Überraschende Einsichten zum Klimawechsel

Die Tropopause, die Verschiebeschicht zwischen Troposphäre und Stratosphäre, nahm in den letzten zwei Jahrzehnten um etwa 200 Meter zu - vornehmlich durch Treibhausgase und Ozon

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Klimaforscher aus den USA, Deutschland und Großbritannien stellen in Science Modellrechnungen vor, die ein neues Licht auf die von uns Erdbewohnern ausgelösten klimatischen Veränderungen werfen. Ging es bisher um den Temperaturanstieg auf der Erde oder in der Stratosphäre, betrachten die Wissenschaftler neuerdings die Tropopause als Marker für die unübersehbaren klimatischen Veränderungen. Die Berechnungsgrundlage sind Satellitendaten für die Zeit von 1979 bis 1999. Gespeist mit den Informationen über Treibhausgase, Aerosole, Ozon, sowie Sonnenenergie und Vulkanaktivitäten simulieren die Wissenschaftler die Zustände für das 20. Jahrhundert. Nach ihren Zeitreihenanalysen verändert sich die Temperatur in den letzten 20 bis 30 Jahren rapide: in der Troposphäre steigt sie um etwa 0,07 Grad Celsius pro Jahrzehnt, in der Stratosphäre kommt es zur Abkühlung um dieselbe Größenordnung.

Durch Simulation gewonnene Zeitreihenanalyse über die Dicke der Tropopause. Summen- und Einzeleffekte (Bild: Science)

Simulationen

Tropo-, Strato-, Meso- und Thermosphäre sind Gliederungselemente, die sich durch physikalische und chemische Eigenschaften auszeichnen. Die Handregel, wonach die Troposphäre bis in 10 km Höhe reicht, und die Stratosphäre von 11 bis 50 km, kann durch Druck, Temperatur und Feuchte gut begründet werden. Die Tücke kommt mit zunehmenden Detailbetrachtungen, weil sich beispielsweise Temperatur und Druck unterschiedlich verhalten, und Wind und Wirbelbewegungen ihrerseits eigenständige Vektoren sind. Das irdische Wetter läuft in der Troposphäre ab mit einer Durchdringung, die sich in Tagen messen lässt. Der Übergang in die Stratosphäre dauert hingegen 4 Wochen und mehr. Der Temperaturanstieg in der Troposphäre und die Abkühlung in der Stratosphäre werfen deshalb die Frage auf, wie sich die gegensätzlichen Vorgänge entwickeln können.

Die Erdatmosphäre ist nahezu transparent für die Sonnenenergie. Deshalb ist die Temperatur auf der Erdoberfläche gewöhnlich am höchsten, während das UV-absorbierende Ozon sein Temperaturmaximum bei 0 Grad Celsius aufweist. Aus dieser Sicht kommt der intermediären Zone am Übergang von der Tropo- zur Stratosphäre eine besondere Rolle zu: vermittelnd, fördernd oder blockierend. Allerdings sind Simulationsmodelle darauf angelegt, die Wechselwirkungen an den Zustandsgrößen, hier also den Sphären abzuschätzen, weil, wie Hartmut Bossel es beschrieb, "das Systemverhalten als Mischung aus Eigendynamik und Reaktion auf die Umwelt zu sehen ist. Die genaue Verhaltensreaktion ergibt sich aus den Elementen des Systems und ihren strukturellen Verknüpfungen." In diesem Sinne ist die Verschiebeschicht eine virtuelle Größe. Daran lassen auch die Klimatologen keinen Zweifel "Wir haben gezeigt, dass die Abkühlung in der Stratosphäre und die Erwärmung in der Troposphäre die Höhe der Tropopause vermehrt. Hingegen bleibt der relative Einfluss beider Faktoren unsicher", erklärt der wissenschaftliche Leiter B.D.Santer. Ferner sind die vorgestellten Simulationen ein Versuch, Satelliten-Messdaten rückwirkend zu erklären und daraus auf die Zukunft zu schließen. B.D.Santer verweist auf die frühere Publikation der Arbeitsgruppe vom Mai 2003 in Science. Als Vorarbeit zur jetzigen Analyse ermittelten sie nach den Regeln der Zeitreihenanalyse einen "fingerprint", eine Art Fingerabdruck, weil die Berechnung der Temperatur je nach Wahl der Satellitendaten zu unterschiedlichen Ergebnissen führt.

Die Wechselwirkungen durch die Messgrößen (Treibhausgas, Aerosol, Ozon, Sonnenenergie und Vulkanausbrüche) werden als durchschnittliche Werte und im Vergleich zu vorindustriellen Angaben modelliert, ohne nach menschlich verursachten und natürlichen Quellen zu trennen. Für die Ausdehnung der Tropopause reduzieren die Wissenschaftler ihre Überlegungen auf eine einzelne Schicht, die sie über den Temperaturgradienten der World Meteorological Organization (WMO) definieren.

