Rauchen ist todschick

Ein Lehrstück in Sachen Gesundheitspolitik von Bundesregierung und Tabakindustrie

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Jedes Jahr verliert die Tabakindustrie in Deutschland mehr als 100.000 ihrer Stammkunden durch vorzeitigen Tod. Um nicht selber an den Spätfolgen des Rauchens zugrunde zu gehen, muss die Branche also Jahr für Jahr eine mindestens gleich große Zahl von Nachwuchskonsumenten anwerben. Dies gelingt ihr mit erstaunlichem Erfolg. Heute greift fast jeder zweite 17-Jährige in Deutschland regelmäßig zur Zigarette. Rauchen gilt unter Jugendlichen als cool, und das ist für die Hersteller des legalen Suchtmittels eine gute Nachricht.

Beispiel aus der Rauchfrei-Kampagne

Was sich am 20. März 2002 in Berlin zugetragen hat, erscheint deshalb auf den ersten Blick wie ein ökonomischer Selbstmordversuch. An diesem Tag begab sich eine Delegation von Spitzenmanagern der Zigarettenindustrie, angeführt von Dr. Ernst Brückner, dem Hauptgeschäftsführer ihres Verbandes, ins Gesundheitsministerium, um feierlich eine Vereinbarung zu unterzeichnen. Darin erklären sich die Tabakkonzerne dazu bereit, insgesamt 11,8 Millionen Euro für Maßnahmen "zur Prävention des Rauchens von Kindern und Jugendlichen" zur Verfügung zu stellen. Ministerin Schmidt würdigte die edlen Spender damals mit den Worten: "Die Zigarettenindustrie übernimmt mit der Vereinbarung Verantwortung in einem Teilbereich" - und zwar in einem Teilbereich, der für die Zukunftsaussichten der Branche von entscheidender Bedeutung ist.

Warnung vor dem Rauchen, ohne der Tabakindustrie zu schaden

Denn soviel ist sicher: Je früher man mit dem Rauchen anfängt, umso geringer sind die Chancen, es sich später wieder abgewöhnen zu können. Die Frage drängt sich auf, was die Manager dazu veranlasst hat, Verantwortung für die Folgen des eigenen Tuns zu übernehmen. Waren es die Bilder teergeschwärzter Lungen, die Herrn Brückner und seinen Kollegen schlaflose Nächte bereitet haben?

Ein Blick in die Details der Vereinbarung zeigt, dass der Eindruck einer kommerziellen Harakiri-Aktion täuscht. Ihr Geldgeschenk haben die Branchenvertreter nämlich an eine Bedingung geknüpft:

Die Maßnahmen dürfen nicht die Zigarettenindustrie, deren Produkte oder den Zigarettenhandel diskriminieren oder den erwachsenen Raucher verunglimpfen.

Im Weiteren wird akribisch festgelegt, wie die Einhaltung dieser Auflage kontrolliert werden soll. Es werden "Sachverständige" benannt, die den "Zuwendungsgeber" - das ist die Tabakindustrie - über die Planungen des "Zuwendungsnehmers" - also des Gesundheitsministeriums - auf dem Laufenden halten. Darüber hinaus sind "Vermittler" vorgesehen, die bei "Meinungsverschiedenheiten" zwischen den beiden Parteien tätig werden sollen. Mit der praktischen Umsetzung der Vereinbarung wird die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), eine dem Gesundheitsministerium nachgeordnete Behörde, betraut.

