Größtmögliche Gemeinheit

Tag der Einheit ist auch Tag des Flüchtlings

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Der 3. Oktober ist Deutschlands Feiertag und Tag des Flüchtlings. Innerhalb der Tagespresse blieb es der taz vorbehalten, sich auf 12 Seiten recht gründlich der Situation von Flüchtlingen in Deutschland und weltweit zu widmen. Flüchtlinge und Asyl, das sind in dem, im Weltvergleich noch immer unverschämt reichen Deutschland, keine Themen für Spitzenpolitiker - sie bringen keine Quote. Im Gegenteil: Der für sie zuständige Innenminister Schily zelebriert in Presseerklärungen jeden Rückgang der "Asylantragszahlen".

Ein Blick in die Presserklärungen seines Ministeriums aus den letzten Monaten: Am 6.8. 03 vermelden Schilys Presseleute :"Asylzugang unverändert auf niedrigem Niveau". Einen Monat später die nächste Erfolgsmeldung: 8.9.03 "Asylbewerberzahlen verringern sich weiterhin".

Wörtlich heißt es im Pressetext:

Im August 2003 haben in Deutschland 3.548 Personen Asyl beantragt. Die Zahl der Asylbewerber ist damit gegenüber dem Vormonat um 980 Personen (- 21,6 Prozent) und gegenüber dem Vorjahresmonat August um 2.232 Personen (- 38,6 Prozent) gesunken. In den bisherigen acht Monaten des Jahres gingen die Asylerstanträge im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 13.331 (- 27,8 Prozent) zurück. Der Asylbewerberzugang im August 2003 ist der niedrigste Monatszugang in diesem Jahr.

Für die möglichst schnelle Abschiebung jener Flüchtlinge, die es dennoch bis nach Deutschland geschafft haben, ist eine dem Innenministerium nachgeordnete Behörde zuständig, die noch immer den irreführenden Namen "Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge" trägt.

Vergewaltigung kein "Asylgrund"

Auf den Sonderseiten der taz verdeutlicht Andrea Kothen, Referentin bei Pro Asyl, welche Schicksale sich hinter den Fallakten dieser Behörde verbergen können. Sie zeigt, die Ablehnung eines Asylantrags ist kein Beweis dafür, dass der Antrag unbegründet war.

Mit dreizehn Jahren erlebt Islam H. in Tschetschenien, wie sein Vater zwischen zwei Armeefahrzeuge gespannt und auseinandergerissen wird. Als junger Mann wird er von Soldaten zwei Tage lang in ein leeres 200-Liter-Benzinfass gesteckt. Sein Bruder kauft ihn frei und wird kurz darauf ermordet. Der Asylantrag von Islam H. wird abgelehnt. Begründung: Der Antragsteller will nach zwei Tagen wieder frei gelassen worden sein. Es ist offensichtlich, dass ein weiteres Zugriffsinteresse auf (ihn) seitens des russischen Militärs nicht erkennbar ist.

Im Fall der 15-jährigen Äthiopierin Hanna S., die von fortwährenden Vergewaltigungen bericht, stellt das Bundesamt fest, dass es sich zwar um einen schweren Verstoß gegen die Menschenwürde handeln könnte. "Vor solchen Gefährdungen sind aber leider Frauen in keinem Land der Erde sicher."

Bruchbuden als Abschreckungsmaßnahme

Für den Vollzug des Asylgesetzes sind die Bundesländer zuständig. Wer es also über die Landesgrenzen - oder aus dem internationalen Niemandsland eines deutschen Flughafens - ins "Asylparadies" Deutschland geschafft hat, wird in die verschiedenen Bundesländer verteilt. Auch die Bundesländer bemühen sich nach Kräften, die ungebetenen und zudem kostspieligen "Gäste" möglichst schnell wieder los zu werden.

