Del Ponte und die Mafia

Der UN-Sicherheitsrat hat die Chefanklägerin gefeuert, allerdings nur aus einem ihrer zwei Ämter - Felipe Turover, Hauptbelastungszeuge in der Affäre Mabetex über seine (beinahe tödliche) Begegnung mit Carla del Ponte

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Ende August entschied der UN-Sicherheitsrat über die weitere Karriere von Carla del Ponte. "Gerechtigkeit ist eine Frau", hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan über die Schweizerin gesagt, bevor sie Ende 1999 auf Beschluss des höchsten Gremiums der Vereinten Nationen zur Chefanklägerin im Haager Prozess gegen Slobodan Milosevic gekürt wurde. Die gleiche Funktion übte sie seither auch im zweiten ad hoc-Tribunal der UN in Arusha aus, wo die Verbrechen des ruandischen Bürgerkrieges 1994 verhandelt werden. Doch zumindest dieses Amt hat sie jetzt verloren: Mit einstimmigem Beschluss hat der Sicherheitsrat del Ponte am 29. August gegen ihren erklärten Willen von allen Verpflichtungen in Arusha entbunden. Ihr Nachfolger soll auf Vorschlag von UN-Generalsekretär Kofi Annan der frühere Justizminister des westafrikanischen Kleinstaates Gambia, Hassan Bubaca Jallow, werden.

Carla del Ponte

Die bittere Pille wurde del Ponte durch viele Pressekommentare versüßt, die folgsam repetierten, was Diplomaten der Großmächte inoffiziell verbreitet hatten: Del Ponte sei abgelöst worden, weil sie den Interessen der USA in Zentralafrika hätte gefährlich werden können. Gegen den Willen Washingtons habe sie in Arusha nun auch die Tutsi-Verbündeten der US-Amerikaner anklagen lassen wollen (nachdem dort bisher ausschließlich gegen Hutus verhandelt worden war). Selbst in ihrer bittersten Stunde erscheint die 56jährige somit immer noch als Personifikation der Unparteilichkeit und Gerechtigkeit.

Gänzlich andere Erfahrungen mit del Ponte hat Felipe Turover gemacht. Der 37jährige stammt aus einer republikanischen spanischen Familie, seine Eltern flohen mit ihm vor Franco in die Sowjetunion. Nach dem Tod des Diktators kam Turover wieder in sein Geburtsland zurück, um dann bereits Ende der achtziger Jahre wieder als Finanzmann in Moskau an den ökonomischen Wohltaten der Perestrojka zu partizipieren. Er arbeitete von 1992 bis 1999 für die Jelzin-Regierung im Schuldenmanagement mit westlichen Gläubigerbanken

Sie sind der Hauptbelastungszeuge in der Affäre Mabetex, die auch als Russia-Gate bekannt wurde. Um was handelt es sich dabei, und was hat Carla del Ponte damit zu tun?

Turover: Mabetex ist eine Baufirma mit Sitz in Lugano in der italienischen Schweiz Sie gehört dem Kosovoalbaner Beghijet Pacolli, der mittlerweile einen Schweizer Pass hat. Pacolli und sein Geschäftspartner Viktor Stolpowskich bekamen in den neunziger Jahren Aufträge aus dem Kreml in Höhe von umgerechnet zwei Milliarden Euro, es ging angeblich um Bau- und Sanierungsarbeiten im Regierungs- und Präsidentenkomplex. Nachgewiesenermaßen sind in diesem Zusammenhang Dollarsummen in Milliardenhöhe außerhalb Russlands verschwunden, im Gegenzug wurden Schmiergelder in Millionenhöhe nach Moskau gezahlt. Pacolli hat für Kreditkarten Jelzins und der beiden Jelzin-Töchter gebürgt, das hat die Banca del Gottardo, die die Karten ausgegeben hat, bestätigt. Carla del Ponte, damals Schweizer Bundesanwältin, hat mich im Verlaufe des Jahres 1997 kontaktiert und mich aufgefordert, als Zeuge in der Sache zur Verfügung zu stehen. Später hat sie den ermittelnden russischen Generalstaatsanwalt Jurji Skuratow in die Schweiz eingeladen und mich mit ihm bekannt gemacht. Sie galt damals schon als große Kämpferin für Gerechtigkeit, deswegen bin ich ihrem Wunsch gefolgt. Das war ein beinahe tödlicher Fehler.