In der Kölner Bundeszentrale wurde ein Jahr lang darüber nachgedacht, wie man Jugendliche vor den Gefahren des Rauchens warnen kann, ohne die Zigaretten, die Zigarettenindustrie, den Zigarettenhandel oder die erwachsenen Zigarettenraucher zu diskriminieren. Seit Juni 2003 kann man sich in Zeitschriften wie "Bravo" oder "Popcorn" anschauen, was dabei herausgekommen ist. Die so genannte Rauchfrei-Kampagne stützt sich auf ganzseitige Anzeigen mit insgesamt fünf Motiven. Jedes Motiv greift in einer knallroten Schlagzeile eines der gängigen Klischees auf, die das Rauchen aus Sicht von Jugendlichen attraktiv erscheinen lassen könnten, zum Beispiel: "Rauchen macht schlank." Ein vom Schrifttyp her deutlich kleinerer Untertitel soll dieses Klischee dann ad absurdum führen: "Stimmt: Vor allem deinen Geldbeutel." Auch die anderen Überschriften - Rauchen macht erwachsen, Rauchen macht stark, Rauchen beruhigt, Raucher haben Kontakt - werden durch klein gedruckte Nachträge erst bestätigt ("Stimmt") und dann ironisiert.

Auffälliger als die Texte sind jedoch die Bilder der Anzeigenserie. Zu sehen sind Jugendliche in schicken Klamotten und lässiger Pose mit Zigarette in der Hand. Die Jungs könnten in einer Boygroup auftreten, die Mädchen beim Casting von Starsearch. Ein treffenderer Titel für das Motiv "Raucher haben Kontakt" wäre "Rauchen ist sexy", denn das dazugehörige Foto zeigt ein Pärchen beim Zungenkuss. Es ist vor allem diese Bildauswahl, die bei Gesundheitsexperten auf Kritik gestoßen ist. Zu einem regelrechten Proteststurm kam es auf der 12. Tabakkonferenz der Weltgesundheitsorganisation, die vom 3. bis 8. August in Helsinki stattgefunden hat:

Es ist undenkbar, dass eine Regierung Geld von der Tabakindustrie akzeptiert und diese Industrie jetzt die Rahmenbedingungen einer Jugendkampagne diktiert. Die Serie dieser Anzeigen glamourisiert das Rauchen, statt es für Jugendliche weniger attraktiv zu machen.

John R. Seffrin, Präsident der Internationalen Union gegen den Krebs (UICC) und der American Cancer Society

Auch der Toxikologe Friedrich Wiebel, der als Bundesvorsitzender des Ärztlichen Arbeitskreises Rauchen und Gesundheit zu den international anerkannten Experten auf diesem Gebiet der Präventionspolitik gehört, ist davon überzeugt, dass die Gestaltung der Anzeigen ihren eigentlichen Zweck ins Gegenteil verkehrt: "Die Verführung zum Rauchen ist perfekt. Der kleine Schuss Gegenwarnung macht das Rauchen erst richtig attraktiv."

Die Deutsche Krebshilfe nahm diese und ähnliche Stellungnahmen zum Anlass, um in einer Pressemitteilung vom 5. August den sofortigen Stopp der Rauchfrei-Kampagne zu fordern. Schließlich ist es in Deutschland gesetzlich untersagt, mit "Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige(n) Aussagen" zu werben, "die ihrer Art nach besonders dazu geeignet sind, Jugendliche oder Heranwachsende zum Rauchen zu veranlassen." (§ 22 Abs. 2 LMBG) Das dürfte auch für unbeabsichtigte Schleichwerbung gelten.

Die Ausflüchte der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Die Reaktion auf die Forderung nach einem Abbruch der Kampagne kam prompt. Noch am selben Tag veröffentlichte die Kölner Bundeszentrale eine eigene Presseerklärung, in der es heißt:

Die seitens einiger Kritiker in der Pressemitteilung der Deutschen Krebshilfe geäußerten Aussagen können nur als persönliche Bewertung betrachtet werden und entbehren jeglicher wissenschaftlicher Grundlage.

