Ich weine nicht - Das ist der Fahrtwind

Mit Vollgas auf der Jagd nach dem Ideal: Nintendo schickt zwei legendäre Rennspiele in die dritte Runde

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So fortschrittsgläubig und technikverliebt das Videospiel-Business auch ist: Spielspaß steht in keinerlei direkten Beziehung zu Rechenleistung. Und drum ist es jedes Mal wieder ein Wagnis, wenn Games, die zu (immer noch begeisternden) Meilensteine ihrer Ära wurden, Ableger auf einer neuen Hardware-Generation zeugen. Denn es ist keineswegs garantiert, dass dabei die Essenz unbeschadet bleibt, die den Vorfahren so ausgezeichnet hat. Nintendo hat nun, in kurzem Abstand, gleich zwei seiner Spiel-Legenden eine neue Inkarnation auf dem Gamecube angedeihen lassen - beides dazu auch noch Rennspiele: MARIO KART: DOUBLE DASH und F-ZERO GX. Erstaunlich ist, wie stark Nintendo dabei nicht nur den Wurzeln dieser Spiele treu geblieben ist, sondern - in einer Zeit, wo die meisten Games auf eine möglichst breite Basis schielen, es allen recht machen wollen - sogar noch deren markanten Eigencharakter forciert hat.

Gemeinsam war dem ersten MARIO KART und dem Ur-F-ZERO, dass sie die sogenannte "Mode 7"-Grafik des Super Nintendo Entertainment Systems geschickt für ihre Rennspiel-Zwecke nutzten. "Mode 7" war eine Spezialität des SNES-Grafikchips, die es erlaubte, plane, großflächige Bitmap-Rechtecke entlang aller drei Raumachsen zu kippen und zu scrollen - eine 2D/3D-Mischung (quasi eine 1-Polygon-3D-Grafik), die eins der optischen Markenzeichen der zweiten Nintendo-Konsole wurde. Die beiden Spiele entwarfen nun also ihre Rennstrecken auf solch einer zweidimensionalen Ebene, über die dann die Sprite-Gefährte und die virtuelle Kamera zum scheinbaren Flitzen gebracht wurden, indem diese Ebene auf dem Bildschirm entsprechend im Raum herumgeschoben wurde - man kann sich das in etwas so vorstellen, als würde man den entsprechenden Renn-Rundkurs auf ein Blatt Papier malen und dieses Blatt dann flach vor seinen Augen halten und es, der Strecke folgend, hin- und herzubewegen, entlang der Kurven zu drehen.

Auf dieser gemeinsamen Basis wurde jedoch jedes dieser Spiele zum Gründer eines ganz eigenen Genres. F-ZERO hob die futuristischen Racer aus der Taufe, in denen Magnet-Gefährte über verzwirbelte Rundkurse in einer Science Fiction-Welt düsten - zu einer Zeit, als noch niemand ahnte, dass diese Grundidee sich einst mit der Techno-Ästhetik vermählen würde und, grafisch in die 3. Dimension gehoben, in Gestalt von WIPEOUT dem frechen Jung-Konkurrenten Sony im Kampf der Konsolen einen seiner ersten großen Coolness-Punktsiege einbringen würde.

F-Zero war ein reines Einzelspielerspiel, und es verlangte einem eine gehörige Portion an Übung, Geschick und Verfeinerung der Fahrtechnik ab, um es bis hin zum gefürchteten "Master-Mode" in die Knie zu zwingen. MARIO KART hingegen setzte für Heimkonsolen einen neuen Standard in Sachen Mehrspieler-Gaudi: Cartoon-Charaktere flitzen durch eine Comic-Welt und machen sich dabei nicht nur durch fahrerisches Können gegenseitig das Leben schwer, sondern auch durch den Einsatz diverser Waffen und Power-Ups, die auf der Strecke - nach Zufallsprinzip ausgeteilt - einzusammeln sind. Das Spiel formulierte dabei die Regeln, Sitten und Gebräuche seines Genres auf einen genialen Streich bis in Details so vollgültig, dass sich daran bis heute selbst bei den diversen Konkurrenzprodukten nichts Wesentliches geändert hat.

Pretty in Pink

Den Sprung in die dritte Dimension haben beide Spiele schon auf dem Nintendo 64 geschafft, und das, ohne großen Schaden zu nehmen. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Genres (Jump'n'Run allen voran) haben Rennspiele ja mit dem Übergang von 2D zu 3D noch nie ein Problem gehabt - prinzipbedingt, denn von NIGHT DRIVER an haben sie schon immer versucht, Bewegung in die Tiefe des Raums hinein zu simulieren, und das fällt sowieso leichter mit einem virtuellen Modell, das intern auch eine "echte" Räumlichkeit repräsentiert.