Warum?

Turover: Ich war auf Ehrlichkeit angewiesen und habe del Ponte von Anfang an darauf hingewiesen, dass mich meine Aussage in Lebensgefahr bringt. Schließlich arbeitete ich damals noch als Berater für die russische Staatsspitze - also genau für die Leute, die ich mit diesen Dokumenten schwer belastete. Was aber machte Frau del Ponte? Sie gab meinen vollen Namen und meine Funktion an die Presse. Das ist so, als hätte ich von Medellin aus Informationen über den Escobar-Clan an die US-Drogenpolizei geliefert und müsste dann, während ich noch in der Höhle des Löwen bin, meinen Namen als Kronzeuge gegen Escobar in der "New York Times" lesen. In meinem Fall war es nicht Medellin, sondern Moskau, und die Zeitung war der Corriere della Sera, aber die Wirkung war dieselbe: Ich war aufgeflogen, und nur durch überstürzte Flucht aus Moskau konnte ich mein Leben retten. Seither, seit mittlerweile drei Jahren, lebe ich undercover. Dafür bedanke ich mich bei Carla del Ponte. Sie hat den Killern den Weg zu mir gewiesen.

Ist das nicht reichlich übertrieben? Was kann eine Schweizer Bundesanwältin für einen Artikel in einer italienischen Tageszeitung?

Turover: Die beiden Journalisten vom "Corriere" haben alle Informationen von del Ponte bekomme, inklusive meiner Mobilfon-Nummer. Sie selbst sagten es mir, weil sie wissen, dass ich in Lebensgefahr bin.

Del Ponte hat das dementiert.

Turover: Dann sagt sie die Unwahrheit. Das habe ich übrigens schon oft gesagt, und nie hat sie mich wegen übler Nachrede verklagt. Der Grund ist ganz einfach: Sie hat keine Beweise, aber ich.

Mabetex-Chef Pacolli ist ja nicht nur ein Baulöwe, sondern soll auch gute Verbindungen zu den kosovoalbanischen UCK-Terroristen haben.

Turover: Das ist richtig. Zu seiner Firmengruppe gehörte, nach seinen eigenen Angaben, mindestens bis zum Jahr 2000, die kosovoalbanische Tageszeitung "Bota Sot", die selbst von der OSZE wegen rassistischer Artikel verurteilt wurde Sie hetzte vor allem gegen Serben, gegen mich als den "Juden Turover" auch antisemitisch.

Sollten kosovoalbanische Bestechungsgelder an den Jelzin-Clan gezahlt worden sein, könnte das das Verhalten des russischen Präsidenten im Frühjahr 1999 erklären. Als die Nato den Krieg gegen Jugoslawien vorbereitete, rührte er keinen Finger zum Schutz des angeblichen Brudervolks der Serben. Bei der Konferenz in Rambouillet etwa, als die Nato-Staaten extrem einseitig zugunsten der Albaner agierten, protestierte Moskau nicht, obwohl seine Diplomaten mit am Verhandlungstisch saßen. Kauften die Kosovo-Albaner Jelzins Stillhalten?

Turover: Das ist eine mögliche Erklärung. Es handelt sich bei diesen Geschichten um eine Symbiose aus Politik, Plünderung und Geldwäsche im großen Stil.

Und del Ponte?

