Es war einmal in Sibirien...

Neue Funde: Kamen die ersten Menschen bereits vor 30.000 Jahren nach Amerika?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Besiedlung Amerikas wird gewöhnlich auf die Zeit von 13.000 bis 14.000 v. Chr. zurückgeführt. Dafür sprechen die Funde aus Berelekh, 1972 erstmals beschrieben und 1993 von amerikanischen Autoren als wahrscheinlichste Form der menschlichen Besiedelung angenommen. "Dem ist nicht so," sagen Vadimir Pitulko und Mitarbeiter aus Russland in Science. "Wir haben Zeugnisse für eine Siedlung am Jana Fluss gefunden: vom Jahr 27.000 v.Chr. und älter sind die vielen verschiedenen Fundstücke."

Die Landkarte zum Verständnis der ostsibirischen Jana RHS-Funde (Bilder: Science)

Was die Forscher anhand der Stelle "Jana RHS", bei 71 Grad nördlicher Breite, dokumentieren, ist mehr als eine Vielzahl von Bruchstücken. Die Knochen und Reste von Steinartefakten finden sich in den Terrassen, die den Fluss begleiten, etwa 50 km bevor er sich in ein riesiges Flussdelta verzweigt. Das Tums1-Profil beispielsweise enthält zwischen 7 und 8 Metern im Sediment sowohl intakte wie auch Teile von Knochen vom Mammut, Bison und Pferd. Ferner fanden sich Harpunen vom Rhinozeros und vom Mammut, sowie ein Pferdeunterkiefer und Teile vom Braunbär und vom Löwen. Die 14C-Datierung beweist: Alle Ausgrabungen liegen zwischen 28.280 und 26.050 v.Chr.

Steinbruchstücke von Jana RHS: Bifaciale Abstreifer mit Arbeitsfläche (A und D)

Gut 800 Knochen und Knochenfragmente wurden in der Jana RHS gefunden. Abgesehen vom Mammut (Mammuth primigenius), Bison (Bison priscus), Pferd (Equus caballus) und Rhinozeros (Coelodonta antiquitatis) fanden sich auch Knochen vom Rentier (Rangifer tarandus). Darüber hinaus wurden weitere Spezies gefunden: Moschus (Ovibos mochatus), Wolf (Canis lupus), Polarfuchs (Alopex lagopus), Braunbär (Ursus arctos), der Löwe aus dem Pleistozän (Panthera spelae) und das Vielfrass (Gulo gulo).

Organische Artefakte von Jana RHS: Das Ende einer Harpune von Rhinozeros, B und C ein Metatarsal vom Wolf mit Markern

Es handelt sich um eine Vielzahl von Knochen, die in dieser Weise gleichwohl einmalig sind, weil sie bearbeitet wurden. Darin liegt das Besondere der Ausgrabungen: Es ist eine bifaziale, d.h. von beiden Seiten ausgeführte Technik, die aber noch nicht die Messerherstellung umfasst. Insofern unterscheiden sich die Jana RHS Funde von der späteren Dyuktai-Kultur (13.000 v. Chr.), die auch glatte Schneiden erkennen lässt.

Die Funde von Jana RHS datieren zwischen der Kuranakh-Sala-Erwärmung (dem letzten Intervall der Karginsk/Mittlere Wisconsin-Phase) und der Mus-Khaya-Abkühlung von der Sartan/Späte-Wisconsin-Eiszeit. In dieser Periode veränderte sich das Jana-Delta von einer mit Birken und Kiefern bewachsenen Landschaft zu einer Tundra. Dennoch war dieses Areal niemals von einer Eisdecke überzogen. Auch wenn die Temperaturen kälter waren als heute: Das Klima war für große Pflanzenfresser und ihre Jäger optimal.

Die wichtigste Frage lautet nun: Ist damit die Besiedlung Amerikas über die Landbrücke an der Beringstraße möglich gewesen? Immerhin wurde die Beringstraße in der Frühen-Wisconsin-Eiszeit geformt und war teilweise noch während der warmen Zeit (50.000-23.000 v. Chr.) passierbar.

Hoffecker, Powers und Goebel kamen 1993 in Science zu dem Schluss, dass die Gegend um die Beringstraße etwa um 12.000 (bis zu 14.000) besiedelt war, während die ersten Einwohner der Neuen Welt 11.200 nachweisbar sind. In dieser Zeit findet sich die Clovis-Kultur (um 11.000) mit ihren scharfen Klingen oder zumindest messerähnlichen Steinen. Allerdings sind die Clovis-Angehörigen nach ihrem Fundort in Neumexiko bezeichnet. Zudem setzen sie voraus, dass die Wanderung in Amerika relativ rasch erfolgte.

Nun gibt es in Alaska den Nenana-Komplex, jene Mixtur aus dem 11.Jahrtausend, die überwiegend dem bifazialen Werkzeug zugerechnet wird, d.h. doppelseitige bearbeitete Steinwerkzeuge, nicht aber Messer oder ähnliche Strukturen wie sie in Asien bereits bis 15.000 v. Chr. nachgewiesen werden. Zwischenzeitlich hat man für die Nenana-Kultur in ihrer ältesten Stadt, Broken Mammoth, allerdings auch messerähnliche Steine gefunden.

Und zudem wurden inzwischen auch Prä-Clovis-Stellen entdeckt, namentlich Monte Verde in Chile, die bereits 15.000 vorhanden waren. Damit gewinnen Bering-Enthusiasten an Raum, die eine erste Einwanderung über die Landbrücke bereits um 24.000 annehmen und dieser Besiedlung so die Zeit geben, Monte Verde überhaupt zu erreichen.

Bruce Bradley von Stanford, ein Anhänger der mehrfachen Einwanderung in Amerika, zitiert als Beispiel den Ort Cactus Hill in Virginia: "Die bemerkenswerte Übereinstimmung zur Clovis-Kultur zeigt, dass die Funde hier bereits 18.000 Jahre alt sind." Ferner erinnern diese Ausgrabungen an Solutrean im Norden Spaniens, weil sich solche Befunde zur gleichen Zeit entwickelt haben. "Wenn Bruchstücke, die an Solutrean erinnern, in der westlichen Beringstraße gefunden würden, gäbe es bei den Archäologen keinen Zweifel, eine Verwandtschaft mit Clovis zu vermuten," sagt Bruce Bradley. Damit sind zumindest solche Überlegungen ins Spiel gebracht worden.

Eines ist sicher: die Jana RHS mag eine der Stellen sein, an denen der Übergang zu Nordamerika festgemacht werden kann. Ob eine frühe Wanderung und damit eine erste Besiedlung erfolgte oder eine von mehreren Unternehmungen mit unterschiedlichem Beweggrund, muss offen bleiben. Eines ist zumindest sicher: Schon 30.000 Jahre vor unserer Zeit bestand die Möglichkeit, Nordamerika über den Landweg zu erreichen. Weitere Funde werden dies beweisen müssen.