Smarter SMART-1 ist auf dem Weg zum Mond

Mit dem heute geglückten Start der ersten europäischen Raumsonde zum Mond schlug die ESA ein neue Seite im Buch der Raumfahrtgeschichte auf

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Um 1.14 Uhr (MESZ), den 28. September 2003, war der Jubel im europäischen ESOC-Kontrollzentrum der ESA in Darmstadt unbeschreiblich, war doch der Start der Forschungssonde SMART-1 ("Small Missions for Advanced Research in Technology") vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana mit der nicht gerade erfolgsverwöhnten Ariane-5-Trägerrakete so bilderbuchmäßig wie lange nicht mehr. 44 Jahre nach der ersten Mondlandung einer sowjetischen Sonde schickte jetzt Europa seinen ersten Gesandten zum Mond. Einen irdischen Roboter, dessen wissenschaftliches Forschungsprogramm ausgesprochen ehrgeizig ist. Denn die 367 Kilogramm leichte Sonde soll den Mond aus einer Umlaufbahn genauer unter die Lupe nehmen als jedes Raumfahrzeug zuvor. Neben der Erforschung der Mondgeologie steht vor allem der Testlauf eines neuen revolutionären Antriebssystems im Vordergrund. Erstmals soll ein Ionentriebwerk als Hauptantrieb zum Einsatz kommen, auf dessen Grundlage Reisen zu den inneren Planeten des Sonnensystem und selbst Reisen in den Kuipert-Kometengürtel hinter dem Pluto möglich werden sollen.

Start von Ariane 5 mit Smart-1. Bild: Arianespace

Als sich der amerikanische Apollo-Astronaut Eugene Cernan am 12. Dezember 1972 mit wenig prosaischen Worten vom Mond verabschiedete und ein letztes Mal auf die bizarre von Kratern durchzogene wüstenartige Landschaft und den feinen mehligen Sandstaub blickte, konnte seinerzeit kein Mensch ahnen, dass er der letzte Mensch des 20. Jahrhunderts sein sollte, der seinen Fuß auf einen fremden Himmelskörper setzte. Damals befand sich das Apollo-Programm zwar schon in einer kleineren Krise; doch dass alle weiteren angedachten bemannten Mondmissionen so schnell auf Nimmerwiedersehen im Haushaltsloch der NASA verschwinden würden, überraschte viele dann doch.

Der Mond - ein Buch mit sieben Siegeln

Dass seit 31 Jahren kein irdisches Lebewesen, keine Landefähre mehr den weißen samtenen Mondstaub aufwirbelte, schmerzt heute umso mehr, weil selbst die sechs erfolgreichen bemannten Apollo-Mondlandungen und diversen unbemannten Raumsonden-Missionen es nicht vermochten, dem Mond seine Geheimnisse vollends zu entreißen. Der erdnächste fremde Himmelskörper ist nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln, wie auch SMART-1-Projektwissenschaftler Bernard Foing bestätigt. "Unser Wissen über den Mond ist erstaunlich lückenhaft." Besonders die erdabgewandte Seite des Mondes, aber auch seine Polregionen sind weitgehend unerforscht. Und obwohl in den 90er-Jahren zwei Orbiter indirekte Anzeichen für das Vorhandensein von Wasser fanden, konnte die Anwesenheit von Wassereis bislang nicht bestätigt werden. "Wir wissen nicht einmal mit Sicherheit, wie der Mond überhaupt entstanden ist", fügt Foing hinzu.

Da detaillierte Daten über die Zusammensetzung der Mondkruste fehlen, vermochte bisher auch die aktuelle Mondentstehungs-Theorie nicht zu überzeugen, wonach der Mond seine Geburt einer kosmischen Katastrophe verdankt, als vor etwa 4,5 bis 4,6 Milliarden Jahren die Erde mit einem marsgroßen Himmelskörper kollidiert sein soll.

Smart-1. Bild: Esa

Was bislang noch blanke Theorie ist, soll alsbald mit SMART-1 Gewissheit werden. Tatsächlich stehen die Chancen nicht schlecht, dass SMART-1, die erste Raumsonde der ESA, die heute gemeinsam mit zwei kommerziellen Satelliten um 01.14 Uhr (MESZ) an Bord einer Ariane-5-Rakete vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana abhob, in absehbarer Zeit die "lunaren" Wissenslücken schließt und in die noch unerforschten dunklen Krater des Mondsüdpols blickt und Ausschau nach Spuren von Wassereis hält, ja sogar Informationen über einen geeigneten Standort für eine Mondstation sammelt.