Dabei hat F-ZERO von diesem Schritt noch deutlich mehr profitiert als MARIO KART. Zum einen, weil es den von der Schwerkraft befreiten Magnet-Gleitern ungleich radikaler neue (Renn-)Dimensionen eröffnete, mit Schmankerln wie Loopings, Korkenziehern, außen und innen befahrenen Rohren. Wobei man viel stärker als beim Vergleich der 2D-/3D-Varianten von MARIO KART das Gefühl hat, dass eigentlich das erste F-ZERO schon immer da hinwollte, dass es von diesen Möglichkeiten geträumt hat und nur die technischen Voraussetzungen des SNES sie ihm verwehrt haben. (Was nicht heißen soll, dass das Kart-Rennen mit den neu hinzugekommenen, für seine Mode 7-Inkarnation noch nicht machbaren Höhenunterschieden nichts anzufangen wüsste: Eine der schönsten Strecken in MARIO KART: DOUBLE DASH ist "Donkey Kong Mountain", in denen das Spiel schon fast zum Ski-Abfahrtsrennen mutiert.)

Aber auch in anderer Hinsicht wirkt das Ur-F-ZERO viel deutlicher wie eine unvollkommene Vorstudie zu seinen dem eigentlich gemeinten Ideal immer näher kommenden Nachfolgern: MARIO KART spielt in einer Cartoon-Welt, die an sich schon als äußerst stilisiert zu denken ist - die Grafik der SNES-Version bringt da höchstens eine weitere Ebene der Stilisierung hinzu; sie wirkt aber nicht wie eine durch mangelnde Rechenleistung kompromittierte, verfremdende Abbildung. F-ZERO hingegen ist zwar in einer fantastisch-futuristischen Welt angesiedelt, die aber hat man sich als im Grunde "naturalistisch" vorzustellen. Und zu dieser Illusion kann der Gamecube freilich mehr beitragen als das SNES. Der Look von F-ZERO - dem aus heutiger Sicht der Ruch einiger der peinlicheren ästhetischen Nachwirkungen der '80er Jahre anhaftet - war dabei keineswegs nur eine Frage der technischen Möglichkeiten. Schon die Game Boy Advance-Variante des Spiels hat ja bewiesen, wie auf vergleichbarer Hardware-Grundlage durch grafisches Design und vor allem Farbwahl ein "coolerer" (freilich auch glatterer) Eindruck hervorgerufen werden kann.

F-ZERO GX ist nun ein etwas eigenwilliger Hybrid geworden: Einerseits schließt das Spiel ästhetisch (und auch musikalisch) auf zu all den Techno-beeinflussten Racern in WIPEOUT-Nachfolge. Seine futuristische Welt bedient sich optisch bei Musik-Videos und BLADERUNNER, schielt ein bisschen auf STAR WARS - post-industrieller Chic, mal mit düster-schmutzigem Ölbohr-Platform-Charme, mal in Glas-und-Chrom-Lichtheit unter blauem New Age-Himmel. Andererseits kennt Nintendo seine nostalgischen Fanboys - und importiert die tollkühnen Piloten und ihre flitzenden Kisten ohne den Umweg über eine modische Stilberatung. Captain Falcon wirkt mehr denn je wie eine Action-Plastikpuppe, und im Kontrast mit der geschniegelten, neuen Umgebung gibt das geschmackverirrte Rosa von Samurai Goros Gleiter verstärkt Grund zum Nachdenken.

Die Entwicklung vom SNES-MARIO KART hin zu MARIO KART: DOUBLE DASH ist eine sanfte Evolution, während der Weg von F-ZERO zu F-ZERO GX eher in kraftvollen Sprüngen von einem Plateau zum nächsthöheren führt. Weil, wie gesagt, schon die Befreiung aus der Ebene bei dem Science Fiction-Racer deutlich dramatischer ausfiel. Weil aber auch die Rechen-Power des Gamecube im direkten Vergleich der 3D-Inkarnationen noch viel augenfälliger und prägender greift: Die Magnetgleiter brettern mit ungleich höherem Tempo über ihre Strecken als die töffig flitzenden Karts - und um auf dem N64 angemessen die Illusion dieser Geschwindigkeit hervorzurufen (und dabei sogar noch 30 der Gleiter gleichzeitig ins Rennen gehen zu lassen), musste die grafische Ausgestaltung sich ganz aufs Wesentliche reduzieren. Sehr begrenzte Blickweite, einfache Texturen, kaum Firlefanz am Rande - es blieb wenig, um den Strecken eigenes optisches Profil zu verleihen, außer (wie schon beim SNES-Vorgänger) den Farben und ein bisschen Horizont-Dekor.

