Gibt es eine "Braune Armee Fraktion"?

Der bayerische Innenminister Günther Beckstein sieht eine "neue Dimension" rechten Terrors.

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Der Alarmruf: "Nazis immer gefährlicher!" wirkt jedoch dann lächerlich, wenn er sich permanent wiederholt. Kulturpessimistische Textbausteine, den Rechtsextremismus betreffend, liest man seit zehn Jahren in den Zeitungen. Schon 1995 titelte die "Zeit" in einem Dossier: "Neonazis gehen in den Untergrund. Nun wollen sie aus der Illegalität den bewaffneten Kampf aufnehmen. Das Netzwerk steht: die Braune-Armee-Fraktion." Aber wo war das Netzwerk in den letzten acht Jahren? Auch der "Spiegel" bietet mindest einmal im Jahr eine Story, die altbekannte Floskeln neu zusammensetzt: "Die braune Szene rüstet auf" (15.09.2003). "Die Neonazis rüsten zum Angriff." (11.12.2000)

Das Kriterium, eine "rote" von einer "braunen Armee Fraktion" zu unterscheiden, ist der Erfolg. Der Terror hat immer zwei Ziele: Zum einen den Staat und seine Institutionen lächerlich zu machen, ihn in seiner Ohnmacht zu zeigen, der Protagonisten des Terrors Herr zu werden, und zum anderen die "Objekte" auszuwählen, die im medialen Mainstream die höchstmögliche Aufmerksamkeit versprechen. Der braune Terror entsprach immer diesem Schema. Bomben gegen Asylbewerberheime waren Anfang der neunziger Jahre für die rechte Szene attraktiv, weil sie sich erhoffte, einen gesellschaftlichen Mainstream zu bedienen.

Neu ist der Terror von rechts nicht

Der rechte Terror artikulierte immer eine im gesellschaftlichen Diskurs strittige Frage, wie etwa das Thema Einwanderung, und beantwortete diese, indem eine antisemitische oder rassistische Option als "Lösung" in den ausgewählten Zielen sichtbar wurde. Terror von rechts richtet sich immer und ausschließlich gegen "ethnisch" definierte Minderheiten, im Münchener Fall gegen Juden. Der "linke" Terror der RAF meinte hingegen, gesellschaftliche Machtverhältnisse zu thematisieren und suchte sich Personen als Ziel des Terrors aus, die diese Verhältnisse symbolisierten.

"Neu", wie Beckstein das behauptet, ist Terror von rechts nicht, weder was die Ziele noch was die "Ausstattung" angeht. Schon in den siebziger Jahren waren Bombenleger der rechten Szene aktiv, jedoch in staatlichem Auftrag: Hans-Dieter Lepzien, V-Mann des niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz und Mitglied der NSDAP/AO baute höchstpersönlich die Bomben, die im Herbst 1977 vor Justizgebäuden in Flensburg und Hannover explodierten. Im Dezember 1980 ermordete dann die Wehrsportgruppe Hoffmann den jüdischen Verleger Shlomo Levin. Im März 1998 stellte eine Sonderkommission der Polizei Westpfalz bei einer Razzia gegen eine Neonazi-Gruppe, die sich "Stahlhelm" nannte, Maschinenpistolen, Gewehre, Minen, Granaten, Schwarzpulver und rund 8.000 Schuss Munition sicher.

1995 meldete dpa: Fahnder des Bundeskriminalamtes sähen in dem Aufruf von Rechtsextremisten, Generalbundesanwalt Kay Nehm zu ermorden, "eine neue und höchst gefährliche Qualität des Rechtsextremismus." Die Szene werde "jetzt offenbar erstmals aktiv dazu aufgefordert, Gewalttaten auch gegen führende Repräsentanten des Staates zu begehen", sagte ein BKA-Fahnder. "In der Bonner Abteilung Staatsschutz und Terrorismus des BKA hat man für das neue Phänomen bereits einen Namen: In Anlehnung an die terroristische Rote-Armee-Fraktion (RAF) sprechen Fahnder jetzt von einer "Braunen Armee Fraktion."