Kompakte Raumsonde - kompaktes Forschungsprogramm

Der smarte SMART-1 verkörpert den Prototyp des neuen ESA-Programms Small Missions for Advanced Research and Technology, bei dem es um die Erprobung innovativer Technologien für Wissenschaft, Forschung und deren Anwendung geht. Ziel des Programms ist es, neue Lösungen zu finden, um die Kosten für Weltraummissionen zu senken, der europäischen Industrie Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und die Spitzenposition der europäischen Raumfahrt in technischem Know-how zu verteidigen. Hauptaugenmerk wird daher auf die Miniaturisierung gelegt. So steht SMART-1 auch für klein, kostengünstig (Missionskosten: 110 Millionen Euro) und kompakt.

Das Ziel. Bild: Esa

Kompakt sind vor allem die zehn wissenschaftlichen Experimente, die primär Aufschluss über die (exo-)geologische Beschaffenheit und Topographie des Mondes geben sollen. Unter der wissenschaftlichen Nutzlast, die gerade mal 17 Kilogramm auf die Waage bringt, befinden sich leistungsstarke Röntgen- und Infrarot-Spektrometer sowie eine hochauflösende Kamera, die die Mondoberfläche über sechs Monate hinweg präzise kartographieren sollen. SIR etwa, das unter der Federführung des Max-Planck-Instituts für Aeronomie in Katlenburg-Lindau gebaute Infrarot-Spektrometer soll die mineralogische Zusammensetzung der Mondoberfläche anhand der reflektierten Infrarotstrahlung systematisch untersuchen. Das nur 2 Kilogramm schwere Instrument arbeitet auf bis zu 266 unterschiedlichen Wellenlängen und erlaubt so eine detaillierte Analyse des Gesteins. Flankiert wird SIR von dem hochauflösenden Röntgenspektrometer D-CIXS, das den Mond im kurzwelligen Röntgenbereich vollständig kartographieren und chemisch analysieren soll.

Hohe Erwartungen werden auch an das extrem kompakte Kamerasystem AMIE geknüpft. Dank verschiedener Filter liefert die nur 450 Gramm schwere Farbkamera hochauflösende Bilder der Mondoberfläche - sowohl im sichtbaren als auch im UV- und im nahen Infrarot-Bereich. Zudem wird die Mondoberfläche aus verschiedenen Winkeln heraus fotografiert. AMIE soll vor allem Informationen über die Topographie und Struktur der Mondkruste liefern. Anhand der multispektralen Daten dieser drei Instrumente können dann sehr präzise dreidimensionale Karten und Darstellungen der Mondoberfläche errechnet werden.

SMARTs Hauptauftrag: Test des neuen Ionentriebwerks

Das Hauptziel der SMART-1-Mission ist jedoch ein ganz anderes. Getestet werden soll nämlich ein neuartiges solar-elektrisches Antriebssystem, das in Zukunft die interplanetare Raumfahrt beflügeln soll: der so genannte Ionenantrieb, der mit zehnmal höherer Effizienz als der herkömmliche chemische Antrieb arbeitet. Dieser erlaubt völlig neue Navigationsmöglichkeiten und damit Bahnmanöver, die bei künftigen solaren und interplanetaren ESA-Missionen wie etwa dem Solar Orbiter (Start 2010) und BepiColombo zum Merkur (Start 2012) zum Einsatz kommen soll.

Ionen-Antrieb von Smart-1. Bild: Esa

Während bei einer konventionellen Rakete die Triebwerke nach dem Rückstoßprinzip arbeiten, bei dem ein durch eine Düse gerichteter Antriebsstrahl die Rakete oder den Raumflugkörper vorwärts treibt, erfolgt bei einem Ionenantrieb die Beschleunigung der Masseteilchen durch elektrische Energie. Diese wird meist über Solarzellen aus Sonnenenergie gewonnen.

Das Ionentriebwerk von SMART-1, das von der französischen Firma Snecma gebaut wurde, hat zwar aufgrund des hohen Energiebedarfs für die Beschleunigung der Masseteilchen eine geringe Schubkraft, kann dafür aber über viel längere Zeiträume arbeiten als konventionelle chemische Triebwerke: ununterbrochen über viele Monate.

Schnelligkeit ist nicht Trumpf

Bei dem Flug zum Erdtrabanten ist Schnelligkeit nicht Trumpf. Wofür eine Raumsonde mit gewöhnlichem chemischen Antrieb, wie beispielsweise einst der Lunar Prospector etwa nur drei Tage benötigte, braucht SMART-1 glatte 16 Monate, obwohl die Sonde bis zu 16.000 Stundenkilometer schnell ist.

