Berufsverbot für Mediendesigner?

Neues aus Absurdistan - Strafanzeige gegen Vorleser Alvar Freude

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Alvar Freude hat sich schon in seiner Diplomarbeit praktisch mit einem gefährlichen Thema beschäftigt: Zensur. Über einen leicht modifizierten Proxy wurden im Projekt Insert Coin alle Webzugriffe der ca. 250 anderen Studenten und Mitarbeiter der Merz-Akademie in Stuttgart gefiltert und manipuliert. So wurden gängige Suchmaschinen mit einer zusätzlichen "Denunzierfunktion" versehen, um illegale Inhalte auf den gefundenen Seiten einem "Zensor" zu melden. Das fiel jedoch den Nutzer gar nicht weiter auf und führte auch nach Bekanntgabe der Aktion nicht zu größerer Beunruhigung oder Abschalten des Proxies durch die User. 2001 bekam Alvar damit sein Diplom als Kommunikations-Designer.

Ein späteres Projekt, der Assoziations-Blaster, bekam dagegen Ärger, weil er Webseiten zwar ergänzt, aber nicht zensiert: Wer hier an geeigneter Stelle Webadressen eingibt, bekommt die betreffende Seite mit zusätzlichen Kommentaren, eben Assoziationen präsentiert und auch sonst können die Benutzer Begriffe mit Assoziationen versehen. Dies benutzte zunächst eine Softwarefirma, um das System unter allen möglichen Begriffen mit Werbung für sich zu spammen, so wie es heute mit Suchmaschinen gemacht wird. Als die User dies entsprechend kommentierten, wollte die Firma die Abschaltung des Projekts durchsetzen.

Bahn fährt Assoziationsblaster an den Wagen

Danach hatte die deutsche Bundesbahn entdeckt, dass auch über den Webblaster der von ihr verfolgte Text aus der Zeitschrift "Radikal" über das Lahmlegen von Zügen erreichbar ist. Klar, der Webblaster ist ja kein Zensurtool - was man aufruft, wird auch angezeigt und lediglich mit zusätzlichen Assoziationen versehen. Doch das wollte die Bahn nicht akzeptieren.

Als Verfechter der Informationsfreiheit hatte Alvar Freude jedoch auch öfters gegen die Zensurpläne von Jürgen Büssow, Präsident der Bezirksregierung Düsseldorf, Stellung bezogen, der ja nun ebenfalls Zensurfilter aufstellen lassen will - diesmal jedoch echte. Von vier beabsichtigten zu sperrenden Seiten blieben am Ende nur zwei Nazisites, doch es geht ums Prinzip: Ist so ein Verfahren einmal bei Regierung und Providern Routine, kann schnell auch jede andere missliebige Seite aus dem deutschen ebenso wie aus dem chinesischen oder arabischen Internet ausgeblendet werden. Alvar Freude stellte eine Strafanzeige gegen die Bezirksregierung sowie die beteiligten Provider, da diese Aufrufe der gesperrten Seiten zumindest teilweise an die Bezirksregierung Düsseldorf weiterleiteten - und damit auch an die gesperrten Adressen gesandte Emails. Die Antwort der Staatsanwaltschaft Köln ist teils absurd:

Auch eine Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses gemäß § 206 StGB ist nicht gegeben. Es wird keine Sendung im Sinne des Absatz 2 dieser Vorschrift unterdrückt. "Sendung" ist in diesem Zusammenhang nach einhelliger Ansicht ausschließlich ein körperlicher Gegenstand, also nicht die elektronische Post.

Das Unterschlagen von Emails - unabhängig davon, ob dies in diesem Fall konkret stattgefunden hat - ist also nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Köln im Gegensatz zum Unterschlagen von Briefpost in Deutschland legal.

Strafanzeige gegen Büssow

Ärger rief jedoch eine zweite Aktion von Alvar hervor: Der Vorlesedienst "Tele Trust", der sich nicht etwa wegen George W. Bush sondern infolge einer jener beliebten Markenstreitigkeiten politisch korrekt in "Freedom Fone" umbenennen musste, bietet an, in Nordrhein-Westfalen gesperrte Internetseiten am Telefon vorzulesen. Natürlich eine völlig lächerliche Idee, eine Satire, die spätestens bei Sexseiten, aber auch bei der von Büssow ebenfalls inkriminierten Website Rotten.com mit ihren Sammlungen bizarrer Bilder zu absurden Dialogen am Telefon führen dürfte ("Also, das [schluck] ist ja ein ziemlich ekeliges Bild. Also ... da ist ein Hase zu sehen, anscheinend ein Osterhase ... die bunten Eier sind neben dem Korb verstreut und plattgefahren und der Hase ... ach rufen Sie doch bitte in 10 Minuten wieder an und wählen Sie eine andere Seite, ich muss mal eine Runde kotzen....").

Doch trotz offensichtlich lächerlicher Aufmachung - in den "Top 7" der angeblich in Nordrhein-Westfalen gefilterten und deshalb am Telefon vorgelesenen, doch in Wirklichkeit aus einem Pool von URLs zufällig gewählten Seiten wird regelmäßig "csu.de" eingeblendet und man behält sich Provisionen bei Gewinnen auf Glücksspielseiten vor, zudem werden New-Economy-reife Jobausschreibungen veröffentlicht - wurde der "Dienst" von der Staatsanwaltschaft Stuttgart nun aufs Korn genommen - und das ziemlich heftig. Dabei wird nicht nur die Weiterleitung von Odem.org auf andere Websites mittels Redirect technisch völlig falsch als Umgehung bestehender Websitesperren interpretiert und ihm gar Unterstütung von Nazis und Volksverhetzung vorgeworfen. Man droht Alvar über seinen Anwalt auch offen damit, neben Haft die "Tatmittel einzuziehen und ein Berufsverbot auszusprechen".

Tatmittel einziehen? Welche denn? Computer, Telefon oder gar die Brille? - Alvar ist schließlich Brillenträger und könnte ohne Brille keine Webseiten mehr vorlesen. Berufsverbot als freiberuflicher Medien- und Webdesigner. Wie soll das gehen? Werden dann etwa Firmen verklagt, die Alvar Freude Aufträge geben?

Dabei werden Alvar mittlerweile auch Verlinkungen zu Webseiten zur Last gelegt, die weder mit den bisherigen Sperrverfügungen noch seinen Projekten irgendwie zu tun haben, sich aber im Laufe der Arbeiten an den Sperrverfügungen in den Akten angesammelt haben.

Tatsächlich haben in den rund 2 Jahren seit Bestehen des Dienstes gerade eine Handvoll Leute überhaupt die 0190-Nummer von "Freedom Fone" angerufen - und niemand wollte sich dabei rechtsradikale Seiten vorlesen lassen, so Freude.

Alvar Freude ist ein exzellenter Satiriker - doch in Staatsanwalt Milionis scheint er seinen Meister gefunden zu haben: So etwas Absurdes hätte er sich auf Odem.org nie selbst ausdenken können. Leider besteht jedoch die Gefahr, dass der Staatsanwalt gar keine Satire im Sinn hat, sondern sein Vorhaben völlig ernst meint. Zu einem Gespräch mit Telepolis war er nicht bereit.