AIDS, der Mossad und Idi Amin

Eine Anatomie der Paranoia

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Entlarvt: Das AIDS-Virus entstammt nicht dem afrikanischen Urwald, sondern den Genlabors der US-Militärs. Es wurde zunächst an Homosexuellen ausprobiert, bevor es der Mossad in die Hände bekam und nach Afrika schmuggelte, um dort dem israelfeindlichen Diktator Idi Amin zu schaden. Auch der Milzbrandattentäter nach 9/11 war ein Maulwurf des Mossads.

Jemand, der die Verursacher einer konkreten Angst hinter jeder Häuserecke vermutet, heißt paranoid. Bei Paranoiden rückt die Beschäftigung mit den vermeintlichen Urhebern der Angst in den Vordergrund, und die eigentliche, die ursprüngliche Angst tritt zurück. Paranoia ist kompensierte Angst auf Kosten anderer. Eine Verschwörungstheorie ist das, was passiert, wenn Paranoia auf einen rationalen Geist trifft.

Paranoia hat einen Gegenstand

Es geschah dies vor dem Hintergrund einer Polizeirazzia (...) in der Schwulenbar 'The Stonewall' (...) Am nächsten Tag [29.6.1969, d.A.] protestierten über 2000 Homosexuelle und Lesben in der Christopher Street (...) Zehn Jahre später tauchte am selben Ort ein völlig neues Virus auf: AIDS.

Wolfgang Eggert, "Die geplanten Seuchen"

Am Grunde einer Paranoia liegt Angst vor Dingen, die sich der eigenen Kontrolle entziehen. Der Romanautor Thomas Pynchon lässt in "Die Enden der Parabel" seinen Helden Slothrop wie getrieben durch das Nachkriegseuropa streunen, verfolgt von Leuten, die hoffen, dass er sie zu einer angeblichen deutschen Superrakete führt, von der keiner genau weiß, was es damit eigentlich auf sich hat. Viele dieser paranoiden Verfolger waren wie Slothrop während dem Krieg in London und erlebten dort die deutschen Angriffe mit V2-Raketen - "die erst explodieren, bevor man sie kommen hört" (d.h. sie sind schneller als der Schall). Jeden konnte eine V2 treffen, und wenn man gerade in die falsche Richtung kuckte, bemerkte man sie nicht einmal, bevor sie einem den Schädel einschlug.

Auch Krankheitserreger sieht man nicht kommen. Man fängt sie sich ein, ohne zu wissen woher. Eine Seuche ist plötzlich da und verbreitet Leid. Ihre Erreger sind unsichtbar, tödlich. Der Zustand, in den eine Gesellschaft durch eine Seuche versetzt wird, ist untragbar, nicht zu akzeptieren. Zu aller Zeit brauchten Seuchen deswegen Erklärungen. Die meisten dienten in der Geschichte dazu, einen Weg zu weisen hinaus aus einem als unkontrollierbar empfundenen Dilemma, ein Weg, der sich gegen die vermeintlich Hintergrundmänner oder -frauen der Seuche richtete, nicht so sehr gegen die Seuche selbst. Ist die Seuche eine Strafe Gottes, dann lautete der Ausweg züchtiges Leben. War die Hand des Teufels im Spiel, dann verbrannte man Hexen. War es das Werk der Juden, dann verfolgte man sie.

Seit etwa zwanzig Jahren sind unsichtbare Krankheitserreger im kollektiven Bewusstsein des Westens wieder angekommen. In den 60er, 70er und frühen 80er Jahren galten Infektionen als quasi besiegt. Es gab Antibiotika, die wirkten, und es gab Impfstoffe, die schützten. Und es gab die WHO, die die gefürchteten Pocken für ausgerottet erklärt und die die Kinderlähmung und die Masern fast besiegt hatte. Weltweit wurden die öffentlichen Gelder für die mikrobiologische Forschung drastisch reduziert. Infektionen waren out. Das änderte sich zum Teil mit AIDS, wobei sich die AIDS-Forschung relativ schnell verselbständigte. Es folgten BSE, ein paar exotische Virusinfekte, einige ungewöhnlich schwere Grippewellen, schließlich SARS. Doch letztlich war es der Kampf gegen den Terror, der die Keime wieder ins breite Bewusstsein rückte und der vor allem dazu führte, dass auf einmal wieder Geld da ist für mikrobiologische Forschung, nicht nur in den USA.

