"Absolut im Trend"

Still und heimlich: Die Einführung digitaler Ausweispapiere mit biometrischen Merkmalen bleibt weitgehend unbeachtet

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Noch vor wenigen Jahren von den meisten als Fiktion abgetan, nimmt die Integration persönlicher Merkmale wie dem Fingerabdruck weltweit Kontur an. Nachdem die meisten westlichen Industriestaaten entsprechende Vorhaben in Planung haben, müssen nun auch andere Staaten nachziehen. Jüngstes Beispiel: Bosnien-Herzegowina, ein Land mit durchaus dringlicheren Problemen. In der Bundesrepublik geht das Thema still und leise, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt und undiskutiert, seinen Gang.

"Bosnien-Herzegowina liegt mit dieser E-Government-Lösung absolut im internationalen Trend, Biometrie in Personalausweise zu integrieren", verkündete Siemens Business Services bei Geschäftsabschluss Anfang Dezember stolz. 4 Millionen Ausweispapiere, Personalausweise und Führerscheine umfasst der Auftrag aus Bosnien-Herzegowina. Einem Land mit ungezählten ethnischen Konflikten, in dem seit 1995 auf Druck der internationalen Gemeinschaft und unter Anwesenheit internationaler Truppen ein brüchiger Frieden herrscht. Die neuen Ausweise machen zwischen Serben, Kroaten und Bosniaken jedoch keinen Unterschied: Bis zum Jahresende 2004 soll sich jeder Einwohner der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik mit digitalisiertem Fingerabdruck ausweisen können.

Binnen der kommenden 6 Jahre will auch Italien, derzeit ohnehin als Musterland gelebter Demokratie bekannt, biometrische Merkmale in die Ausweispapiere seiner Bürger integrieren. Die auf Technik des deutschen Herstellers Mühlbauer beruhende "Carta d'Identita Elettronica" soll den Bürgern zusätzlich gleich noch als qualifizierte digitale Signatur dienen. Auch über eine Integration der einmal erhobenen Daten in ein digitales Bezahlsystem und in eine Gesundheitskarte wird in Rom laut nachgedacht.

Still und Leise durch das Parlament

In der Bundesrepublik wurde die Einführung biometrischer Ausweispapiere im Zuge der "Terrorpakete" von Innenminister Otto Schily durchgesetzt. Ohne dass es eine nennenswerte öffentliche Debatte gegeben hätte, hat der Bundestag sich der Argumentation Schilys, dass "die Würde des Fingerabdrucks nicht unantastbar" sei, weitgehend angeschlossen. Die kaum nennenswerte Diskussion nahm teilweise groteske Züge an, als die Streitigkeiten sich nicht um die Einführung, sondern nur um Details wie die zentrale Datenspeicherung drehte - die de jure mit dem Volkszählungsurteil von 1983 unvereinbar ist. Eine in Auftrag gegebene Studie des Büros zur Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), die eigentlich im Oktober 2003 veröffentlich werden sollte, ist bis heute im Giftschrank geblieben. Angesichts früherer Einschätzungen des TAB wenig verwunderlich:

Die Sozialverträglichkeit biometrischer Verfahren wird sich zum einen daran erweisen müssen, dass ihre breite Implementierung nicht zur weiteren 'digitalen Spaltung' der Gesellschaft beiträgt, zum andern daran, dass kein 'Zwang zur Biometrie' entsteht.

Sachbericht des Büros zur Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) im Februar 2002

Dabei bestehen erhebliche Zweifel an der Geeignetheit: Der Fingerabdruck ist als Identifikationsmerkmal in den USA in jüngerer Vergangenheit verschiedentlich von Gerichten nicht als Beweis zugelassen worden - er gilt als Identifizierungsmethode zu unsicher. Und auch die Bundesregierung musste noch 2002 zugeben, dass keine verlässlichen Grundlagen für den Einsatz existieren.

Dennoch zeigt sich die Branche zuversichtlich - denn große Umsätze sind durch die weltweite Angst vor Terroristen scheinbar gesichert[7]. Obwohl nur den Behörden bereits bekannte, potenzielle Terroristen anhand der biometrischen Merkmale identifiziert werden können, muss in fast jedem Staat das Terrorargument herhalten. Angesichts der Tatsache, dass die meisten Attentäter des 11. September den Ermittlungsbehörden bekannt waren und nicht fehlende Identifikation, sondern interne Schlampereien ein rechtzeitiges Einschreiten verhinderten, eine zumindest fragwürdige Argumentation. Die technische Realisation biometrischer Systeme steht derweil weiter auf tönernen Füßen:

Die erreichte Erkennungsleistung von knapp 50% ist allenfalls in einem automatisierten Überwachungsszenario ausreichend, für eine automatisierte Zutrittskontrolle ist sie jedoch nicht akzeptabel.

BioFaceII-Gutachten, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Juni 2003

Ein genaues Datum zur Einführung von Personalausweisen mit biometrischen Merkmalen in der Bundesrepublik steht noch aus - dafür macht sich das Bundesinnenministerium nun für eine europaweite Lösung stark (Europäer sollen biometrisch erfasst werden). Und der IT-Branchenverband BITKOM und das BKA träumen von einem großen Biometrie-Feldversuch zur Fußball-WM 2006 - mit Gesichtserkennung. Hauptsache, man liegt "absolut im Trend."