Die Erklärung für die augenscheinliche Bummelei liegt im Hauptziel der Mission. Dass nämlich der Flug zum Mond gleich dreimal länger dauert als die interplanetare Exkursion von MARS EXPRESS zum Roten Planeten, hängt damit zusammen, dass SMART-1 eine Reihe von komplizierten Manövern und Vorbeiflügen am Mond meistern muss, bevor er seine endgültige Position im Mondorbit einnehmen kann. SMART-1, der zunächst auf eine erdnahe Umlaufbahn geschossen wurde, wird sich nämlich von hier aus in den nächsten Monaten in einer elliptischen Flugbahn allmählich zum Mond emporschrauben.

Flugbahn zum Mond. Bild: Esa

Zu guter Letzt trägt aber auch der Testlauf des Triebwerks zu der vermeintlichen "Verzögerung" bei. Schließlich geht es darum, eine Technologie zu erproben, die noch in den Kinderschuhen steckt, wie ESA-Analytiker Michael Khan bestätigt: "Wir haben eineinhalb Jahre Zeit zu lernen, wie ein Raumfahrzeug mit geringem Schub funktioniert".

Erst im Januar 2005 wird SMART-1 vom Schwerefeld des Mondes eingefangen und beginnt unter Einsatz seines Triebwerks, die Geschwindigkeit sowie die Höhe ihrer Mondumlaufbahn zu verringern. Dabei senkt SMART-1 bei jedem Umlauf die Flugbahn, bis die Sonde im Februar/März 2005 in eine polnahe Umlaufbahn um den Mond einschwenkt und mit der detaillierten Erkundung des Erdtrabanten beginnt.

Nicht mehr Energie als ein Föhn

Da ionengetriebene Raumsonden wenig Treibstoff benötigen, steht an Bord mehr Platz für wissenschaftliche Instrumente zur Verfügung. "Solar-elektrische Antriebstechnik ebnet daher den Weg für die Erkundung der inneren Bereiche unseres Sonnensystems, weil man dort die unerschöpflichen Energien der Sonne anzapfen kann", betont Giuseppe Racca, der ESA-Projektleiter von SMART-1.

Eine mit einem Ionenantrieb bestückte Raumsonde wie SMART kommt in der Tat mit einem Bruchteil der Treibstoffmenge aus. Bei SMART-1 sind es gerade einmal 70 Kilogramm Xenon-Edelgas, das in einem dünnen fortwährenden Strahl aus dem Triebwerk strömt. Das Ionentriebwerk von SMART 1 arbeitet dabei mit Strom, der über die beiden 14 Meter langen bordeigenen Solarpanele erzeugt wird. Diese liefern 1,9 kW Strom, wovon 75 Prozent für den solar-elektrischen Antrieb genutzt werden. Der Antrieb verbraucht also nicht mehr Energie als ein Föhn. Mit dieser Energie werden die Xenon-Gasatome ionisiert. Der Schub, den das Triebwerk erzeugt, wird von der ESA mit 0,07 Newton angegeben. Damit ließe sich auf der Erde gerade einmal eine Postkarte anheben.

Nächstes kritische Manöver steht kurz bevor

Auf jeden Fall ist der Optimismus jetzt groß. "Die Erkenntnisse des Fluges werden den Bau künftiger Satelliten und Sonden entscheidend beeinflussen", freut sich ESOC-Leiter Jean-Francois Kaufeler. SMART sei mit einer Entwicklungszeit von vier Jahren viel schneller und mit einem Gesamtpreis von 110 Millionen Euro nur ein Fünftel so teuer wie vergleichbare frühere Projekte.

Trotz aller Vorfreude steht aber bereits in eineinhalb Tagen die nächste kritische Missionsphase an: die erste Zündung des Ionentriebwerks. Dies nimmt eine Schlüsselposition bei der Aktivierung aller Bordsysteme ein, da ein Fehlschlag bereits das Ende der Mission einläuten würde. SMART-1 könnte dann den Mond niemals erreichen.

Solange SMART-1 auf Dienstreise ist, ist eine Landung auf dem Erdtrabanten übrigens nicht vorgesehen. Erst nach "Dienstschluss" wird der Sonden-Veteran irgendwann mit dem guten alten Mond in direkten Kontakt treten und erst dann hoffentlich (und nicht vorher) eine glatte Bruchlandung hinlegen. Na dann, Blech- und Beinbruch, smarter SMART!