"Frankenstein Food" - die Neuauflage

Großbritannien schickt sich an, dem amerikanischen Präsidenten auch im Kampf für genveränderte Nahrungsmittel beizustehen. Die Hintergründe sind geeignet, Misstrauen zu wecken

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Die Bezeichnung "Frankenstein Food" für genveränderte Nahrungsmittel wurde Ende der 90er Jahre zum Schlagwort für die Gefahr, die von Biotechnologen in der Nahrungsmittelindustrie ausgeht. Bald begann es still zu werden um das Schimpfwort. Als "Frankenfood" kehrte es wieder und jetzt als Schlagzeile in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung durch Matthias Rüb, der seine Eindrücke aus Washington mitbrachte: von der BIO 2003, der führenden Messe der Biotechnologieunternehmen.

Der Stein des Anstoßes war im Herbst 1998 ein BBC-Interview des Ernährungswissenschaftlers Arpad Pusztai, in dem er berichtete, dass bei Ratten nach dem Verfüttern von transgenen Tomaten das Immunsystem gestört ist und Veränderungen der Lektine nachweisbar werden (Lancet). Die Ergebnisse wären wahrscheinlich untergegangen, hätten nicht Londoner Kreise aus dem Stand und ohne die weiteren wissenschaftlichen Diskussionen abzuwarten, eine Prüfkommission durchgesetzt. So wurden die am Rowett Research Institute vorgenommenen Tests wegen angeblicher technischer Mängel zurückgewiesen.

All das geschah hinter verschlossenen Türen und wurde von Prüfern entschieden, von denen unbekannt ist, nach welchen Kriterien und aufgrund welcher Qualifikation sie ausgesucht wurden. Das ganze Drumherum blieb nicht nur für die wissenschaftliche Welt in vielfacher Beziehung ungewöhnlich, sondern weckte bei aufmerksamen Konsumenten die Analogie zu Frankenstein.

Was damals unter den Tisch gekehrt wurde, kommt nun als Bumerang zurück. Der britische Premierminister Tony Blair, der dem US Präsidenten in der GM Food-Frage folgt wie im Irakkrieg, wurde kürzlich ohne Vorwarnung von seinem ehemaligen Umweltminister angegangen. Michael Meacher gehörte bis zur Demissionierung mehr als 6 Jahre zum Kabinett. Er war der dienstälteste Minister und, da er sich heute daran erinnert, offenbar auch mit dem "Fall" Arpad Pusztai befasst. Um so mehr trifft sein Vorwurf: Blair, die ehemaligen Kabinettskollegen und die beratenden Ärzte seien dabei, systematisch die Evidenz zu ignorieren oder zu untergraben, wonach genverändertes Getreide gesundheitsschädlich sein kann oder die Umwelt schädigt. Einflussreiche Leute in der Regierung seien von der Biotech Industrie abhängig. Der Scotsman Korrespondent, Alison Hardie, vermutet neben Tony Blair als Drahtzieher Lord Sainsbury, den Wissenschaftsminister, dessen Familie eine Supermarkt-Kette besitzt.

Die Affäre um den Ernährungswissenschaftler Arpad Pusztai kommt somit erstmals öffentlich in die Nähe von Verschwörungstherorien. Diesen Eindruck vermittelt die Leitung des Forschungsinstituts, die trotz der angeblichen Fehler die damalige Dokumentation im Internet belassen und nicht zurückgezogen hat. Arpad Pusztai rechtfertigt seine Bedenken auf einer halboffiziellen Webseite in bester wissenschaftlicher Manier. 35 Literaturstellen dokumentieren die frustrierenden Ergebnisse anderer Wissenschaftler, die den spanischen Toxikologen Jose L. Domingo im Juni 2000 in Science unter dem Titel "Health risks of genetically modified foods: Many opinions but few data" sagen lassen, "die Biotech Firmen dürfen nicht nur auf Vertrauen bauen, wenn sie behaupten, ihre Untersuchungen und Ergebnisse zeigten keine schädlichen Auswirkungen. Vielmehr müssen sie die Berichte und wie sie dazu gekommen sind, in renommierten internationalen Zeitschriften veröffentlichen".

