Wir sind die Roboter

Neue Freunde für das Publikum, frisch ab Werk

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Roboter waren bis vor kurzem nicht mehr so recht hip, weder bei den Entwicklungsabteilungen der Elektronik- noch denen der Kulturindustrie. Die ungelenken Blechdeppen hatten definitiv Staub angesammelt, man gestand ihnen allenfalls den Retrocharme eines uneingelösten Versprechens aus den Vierzigern und Fünfzigern des letzten Jahrhunderts zu. Seitdem die ersten halbwegs ernsthaften robotischen Produkte für den Massenmarkt erschienen sind, ändert sich das nachhaltig. Was die Roboter angeht, ist das "öffentliche Unbewusste" bei einer Durchdringung der realen Jetztzeit und der imaginären Baldzeit angekommen, die Schwindel erzeugen kann.

NS-5 (Kleine Bilder: Qrio von Sony)

Nehmen wir zum Beispiel Qrio. Qrio ist das neueste Roboterprodukt von Sony und wird derzeit heftig als der Stein des Weisen in der Marktnische beworben, die man als consumer robotics bezeichnen könnte. Sony hat es mit seinen fallenden Geschäftsergebnissen und seinem schlechten öffentlichen Ansehen derzeit dringend nötig, als Zugpferd der Innovation aufzutreten, sonst könnte der Lack bald ganz ab sein.

Laut Werbematerial kann Qrio nicht nur laufen, Treppen steigen, und sogar rennen - er wehrt sich auch gegen Einflüsse, die ihn umwerfen wollen (was immer das genau heißen mag), und wenn er doch einmal hinfallen sollte, steht er von allein wieder auf. So radikal neu ist das alles nicht, schon Aibo sollte viele dieser Wunderdinge vollbringen können - wobei jedem, der einmal einen Aibo in Aktion gesehen hat, schwere Zweifel an der "Autonomie" des Roboterhundes gekommen sein dürften. Die Integration der besagten "autonomen" Fähigkeiten in einem System, das auf zwei Beinen unterwegs ist, hat eine Menge Arbeit erfordert - nehmen wir für den Moment einmal an, dass Sony diese harte Nuss mehr oder minder geknackt hat und nicht einfach nur in hastiger Innovationshysterie lauter schlecht funktionierende Betaversionen auf den Markt wirft.Was an der Werbestrategie für das Produkt sofort auffällt, ist die hemmungslose Tendenz zur Anthropomorphisierung. Sollte Aibo noch das ideale Haustier sein, das keinen Dreck macht, kein Futter braucht, und sich seine Lebensenergie selbst aus der Aufladestation saugt, so wird Qrio bereits als ein wahrer Freund angepriesen. Die beauftragten PR-Agenturen haben es sich leicht gemacht, und die Wunschträume der Sony-Entwicklungsabteilung so ernst wie nur möglich genommen. Von Emotionen ist die Rede, die Qrio gestisch und per Farbcode ausdrücken könne, Qrio sei wie geschaffen, um seinen Besitzer aufzuheitern und mit seinem eingebauten Optimismus anzustecken, man habe Qrio entwickelt, um dem Menschen zu dienen. Die menschenähnliche Maschine, die erst noch kommen soll, und die manche sogar für völlig unmöglich halten (vgl. Menschengleiche Maschinen), existiert schon, sie heißt Qrio und kann jetzt bestellt werden.

Wäre es nicht lustig, mit einem so putzigen kleinen Kerl zusammen zu leben, der nie Ansprüche stellt und immer da ist, wen man ihn braucht? Zwar hat er keinen wirklich praktischen Nutzen, abgesehen davon, dass er mit dem Internet Kontakt aufnehmen und dem Besitzer seine E-Mails vorlesen kann. Freunde sollen uns ja auch nicht ständig von Nutzen sein, wir begeben uns in ihre Gesellschaft, weil wir sie mögen. Und genau diesen Anspruch erhebt die Marketingkampagne zu Qrio: Er wurde gebaut, um gemocht zu werden.

Wer sich darüber wundert, dass man so einen Unfug ernst nimmt, der sollte sich das Verhalten mancher Autobesitzer gegenüber ihrem Wagen anschauen, das vollkommen die Definition einer langjährigen Liebesbeziehung erfüllt, oder die einseitige aber ausdauernde Hassliebe zwischen PC-Usern und ihren Maschinen, in denen vieles vorkommt, was auch problematische Ehen belastet. Menschen behängen Maschinen mit Gefühlen. Qrio ist in dieser Hinsicht nichts anderes als ein speziell designter Gefühlskleiderständer. Wenn schon der Hausarzt Haustiere als Therapeutikum gegen Einsamkeit empfiehlt, warum es nicht mit einem Roboter versuchen, der auf Dauer viel weniger kostet, aber viel mehr kann als ein Papagei oder ein Aquarium voller Guppys? Um den Geschäftserfolg von Qrio braucht man sich keine Gedanken zu machen. Vielleicht eher um die Situation der Leute, die so etwas erfinden und benutzen. Das wird dann völlig klar, wenn man sich ein Produkt aus der phantastierten Robotik ansieht.Der NS-5 kann all das, was Qrio noch nicht kann, wie z.B. denken und Spiegeleier machen. Aber er ist kein realer Roboter, sondern kommt in einer Verfilmung von Isaac Asimovs I, Robot vor und fristet sein Leben vorerst nur auf einer sehr schicken Website, die zwar eigentlich den Film bewirbt, das aber in Form einer Produktpräsentation für den NS-5 tut.