Und der knappe Speicherplatz von Konsole und Modul waren wohl dafür mitverantwortlich, dass die Kurse selbst relativ kurz ausfielen und auch meist jeweils nur ein individuelles Gimmick ihr eigen nennen konnten. Ganz anders bei F-ZERO GX, das seinen Magnetschwebe-Bahnen in jeder Hinsicht viel mehr Profil verleiht: Von ihrer Renn-Dramaturgie her, die auch unendlich davon profitiert, dass man durch die unvernebelte Sichtweite nun ein erheblich stärkeres Gefühl dafür hat, durch welch enormen Raum sich diese Rundkurse schrauben, und wie sie das tun. Aber auch vom visuellen Design her, das seinen Blick nicht mehr nur stur auf die Strecke heftet, sondern reichhaltige und sehr unterschiedliche Welten um sie herum baut.

Dabei fällt die Tachonadel selten deutlich unter 1000 km/h - und das ist keine leere Behauptung des Displays, die gefühlte Geschwindigkeit wird dem auch voll gerecht. Es ist eine kleine Meisterleistung, dass die Designer es dabei geschafft haben, trotz all des grafischen Detailreichtums und der verrückten Spiralen, die die Bahnen oft drehen, die Streckenführung noch erstaunlich gut wahrnehmbar zu halten, ohne auf allzu plumpe Kontraste zurückzugreifen - wobei die Kurse im Space-Las Vegas-Dekor anfangs schon manchmal jene entscheidenden Zehntelsekunden stutzen lassen, die's braucht, um gegen die nächste Bande zu brettern. F-ZERO GX wirkt in all dieser Pracht so, als sei die Serie zum ersten Mal wirklich in der Welt angekommen, in die sie schon immer hinwollte.

Die MARIO KART-Generationen hinterlassen dagegen, obwohl der technische Fortschritt unter der Oberfläche nicht geringer ist, mehr den Eindruck, dass sie ein und die selbe, von Anfang an ideale Welt nur immer plastischer und detailreicher zeichnen. Gleichermaßen von der Kraft des Spielwürfels gewinnen beide Spiele allerdings in Hinsicht darauf, wie ruckelfrei rasant und flüssig sie alles, was sie zu zeigen haben, auf den Bildschirm bringen. Im Gegensatz zu den N64-Varianten scheint es nun wirklich keine Spieleranzahl, keinen Modus und keine Situation mehr zu geben, in denen da spaßbeeinträchtigende Einbußen deutlich zu bemerken wären.

Straßen der Erinnerung

Nintendo hat Traditionspflege schon immer sehr ernst genommen. Man wacht bei dem japanischen Game-Giganten seit jeher sehr genau über all die Maskottchen und Meilenstein-Titel, die sich im Lauf der Jahre etabliert und entwickelt haben. Und es steckt mittlerweile einiges an historischem Gedächtnis in jeder neuen Folge einer Spiele-Serie - Mario, der pummelige italienische Klempner, hat seit seinem ersten, noch namenlosen Auftritt in DONKEY KONG, die längste, reichhaltigste ungebrochene Karriere aller Videospielfiguren gemacht.

So hat Nintendo es auch bei seinen neuen Top-Racern für den Gamecube nicht verabsäumt, viel Wiedererkennungswert reinzupacken für alle, die Marios Stammhaus schon länger die Treue halten. Besonders MARIO KART: DOUBLE DASH ist voller vertrauter Nintendo-Charaktere und visueller Anspielungen an Level aus beliebten Mario-Games. Und F-ZERO GX hat, wie erwähnt, etliche Piloten und Vehikel aus seinen beiden Vorgängern beibehalten. In beiden Spielen sind darüber hinaus auch die Rennstrecken selbst Straßen der Erinnerung, gepflastert mit Reminiszenzen - fast alle Kurse sind spektakuläre Neuinszenierungen oder (teils extreme) Weiterentwicklungen von Vorfahren aus den SNES und N64-Inkarnationen.

