Gesetzbuch zu ... und alle Fragen offen

Teil 1: "Aus Tauschbörsen dürfen keine legalen Kopien angefertigt werden"

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Am 13. September trat das "Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft" in Kraft, das die EU-Richtlinie 2001/29/EG zur "Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft" umsetzt (vgl. Reform des Urheberrechts tritt in Kraft).

Der Deutsche Musikverleger-Verband und der Gesamtverband Deutscher Musikfachgeschäfte erklärten in Bonn, mit der Novelle finde das Warten auf Rechtssicherheit ein Ende. Das Gegenteil ist der Fall. Die "Urheberrechtsreform" schafft - ebenso wie die derzeit in den USA veranstalteten Schauprozesse - eher ein paranoides Klima, wie es in totalitären Staaten vorherrschte. Der Bevölkerung wird suggeriert, dass es jeden treffen kann - vom 12-jährigen Mädchen bis zum 71-jährigen Großvater (vgl. Teenies, Opas, Obdachlose).

Meinung oder Desinformation?

Nach der Änderung des Urheberrechtsgesetzes nutzt die Medienindustrie die allgemeine Verunsicherung, um ihren Kunden einzureden, dass sie noch viel weniger dürfen als das Gesetz erlaubt. Eine erprobte Strategie: Schon in den 1980er Jahren versuchten die Plattenkonzerne in einer großangelegten Anzeigenkampagne den Eindruck zu verbreiten, dass jede Kopie eines Stücks auf Audiokassette illegal sei. Die Rechtsprechung entschied später anders.

Das Neue an der derzeit laufenden Kampagne ist, dass neben der Musikindustrie auch die IT-Industrie reichlich überzogene Darstellungen der Rechtslage verbreitet, um sich der längst auf die Gerätepreise aufgeschlagenen Abgaben an die Verwertungsgesellschaften zu entziehen. Der PR-Ausstoß von Verbänden und Industrie erreichte im August einen Umfang, der eigentlich das Verbraucherschutzministerium beschäftigen hätte müssen. An manchen Tagen schlugen die PR-Spammer mit ihren Mails über angeblich bald illegale Downloads ihre Kollegen mit den Penisverlängerungspillen um Längen.

Aber nicht nur in der Menge, sondern auch im Wahrheitsgehalt lassen sich die beiden Kategorien von Spam gut vergleichen: Niemand kann momentan genau sagen, was erlaubt oder verboten ist. Es gibt nur einen Gesetzestext mit großem Interpretationsspielraum und dem unbestimmten Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit, der "ein erhebliches Maß an Auslegungsspielraum und damit Rechtsunsicherheit birgt."1 Mit Urteilen, an denen sich der Verbraucher orientieren kann, wird in frühestens drei Jahren gerechnet.

Doch obwohl sich nach der neuen Rechtslage die rechtliche Grauzone erheblich vergrößert hat und erst von der Rechtsprechung eingeschränkt werden muss, gibt es eine Vielzahl von legalen Möglichkeiten, Musik und Filme zu kopieren. Diese Möglichkeiten sind keine "Gesetzeslücken", sondern bewusst belassene Rechtsspielräume.

Das neue Urheberrecht erlaubt Privatkopien, "soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte Vorlage verwendet wird". Dass Downloads illegal oder "Kopien aus illegalen Quellen" verboten wären, steht nicht im Gesetz, sondern in den PR-Meldungen der Medienindustrie. "Eine 'Geldwäsche' von Musik wird es nicht mehr geben", verkündete beispielsweise der IFPI-Vorsitzende Gerd Gebhardt und ergänzte: "Aus Tauschbörsen dürfen keine legalen Kopien angefertigt werden." Die Goldene Narrenkappe aber verdiente sich Bernd Graff mit einem Artikel für die Süddeutsche Zeitung, der dem Nutzer suggerierte, er müsse alle Kopien vernichten, von denen er keine Originale zuhause hat.2

Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht unrichtig: Zum einen dürfen Kopien, die angefertigt wurden, bevor das neue Urheberrecht in Kraft trat, in jedem Fall behalten werden. Das Bundesjustizministerium bestätigte explizit, dass das Gesetz keine Wirkung für in der Vergangenheit abgeschlossene Sachverhalte hat. Zum anderen sind durchaus legale Kopien von "rechtswidrig hergestellten Vorlagen" denkbar: Wenn die Vorlage eine unauffällige Kopie eines copyrightgeschützten Werkes ist, das nicht durch einen Zusatz wie 'cracked' gekennzeichnet ist, sind die Merkmale für eine Strafbarkeit nicht erfüllt.