"Die geplanten Seuchen"

In Wolfgang Eggerts Pamphlet "Die geplanten Seuchen. AIDS, SARS und die militärische Genforschung" wechselt der Gegenstand der Angst vom AIDS verursachenden HI-Virus auf das Milzbrandbakterium Bacillus anthracis und schließlich auf den Erreger von SARS. Den SARS-Teil seines Buchs präsentiert Eggert als Textsammlung. Ergiebiger für eine Anatomie seiner Paranoia sind die 120 Seiten über AIDS und Anthrax.

Deren These ist schnell zusammengefasst. Militärische Genlabors der US-Regierung fahnden seit Ende der 60er Jahre nach einem als Waffe einsetzbaren Virus, das das Immunsystem des Infizierten lahm legt. Mitte der 70er haben sie es gefunden und testen es als Rache für die Christopher Street-Demonstration des Jahrs 1968 zehn Jahre später an der New Yorker Homosexuellen-Gemeinde vermittels einer kontaminierten Gelbsuchtimpfung.

Eggerts latenter Antiamerikanismus schlägt nach etwa 60 Seiten in üblen Antisemitismus um. Involviert in den New Yorker Menschenversuch waren nämlich "gerade Politiker mit zionistischen Verbindungen", die, natürlich via Mossad, die tödlichen Viren in kontaminierten Blutkonserven nach Afrika brachten, wo die Sache dann außer Kontrolle geriet. In Afrika, so sieht Eggert die Weltgeschichte, organisierte gerade der ugandische Diktator Idi Amin eine afrikanische Oppositionsfront gegen die israelisch-südafrikanische Annäherungspolitik, jener Idi Amin, dem "die britisch und zionistisch beeinflussten Weltmedien" mit üblen Verleumdungen das Leben schwer gemacht hätten.

Idi Amin

An der Schlüsselstelle dieser ganzen Mossad-Verschwörung stand der "israelisch-amerikanische Doppelpassbürger" und Mitarbeiter des New York City Blood Centers, Wolf Szmuness, der einer "Chassidensekte nahe stand, die in so vielem dem Endzeitkult um den massenmörderischen Guru Shoko Asahara gleicht". Das ganze gipfelt in dem Satz:

Die letzte Vision in dieser erschreckenden Kette ist ein wahrhaft biblisch-apokalyptisches Projekt, das bis in die Gegenwart reicht: Es ist die mögliche Herstellung eines Kunsterregers, der sämtliche Rassen der Welt vernichtet - außer den genetisch 'reinsten' Kern der jüdischen.

Es geht noch eine Weile so weiter. Zum Beispiel gab es auch noch einen Juden namens Zack, der im Biolabor Fort Detrick gearbeitet hat, wo das AIDS-Virus ursprünglich hergekommen sein soll. Der hatte Probleme mit Arabern und inszenierte deswegen nach 9/11 die Serie mit den Milzbrandbriefen, um sie einem ehemaligen arabischen Kollegen in die Schuhe zu schieben. Leider kam ihm das FBI auf die Schliche, das ihm aber bis heute nichts angetan hat, weil er zu viel weiß, unter anderem natürlich über die Herstellungsgeschichte des AIDS-Virus. Auch Zack hat Verbindungen zum Mossad, und die Anthraxstämme sind zur Weiterverarbeitung längst in Israel gelandet.

Verschwörung hat ein System

Ähnlich wie Eggert um seine beiden Juden, so weben auch Slothrops paranoide Verfolger in "Die Enden der Parabel" um ihn ein Netz der Analysen und Spekulationen, konstruieren scheinbare Kausalketten, die sich um die wahren Ereignisse in Slothrops Leben elegant herum spinnen, und zwar so eng, dass Pynchons Leser letztlich selbst nicht mehr beurteilen kann, was eigentlich wahr ist und was nicht. Es gibt Passagen in Pynchons Buch, in denen Slothrop, der liebes- und vor allem sexbedürftige Normalo im europäischen Nachkriegschaos, selbst für den vorsichtigen Leser plötzlich als der Täter dasteht, der er nicht ist.