Das alles aber könnte noch bloße nostalgische Oberfläche sein, Schaufensterdekoration. Entscheidender ist, dass sich Nintendo bei diesen Games auch im eigentlichen Spieldesign im positiven Sinne konservativ zeigt: Bewusst seiner Wurzeln, das Bewährte wahrend. Sowohl MARIO KART: DOUBLE DASH als auch F-ZERO GX besinnen sich (mitunter fast schon radikal) auf ihr Kerngeschäft - der eine greift nach der Krone als vergnüglichster Mehrspieler-Renner, der andere will das schnellste, herausforderndste Solo-Geschwindigkeits-Spektakel sein.

Dabei scheut Nintendo auch nicht davor zurück, branchenübliche Gesetze der Serie zu missachten: Normalerweise erwartet man von Sequels, dass sie gegenüber ihren Vorgängern die Komplexität steigern. Was Kennern der MARIO KART-Reihe hingegen bei DOUBLE DASH sofort auffallen wird: Den Karts wurde die Fähigkeit genommen, kleine Hüpfer auszuführen - mit denen man früher manch Gefahren ausweichen und manch Kurve deutlich schneller nehmen konnte. Dieser scheinbare Rückschritt wurde von den Entwicklern offenbar ganz bewusst in Kauf genommen, um Anfänger und Könner auf der Strecke wieder näher zueinander zu führen, denn wer alle Finessen der Hüpf-Technik beherrschte hatte früher einen kaum wettzumachenden Vorteil gegenüber den Dilettanten. MK:DD aber will eine perfekte Party-Sause bieten. Spaß auch für alle, die noch nicht die All-Cup-Tour im Mirror-Mode mit einer Hand auf dem Rücken bezwingen können - und zwar auch bei einer relativ breiten Streuung der Rennerfahrung.

Das ist eines dieser subtilen, aber enorm entscheidenden Details, die sich niemals ins Blickfeld drängen, die aber eine ungeheure Anstrengung der Entwickler verlangt haben müssen (was oft gerade Spiele von Nintendo auszeichnet): MARIO KART: DOUBLE DASH ist so ausbalanciert, dass im Vergleich zu seinen Vorgängern der Zufall eine größere Rolle spielt, dass in einzelnen Rennen durchaus auch mal blutige Anfänger selbst gegen einigermaßen geübte Fahrer Chancen haben auf vordere Plätze - aber diese Gewichtung geht nie so weit, dass sie das Gefühl von unfairer Willkür hervorrufen würde, und über eine Serie von mehreren Rennen setzen sich im Endeffekt Können und Erfahrung dann doch immer wieder durch. Das Spiel erreicht dies zum einen dadurch, dass die zufälligen Bonus-Items bei der Rennentscheidung stärker ins Gewicht fallen als noch bei den vorigen MARIO KART-Titeln. Was auch, aber nicht ausschließlich, dadurch bedingt ist, dass mangels des Hüpfers es nun schwieriger geworden ist, den von anderen Spielern auf der Strecke platzierten Gemeinheiten wie Bananenschalen auszuweichen. (Wieder ist außerdem die Verteilung der Items offenbar nicht komplett aleatorisch, sondern zu einem gewissen Grad an den Rennverlauf geknüpft:

Wer beispielsweise dem Rest des Feldes mit großem Abstand vorausfährt, wird sich bald wundern, wie viel der blauen Stachel-Panzer, die automatisch den Führenden aufspüren und in die Luft jagen, plötzlich hinter ihm ins Spiel kommen.) Darüberhinaus bringt die Kenntnis der versteckten Abkürzungen keinen gesicherten Vorteil mehr: Manche der zeitsparenden Mini-Umleitungen kann man nur nehmen, wenn man gerade ein Turbo-Boost-Item zur Hand hat, andere sind selbst für relativ geübte Fahrer so prekär zu nehmen, dass sie mit ähnlicher Wahrscheinlichkeit zum crashbedingten, herben Zeitverlust führen können wie zum Sekundengewinn.