Tropopause: die unbekannte Zone

Obwohl die Erdatmosphäre in Schichten gedacht wird, macht die bis in 11 km Höhe reichende Troposphäre etwa 80 Prozent der Masse aus. In der Troposphäre fällt die Temperatur mit 6.5 Grad Celsius je km auf etwa -50 Grad, um in der Stratosphäre (bis 50 km) auf 0 Grad anzusteigen. Die in den 80er Jahren entdeckte Tropopause wird durch den adiabatischen Temperaturgradienten definiert und hat unterschiedliche Höhen: äquatornah (25.Breitengrad) 18,3 km (100mb), im mittleren Bereich (35.-40.Breitengrad) 12,2 km (200 mb), und polar 9,1 km (300mb). Allerdings sind die Verhältnisse nicht stabil. Dazu tragen gezeitenartige Veränderungen der Luftschichten sowie jahreszeitliche Effekte bei.

Auch ist der Temperaturgradient nicht immer positiv und stabilisiert in dem Sinne, dass die warme Luft über der kälteren und dichteren Luftmasse liegt. Lokal und ziemlich rasch kann es zur Umkehr (Inversion) mit einem negativen Temperaturgradienten kommen: durch Zunahme der Erdoberflächentemperatur oder Abkühlung in großer Höhe. Meteorologe und Piloten lernen mit diesen Verhältnissen umzugehen, und wissen, dass trotz der Vorhersagen viel Unwägbares im Spiel bleibt. Insofern ist die Tropopause keine stabile oder stabil denkbare Schicht. Geht man ins Detail, werden zudem vielfache Überlappungen erkennbar, und ferner regional verschiedene Temperaturen. So gilt die Tropopause den Meteorologen wegen der mitunter heftigen Wirbelbewegungen als besonders dynamische Schicht.

Und schließlich definiert die WMO sogar den Zustand einer zweiten Tropopause: Die 1.Tropopause ist gekennzeichnet durch die niedrigste Höhe (jenseits 500 mb), von der an der Temperaturgradient um 2 Grad Celsius pro Kilometer oder weniger abfällt. Sollte allerdings in noch größerer Höhe (bis zu 2 km nach der ersten Tropopause) ein Abfall um 3 und mehr Grad Celsius beobachtet werden, hat sich eine 2.Tropopause ausgebildet.

Profil der Tropopause für einen Flug von Alaska nach Hawaii. (Erklärung im Text, weitere Bilder auf der Webseite von MTP)

Ein eindrucksvolles Beispiel für die Inhomogenität der Tropopause hat die NASA ins Internet gestellt. Die Grafik zeigt die Temperaturverhältnisse für einen Flug von Alaska (rechts) nach Hawaii (links). Dabei existiert zwischen dem 38.-42. Breitengrad die 2.Tropopause. Ferner lässt die Unterbrechung am 54.Breitengrad erkennen, dass Luft aus der Stratosphäre unter die Tropopause gelangt und die Tropopause anhebt. Ferner macht das Profil deutlich, dass der Flug teils in der Troposphäre, teils in der Stratosphäre stattfindet.

Unwägbarkeiten

In den Diskussionen um die globale Erwärmung sind sich alle darüber einig, dass die Meinungen emotional aufeinander treffen. Das liegt an persönlichen Ansichten und politischen Forderungen, die, bewusst oder unbewusst, auf die wissenschaftlichen Untersuchungen und Argumente Einfluss nehmen. Ferner zeigt die zunehmende Beschäftigung mit der globalen Erwärmung, dass es immer noch weitaus mehr Unwägbarkeiten als gesicherte Erkenntnisse gibt. Auf dem Weg vom Wirk- und Verursacherprinzip zur Kyoto-Lösung strauchelt die Forschung an der Forderung, menschlichen Missbrauch, menschliche Notwendigkeiten und natürliche Quellen gegeneinander abzugrenzen und die Anteile in absoluten Zahlen messbar zu machen.

Die Ergebnisse von B.D. Santer und Mitarbeitern erweitern den Betrachtungshorizont um eine neue Grundsatzdebatte. Die Befürworter des Kyoto Protokolls werden ihre Befürchtungen bestätigt sehen. Gegner und kritische Stimmen, die sich um Objektivität bemühen, werden die Simplifizierung bemängeln. Ein Meteorologe, auf die neuen Einsichten angesprochen, grantelte: "Wenn es da oben bloß so einfach wäre! Dann hätten wir keine Probleme mehr mit unseren Vorhersagen."