Unzählige Experten entwerfen unzählige Systeme, nähern sich Slothrop mit wissenschaftlicher Akribie, um einem Geheimnis auf den Grund zu kommen, das es nicht gibt. So stellen sie Berechnungen an, um aus der geographischen Verteilung von Slothrops Sexualpartnerinnen Rückschlüsse auf den nächsten Einschlag einer V2 zu erhalten, beziehungsweise nach dem Krieg auf den Ort, an dem die postulierte deutsche Superrakete aufbewahrt wird, die es auch nicht gibt. Paranoia ist systematisch, "ruin is formal" (Emily Dickinson).

Gut gemachte Verschwörungstheorien sind oft schwer zu widerlegen: Sie erfinden in der Regel nur die kausalen Verbindungen, nicht aber die Ereignisse selbst. In einem komplexen Szenario wie der AIDS-Epidemie in ihren frühen Jahren, wo Wissenschaft und Politik zusammenprallen mit damals zweifellos vorhandenen (und gut dokumentierten, übrigens auch schon oft analysierten) üblen Vorurteilen gegen Homosexuelle, Schwarze und Prostituierte, muss man schon selber sehr viel Überblick über sehr verschiedene Gebiete haben, will man das Argumentationsgerüst als Ganzes kippen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet der Gang ins Detail, denn natürlich kann sich auch der Verschwörungstheoretiker nicht überall auskennen. Das große Ganze zum Einsturz bringen kann man mit dieser Strategie allerdings nur, wenn man wirklich genug solcher Details aufhäuft.

Eggerts Text wird immer dann besonders abenteuerlich, wenn er über die Wahrscheinlichkeit natürlicher Mutationen spekuliert und wenn er anfängt, in die Biologie von angeblichen oder tatsächlichen Retroviren einzusteigen. Kurz gesagt: Er kennt sich da nicht besonders gut aus, und das ist für jemanden, der antritt, gängige Lehrmeinungen zum Einsturz zu bringen, zumindest problematisch. Eggert ist deswegen von seinem Standpunkt aus gesehen gut beraten, wenn er der Widerlegung der Mainstream-Ansichten zur AIDS-Verbreitung nur etwa fünf polemische Seiten widmet, seiner eigenen Argumentation dagegen über sechzig. Insbesondere ignoriert er praktisch die komplette epidemiologische und genetische Literatur zum Thema AIDS nach 1986, und das ist angesichts des 1986 noch ziemlich begrenzten Kenntnisstandes schon einigermaßen dreist.

Ein zentrales Problem, das Eggert klären muss, wenn seine Theorie glaubwürdig sein soll - und er scheint das realisiert zu haben -, ist die Frage, warum die bösen Militärbiologen ausgerechnet ein Retrovirus gebaut haben, mithin eine Art Virus, über das man in den 70er Jahren noch fast gar nichts wusste, vor allem nicht, dass es Menschen überhaupt gefährlich sein kann. Viel nahe liegender wäre das Pockenvirus gewesen, oder auch die Grippeviren oder eben Anthraxbakterien. Eggert versucht uns zu erklären, dass man deswegen unbedingt ein Retrovirus brauchte, weil das Immunsystem Retroviren im Gegensatz zu anderen Viren nicht als fremd erkenne, was, gelinde gesagt, Blödsinn ist. Es ist das Lebensprinzip aller Viren, dass sie fähig sind, die antikörpervermittelte Abwehr zu umgehen, weil sie sich nämlich innerhalb der Zellen ansiedeln, dort wo die Antikörper nicht hinkommen. Daher läuft dann auch Eggerts nächster Satz ins Leere, in dem er erläutert, dass Antikörper die in DNA umgeschriebene Erbsubstanz des Retrovirus nicht erkennen. Stimmt zwar, liegt aber leider nicht am Retrovirus.

Haarsträubend ist auch Eggerts Umgang mit der Frage, ob ein Mutationssprung Ende der 70er Jahre die plötzliche Virulenz des AIDS-Erregers erklären könnte. Derartige Thesen haben zum Beispiel im Grippevirus ein reales und fatales Modell. Im Falle AIDS gibt es Argumente dafür und dagegen, doch statt sie abzuwägen erklärt Eggert die ganze Idee schlicht für "Unsinn".