Dazu gehören zwei

Von diesem Geist der Chancengleichheit ist auch die (titelgebende) Neuerung dieses MARIO KART-Spiels beseelt: In jedem Gefährt hockt jetzt ein Team aus zwei Fahrern. Fahrer-Charaktere wie die Karts sind in drei Gewichtsklassen unterteilt, die gewisse Beschränkungen mit sich bringen, welche Figuren welche flitzenden Untersätze steuern können. Aber statt MARIO KART damit zu einem verkappten GRAN TURISMO zu machen, hat man hat auf allerlei denkbare Komplexitäten (z.B. Auswirkungen der Gewichtsverteilung der Piloten auf das Fahrverhalten der Karts) verzichtet - es geht einfach um Steigerung des Mehrspielerspaßes. Für den Einzelkämpfer halten sich die Konsequenzen der Fahrer-Verdopplung denn auch in Grenzen: Sie bedeutet letztlich nicht mehr, als dass man nun potentiell zwei Items bereit halten kann und - durch simplen Wechsel der Fahrer/Beifahrer-Rollen - auch bestimmen, welches von beiden man zuerst einsetzt.

Außerdem entscheidet man durch die Wahl der Charaktere und ihrer (zu jedem Rennzeitpunkt tauschbaren) Aufgabenverteilung, welche figurenspezifischen Spezial-Bonus-Items zur Verfügung stehen. Richtig lustig wird's erst, wenn tatsächlich zwei menschliche Spieler pro Kart die Steuerung übernehmen. Noch weniger spektakulär: Wenn beide Spieler eines Teams im richtigen Moment den Start-Boost auslösen, dann geht's mit einem besonders starken Anfangsschub - eben dem "Double Dash" - auf die Strecke. Aber der Beifahrer bekommt auch noch die Möglichkeit, von anderen Teams mit einem geschickt getimten Rempler Items zu klauen. Und wie heißt es bei Volksfest-Fahrgeschäften immer so schön: Da geht es rund, ja das macht Spaß, kommen Sie, schauen Sie, da muss man dabei sein, Halligalli für den Herren, für die Dame, für das Kind.

Und so schön es ist, eingespielten Teams bei der reibungslosen Arbeit zuzuschauen: Richtig erheiternd ist die Anfangsphase, in der es noch unzählige Kommunikations- und Abstimmungsprobleme gibt und man zwar keine Bahnrekorde produziert, aber etliche Lachanfälle. Nebenbei ist der Team-Modus auch noch eine prima Möglichkeit, um komplette Neulinge an MARIO KART: DOUBLE DASH heranzuführen und ihnen dabei gleich Erfolgserlebnisse zu verschaffen: Sie können ihre ersten Runden in der weniger anspruchsvollen Beifahrer-Position mit einem erfahrenen Lenker drehen, sich dann erstmal nur für einfacher zu bewältigende Streckenabschnitte zwischendurch ans Steuer wagen.

Es wäre lächerlich, einem Western vorzuwerfen, dass er nicht auf einem Schiff spielt, nur weil man Piratenfilme bevorzugt. Und so kann man die Art von Spiel, die MARIO KART: DOUBLE DASH sich entschieden hat zu sein - nämlich ein heidenspaßiges Multiplayer-Game mit niedriger Einstiegshürde -, mögen oder nicht, aber es hat keinen Sinn, ihm Versagen andichten zu wollen bei etwas, das dieses Spiel bewusst nicht will. Was man allerdings monieren mag ist, wie unbarmherzig konsequent MK:DD den Gamern seine Philosophie aufnötigt. Die Entwicklern scheuten sich offenbar, die Pandora-Büchse der allzu tief ins Spiel eingreifenden Optionen überhaupt aufzumachen, trauen den Gamern anscheinend keinen mündigen Umgang mit einmal zum Verstellen freigegebenen Parametern zu.

Gerade im LAN-Modus ist das schade, denn zwar sorgt die kompromisslos erzwungenen Zufalls-Zuweisung von Fahrern und Gefährten durchaus dafür, dass es keine langen Diskussionen und Taktierereien vor dem Rennstart gibt und Vor- und Nachteile der Teams gleichmäßig (un)gerecht verteilt werden - ganz im Sinne des unkomplizierten, flotten und Gelegenheitsspieler-freundlichen Multiplayer-Erlebnisses.

Aber wenn dann halt doch mal Profis unter sich wären, hätten die gewiss nicht minder Spaß an der Möglichkeit, ihr pures Können beispielsweise im Kampf identischer Wägen und Teams und nur mit einer selbestgewählten Selektion von Items auf der Strecke zu messen. Und wenn man aus designphilosophischen Gründen schon mit Optionen geizt - hätte man dann den wackeren Solo-Gamern nicht wenigstens ein paar andere freischaltbare Belohnungen spendieren können, als Anreiz für ihr Tun? MK:DD ist bei seinen Bonus-Leckerli viel zu vernünftig, viel zu sehr auf echten Nutzen bedacht: Freispielen lassen sich nur neue Cups, Karts, Fahrer und Arenen für den - im übrigen auch sehr heiteren - Battle-Modus, in dem man sich auf eng umzäuntem Areal in drei verschiedenen Kart-Kampfspielen in den direkten Clinch mit seinen Kontrahenten begeben darf. Wo ist all der virtuelle Nippes, den man in so vielen anderen Gamecube-Spielen von Nintendo sammeln konnte?

