Big Brother auf der Autobahn

Trotz Kritik der Datenschützer wird die Erfassung von Autokennzeichen per Video in einigen unionsregierten Bundesländern kommen, auch Nordrhein-Westfalen zeigt sich interessiert

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Im Windschatten der neusten Terrorwarnungen wird in verschiedenen Bundesländern über die Erfassung von Autokennzeichen per Video gestritten. Vorreiter ist dabei der Freistaat Bayern. Am 29.Dezember präsentierte das bayerische Innenministerium der Öffentlichkeit die Ergebnisse eines Modellversuchs. Mit dem geplanten satellitengestützten Mautsystem werden die Überwachungsmöglichkeiten allerdings noch weiter zunehmen.

An zwei Grenzübergängen zur tschechischen Republik wurden die Kennzeichen aller einfahrenden Fahrzeuge automatisch abgelesen und mit den Daten der Fahndungslisten verglichen. Auch bei kleinsten Verkehrsverstößen, wie einer Geschwindigkeitsübertretung oder einer Verletzung des Abstandsverbots zu anderen Autos, wurde dieser Datenabgleich auf den Autobahnen vorgenommen. Innenminister Beckstein sprach von einem großen Erfolg, so dass auch nach Abschluss des Modellversuchs der Datenabgleich mit einer stationären und zwei mobilen Videostationen fortgesetzt werden soll. Das Innenministerium versicherte, dass damit keine flächendeckende und lückenlose Speicherung aller Autofahrer eingeführt werde, da nur die Kennzeichen von den Fahrzeugen gespeichert würden, nach denen gefahndet wird. Dazu soll das Bayerische Polizeiaufgabengesetz geändert werden:

Das soll die Fahndung nach gesuchten Kraftfahrzeugen, vor allem der von international agierenden Straftätern unterstützen. Die weiter angespannte Sicherheitslage durch den internationalen Terrorismus und die rechtlich verpflichtenden Schengen-Vorgaben für eine möglichst lückenlose Kontrolle an der EU-Außengrenze erfordert neue technische Wege.

Innenminister Dr. Günther Beckstein

Protest kam vom innenpolitischen Sprecher der FDP-Fraktion Max Stadler, der von einen "ersten Schritt in den Überwachungsstaat" warnte. Der Liberale kritisierte besonders, dass es sich um verdachtsunabhängige Kontrollen handele, die unserem Rechtssystem fremd seien.

In anderen Bundesländern haben ähnliche Überwachungen mehr Wirbel ausgelöst. So moniert die hessische SPD die fehlende rechtliche Grundlage einer Autobahnüberwachung im letzten Herbst. Auf der Autobahn Frankfurt-Köln wurden mehrere Wochen lang bei einer Geschwindigkeitsübertretung nicht nur wie üblich die Autos geblitzt, sondern auch die Nummernschilder erfasst. Das hessische Innenministerium hat jetzt eine Änderung des hessischen Polizeigesetzes angekündigt, die eine Legalisierung der Überwachung ermöglichen soll.

Auch in Thüringen hat die geplante Überwachung der Autokennzeichen noch kurz vor Weihnachten zu einem heftigen Schlagabtausch im Landtag geführt. In der Kritik stand wieder einmal der Landesinnenminister Andreas Trautvetter, der schon vor einigen Monaten mit einer Kameraüberwachung der Weimarer Innenstadt für Schlagzeilen sorgte (Weimarer Provinzposse mit Kamera.

Die Oppositionsparteien SPD, PDS und Bündnisgrüne monierten die verdachtsunabhängige Überwachung aller Autokennzeichen auf der neu errichteten Autobahn 71 zwischen Erfurt und Suhl. Sogar Trautvetters Rücktritt wurde gefordert, weil die Überwachung nach Meinung der Opposition gegen zahlreiche Ländergesetze verstoße. Trautvetter verstrickte sich in der Landtagsdebatte in zahlreiche Widersprüche. Selbst seine eigene christdemokratischen Partei stand nicht mehr geschlossen hinter ihm. In den Medien wurden einschlägige Äußerungen des umstrittenen CDU-Politikers zitiert, die an seinen Rechtsstaatverständnis zweifeln lassen. So soll er vor einigen Jahren erklärt haben: "Ich habe großes Verständnis für den Rechtsstaat, aber manchmal wünsche ich ihn mir weg." Immerhin wurden die erfassten Kennzeichen nun vom Thüringer Innenministerium gelöscht, wie dies der Datenschutzbeauftragte des Landes, Silvia Liebaug, gefordert hatte.

Trautvetters christdemokratischen Amtskollegen gehen vorsichtiger vor. So kündigte das niedersächsische Innenministerium an, im nächsten Jahr probeweise mobile Videokameras zur Aufnahme von Autokennzeichen zu installieren - ohne dafür das Polizeigesetz ändern zu wollen. Angeblich werden nur bei einer Übereinstimmung des Kennzeichens mit den Daten im Fahndungscomputer des Bundeskriminalamtes ein Signal ausgelöst, die Kennzeichen der übrigen Autos sollen nach dem Abgleich sofort gelöscht werden. Auf diese Weise glaubt Innenminister Uwe Schünemann, Probleme mit dem Datenschutz umgehen zu können.

In Baden-Württemberg werden noch die rechtlichen Grundlagen für die Autokennzeichenüberwachung geprüft. Es soll zunächst eruiert werden, ob die Überwachung vieler Unschuldiger mit dem Datenschutz vereinbar sei, heißt es aus dem Stuttgarter Innenministerium. Der Datenschutzbeamte des Landes hat Bedenken angemeldet.

Auch die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat trotz zahlreicher Warnungen schon Interesse an der Datenerfassung auf Deutschlands Autobahnen bekundet. Man lehne die Initiative der unionsregierten Länder nicht rundweg ab, erklärte eine Sprecherin des Düsseldorfer Innenministerium gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Wie so oft bei dem im Namen der inneren Sicherheit vollzogenen Abbau von Freiheitsrechten läuft auch hier Rot-Grün den Konservativen hinterher. Verteidiger des Datenschutzes müssen wieder einmal erkennen, dass sie auf parlamentarischer Ebene wenig Unterstützung haben.