Ebenso wenig muss der Nutzer juristisch prüfen, ob die Inhalte, die von ihm kopiert werden, von rechtswidrig hergestellten Vorlagen stammen. Wenn etwas "offensichtlich" sein muss, kann vom Benutzer keine besondere Sorgfalt erwartet werden. Zum Dritten verbietet die Regelung keineswegs jeden Download aus dem Netz, sondern schafft lediglich Rechtsunsicherheit.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries sprach bei Inkrafttreten des Gesetzes davon, dass sich strafbar mache, wer "Musik, Filme oder Computerspiele im Internet zum Download anbietet und verbreitet, ohne hierzu berechtigt zu sein". Wohlgemerkt: Sie sprach vom Upload - nicht vom eigenen Herunterladen. Im Gegenteil: Zum § 52 Absatz 1 bemerkt sie ein paar Tage später auf dem Urheberrechts-Symposion augenzwinkernd: "Ich hoffe, dass die Praxis damit zurechtkommt - für die Wissenschaft wird es sicherlich schon schwieriger sein", und forderte die Medienjuristen auf herauszufinden, "was sich der Gesetzgeber dabei gedacht hat oder was er sich dabei hätte denken sollen". Die vermeintliche Anekdote verweist auf eine besondere Problematik der Einfügung von den "offensichtlich rechtswidrig hergestellten Vorlagen".

Die gefundene Formulierung in § 53 UrhG berücksichtigt die Erkenntnis der Experten im Bundesministerium der Justiz, dass es dem Durchschnittsbürger weder möglich noch zuzumuten ist, die Rechtmäßigkeit einer Kopiervorlage zu beurteilen. Ein tatsächliches Verbot aller Downloads hätte die umfassendste Kriminalisierung großer Bevölkerungskreise seit der Aufhebung des Verbots des Hörens von "Feindsendern" bedeutet und zur Durchsetzung einer mit NKWD-Befugnissen ausgestatteten IFPI bedurft. Deswegen wurde das Verbot explizit auf Fälle begrenzt, in denen die Rechtswidrigkeit der Herstellung der Vorlage "offensichtlich" ist.

Heißt das, dass der Download in jedem Fall legal ist? Nein: Es herrscht Rechtsunsicherheit. Möglich ist beispielsweise, dass die Rechtsprechung bei Kopien von noch nicht angelaufenen Filmen die "Offensichtlichkeit" bejaht. Man sollte also besser keine Datei mit einem Namenszusatz wie "illegaler Preview-Screener" herunterladen.

Abseits ihrer Pressemitteilungen sieht auch die Musikindustrie die Rechtslage etwas differenzierter, und bearbeitet deshalb gerade Politiker, um in einem "nächsten Schritt" - so der Musikfunktionär Thorsten Braun - nicht nur Kopien von "offensichtlich rechtswidrig hergestellten Vorlagen", sondern aus "jeder nicht legalen Quelle" verbieten zu lassen (vgl. Neues Urheberrecht sorgt für neue Diskussionen). Der Phonoverbandsvorsitzende Gebhardt möchte die private Kopie sogar ganz abschaffen lassen (vgl. Im Bereich des Halbwahnsinns). Die Ankündigung von Thorsten Hansen vom Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft, dass es Planungen gebe, auch in Deutschland juristisch gegen Filesharing vorzugehen, wurde als bevorstehende "Klagewelle gegen illegales Herunterladen" aufgebauscht. Wer die Ankündigung genau las, stellte jedoch fest, dass Hansen nicht vom "Download", sondern vom "Öffnen für den Download" - also vom Upload -s prach (vgl. Tauschbörsen-Nutzern in Deutschland droht Klagewelle).

Wäre der Download mit der derzeitigen Formulierung tatsächlich pauschal verboten, wie das Braun in seinen Verlautbarungen an die Presse postuliert, müssten er und die Musikindustrie nicht auf eine erneute Gesetzesänderung drängen.

Der Upload in Filesharingsysteme ist dagegen aus juristischer Sicht tatsächlich problematisch - allerdings war er dies auch schon nach dem alten Urheberrecht. Wer nicht auf P2P-Software umsteigen will, die sowohl mit Verschlüsselung als auch mit IP-Nummern-Anonymisierung arbeitet (also beispielsweise auf Freenet, Entropy oder Filetopia), der sollte nur gemeinfreie Werke zur Verfügung stellen - von denen es allerdings mehr gibt, als man denkt. Solche gemeinfreien Stücke müssen keineswegs "zweite Wahl" sein - im Gegenteil: Viele Aufnahmen von Blues-Traditionals aus den 1940er Jahren sind dem einheitlichen Superstar-Gedudel in weitaus mehr Aspekten als nur der Legalität beim Anbieten überlegen.

Ein Problem dabei sind jedoch die Schutzzeiträume: Ein Wirrwarr aus verschiedenen Sterbe- und Aufnahmefristen für verschiedene Medien- und Beteiligungsformen, der Übertragung verschiedenster ausländischer Fristen und (allein in Amerika) 11 Friständerungen, zwischen denen jeweils Werke herausfielen. So ist für den Laien selten ersichtlich, ob ein Werk des 20. Jahrhunderts bereits gemeinfrei ist oder noch nicht. Tatsächlich sind die verschiedenen Fristenregelungen im Urheberrecht so kompliziert, dass sich vier befragte Experten3 nicht über die Schutzfristen von fünf verschiedenen Werken4 einigen konnten - einer verhältnismäßig leichten Aufgabe im Vergleich zum Erkennen einer "rechtswidrig hergestellten Vorlage".