Mit SUPER SMASH BROS., das im Grunde ja ein noch viel astreineres Mehrspieler-Game ist als das Kart-Rennen, hat man doch selbst vorgemacht, wie man schier endlose Beschäftigung durch völlig nutzlose, aber hübsche Sammelgegenstände bieten kann. Man hat zwar durchaus einige Stunden recht spaßiger und gegen Schluss auch herausfordernder Solospieler-Betätigung vor sich, bis man wirklich alle Cups gewonnen, auch die allerletzten Hürden genommen hat. Aber das Spiel hielte einen in der Endphase dabei besser bei der Stange, wenn es nicht so knauserig würde. So gibt es beispielsweise in der All-Cup-Tour, an der man immerhin rund eine dreiviertel Stunde spielt, ausschließlich für die Goldtrophäe in der 150cc-Klasse etwas zu gewinnen. Das Üben auf dieses Ziel hin wäre zweifelsohne motivierender ausgefallen, wenn für Erfolge in den niedrigeren Klassen und Bronze- und Silber-Platzierungen auch wenigstens kleine Belohnungen rausspringen würden.

Ich weine nicht - Das ist der Fahrtwind

Da hat im Vergleich dann F-ZERO GX quasi einen Heimvorteil: Denn auch bei diesem Game geht Nintendo noch radikaler den Weg, den das SNES-Vorbild einst aufgezeigt, vorgegeben hat - aber F-ZERO war eben ein Spiel, das dem Einzelspieler reichlich harte Herausforderung geben wollte, und so bietet F-ZERO GX dann auch scheinbar mehr und längerfristig Beschäftigungsmöglichkeiten als MARIO KART: DOUBLE DASH.

Da gibt es dann einen Story-Modus, der sogar mit speziellen Strecken aufwartet und nicht etwa nur Kurse des Hauptspiels recyclet; da gibt es dreißig Piloten mit dreißig Gefährten, und zu jedem von ihnen ein individuelles Profil mit ureigenem Titelsong (wo manche der Figuren auf der Rennbahn nur davon träumen können, so fetzig zu sein wie ihre persönliche Musik - ich sag' nur: Come on baby, let's do the "Octoman"!); da gibt es unzählige Gleiter-Einzelteile freizuspielen, aus denen man sich dann auch noch, mit buchstäblich tausender Kombinationsmöglichkeiten, neue Rennschüsseln zusammenschrauben kann. (Die meisten Extras schaltet man übrigens nicht durch fest vorgegebenen Spielleistungen frei, sondern man verdient sich durch Rennsiege so genannte "Tickets", mit denen man dann in einem Shop auf Einkaufstour gehen kann.)

Und es gibt einen Schwierigkeitsgrad, der sich gewaschen hat. Mit Anfängerfreundlichkeit ist da schnell Schicht im Schacht. Bei MARIO KART: DOUBLE DASH kann man in der 50cc-Klasse schon beim allerersten Befahren der Strecken alle Cups als Goldtrophäengewinner besiegen, ohne dabei in den Einzelrennen mehr als ein, zwei Mal auch nur in die Gefahr eines schändlichen 2. Platzes zu kommen. Und bei F-ZERO X auf dem N64 war das mit der "Novice"-Stufe noch ganz ähnlich. Bei F-ZERO GX dagegen gibt es Strecken, bei denen man froh sein kann, wenn man im fünften Anlauf überhaupt mal eine ganze Runde übersteht. Und dazu Computer-Gegner, die man in den höheren Stufen heiß und innig zu hassen lernt.

Oder, um ein anderes Maß für den Schwierigkeitsgrad zu geben: Zeitgleich zu F-ZERO GX bringt Sega den Arcade-Automaten F-ZERO AX in die Spielhallen - und dessen Strecken und Piloten sind auch in dem Gamecube-Spiel versteckt. Um sie freizuschalten, gibt es zwei Möglichkeiten: Man begibt sich mit seiner Gamecube-Memorycard an einen F-ZERO AX-Automaten, spielt den gewünschten Kurs mit dem gewünschten Charakter, lässt das auf der Speicherkarte vermerken, und schon hat man auch an der heimischen Konsole Zugriff darauf. Oder man gewinnt, ganz ohne Zuhilfenahme von F-ZERO AX, bei GX alle Cups im Master-Mode (für die AX-Strecken) und bezwingt den Story Mode auf "Very Hard" (für die AX-Piloten).