Im Juli 2000 sendete das ZDF eine Reportage mit dem reißerischen Titel "Unter Waffen - Der Rechtsterrorismus formiert sich" über die Bombenbauer Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe von der "Kameradschaft Jena", bei denen Waffen, Sprengstoff, Rohrbomben und Nazipropagandamaterial sichergestellt wurden. Die drei Verdächtigen sind untergetaucht, die Webseite des Bundeskriminalamts mit der Fahndung nach den flüchtigen Neonazi-Terroristen funktioniert jedoch nicht.

Was ist also "neu" an der Qualität? Nichts, außer der Tatsache, dass die Bundesanwaltschaft den Paragrafen 129a des Strafgesetzbuches (Bildung oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung), der zu Zeiten der RAF eingeführt und fast ausschließlich gegen Linke angewendet wurde, nun auch auf Neonazis bezieht. Da aber liberale Juristen seit langem fordern, diesen Paragraphen ersatzlos zu streichen, ist das nicht automatisch ein Grund zur Freude.

Terror ist ein Zeichen der Niederlage der Idee

Der Diskurs über eine "rechte" RAF verfolgt zwei Ziele. Zum einen fußt die Staatsdoktrin der Bundesrepublik immer noch, seit den Zeiten des Kalten Krieges, auf der Totalitarismus-Doktrin, die "links" und "rechts" als zwei Seiten einer Medaille ansieht. Wer von "Extremismus" redet, propagiert die historisch falsche These, die Weimarer Republik sei zwischen den "Extremen", den Nationalsozialisten und den Kommunisten, zerrieben worden. Noch heute können viele Konservative "Rechtsextremismus" nicht ohne das Echo "Linksextremismus" aussprechen. "Extrem" bedeutet immer: bis hin zu Gewalt gegen den politischen Gegner. Wer "Braune Armee Fraktion" sagt, nivelliert den Unterschied zwischen der Shoah und der Ermordung deutscher Industrieller durch "linke" Sektierer, die in ihrem Wahn, die Avantgarde einer Revolution zu sein, den individuellen Terror propagierten.

Zum anderen vertritt der suggestive Begriff "Braune Armee Fraktion" eine These, wie das ultrarechte Milieu strukturiert sei. Das vorgebliche Fehlen einer "Struktur" war immer das wichtigste Argument, den Terror von rechts nicht ernst zu nehmen. Je mehr jedoch rassistische und antisemitische Ideen gesellschaftlich hoffähig sind, um so weniger bedarf es einer "Struktur" des ultrarechten Milieus. Jeder Neonazi ist ein potentieller Terrorist, aber diese Möglichkeit muss nicht dauerhaft sein. Rassismus ist eine positive Option, ein Versprechen, nach irrationalen Kriterien soziale Grenzen so definieren zu können, dass man selbst einen Vorteil davon hat. Terror, der eine antisemitische und rassistische Motivation voraussetzt, ist immer individuell, weil die Ideologie und "moralische" Begründung auf der subjektiven und rein irrationalen Entscheidung beruht, wer als der jeweilige Gegner anzusehen sei. Der "linke" Terror der RAF bedurfte hingegen der theoretischen Legitimation und einer eschatologischen Interpretation der Geschichte, um potentielle Sympathisanten zu gewinnen.

Terror, und das scheint hochaktuell, ist immer ein Zeichen der Niederlage der Idee. Das resümiert der Islam-Forscher Gilles Kepel im Schwarzbuch des Dschihad über den islamisch verkleideten Terror im Gefolge des 11. Septembers. Der Terror von Rechts verkündet, so makaber es klingt, eine gute Nachricht: Er dokumentiert die Niederlage einer Idee, die Verzweiflung, die aus der Erkenntnis resultiert, die eigenen Ideale mit politischen Mitteln nicht erreichen zu können, weil sie nicht mehrheitsfähig sind.

Die Attitüde, die Nazis gefährdeten den Staat und seine Institutionen, hat mit der Realität nichts zu tun. In Wahrheit erzählt sie eine moralische Parabel - wie eine urban legend: Sie zitiert den Anti-Gewalt-Diskurs der Mittelschichten und projiziert gesellschaftliche Probleme auf marginalisierte Randgruppen. Der (Medien-)Diskurs über die "Braune Armee Fraktion" hat also einen kathartischen Effekt. Er meint: Wir sind nicht an Rassismus und Antisemitismus schuld. Es sind immer die anderen, die Neonazis.