a MOD quite unlike any other ...

Zur Ausstellung "games. Computerspiele von KünstlerInnen"

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Letztes Jahr zeigte das Barbican Center in London mit Game On. The History of Videogames eine umfangreiche Ausstellung über Computerspiele, in Graz bezog das Projekt SELFWARE. politics of identity Computerspiele als Programmschwerpunkt mit ein, das Institute of Contemporary Art und "radioqualia" in Kapstadt zeigten im Oktober 2003 unter dem Titel re:Play "critical games by artists", in Tübingen wird in der Völklinger Hütte ab November 2003 unter dem Titel "Game Art" ebenfalls eine große Ausstellung zum Thema Computerspiele und Kunst gezeigt. Das hartware-Projekt games. Computerspiele von KünstlerInnen, kuratiert von Tilman Baumgärtel. bis 30. November 2003 im ehemaligen Reserveteillager des Phönix-Werkes in Dortmund zu sehen, verdeutlicht also ein insgesamt wachsendes Interesse an Computerspielen als einem dominanten Medium gegenwärtiger Kultur, nicht nur der Jugendkultur. Und dieses Interesse wird über die Thematisierung der vielfältigen künstlerischen Strategien der Aneignung kommerzieller Spiele artikuliert.

Computerspiele sind nach wie vor dem Verdikt unterworfen, an der sozialen Verwahrlosung zehntausender Jugendlicher mit Schuld zu tragen, es haftet ihnen sozusagen der Mief des Kinderzimmers an. Auch medial aufgebauschte Vorfälle wie jener in Erfurt letzten Jahres, als ein Schüler mehrere Mitschüler erschoss und schnell das Spiel "Counter-Strike" als gewaltvorbereitender Hintergrund zur Hand war, tragen dazu bei, dass Computerspiele nicht als jenes wichtige Element eines Ensembles sich verändernder Kulturtechniken wahrgenommen werden, das sie sind, sondern als Erziehungs- und Konsumproblem auf die Instanzen Schule und Elternhaus abgeschoben bleiben.

Spiele und Spieler geraten unter Druck, weil Spiele die kollektive Gestaltung von Wahrnehmung und Erfahrungsbildung in der Lebenswelt zu beeinflussen beginnen. Der pädagogischen Ratlosigkeit steht die Bedeutung der Spiele als ein zunehmender Wissens- und Erfahrungsspeicher der populären Gegenwartskultur entgegen. Doch gerade als diese Form eines kollektiven popkulturellen Gedächtnisses sind Computerspiele in den letzten Jahren zu einem Gegenstand des Interesses geworden. Das belegt eine steigende Anzahl von Publikationen, die sich allerdings hauptsächlich im Nachzeichnen der Geschichte von den Arcade Games bis zu den Konsolen erschöpfen, welcher dann eine Art Autobiografie der Sozialisierung durch Computerspiele parallelgeführt wird.

Beate Geissler und Oliver Sann (D), Shooter (2000 - 2001)

Ausnahmen bilden Astrid Deuber-Mankowskys aus einer Gender Studies-Perspektive entwickelter Essay1 über Lara Croft als Phänomen einer Mediatisierung von Weiblichkeit, und Claus Pias' "Computer Spiel Welten"2, das - sich an Kittler anlehnend - das Computerspiel in Begriffen von technischem und kulturellem Wissen rekonstruiert und dabei verschiedene wissenschaftliche Entwicklungen zusammenführt, die die Bedingung der Möglichkeit von elektronischen und später digitalen Spielen überhaupt erst herstellten (übrigens in einer bemerkenswerten Parallele zum Ausgangspunkt von Harun Farockis neuem Film "Erkennen und Verfolgen").

Es gibt also eine große Bandbreite an kulturellen Diskursen, die von der (bereits erwähnten) Pädagogik bis zur Radiowellentheorie, von der Mikroelektronik bis hin zu Feminismusstudien und Ethik reichen - ganz zu schweigen von der immer wieder schwierigen Grenzziehung zu den sogenannten "Creative Industries" oder dem Kunstkontext. Zum mindesten bezeugen diese vielfältigen Zugriffe auf Computerspiele, dass sie - zumindest abseits der "Yellow Press" - zunehmend als "Medium" in den Blick geraten, in dem sich zahlreiche kulturelle Konflikte, Brüche und Nahtstellen eingeschrieben haben (wenn auch oftmals die Betonung der Konflikte vorherrscht).

