschlagen und die notorischen Überfälle auf Schlafräume der Studenten verüben, wurden offiziell verhaftet und hinter Gittern gesteckt, um die Situation zu entspannen.

Es wurde beinahe zur Routine für uns jede Nacht auszugehen, Slogans zu singen, geschlagen zu werden, einige Freunde zu verlieren, zusehen zu müssen, wie unsere Schwestern geschlagen werden, und dann nach Hause zurückzukehren

anonymer iranischer Student in der National-Review

Weil die Studenten Familien haben, die ihren Unmut verstehen; weil 70% der iranischen Bevölkerung unter Dreißig sind, können die Mullahs nicht mehr so brutal vorgehen wie noch vor vier Jahren. Dennoch: mehr als 250 Studenten wurden bis Mittwoch eingesperrt, meldet AFP auf Iranmania.

Der Internationale Journalisten Verband (IFJ) hat gegen Inhaftierungen von Journalisten protestiert. Es gab Meldungen über Prügel auf internationale Berichterstatter.

Der Zugang zum Internet wurde von der iranischen Justiz vor zwei Tagen noch mal drastisch reglementiert. Der ziemlich aktiven Blogger-Gemeinschaft hat dies scheinbar nur wenig zugesetzt.

Die Pressewächter, allen voran der berüchtigte Hardliner Sajid Mortazavi, hat es vor allem auf amerikanische Websites, wie z.B. Voices of America, abgesehen.

Von der iranischen Führung wird in scharfen Tönen kritisiert, dass die Einmischung der USA via Satelliten-TV einen erheblichen Anteil daran hätte, dass die Studenten-Proteste, die sich zu Anfang an der geplanten Privatisierung von Universitäten entzündet haben, eskaliert sind.

Der außenpolitische Druck auf Iran wächst. Der Bau des Leichtwasser-Reaktors in Buschir (mit Hilfe russischer Techniker), das Projekt einer Urananreicherungsanlage in Natans, 200 Kilometer südlich von Teheran, das im Februar von El-Baradei, dem Chef der Internationalen Agentur für Atomenergie (IAEI) inspiziert wurde und eine weitere Anlage in Arak zur Produktion von schwerem Wasser, beunruhigen nicht nur die USA.

Da Iran über reiche Ressourcen verfüge, Öl und Gas, läge der Verdacht nahe, dass die friedliche Nutzung von Atomenergie nur ein Vorwand sei und es in Wirklichkeit um den Bau von nuklearen Waffen gehe. Schon 2006 könnte das Land soweit sein. Angesichts der weit gediehenen Raketentechnologie und angesichts des Schlusses, den viele aus dem Irakkrieg und der Washingtoner Politik gegenüber Nord-Korea ziehen, dass ein nuklear bewaffneter Staat nicht angegriffen würde, sind sich Experten ganz sicher, dass Iran die Bombe so schnell wie möglich haben will.

Die Rhetorik der USA in dieser Sache ist wie üblich scharf, aber man agiert dennoch mit angezogener Bremse. Man will (noch) nicht, dass die Angelegenheit vor einer UN-Kommission verhandelt wird. Etwaige Resolutionen würden zu weiteren Sanktionen des Iran führen und unter Umständen dem herrschenden Klerus in die Hände spielen. Noch scheint die amerikanische Politik gegenüber Iran nicht ohne Widersprüche: man will das Land destabilisieren, die "demokratischen Kräfte im Land" (Khatami wird nicht genannt) fördern, aber anscheinend doch nicht zu viel Destabilisierung.

Jedenfalls hat man die Aktion der französischen Sicherheitskräfte gegen die Volksmudschahedin begrüßt. Deren Hauptquartier in Auvers-sur Oise sowie verschieden Büros der Gruppe in der Pariser Region wurde am Dienstagmorgen besetzt und 165 Personen festgenommen, darunter Mariam Radschwawi, die 1993 von dem Nationalen Rat des iranischen Widerstandes (NCRI) zur iranischen Präsidentin im Exil ernannt wurde.

Die Geschichte der Volksmudschahedin ist wechselhaft mit genügend Stoff für Politthriller, in dem die Verbindung zwischen Islam und Marxismus eine Rolle spielt und sogar laut der französischen Tageszeitung Libération "große Romanzen". Der militärische Ableger der Gruppe, die Mudschahedin-e-Kalq-Organisation (MKO), die in den frühen Jahren der Khomeini-Revolution noch mit von der Partie waren, ging nachdem sie von Khomeini verfolgt wurde, schließlich ein Bündnis mit Saddam Hussein ein, wo sie bis zum Irakkrieg stationiert waren. Die USA haben ihre Stellungen bombardiert und vor wenigen Wochen einen Waffenstillstand geschlossen, der von Teheran mit großem Misstrauen gesehen wird.

Die französische Aktion, angeordnet, wie es heißt, von höchster Stelle, wird von einigen Analytikern als diplomatisches Geschenk an Teheran gewertet, ein geschickter Schachzug, der einerseits die nahöstlichen Ambitionen Frankreichs fördern und gute Beziehungen zwischen Paris und Teheran herstellen soll, ohne andererseits den Amerikanern in die außenpolitische Parade zu fahren.

Der orthodoxen Führung im Iran hat das französische Engagement sicher nicht geschadet, das Entgegenkommen wurde begrüßt. Vom Präsidenten war dazu bislang noch nichts zu hören. Khatami schweigt. Auch über die Studentenunruhen verlor der Reformführer noch kein Wort. Vielleicht wartet er nur ab, welcher Flügel der Studenten der stärkere ist, derjenige, der noch an Khatamis Durchsetzungsfähigkeit glaubt oder der andere, der diese Hoffnung schon aufgegeben hat.