So werden beispielsweise in Köln, der Stadt des Karnevals und des rheinischen Frohsinns Flüchtlinge seit Jahren auf einem dreckigen Schiff auf dem Rhein untergebracht. Aber wenigstens sind sie in Köln in einer Großstadt und unter Menschen. Noch härter erwischt es aber jene, die nach Thüringen "ins kalte Herz Deutschlands" oder etwa nach Brandenburg verteilt werden. Da kann es schon mal vorkommen, dass Afrikaner in einem von Nazis bewachten Asylheim landen (vgl. Neonazis in Securityfirmen)

In Thüringen wird keine Anstrengung gescheut, den Flüchtlingen das Leben schwer zu machen. Das beginnt bereits bei der "landesspezifischen" Unterbringung, die bevorzugt in unzugänglichen, ehemaligen Kasernenanlagen erfolgt. Meistens befinden sich diese stets baulich heruntergekommenen Gemäuer weit ab von der nächsten Ortschaft, gerne mitten in einem Wald, umgeben von Stacheldraht. Diese Drahtverhaue dienen angeblich dem "Schutz" vor der oft kahlköpfigen Dorfjugend aus den umliegenden Orten, wurde aber zum Beispiel im Lager bei Tambach-Dietharz seltsamerweise vor dem Zaun, also im Innern des Lagers angebracht.

Aber auch sonst zeigt sich die CDU-Regierung des Freistaates Thüringen hartherzig wenn es um "Asylanten" geht. Anlässlich des "Tags des Flüchtlings" verlieh der Flüchtlingsrat Thüringen am 2. Oktober 03 einen "Preis für die größt-mögliche Gemeinheit" an die CDU-Landtagsfraktion, weil sie sich konstant weigert, für Flüchtlingskinder die Schulpflicht einzuführen.

So piepegal wie den Thüringer CDU-Politikern ausländische Flüchtlingskinder sind, so egal war ihnen auch der Preis. Die CDU-Politiker ließen die Urkunde und den Preis - eine Schultüte mit einem Plakat "Alle Kinder haben Rechte" und einen Auszug aus der UN-Kinderrechtskonvention - in der Landtagskantine liegen. Es gab lediglich ein unverbindliches Gespräch zwischen einem Bildungspolitiker der CDU-Fraktion und Vertretern des Flüchtlingsrates. Dessen Ergebnis Roland Wanitschka aus Sicht des Flüchtlingsrates kommentierte:

Wir bedauern außerordentlich, dass selbst die Bildungspolitiker der CDU-Fraktion die Augen vor den Problemen verschließen, die durch die fehlende Schulpflicht für Kinder von Asylsuchenden entstehen: fehlende Förderung der Kinder, eingeschränkter Zugang zu weiterführenden Schulen, fehlende Zeugnisse und in Einzelfällen sogar der gänzliche Ausschluss von der Schule

Wenn Flüchtlinge selbst auf ihre Situation aufmerksam machen und zum Beispiel in Berlin oder sonstwo in der Bundesrepublik demonstrieren wollen, spüren sie recht schnell die für Asylbewerber geltenden deutschen Sondergesetze. So gilt für diese Gruppe der Bevölkerung eine "Residenzpflicht," die besagt, dass Flüchtlinge ohne besondere Erlaubnis des jeweils zuständigen Ausländeramtes ihren Landkreis nicht verlassen dürfen. Dies führte lange Zeit dazu, dass Flüchtlinge eines inzwischen aufgelösten Waldlagers nicht in die nur wenige hundert Meter entfernte nächste Telefonzelle gehen durften: Denn die befand sich bereits auf dem Gebiet eines Nachbarlandkreises. Wenn sonst nichts anlag oder bestimmte Polizeibeamte Lust verspürten, Ausländer zu ärgern, wartete an der Zelle ein Streifenwagen auf Telefonierwillige - also "Gesetzesbrecher".