Beate Geissler und Oliver Sann (D), Shooter (2000 - 2001)

Vor diesem durchaus diffusen Hintergrund der steigenden Thematisierung von Computerspielen als kulturellem Faktor hat Tilman Baumgärtel gemeinsam mit hartware eine Ausstellung konzipiert und realisiert, die versucht, durch (durchaus divergierende) künstlerische Positionen ein Feld abzustecken, in dem Computerspiele als kulturelle Phänomene greifbar, repräsentierbar und kritisierbar werden: als spezifische Techniken der Visualisierung ebenso spezifisch entwickelter Narrationsmuster, der Dramaturgisierung technischer Environments, der ständigen Redefinition von Interaktivität und schließlich als neuartige Form von sozialen Gruppen (game clans). Computerspiele greifen in die Entstehung sozialer Kompetenzen ein, sie bieten neuartige Formen von Handlungsräumen und Wirklichkeitsentwürfen - sie forcieren aber auch eine Wahrnehmung der Wirklichkeit, die diese weitgehend formbar und folgenlos erscheinen lässt: jeder Zeit revidierbar, editierbar (MODs - game modifications) und unter der Verfügung des Userzugriffs.

fuchs-eckermann (A/GB), fluID - arena of identities, 2003

Jedenfalls zeichnen sich mit Spielen verbundene Szenarien sozialer Räume ab, in denen kulturelles Wissen erworben, ausgehandelt und kommuniziert wird. Als solche Schnittmenge von kulturellen Praktiken sind Computerspiele - nach dem Netzhype der letzten Jahre - sozusagen ein "alternativer" Mediendiskurs über die Technologisierung der Kultur, der aufgrund seiner Definition durch die Unterhaltungsindustrie zugleich ein technologischer wie (pop-)kultureller ist.

Aufgrund dieser Mannigfaltigkeit der Zugriffe und Thematisierungen ergibt sich in der Dortmunder Ausstellung kein thematischer Fokus, liegt doch das Interesse in einer Art "Mapping" des Gegenstandbereiches selbst, was die anderen erwähnten Ausstellungen in dieser Form nicht leisten (das Völklinger Projekt greift in Bereiche der Medienkunst aus, was durch Beiträge von u. a. Bill Viola, Pierre Huyghe oder Paul Garrin verdeutlicht wird, was aber auch zeigt, dass in diesem Projekt der Kunstbegriff eine wichtige Rolle spielt).

Anne-Marie Schleiner / Brody Condon/ Joan Leandre u.a., Velvet-Strike, 2001

Was sich aber als Hintergrund der in der Ausstellung gezeigten Projekte skizzieren lässt, ist eine Art analytischer Ansatz, der zunächst versucht, das "Dispositiv" Computerspiel zu markieren, um von dort aus einen Zugriff zu formulieren: sei es durch Interventionen in Softwarekomponenten oder Spielparameter (Joan Leandre, Cory Arcangel, Olaf Vals, Jodi), durch Isolation bestimmter funktioneller oder ästhetischer Elemente (Tom Betts, Lars Zumbansen, Beate Geissler und Oliver Sann), der ironisch/kritischen Neuproduktion von Spielen (fuchs-eckermann, deren Spiel "fluID - arena of identities als Auftragsarbeit für das Projekt SELFWARE entstanden ist, Lucien Alma und Lauren Hart) bis hin zu Interventionen in den öffentlichen Raum (SF Invader).

Die KünstlerInnen formulieren ihre Positionen als Installationen, Projektionen oder in klassischen Bildformen, wodurch eine differenzierte "Lektüre" von Computerspielen als sich abzeichnendes "Leitmedium" ermöglicht wird. Im Barbican Center war es zwar möglich, eine Vielzahl von Spielen, auch solche, deren Konsolen längst vom Markt verschwunden sind, zu spielen, doch bot die Ausstellung keine kulturelle "Rahmung" des Phänomens Computerspiele. In Dortmund wiederum kann man verblüfft darüber sein, dass nur ein Teil der gezeigten Projekte sozusagen "spielbar" ist. Andererseits bewegt man sich beim Eintritt in die Ausstellung sozusagen vom ersten Moment an bereits "im" Computerspiel selbst, das als kulturelles Handlungsfeld gedacht wird. Sieht man die konzentrierten Spielergesichter (einer LAN-Party) in der Projektion von Beate Geissler und Oliver Sann, dann wird die Koppelung von technologischem Gadget und Subjekt augenfällig; augenfällig wird aber auch, dass diese Koppelung das Computerspiel als einen kulturellen Text markiert, der die Folie für die Projektion und Formulierung eines kulturellen Begehrens darstellt.

Arcangel Constantini (MEX), Atari-Noise, 2000

Arbeiten wie jene von Aurélien Froment, die Protagonisten in einer erstarrten Kampfhandlung zeigen, richten sich schließlich auf die Verlängerung normativer und ideologisierter kultureller "Vorschriften" in die Sphäre des Spiels hinein: Wettbewerb, Höchstleistung, Effizienz, Kontrolle und ganz allgemein die (spielerische) Unterwerfung unter aufgestellte Regelwerke. Und wenn schließlich, wie Huizinga vorschlägt, jede Epoche anhand ihrer Spiele beschrieben und analysiert werden kann, dann ist die Ausstellung "games" in Dortmund ein solcher Raum der Beschreibung und Analyse zeitgenössischer - postindustrieller? posthumaner? - Kultur, wie sie sich in die Strukturen von Computerspielen einschreibt.