Tatsächlich ist der Stein des Anstoßes bis heute wissenschaftlich ungeklärt. Arpad Pusztai, damals 72 Jahre alt, arbeitete mit genveränderten Tomaten. Der Unterschied zur natürlichen Tomate besteht darin, dass der künstlich eingeimpfte Abwehrstoff unweigerlich in die Nahrungskette gelangt. Während Pestizide abwaschen werden können, muss der Konsument bei implantierten Genen einen Zusatz verzehren, der nicht dem Konsumenten, sondern ausschließlich dem Bauern dient: weniger Arbeit und mehr Gewinn. Wäre es nicht notwendig zu wissen, was mit dem künstlichen Gen im menschlichen Magen-Darm-Trakt passiert?

George W. Bush, sekundiert von Tony Blair, behauptet stereotyp: "Alle Wissenschaftler sind sich darin einig, dass genveränderte Nahrungsmittel unschädlich sind". Die amerikanische Wirklichkeit schlägt dazu eine bemerkenswerte Kapriole.

1. Das implantierte Gen ist kein Pestizid. Folglich braucht es nicht auf schädliche Wirkungen getestet zu werden.

2. Eine Gen Tomate, die ansprechend gewachsen ist und gut aussieht, ist zweifelsfrei gesund. Folglich muss ihr Schädigungspotential ebenso wenig untersucht werden wie das der herkömmlichen organischen Tomate.

3. Weil vor dem Gesetz alle Tomaten gleich sind, braucht es auch keine Deklaration gemäß GM oder Nicht-GM.

Arpad Pusztai war einer der wenigen, die sich nicht von dem schönen Schein blenden ließen. Er beschäftigte sich mit Lektinen, jenen zucker-bindenden Eiweißkörpern, deren Funktionen den Wissenschaftlern mehr Rätsel als Lösungen aufgeben. Lektine schützen gegen Bakterien, unterdrücken indes die körperliche Immunabwehr; sie scheinen Dickdarmkrebs zu verzögern, fördern hingegen die Entstehung anderer Krebsarten; sie verschlechtern bestehende Leberschädigungen, und führen unter bestimmten Bedingungen zum Tod. Kein Wunder, dass ein Wissenschaftler, der in diesem Wespennest herumstochert und die Fragestellung mit GM Nahrungsmittel angeht, für die Biotech Industrie zum roten Tuch wird.

Auf die Füße getreten, lässt die Biotech Industrie nichts unversucht, ihre Ziele mit gekauften Wissenschaftlern durchzusetzen. Eine amerikanische Arbeitsgruppe, die in Science ihre Erfolge wiederholt publizierte und genveränderte Pflanzen über den Klee lobt, ist durch eine Indiskretion unter Beschuss geraten. Die Autoren haben auf den üblichen Formularen Interessenskonflikte verneint, obwohl sie mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit von Monsanto und Bayer CropScience jahrelang großzügig Geld einsteckten. Die Herausgeber von Science ermitteln und werden, sollte sich die Anschuldigung bewahrheiten, die Publikationen zurückziehen müssen.

Das wäre ein bitterer Schlag aber kein vernichtender Schlag für die Biotech Industrie. Die Gentechnologie für Nahrungsmittel geschieht seit Anbeginn im Verborgenen, weil die Industrie Aufsehen vermeiden will. Fait accompli, Tatsachen schaffen, heißt die Strategie. Bush und Blair sind sich darin einig, dass Energie und Nahrungsmittel die Welt am Leben erhalten, und dass diese Philosophie durch zahlungskräftige Sponsoren sichergestellt wird. Zum Erdöl-Clan ist nun die Biotech-Mafia hinzugekommen. Wer wie Arpad Pusztai an die Öffentlichkeit tritt, wird kalt gestellt. Andere Wissenschaftler sind sich nicht zu schade, ihre Reputation auf Bestechung aufzubauen. Die Biotechnologie im Fahrwasser von Prostitution und Rauschgifthandel?