Die beabsichtigte Teilnahme an Demonstrationen wird in einzelnen Bundesländern grundsätzlich behindert. Als beispielsweise 35 Leute aus dem Lager Freienbessingen im Sommer dieses Jahres zum Grenz-Camp nach Köln wollten, verweigerte die Ausländerbehörde Sondershausen die Ausstellung der Papiere zum Verlassen des Landkreises. Die Lebensbedingungen in Freienbessingen beschreibt ein engagierter Flüchtlingshelfer in einem Brief:

Im thüringischen leben ca.300 Asylbewerber unter menschenunwürdigen Bedingungen. Das Asylbewerberheim Freienbessingen befindet sich etwa 25 Kilometer südwestlich von der Kreisstadt Sondershausen. Das Heim befindet sich direkt an der Grenze zum Unstrut-Hainich-Kreis. Zur Ortschaft Freienbessingen sind es etwa zwei Kilometer-ein kleines Dorf mit wenig Infrastruktur. Bis zum nächsten Hausarzt müssen die Menschen nach Ebeleben, die Kleinstadt ist vom Heim 12 Kilometer entfernt. Die Leute erhalten nur 40 € Taschengeld bar ausgezahlt. Lebensmittel müssen sie mit einer Chipkarte bezahlen, die nicht jedes Geschäft akzeptiert. Der Komplex besteht aus zwei größeren Wohnblocks . In einem Block verfügen Familien in separaten Wohnungen über eigene Toiletten und Küchen und jeweils drei bis vier Zimmer. Im anderen Block sind drei bis vier Bewohner in jeweils einem Raum von ca.20-25 Quadratmetern untergebracht. Um ein wenig Privatsphäre zu haben, werden die Kleiderschränke als Raumteiler benutzt. Die Gebäude machen den Eindruck, als ob nach dem Auszug des Militärs dort keine baulichen Veränderungen vorgenommen wurden... Das Leitungswasser ist oft kalt. Ein Bewohner von Block 1,der im fünften Stock wohnt, berichtete, dass er zehn Tage kein warmes Wasser hatte, weil der Druck in der Leitung nicht ausreichte. Seine Familie musste im 100 Meter entfernten Block 2 duschen gehen.... ... Am unerträglichsten sind für die hier lebenden Menschen die Abgeschiedenheit und der eintönige Tagesablauf. Die Bewohner wollen nicht jeden Tag immer nur das gleiche Umfeld und die gleichen Leute sehen. Sie brauchen Abwechslung! Den Umgang der Behörden schätzen die meisten als entwürdigend ein. Deren Mitarbeiter sind oft unfreundlich. Um jede Sache müssen die Leute betteln. Auf Krankenscheine muss oft lange gewartet werden. Viele Bewohner lassen Arzttermine verfallen, weil sie das Fahrgeld von 8,80€ nicht haben.

Aus anderen Parlamenten waren auch nachdenkliche Stimmen zum Thema "Flüchtlinge" zu vernehmen Im Hessischen Landtag kritisierte die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Petra Fuhrmann den kurz zuvor bekannt gewordenen Rauswurf der kirchlichen Träger aus dem Flughafensozialdienst. Der seit 25 Jahren bestehende Vertrag mit Caritas und Evangelischem Sozialverband zur Betreuung und Begleitung von Flüchtlingen am Flughafen war von der Regierung Koch gekündigt worden.

Man könnte außerdem den Eindruck gewinnen, dass damit auch die durchaus kritische Begleitung des Flughafenverfahrens durch die beiden kirchlichen Organisationen verhindert werden soll. Das Land will sich offenbar nicht mehr in die Karten sehen lassen. Kritische Begleitung ist nicht erwünscht, konstruktive Berater sollen mundtot gemacht werden.

Petra Fuhrmann

Im NRW-Landtag fragte sich die Grüne Innenpolitikerin Monika Düker (MdL):

Was geht in den Köpfen der Menschen vor, die als Flüchtlinge oder AsylbewerberInnen nach Deutschland gekommen sind, wenn sie am internationalen Tag des Flüchtlings, die Feierlichkeiten zum "Tag der deutschen Einheit" beobachten?

Die Frage ist berechtigt.