Turover: Alle Ermittlungsverfahren in der Schweiz zur Mabetex-Affäre wurden politisch von höchster Stelle niedergeschlagen. Mehr noch: Die Unterlagen, die del Ponte von ihrem russischen Amtskollegen Skuratow bekommen hatte, sind auf wundersame Weise bei Pacolli gelandet. Der hat seine Moskauer Freunde Jelzin und Borodin benachrichtigt, und in der Folge wurde Skuratow, ein ehrlicher und kompetenter Jurist, kaltgestellt - trotz dreier praktisch einstimmiger Entschließungen des russischen Senats zu seinen Gunsten. Das Ende von Skuratow war auch das Ende der Moskauer Mabetex-Ermittlung - das letzte Verfahren wurde im Dezember 2000 eingestellt.

Handelte del Ponte als Schutzpatronin der albanischen Mafia oder des Jelzin-Clans?

Turover: Weder noch. Sie handelt nur in ihrem eigenen Interesse. Politische Ziele sind ihr völlig egal. Nehmen Sie etwa den Zeitpunkt, als sie mit ihren Erkenntnissen zu Mabetex inklusive meines Namens an die Öffentlichkeit ging, Ende August 1999. Das war ja nicht nur ein Schlag gegen mich, sondern auch gegen Jelzin. Zwar hat sie später nicht weiterermittelt, aber in diesem Augenblick haben ihre Enthüllungen Jelzin schwer geschadet. Vorausgegangen war, im Sommer 1999, der spektakuläre Coup russischer Eliteeinheiten im Kosovo: Nach dem Waffenstillstand hatten sie den Flughafen von Pristina besetzt, die Nato kam zu spät. Fast wäre es deswegen zum dritten Weltkrieg gekommen, wie der britische Kfor-Chef Michael Jackson damals sagte. Moskau pokerte hoch, wollte eine eigene Besatzungszone im Kosovo, um die Serben zu schützen. In dieser Situation musste Jelzin desavouiert werden. Die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright trifft sich also im Juli 1999 auf dem Londoner Flughafen Heathrow mit del Ponte und macht ihr das wahrscheinlich klar. Im August geht dann del Ponte über den "Corriere della Sera" mit ihren Enthüllungen gegen Jelzin an die Öffentlichkeit, und Mitte September legt Albright in einem Statement auf CNN zur russischen Regierungskorruption nach. Jelzin muss in dieser Situation ein Amtsenthebungsverfahren und Strafverfolgung befürchten. Entlastung bringen ihm Ende September zwei Bombenanschläge in Moskau, angeblich begangen von tschetschenischen Terroristen. Russische Truppen marschieren in Tschetschenien ein, damit wird das öffentliche Interesse von Russia-Gate abgelenkt.

Agierte del Ponte in dieser Situation als Befehlsempfängerin Washingtons?

Turover: Sie ist genau so wenig proamerikanisch wie proalbanisch. Sie handelt im Schweizer Interesse, d.h. im Interesse der Mafia-Politik in der Schweiz.

Das müssen Sie näher erklären.

Turover: Die Schweiz und die Schweizer Banken leben hauptsächlich von der Geldwäsche. Alle Diktatoren und alle großen Kriminellen dieser Welt deponieren ihr schmutziges Geld hierzulande; vor allem der Kanton Tessin eignet sich hervorragend, man bringt die Millionen einfach im Koffer oder im Handschuhfach von Italien über die Grenze. Alle Politiker im Tessin wissen davon, alle profitieren davon. Und del Ponte als Staatsanwältin des Kantons hat diese Praktiken geschützt, schon vor der Mabetex-Affäre Ende der neunziger Jahre. Nehmen Sie etwa den Fall einer Aktiengesellschaft in Chiasso, gegen die wegen Geldwäsche für die italienische Mafia ermittelt wurde - die Ermittlungen wurden von ihr eingestellt. In erster Linie ist del Ponte aber pro del Ponte. Für ihre Karriere würde sie alles tun, sogar George W. Bush anklagen. Als Juristin ist sie im übrigen eine Null. Können Sie sich vorstellen, dass sie nach meiner Kenntnis in ihrer bisherigen Laufbahn keine einzige Anklage gewonnen hat? Ihr einziges Talent liegt in der Selbstdarstellung, in der Selbstvermarktung.