Auch epidemiologisch liegt einiges im Argen. Dass es zwei verschiedene HI-Viren gibt, interessiert ihn überhaupt nicht, und die Faktoren, die eine begrenzte Endemie in eine außer Kontrolle geratende Pandemie verwandeln können, Bürgerkrieg zum Beispiel, beschäftigen ihn auch nicht. Die These, es müsse infizierte Vertreter der ehemaligen europäischen Kolonialmächte geben, wenn man von einer möglicherweise jahrzehntelangen afrikanischen Endemie ausgeht, ist an sich korrekt. Hätte Eggert sich die Mühe gemacht, ein bisschen in der Forschungsliteratur der letzten Jahre zu blättern statt nur in den Zeitungsarchiven der 80er, dann wüsste er, dass zumindest für HIV 2 diese infizierten Europäer aus den 60er Jahren mittlerweile gefunden wurden. Es ist halt leider nicht so, dass jedem AIDS-Kranken in leuchtenden Lettern "HIV" auf der Stirn steht, schon gar nicht zu einem Zeitpunkt, wo man von der Existenz der Erkrankung noch gar nicht wusste. AIDS ist im Übrigen auch heute noch keine Blickdiagnose.

Gut gemachte Verschwörungstheorien sind auch deswegen oft schwer zu widerlegen, weil die Verschwörungstheoretiker an den entscheidenden Stellen ihrer Argumentation selten selbst sprechen. Eher lassen sie andere reden, und im Falle der AIDS-Epidemie sind das bei Eggert vor allem Mikrobiologen, Genetiker, Epidemiologen, "Experten" eben.

Paranoia hat eine Sprache

Wie viele Technolekte ist auch die Sprache der Paranoia ausgesprochen wiedererkennbar. Eggert macht da keine Ausnahme. Es gibt diesen leicht pejorativen Tonfall gegenüber allem, was die eigene Position potenziell hinterfragbar macht. Demgegenüber werden die eigenen Argumente mit informationslosen Nullphrasen linguistisch aufgeblasen.

Populär sind affirmative Nebensatzkonstruktionen wie "der Nachweis ist schlüssig führbar, dass (...)" oder "es ist eigentlich selbstverständlich, dass (...)" oder "wie jeder, der sich mit der Thematik beschäftigt, zugeben muss, (...)" oder "es liegt auf der Hand, dass". Geredet wird auch gerne von "fundierten Beweisen", die so fundiert sind, dass sie gar nicht erst erläutert werden müssen. Man findet viel Passiv, das immer dann besonders nützlich ist, wenn für irgendeinen Schritt in der Argumentationskette das handelnde Subjekt fehlt. Und es gibt diese starken Hilfsverben in jedem zweiten Satz, "sollte jedem auffallen", "muss eigentlich klar sein", "musste dazu oder dazu führen" usw.

Wer eine Paranoia rationalisieren will, der muss sich absichern, und das geht am einfachsten, indem man sich auf andere bezieht, die es besser wissen müssen. Diese anderen sind wissenschaftliche Experten. Wer paranoid ist und einen Experten zur Hand hat, der ist auf der sicheren Seite. Es ist an dieser Stelle, wo sich systematische Verschwörungstheorien und systematische Wissenschaft zugleich nahe kommen und sich stark unterscheiden. Sowohl Verschwörungstheoretiker als auch Wissenschaftler zitieren ununterbrochen andere Experten, um sich selbst abzusichern. Mit einem entscheidenden Unterschied: In wissenschaftlichen Arbeiten haben Behauptungen, die sich weder durch die eigene Arbeit noch durch die von Kollegen belegen lassen, nichts zu suchen. Bei Paranoiden springt an dieser Stelle der namenlose Fachmann ein. Bei Eggert klingt das so:

"Jedem Fachbiologen musste solch ein ungeheuerlicher Mutationssprung (...) als Unsinn erscheinen."

"Wer vom Fach ist, weiß, dass alle amerikanischen Affenfarmen von vielen Viren durchseucht sind."

"Echte Insider im Militär, der Forschung und der Wirtschaft mussten schon sehr entschieden wegschauen, wenn sie die Tragweite des einmal beschrittenen Weges nicht erkennen wollten."

Wenn systematisch ausgearbeitete Verschwörungstheorien nur der Extremfall einer zum Zeitpunkt XY gerade verbreiteten Paranoia sind, dann sollte man die Besonderheiten der Sprache der Paranoia auch anderswo finden, in den Medien etwa. Die mussten sich mit unsichtbaren Keimen im Gefolge von 9/11 auseinander setzen. Und tatsächlich finden wir auch dort den mitunter verzweifelten Ruf nach dem Spezialisten, etwa wenn der britische Autor Giles Fodan, Verfasser eines viel gelesenen Buchs über al-Qaida, am 9. Januar dieses Jahres im "Guardian" zum Thema Bioterror schreibt:

Wir brauchen eine nationale Strategie. Spezialisten in allen Bereichen müssen konsultiert werden. Bioterror ist kein Gebiet, wo wir es uns leisten können, das Feld Generalisten zu überlassen. Man braucht nur an die amerikanischen Raketenangriffe auf die Aspirinfabrik in Khartoum [Sudan, d.A.] denken, um zu begreifen, wohin Dilettantismus von Amateuren führen kann.