Und da muss man sagen: Den nächsten F-ZERO AX-Automaten aufzusuchen ist bis zu einem Umkreis von 3000 km doch die klar unaufwendigere Lösung. Der Master-Mode soll schon erwachsene, gefühlskalte Männer mit Tränendrüsenamputation zum Weinen gebracht haben.

Wobei man zugeben muss, dass am Anfang die Lernkurve mit Abstand am steilsten ist - es ist z.B. ungleich aufwendiger, soweit zu kommen, dass man im "Novice"-Modus alle Strecken mit einem 1. Platz absolvieren kann, als dann den Sprung zu schaffen, bis einem dies auch in der "Standard"-Schwierigkeit gelingt. Nur die Beherrschung der sogenannten "Snaking"-Technik braucht dann nochmal gehörige Lehrzeit: Richtiges Kurven-Driften löst Mini-Turboboosts aus, und durch eine spezielle Art freiwilliges, gerade noch kontrolliertes Schlingern kann man sich diesen Geschwindigkeitsvorteil auch auf gerader Strecke sichern - was für absolute Spitzenzeiten unerlässlich ist.

Dass der Einstieg ins Hochgebirge der F-ZERO GX-Meisterschaft so harsch ausfällt, hängt damit zusammen, dass - obwohl der Einfluss von futuristischen Racern wie WIPEOUT völlig unverkennbar ist - sich F-ZERO GX ein ganz eigenständiges, noch von der 2D-Urfassung beeinflusstes Renngefühl bewahrt hat, das am Anfang durchaus einiger Gewöhnung bedarf: Die Gleiter in diesem Spiel schweben nicht über die Strecke, sie kleben vielmehr magnetisch auf ihr. Erst wenn man sich in das Handling richtig eingefunden hat (das in F-ZERO GX bei den diversen Vehikeln auch noch viel extremere Unterschiede aufweist, als es die verschiedenen Karts in MK:DD tun), kann sich der Rausch der Geschwindigkeit voll einstellen - das aber um so heftiger. Zum ersten Mal in meiner Gamer-Karriere habe ich nachvollziehen können, warum manche Leute behaupten, dass ihnen beim Videospielen schlecht wird.

Und wenn sich beim F-ZERO AX Arcade-Automaten auch noch das Cockpit mitbewegt, kann man nur allen Spielhallenbetreibern raten, Spuckkübel bereitzuhalten: Achterbahn ist gegen F-ZERO nämlich harmloses Kettenkarusell. Es ist, jenseits aller Spiel-Struktur und dergleichen, eben das Renn-GEFÜHL, das Nintendo mit beiden Titeln perfektioniert hat: Bei F-ZERO GX das Feeling, immer hart am Rande zum Kontrollverlust entlangzuzoomen, auf einer immensen, aber fließenden Kraft zu reiten, die beim minimalsten Fehler komplett auszubrechen droht, in einem Tempo, das an die Grenzen der Wahrnehmungsfähigkeit rührt.

Und bei MARIO KART: DOUBLE DASH hingegen das muntere Sausen und Flitzen, das lustige Brummen und Summen, das grade drift- und hüpffreudig genug ist, um heiteren Schwung in die Sache zu bringen, ohne das Steuern je zum Kampf gegen unbeherrschbare Kräfte werden zu lassen. (Wenn man in der 150cc-Klasse die schmalen, bunten Kurven der "Rainbow Road" hinabrast, wird man sich zum allerersten Mal dran erinnern, dass da in der Spielanleitung doch irgendwas davon stand, dass auch der B-Knopf mit Funktion belegt war, "Bremsen", oder so...) Beide Varianten scheinen, hat man den Controller in der Hand, so selbstverständlich, so RICHTIG (die Eingewöhnungsphase bei F-ZERO GX nicht berücksichtigt), dass man wenig Gedanken daran verschwendet, wieviel Tüftelei die Erzeugung dieser Gefühle die Entwickler gekostet haben muss - denn sie sind letztlich ein hochkomplexes Resultat aus unzähligen subtilen Faktoren, einem Verhältnis von virtuellem Raum, Geschwindigkeit, Masse, einem Zusammenwirken von visueller Einkleidung, akustischer Begleitung, Kontrollmechanik, simulierter Physik.