Bemerkenswert ist daran vieles. Nicht nur handelt es sich hier um die Verfilmung eines Stoffs aus den Vierzigern des letzten Jahrhunderts. Der Werbesong zum Werbeclip ist ausgerechnet "My Generation" von The Who, also ein Song aus den Sechzigern des letzten Jahrhunderts - perfekt wird hier die zeitgenössische Werbeindustrie nachgeahmt, die sterilen Lifestyleprodukten regelmäßig durch Rückgriff auf den Stil vergangener wilder Tage Leben einhauchen will, und damit eine höchst eigenartige Form von Rückwärtsgewandtheit zelebriert. Dass man damit genau am Puls der Zeit ist, beweisen die vielen verwirrten Zuschauer, die im Kino glaubten, der Spot bewerbe einen echten, kurz vor der Markteinführung stehenden Roboter. Wirklich faszinierend ist die Kampagne für den NS-5 aber erst im Direktvergleich mit der für den Qrio. Abgesehen von der unmittelbaren Gestalt der beworbenen Produkts sind sie sich nämlich in Sprache, Ästhetik, Anspruch und Verlogenheit so ähnlich, dass man schnell auf den Gedanken kommt, hier habe ein Kreativteam vom anderen abgekupfert, und zwar in Bezug auf je ein reales und ein fiktives Produkt. Es ist die gleiche bizarre Idee des Roboters als besserer Freund, des biotronischen Lebensverstärkers und -verbesserers, die beide Werbeanstrengungen antreibt. Die gleichen regressiven Sehnsüchte nach der Allverfügbarkeit und totalen Zuverlässigkeit eines treuen Begleiters werden umworben, der gleiche Wahn, alles würde einfacher und schöner mit einer Maschine, die komplex genug ist, um alles zu können und zu wissen und doch stets ein devoter Diener zu bleiben.

Ideologisch gesehen gibt es zwischen Qrio und NS-5 nur einen einzigen Unterschied: Qrio wird präsentiert als großer Schritt in Richtung auf eine strahlende Zukunft. Das ist bei NS-5 auf den ersten Blick nicht anders, auf den zweiten aber sehr wohl, weil das Produkt, für das er eigentlich steht, nämlich der Film, immer noch von der Ahnung getränkt ist, es könnte etwas falsch gelaufen sein mit einer Gesellschaft, die NS-5-Roboter braucht. Aber wie üblich wird vor der falschen Katastrophe gewarnt, nämlich vor dem drohenden Aufstand der Maschinen. Das oberflächlich katastrophische Bewusstsein erreicht nicht einmal den Stand von E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann (1817), die eines der Hauptprobleme recht gut darstellt: In seiner überwältigenden Sehnsucht nach einer idealen Partnerin erkennt der liebesblinde Held Nathanael seine angebetete Olimpia so lange nicht als Automat, bis es zu spät ist. Als er gezwungen wird, die Wirklichkeit zu erkennen, verfällt er vollends dem Wahnsinn. Gemessen an der Genauigkeit der Beobachtungsgabe Hoffmanns sind alle späteren Szenarien vom Aufstand der Maschinen, ob sie uns nun bei Asimov oder den Wachowski-Brüdern begegnen, banal.

Man könnte nun immerhin hoffen, dass ein Film wie I, Robot wenigstens auf triviale Weise das Bewusstsein für die Probleme der consumer robotics schärft, aber wahrscheinlich wird das nicht der Fall sein. Am eigentlichen Problem, nämlich der Verdinglichung zwischenmenschlicher Beziehungen in unserer Gesellschaft, wird der Film im Namen der üblichen, reaktionären Horrorszenarien von der Insurrektion der Automaten vorbeigehen - die ja nichts anderes abbilden, als die Angst vor der Autonomie der Sklaven und ihrer Fähigkeit, selber zu denken. Dass die Kulturindustrie zwei Werbekampagnen wie die für den Qrio und den NS-5 so eng nebeneinander laufen lassen kann, weist darauf hin, dass die Zeit für eine weitere Verdinglichung aller Formen des menschlichen Zusammenlebens gekommen scheint - und für die Rückkehr der Sklavenhaltergesellschaft, schizophrenerweise in der berechtigten Angst, dass sie auf Dauer selbst mit robotischen Sklaven nicht funktionieren kann.

Wir müssen uns zu Robotern machen, um in den gegenwärtigen Robotikprodukten Menschen zu erkennen, die unserer emotionalen Aufmerksamkeit von gleich zu gleich wert sind, und das gelingt uns nur, weil unsere Gesellschaft längst den Roboter aus uns herausgekitzelt hat. Aber an Qrio und dem NS-5 gewinnt man diese Einsicht nicht - jedenfalls nicht, wenn die Marketingfachleute das verhindern können.