Ihr Agreement mit Albright hat sich jedenfalls rentiert. Wenig später wurde sie Chefanklägerin in Den Haag - auf Vorschlag Washingtons. Die Zürcher "Weltwoche" wunderte sich: "Warum die Amerikaner sie als Nachfolgerin der unbequemen und vorzeitig abservierten Louise Arbour haben wollten, bleibt ein Rätsel. Denn sie haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie den Gerichtshof für einen nutzlosen Schwulst halten."

Turover: Del Ponte und die Schweizer Regierung halfen Albright, und dafür wurde sie - die Amerikaner sind ehrliche Leute, sie zahlen für ihre Aufträge - mit dem Posten in Den Haag belohnt. Auch dort verkauft del Ponte sich glänzend. Dabei ist der Prozess eine einzige Katastrophe. Sie hat überhaupt nichts in der Hand gegen Milosevic, de jure müsste er sofort freigelassen werden. So kann sich Milosevic, der selbst nur ein Bandit und Betrüger ist, als unschuldig Verfolgter darstellen, und der serbische Nationalismus ist im Aufschwung, wie sich bei den letzten Wahlen zeigte. Weiß man in Den Haag wirklich nicht, dass die Schweizer Bundesregierung einen Sonderermittler in der Affäre del Ponte eingesetzt hat? Wie kann eine Frau Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals bleiben, die selbst Gegenstand höchstrichterlicher Untersuchungen wegen schwerer Verbrechen ist?

Sie haben im März 2001 Anzeige gegen Carla del Ponte und unbekannt gestellt, u.a. wegen Gefährdung Ihres Lebens und Mordversuch (tentato assassinio) im Zusammenhang mit Russia-Gate. Aber der Schweizer Bundesanwalt Valentin Roschacher hat die Anzeige gegen seine Amtsvorgängerin abgewiesen. Wie können Sie also sagen, es sei eine Sonderermittlung gegen del Ponte im Gange?

Turover: Roschacher hat del Ponte geschützt, und deshalb habe ich ihn wegen Begünstigung zu ihren Gunsten verklagt, und diese Klage ist nicht nur angenommen worden, sondern es wurde im Mai 2002 sogar ein Sonderermittler vom Schweizer Bundesrat eingesetzt, Arthur Hublard, der ehemalige Generalstaatsanwalt des Kantons Jura. Der untersucht meine Anklagen gegen Roschacher - aber damit ist auch die Causa del Ponte endlich auf dem Tisch. Überdies habe ich gegen die Schweiz eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg angestrengt.

Gegen die Schweiz - nicht gegen del Ponte?

Turover: In Strassburg kann man nicht gegen Privatpersonen klagen. Aber in der Substanz richtet sich die Anklage vor allem gegen del Ponte, weil sie als Bundesanwältin der Schweiz mein Leben in Gefahr gebracht hat. Es ist ein Unding, dass sie weiter in Den Haag amtiert, solange zwei solche Verfahren anhängig sind.

Sie leben verdeckt im Untergrund und wechseln ständig den Aufenthaltsort. Wie lange werden Sie das durchhalten?

Turover: Ich muss, wegen del Ponte, sonst bin ich ein toter Mann. Natürlich habe ich mich abgesichert, indem ich sicherstellte, dass im Falle meines Ablebens noch brisantere Informationen öffentlich werden als bisher schon. Aber eine beruhigende Sicherheit gibt mir das nicht. Bisher wurden jedenfalls schon mindestens fünf Belastungszeugen in der Affäre Mabetex aus dem Weg geräumt. Das letzte Opfer war die persönliche Sekretärin von Pacolli, eine 32jährige Frau, Tod im Badezimmer, angeblich ein Blutgerinsel. Es gab nie eine Autopsie der Leiche, sie wurde am nächsten Tag verbrannt.