Die BZgA verweist darauf, dass die Aussagekraft der Anzeigenserie im Vorfeld an 1.400 Jugendlichen getestet worden ist. Die Methoden und Ergebnisse dieser Studie werden in der Presseerklärung allerdings nur vage angedeutet. Offenbar hat man ein namentlich nicht genanntes Forschungsinstitut damit beauftragt, einen so genannten Folder-Test durchzuführen. Dabei werden den Versuchspersonen Anzeigen oder Anzeigen-Entwürfe in einer - evtl. mit redaktionellen Beiträgen aufgefüllten - Mappe vorgeblättert, um sie anschließend nach ihren Eindrücken zu fragen. Über die Reaktion der Jugendlichen auf die Rauchfrei-Motive heißt es in der Presseerklärung:

Die Testergebnisse bestätigen, dass die Anzeigenmotive nicht missverstanden, sondern ganz klar als Anzeigen gegen das Rauchen wahrgenommen werden.

Nun hängen die Antworten von Versuchspersonen naturgemäß von der Art der Fragestellung ab. Wenn man nur danach fragt, ob sich die Anzeigen für oder gegen das Rauchen aussprechen, fallen die Ergebnisse anders aus als beispielsweise bei der Frage: "Kannst du dir vorstellen, dass die Anzeigen zum Rauchen verführen?" Spätestens an diesem Punkt wird die Forschungsmethode zum Politikum.

Die Beweiskraft einer solchen Befragung ist unter Kommunikationswissenschaftlern aber noch aus einem anderen Grund umstritten: Im Alltag nimmt man Anzeigen möglicherweise ganz anders wahr als in der künstlichen Situation eines Folder-Tests. Mit anderen Worten: Die These der Kritiker, dass die unterschwelligen Botschaften der Kampagne die Bravo-Leser eher zum Rauchen animieren, als sie davor abzuschrecken, ist durch die Studie der Bundeszentrale noch keineswegs widerlegt.

Der Gewinner der Anzeigenserie gegen das Rauchen ist die Tabakindustrie

Niemand kann heute mit Sicherheit sagen, ob aufgrund der Anzeigenserie auch nur eine einzige Zigarette weniger geraucht worden ist. Nur eines steht jetzt schon fest: Der große Gewinner der ganzen Aktion ist die Tabakindustrie. Gewinn heißt hier zunächst einmal Prestigegewinn.

Der Marktführer Philip Morris zitiert auf seiner Homepage voller Genugtuung die lobenden Worte der Gesundheitsministerin. Die Finanzierung der Aufklärungskampagne wird als Beleg für das ernsthafte Bemühen der Zigarettenbranche um den Jugendschutz verkauft. Über die Vereinbarung vom 20. März 2002 heißt es: "Der Vertrag enthält seitens der Industrie keine Bedingungen oder Auflagen für die Umsetzung der Kampagne." Das ist eine dreiste Fehlinformation, wenn man sich die Bestimmungen des Vertrages - siehe oben - einmal genauer anschaut. Aber wer schaut schon so genau hin?

Geld stinkt nicht, auch nicht nach kalter Asche. Die Manager der Tabakbranche haben sich diese Spruchweisheit zu Herzen genommen und die Etats für das Sponsoring kontinuierlich erhöht. Was die Unternehmen in ihrer "sozialen Leistungsbilanz" auf der Habenseite verbuchen, lässt selbst Mutter Theresa als vergleichsweise kleinlich erscheinen. Philip Morris zum Beispiel ist "Freund und Förderer" der Münchener Obdachlosenzeitschrift BISS und der "Berliner Initiative gegen Gewalt gegen Frauen". Der Kreislandfrauenverband Bad Doberau hat von dem Marlboro-Hersteller, der in seiner Werbung kernige Cowboys durch die Prärie reiten lässt, letztes Jahr einen Lieferwagen geschenkt bekommen.

Auch Wissenschaftler kommen in den Genuss der industriellen Wohltätigkeit. Einer von bislang über 140 Preisträgern des Philip Morris Forschungspreises ist Prof. Peter Berthold, der Direktor der Vogelwarte Radolfzell. Der Ornithologe bedankte sich für die Förderung durch den Zigarettenhersteller, der Philip Morris-Preis sei "in seiner breiten Wirkung sicher dem Nobel-Preis ähnlich". Darüber hinaus schmückt sich der Konzern mit seiner Kunstförderung. Das Künstlerhaus Bethanien in Berlin steht ebenso auf seiner Empfängerliste wie die Dresdener Hochschule für Bildende Künste. Was sollte daran anrüchig sein, wenn sogar das Gesundheitsministerium Geld von der Tabakindustrie entgegennimmt?

