"Erlaubnis zum Berichten" für Palästinenser

Zum Tod von Edward Said, dem palästinensischen Intellektuellen

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Seine Identität blieb ihm oft selbst rätselhaft. Edward Said war Palästinenser, Amerikaner und heimatlos. Er arbeitete als Professor für English und Comparative Literature an der Columbia-Universität und war dem Kampf gegen den Kolonialismus verpflichtet. Vor allem aber ist er als Kritiker der herrschenden Weltordnung bekannt geworden (The Edward Said Archive).

"Edward Said war für die arabischen Amerikaner, die Araber im Nahen Osten und in der ganzen Welt eine herausragende Figur", so Mary Rose Oakar, Präsidentin des Anti-Discrimination Committee (ADC) in den USA in einem Nachruf. Said gab den Palästinensern eine Stimme, geliebt von den Unterdrückten und gehasst von den Mächtigen.

Edward Wadi' Said kam 1935 in Jerusalem im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina zur Welt und wuchs in Ägypten auf. Sein Vater schickte ihn zum Studium in die USA, mit 35 war er Professor. Bereits Anfang der siebziger Jahre nahmen Überlegungen Saids Form an, die den europäischen und nordamerikanischen Blick auf die arabischen Völker verändern sollten und 1978 als Buch veröffentlicht wurden. "Orientalismus", die unzweifelhaft einflussreichste Arbeit Saids, erzählt die Geschichte der europäischen Aufklärung und Moderne neu. Er beschreibt die Entstehung der Wahrnehmung des "Orients" und der "Orientalen" vor dem Hintergrund der kolonialen Realität und zeigt, wie das kulturelle Herrenmenschentum in Forschung und Geschichtsschreibung der imperialen Mutterländer auch heute noch unser Bild von den arabischen Völkern bestimmt. "Orientalismus" wurde zum Ausgangspunkt eines ganzen Forschungszweigs. Der "Orientalist" als Wissenschaftler mit Spezialgebiet wurde als rassistischer Pfuscher entlarvt. Die Demaskierung der vulgärwissenschaftlichen Veröffentlichungen Peter Scholl-Latours und Gerhard Konzelmanns in Deutschland ist Teil dieser Entwicklung, die heute allerdings wieder in die Vergessenheit gerät.

"Gewalttätige" Palästinenser

Nigel Parry, der sich Mitte der neunziger Jahre am Aufbau des palästinensischen Internet beteiligte und heute Electronic Intifada mitgestaltet, sieht Saids Forderung einer "Permission to Narrate", der Erlaubnis zum Berichten für die Palästinenser, als entscheidend an. Israel versagt den Palästinensern nicht nur ihr Selbstbestimmungsrecht und kontrolliert nicht nur alle Lebensbereiche der Menschen unter seiner Besatzung. Sie erhielten auch lange nicht den Raum zur Darstellung ihrer eigenen Wahrnehmung des Konflikts.

Das Internet brachte zwar eine Verbesserung, die Informationslage wird aber immer noch stark von der israelischen Seite dominiert, auch in Deutschland. Ein regelmäßiger Vergleich von Ha'aretz Online mit den Meldungen der Nachrichtenagenturen, auf Yahoo! beispielsweise, zeigt, wie das Gros der leicht zugänglichen Informationen über den Nahostkonflikt zustande kommt. Fortschrittliche Ha'aretz-Journalisten machen selbst immer wieder auf den Einfluss des Militärs auch in ihrem Organ aufmerksam. Die Pressemeldungen der Armee werden oft als neutrale Nachrichten übernommen, ohne Quellenangabe oder Recherche. Dasselbe gilt oft für die Gewichtung der israelischen Medien. Palästinensische Tote sind weniger wichtig. Palästinenser sind "extremistisch" und "gewalttätig", eine Zuschreibung, die eher zum Zwölfjährigen passt, der seine Mitschüler bedroht. Palästinenser scheinen den Tod verdient zu haben.

Wenn ein "bewaffneter Palästinenser" - bereits diese Definition klingt unmoralischer als "israelischer Soldat" - gegen jüdische Siedler auf seinem eigenen Land vorgeht, wird das schnell als ungerechtfertigter "Angriff" erkannt. Wenn aber die israelische Armee gegen von ihr gesuchte Palästinenser vorgeht, in dicht besiedeltem palästinensischen Gebiet, wird das dem israelischen Sicherheitsbedürfnis angerechnet, Tote inklusive. Den israelischen (und palästinensischen) Medien als Teil einer Konfliktpartei kann der Vorwurf der einseitigen Berichterstattung nur schwer gemacht werden. Auf den internationalen Agenturen, die sich der neutralen Berichterstattung verschrieben haben, lastet allerdings mehr Verantwortung. Dies war das Credo Edward Saids.

Das Publikum hat den Fokus der Informationslieferanten übernommen. Die westlichen Korrespondenten für Israel und die palästinensischen Gebiete, zumindest die mit Festanstellung, leben in Israel und fahren nur in Ausnahmefällen in die besetzten Gebiete. Die Konsumenten empfinden das offenbar als Normalzustand. Einseitige, pro-israelische Berichterstattung wird dem Journalisten mit Adresse in Tel Aviv nicht vorgeworfen. Im Gegensatz dazu scheint ein Wohnsitz in Ramallah, Dschenin oder Gaza automatisch zu "pro-palästinensischer Fehlinformation" zu verleiten.

Kritik an arabischen Regimes

Von 1977 bis 1991 war Edward Said unabhängiges Mitglied im Palästinensischen Nationalrat, dem palästinensischen Parlament im Exil, und unterstützte Jassir Arafat als "Kopf einer authentisch nationalen, breiten Bewegung, mit dem legitimen Ziel der Selbstbestimmung für die Palästinenser". Er kritisierte die von Israel dominierten Verhandlungen von Madrid, eine rein palästinensische Delegation war nicht zugelassen, und überwarf sich mit Arafat endgültig, nachdem dieser 1993 die Osloer Autonomieverträge mit Israel unterschrieb. Sie gaben den Palästinensern, nach Ansicht Saids, zu wenig Territorium und zu wenig Kontrolle darüber. Die spätere Entwicklung gab ihm recht. Israel verdoppelte in den sieben Friedensjahren die jüdische Bevölkerung in den besetzten Gebieten und schränkte die Mobilität der Palästinenser immer mehr ein. Er kritisierte den autoritären Führungsstil Arafats und die undemokratischen Verhältnisse in seinem Herrschaftsbereich.

Said verfasste regelmäßig Abrechnungen mit arabischen Regimen in der ägyptischen Wochenzeitung Al-Ahram. "Edward Said zu lesen macht traurig und ängstlich", schrieb ein Leser im Juni. Der Autor öffnete ihm die Augen darüber, wie stark sich die arabischen Herrscher an der "Dominanz des Westens" und der Unterdrückung ihrer eigenen Bevölkerungen beteiligen. Diese Anklagen bleiben nun aus. Edward Said verstarb am Donnerstag in New York an Leukämie.

Peter Schäfer, Ramallah