Local Hero

Mit der Perfektion des Renngefühls hat F-ZERO GX im Wesentlichen auch schon die Perfektionierung seines intendierten Spielerlebnisses geschafft - dass es zum Einzelspieler-Game dann noch einen brauchbaren (bis zu) 4-Spieler-Splitscreen-Modus gibt, ist ein Zuckerl. Bei MARIO KART: DOUBLE DASH aber fängt man mit der Dreingabe an, und braucht zum wahren Kart-Glück eine Zutat, die Nintendo nicht liefern kann: Menschliche Mitspieler, und zwar möglichst viele. Und man braucht sie in einem Raum versammelt. Denn man kann zwar mittels Nintendos Breitband-Adapter bis zu acht Gamecubes zu einem MARIO KART-LAN zusammenschließen - auf dem "Information Super Highway" aber ist Sackgasse: Übers Internet lässt einen das Spiel nicht düsen.

Auch da geht Nintendo das Prinzip vor der Wahlfreiheit: Dass ausgerechnet dieser Multiplayer-Spitzentitel in der so entscheidenden Weihnachts-Saison auf Online-Unterstützung verzichtet, ist durchaus ein programmatisches Statement. Nintendo hat immer wieder betont, wie skeptisch es Konsolen-Online-Spielen zum jetzigen Zeitpunkt als Markt gegenübersteht. Und Nintendo mag ja vielleicht sogar recht damit haben, dass momentan noch kein wirklich profitables Geschäftsmodell in diesem Bereich auszumachen ist. Aber MK:DD den echten Online-Zugang zu verweigern, das ist wie das trotzige Zuschlagen einer Tür, die ein weniger sturer Konzern sich wenigstens einen Spalt weit hätte offen halten können. Das ist ein in seiner Deutlichkeit kaum zu überbietendes: Nicht mit uns! (Und ja: Es gibt inoffizielle Lösungen, wie man MARIO KART: DOUBLE DASH doch auch übers Internet zum Laufen bekommen kann (siehe Warp Pipe), aber das ist eben gerade als Signal für den Markt etwas ganz anderes als eine vom Hersteller implementierte und abgesegnete Anbindung.)

Vielleicht wollen Nintendos Designer auch die Menschen dazu zwingen, sich zu MARIO KART-Mehrspieler-Sessions wirklich persönlich, von Angesicht zu Angesicht zu treffen. Wohl wissend, dass nur so der volle, gesellige Spaß aufkommen kann, den eine Online-Runde von lauter allein daheim Gebliebenen nie erreichen wird. Wenn dem so ist, dann ist es pädagogisch wertvoll gemeint, aber auch mit wenig Blick für die Realität.

Es ist ein Jammer, dass MARIO KART: DOUBLE DASH wohl kaum je irgendwo so zu spielen sein wird, wie es merklich eigentlich gedacht ist; dass sein ganzes Design einem Ideal huldigt, das komplett unpragmatisch ist: Acht MK:DD-Discs in acht Gamecubes mit acht Breitband-Adaptern und acht Bildschirmen vernetzt. Und dann am besten noch an jeder Konsole wirklich zwei Piloten im Team. Selbst der hiesigen Nintendo-Dependance fiel es schwer genug, für ihre "red.race"-Veranstaltung, bei der Game-Redakteure gegeneinander ins Rennen geschickt wurden, ein adäquates Set-up auf die Beine zu stellen. Man musste sich mit sechs Einzelspielern an drei GCs mit drei gesplitteten Screens begnügen - und das war schon eine dermaßene Fetzen-Gaudi, dass es pfiff. (Kollege Rainald Menge und meiner Wenigkeit konnten uns, nebenbei bemerkt, bei der Münchner Vorrunde einen ehrenvollen Platz im Spitzen-Drittel erkämpfen und das gute Gefühl mitnehmen, gegen die späteren Sieger ausgeschieden zu sein.)

So viel Spaß auch in solchen "unvollkommenen" Besetzungen schon steckt - in letzter Konsequenz aber haben die Entwickler MARIO KART: DOUBLE DASH auf ein Ideal hin getuned, dass es in der realen Welt für die allermeisten Spieler nie zu erleben geben wird. Das ist etwas eigenbrötlerisch, versonnen-versponnen und ein wenig auch arrogant. Andererseits: Wenn das heutige Videospielgeschäft von einer Sache dringend mehr bräuchte, dann ist das unpragmatischer Idealismus.