Die Finanzierung der "Jugendschutz-Kampagne" übertrifft die üblichen Formen des Sponsoring insofern, als es hier eine ganze Reihe von Nutznießern gibt. Denn neben dem Gesundheitsministerium und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung profitieren auch das beteiligte Forschungsinstitut, die Werbeagentur und die Jugendzeitschriften von der Zuwendung. Wir lernen daraus: Die Tabakkonzerne stellen nicht nur Tabakwaren her, sie produzieren auch Dankbarkeit.

Ein aus Sicht der Tabaklobby höchst willkommener Nebeneffekt der Zuwendung ist der "Bruderzwist unter den Tabakgegnern" (taz), der von der Rauchfrei-Kampagne ausgelöst worden ist. Angesprochen auf die Kritik an der Doppeldeutigkeit der Anzeigenmotive gab Elisabeth Pott, die Leiterin der Kölner Bundeszentrale, zur Antwort: "Das passiert ja häufiger, dass Anzeigen, die für Jugendliche entworfen wurden, von Älteren nicht verstanden werden." (taz, 7.8.2003) Den Vorwurf der Ignoranz hat Pott einen Tag später in einem Interview mit dem Tagesspiegel noch einmal bekräftigt:

Wer sich nicht oft mit Kommunikation beschäftigt, kann das missverstehen. Erwachsene begreifen es oft nicht: Um Jugendliche zu erreichen, sind unkonventionelle Mittel erlaubt.

Nachdem es der Bundeszentrale vertraglich untersagt worden ist, die Tabakindustrie zu diskriminieren, werden nun also die Gegner der Tabakindustrie verunglimpft. Schützenhilfe bekommt die Behörde dabei von der Zigarettenlobby. In der Deutschen Tabak Zeitung vom 8. August heißt es:

Von Verboten aller Art halten sie viel, von der menschlichen Psyche verstehen sie wenig: das bewiesen die versammelten Tabakgegner bei ihrem Treffen in Helsinki wieder einmal eindrucksvoll. Die derzeit laufende Aufklärungskampagne gegen das Rauchen, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in verschiedenen Medien gestartet wurde, missfiel den Antis ganz und gar. Sie vermissten den erhobenen Zeigefinger.

Die Allianz zwischen den Tabaklobbyisten und Deutschlands oberster Gesundheitsschützerin zeichnete sich bereits Ende letzten Jahres ab. Im November 2002 nahm Elisabeth Pott an einem Expertendialog teil, der von dem Konzern British American Tobacco veranstaltet und von dem ZEIT-Herausgeber Theo Sommer moderiert wurde. Auf dieser Veranstaltung hat sie sich darüber beklagt, dass die Prävention in Deutschland "traditionell unterbewertet und schlecht ausgestattet" sei. Trost und Zuspruch bekam Frau Pott von den anwesenden Vertretern der Zigarettenindustrie. Sie feierten das Abkommen zwischen der Tabakbranche und dem Gesundheitsministerium als Modellfall einer "Public Private Partnership". Trotz dieser neuen Partnerschaft muss man Frau Pott nicht unterstellen, das Image der Tabakkonzerne aufbessern zu wollen. Vielmehr tritt sie als Sprecherin der Jugend auf, wenn sie den Kritikern der Kampagne unterstellt, die Bravo-Leser für dumm zu verkaufen. Dabei scheint gerade die Leiterin der Bundeszentrale keine allzu hohe Meinung von der Intelligenz ihrer Zielgruppe zu haben. Schließlich beruht die gesamte Rauchfrei-Kampagne auf der Prämisse, die Jugendlichen wüssten nicht, wie teuer Zigaretten sind und welche Folgen ihr Konsum für die eigene Gesundheit haben kann.