Der Ruf nach dem Spezialisten ist der Balzgesang der Paranoia. Fodens Beitrag ist nur ein Beispiel unter vielen. Phrasen wie "Experten warnen, dass", "sagen erfahrene Spezialisten" gehörten schon immer zum Journalistenvokabular. Im Falle der Berichterstattung über Bioterror allerdings wurden solche Konstruktionen zumindest in der englischen Presse zu einer lingua franca. Verschwörungstheorien bedienen sich dieser Sprache, wie sie sich weit verbreiteten Gegenständen der Angst, Viren etwa, bedienen. Nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich kommt eine Verschwörungstheorie aus der Mitte der öffentlichen Debatte.

Verschwörung hat einen Schuldigen

Verschwörungstheorien, jedenfalls wenn sie erfolgreich sind, konstruieren eine oft auf den ersten Blick in sich einigermaßen schlüssige Parallelwelt, die für den Leser oder Anhänger subjektiv umso nachvollziehbarer wird, je mehr sie sich verbreiteter Ängste und gerade gängiger Vorurteile bedient. "Die geplanten Seuchen" machen das virtuos: Das Buch verknüpft die in der medialen Öffentlichkeit schon länger latent vorhandenen Ängste vor unsichtbaren Keimen und vor dem zerstörerischen Potenzial der Gentechnik mit der spätestens seit Irak zum Mainstream avancierten These von den prinzipiell negativen Folgen einer unilateralen amerikanischen Außenpolitik. Esoterische Zirkel werden eingeführt, die hinter verschlossenen Türen weitreichende Entscheidungen treffen, ein beliebtes rhetorisches Konstrukt, um dem Naiven und Einflusslosen die Welt zu erklären, und um komplexe Dinge banal zu machen.

Und schließlich bedient sich das Buch des verbreiteten Unbehagens an der israelischen Politik. Nachdem der Leser über 50 Seiten lang weich geklopft wurde, nachdem er mit Fakten und Scheinkausalitäten in seinem Skeptizismus gegenüber Wissenschaft, Technik und neuer Weltordnung immer und immer wieder genährt wurde, nachdem ein komplexes argumentatives Gerüst mit einer Unmenge an Fußnoten und Querverweisen ihm auch noch den Anschein der Wissenschaftlichkeit vermittelte - mit allem was mitschwebt, Seriosität, Nachprüfbarkeit usw. -, nach all diesen Vorbereitungen wird dann der Jude aus dem Hut geholt wie das Kaninchen aus dem Zylinder, die letzte Ursache hinter aller Schlechtigkeit der Welt. Ehe man sich versieht, ist sie da, die zionistische Weltverschwörung, in die außer der Politik und den Geheimdiensten auch die jüdisch unterwanderten Wissenschaftszirkel und die zionistischen Massenmedien verwickelt sind, mithin alles, was auf den kleinen Weltbürger so einprasselt, ohne dass dieser danach gefragt hätte.

Paradoxerweise kann ein Buch wie "Die geplanten Seuchen" dazu verhelfen, Europa mit amerikanischen Augen zu sehen. Die für Europäer oft schwer bis gar nicht nachvollziehbaren, europakritischen Essays in amerikanischen Politmagazinen wie Foreign Affairs, in denen dem friedliebenden, multilateralen, am Schicksal aller Unterdrückten teilhabenden alten Europa ein latenter Antisemitismus unterstellt wird, erscheinen nach der Lektüre plötzlich in einem etwas anderen Licht. Eggert zumindest führt plastisch vor, wie der Schritt aussieht, den man gehen muss, um von einem diffus-linken Fortschrittsskeptizismus und Antiimperialismus zum Antisemitismus zu gelangen. Dieser Schritt ist natürlich nicht zwangsläufig, aber besonders groß ist er auch nicht.

Wolfgang Eggert; Die geplanten Seuchen; BeimPropheten!Verlag; München, 2003.