Im Bett mit Politikern

Der wichtigste Effekt der neuen Partnerschaft zwischen den Gesundheitsbehörden und den Herstellern gesundheitsschädlicher Produkte besteht darin, dass die Präventionspolitik vorrangig auf das Instrument der Aufklärungskampagne ausgerichtet wird. Diese Prioritätensetzung kann man mit gutem Grund in Zweifel ziehen. So lassen die Erfahrungen in allen Ländern, in denen es in den letzten Jahrzehnten einen spürbaren Rückgang des Tabakkonsums gegeben hat, die Schlussfolgerung zu, dass strukturell ansetzende Maßnahmen wie Werbeverbote, Erhöhungen der Tabaksteuer oder die Ausweitung rauchfreier Zonen ungleich effektiver sind als Appelle an die Vernunft des Einzelnen.

Deutsche Bundesregierungen haben sich diesem internationalen Trend der Präventionspolitik bislang vehement entgegengestemmt. So hat die Kohl-Regierung jahrelang alle Versuche der EU sabotiert, einheitliche Richtlinien für ein Tabakwerbeverbot durchzusetzen. Die damaligen Regierungsparteien wurden in ihrer Blockadehaltung massiv von der Zigarettenlobby unterstützt. Das belegen interne Dokumente amerikanischer Tabakkonzerne, die 1998 nach einem Abkommen mit der US-Regierung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. In der Medizinzeitschrift Lancet erschien im April letzten Jahres eine erste Auswertung dieser Dokumente, die Hunderttausende von Textseiten umfassen. Demnach gehörten der CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler Helmut Kohl sowie der FDP-Politiker und EU-Kommissar Martin Bangemann lange Zeit zu den wichtigsten Ansprechpartnern von Philip Morris und anderen Zigarettenherstellern. Das Gerücht, dass Philip Morris auch zu den ominösen Parteispendern gehört, deren Namen Altkanzler Kohl bis heute beharrlich verschweigt, konnte durch die Auswertung der Industriedokumente bisher jedoch noch nicht erhärtet werden.

Die rotgrüne Bundesregierung hat nach ihrem Amtsantritt dort weitergemacht, wo die Vorgängerregierung aufgehört hatte. Besonders deutlich wird dies an der deutschen Haltung zu einer länderübergreifenden Regelung der Tabakreklame. Als sich das europäische Parlament 1998 für ein umfassendes Werbeverbot aussprach, legte Deutschland dagegen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof ein, mit der Begründung, eine entsprechende Regelung sei Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten.

Am 2. Dezember 2002 hat der EU-Ministerrat deshalb eine abgeschwächte Richtlinie verabschiedet. Doch selbst die soll nach dem Willen der Bundesregierung auf dem Rechtsweg außer Kraft gesetzt werden. Auch die Tabakkontroll-Konvention der Weltgesundheitsorganisation ist bei den deutschen Delegierten lange Zeit auf Ablehnung gestoßen. Erst als sich die völlige Isolierung Deutschlands unter den WHO-Mitgliedsstaaten abzeichnete, hat die Bundesregierung der Unterzeichnung der Rahmenkonvention zugestimmt. Zuvor war das in dem Abkommen vorgesehene Werbeverbot in eine unverbindliche Absichtserklärung umgewandelt worden, um den verfassungsrechtlichen Bedenken von deutscher Seite Rechnung zu tragen.

Höhepunkt des gesundheitspolitischen Hickhacks war jedoch der Ministerstreit um die Tabaksteuer im Mai dieses Jahres. Ulla Schmidt wollte die Steuer auf einen Schlag um 1 Euro pro Packung erhöhen. Das wäre ein wirklich wirksamer Beitrag zum Jugendschutz gewesen. Jugendliche reagieren nämlich aufgrund ihres geringen Einkommens erfahrungsgemäß besonders sensibel auf eine drastische Verteuerung von Zigaretten.

Obwohl die Pläne der Gesundheitsministerin Umfragen zufolge von zwei Dritteln der Bundesbürger befürwortet wurden, konnte sich Ulla Schmidt damit nicht gegen ihren Kollegen Hans Eichel durchsetzen. Im Finanzministerium befürchtete man, dass eine drastische Verteuerung viele Raucher dazu veranlasst hätte, sich das Rauchen abzugewöhnen. Die erhofften Steuermehreinnahmen wären dann ausgeblieben. Deshalb wurde letztlich eine stufenweise Erhöhung bis zum Jahr 2005 beschlossen. Der SPD-Fraktionschef und Zigarillo-Raucher Franz Müntefering begründete diese Entscheidung denn auch mit dem Argument, sie würde "nicht sehr viel am Verbraucherverhalten" ändern. Welchen Sinn macht eine von der Industrie finanzierte Aufklärungskampagne, wenn es das erklärte Ziel der Regierungspolitik ist, den Tabakkonsum möglichst wenig einzuschränken?

Die Zuwendung der Tabakindustrie an das Bundesgesundheitsministerium wird in Raten gezahlt, die sich über einen Zeitraum von fünf Jahren verteilen. Gemessen an einem jährlichen Werbeetat von rund 300 Millionen Euro ist eine karitative Investition von knapp 2,4 Millionen Euro pro Jahr für die Tabakkonzerne in Deutschland ein Bagatellbetrag.

Wenn man sich den Prestigegewinn und den politischen Profit vor Augen führt, den sich die Zigarettenhersteller mit dieser Summe erkauft haben, dann könnte man die Finanzierung der "Jugendschutz-Kampagne" für eine geniale Marketingidee halten. Tatsächlich handelt es sich jedoch nicht um einen Geniestreich, sondern um ein Plagiat. Die Urheberrechte an dieser Marketingidee stehen dem amerikanischen Schriftsteller Christopher Buckley zu.

In seinem 1996 ins Deutsche übersetzten Buch "Thank you for Smoking" beschreibt Buckley den Berufsalltag der Lobbyisten in Washington. Nick Naylor, der Held des Romans, setzt sich als Pressesprecher der Tabaklobby mit den Anfeindungen der Tabakkontroll-Initiativen auseinander. Um seine Gegner in die Defensive zu zwingen, kündigt Naylor in einer Talkshow eine Fünf-Millionen-Dollar-Kampagne der Zigarettenindustrie an, "die darauf abzielt, die Kids vom Rauchen abzuhalten." Seine Bosse sind zunächst verstimmt, weil die Höhe der Summe nicht abgesprochen war. Doch der enorme Publicity-Erfolg gibt Naylor Recht. Was die Tabakbosse vollends besänftigt, ist die Gestaltung der Anzeigenserie. Naylor tüftelt mit einem Werbedesigner so lange herum, bis sie ein Motiv gefunden haben, das sich als "trojanischer Rohrkrepierer" eignet. Die Anzeige ist so harmlos, dass sie nicht wirklich vom Rauchen abschreckt (darum "Rohrkrepierer"). Zugleich enthält sie eine unterschwellige Botschaft, die das Rauchen glamourisiert (darum "trojanisch").

Christopher Buckley kennt den Medienbetrieb und das Geschäft der Politik aus eigener Erfahrung. So hat er eine Zeit lang als Redenschreiber für George Bush sen. gearbeitet. Sein Buch "Danke, dass Sie hier rauchen" ist eine Satire, d.h. eine witzig zugespitzte Darstellung der Realität. Wenn die Wirklichkeit von sich aus, also ohne Zutun eines Autors, aberwitzige Züge annimmt, spricht man von einer Realsatire. Was aber, wenn - wie im Fall des Buckley-Buches und der Rauchfrei-Kampagne - eine Satire zur Vorlage für die Realpolitik wird? Für dieses Genre muss eine Gattungsbezeichnung erst noch erfunden werden.