Wir erwarten noch einige große Knaller

Der Countdown zur Machtübergabe im Irak läuft

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Der Countdown zur Übergabe der Macht im Irak läuft und die ersten Raketen werden schon gezündet. Am ersten Juli soll der Irak an die Iraker übergeben werden: "Kein Picknick", kommentierte Englands Premier Blair die Aufgabe, den ambitionierten politischen Zeitplan einzuhalten und dabei für die nötige Sicherheit im Irak zu sorgen.

Trotz der Festnahme von Saddam Hussein würden die Zahl der Anschläge nicht weniger; wahrscheinlich sei, dass sie sogar zunehmen, ergänzte Blairs ranghöchster Diplomat im Irak, Sir Jeremy Greenstock: "Wir erwarten noch einige große Knaller". Für einen mittelgroßen Knaller sorgte schon mal die Bush-Administration mit ihrer diplomatisch prekären Ankündigung, dass der kurdische Norden den halb-autonomen Status bis auf weiteres behalten soll. Bis zum gestrigen Abend blieben offizielle Reaktionen der Türkei (13-19 Millionen Kurden) und Iran (6 -8 Millionen Kurden) auf diese Ankündigung aus. Nur der junge Löwe aus Syrien (1,5 Millionen Kurden), Baschar al-Assad, hat schon mal vorsorglich gebrüllt. "Ganz deutlich ja!", antwortete der syrische Präsident auf die Frage des türkischen CNN, ob er sich Sorgen über die kurdischen Hoffnungen auf Autonomie mache. Adnan Pachachi, der gegenwärtige Präsident des irakischen Regierungsrates, mahnte die Kurden derweil in einem Interview mit einem irakischen Fernsehsender zu Geduld. Der Föderalismus sei prinzipiell akzeptiert, aber es gebe verschiedene Formen des Föderalismus und er würde im Moment nicht sagen können, welche Form der Irak letztendlich wählen würde.

Ähnlich ausweichend die Begründung der Amerikaner für ihre Position: Seit man sich den Vereinbarungen des 15.November ( Zeitpunkt des neueren Zeitplans zur Machtübergabe, Anm. d. V.) verpflichtet gefühlt habe, so wird ein Mitglied der Administration zitiert, habe man realisiert, "dass es das Beste ist, nicht zu heftig am Staus Quo zu rütteln. Man überlasse es lieber, den Irakern das "große Problem" des Föderalismus im kurdischen Kontext zu lösen. Warum aber hat man dann überhaupt ein Statement zum Status des kurdischen Nordens abgegeben, wohl wissend, dass jede Diskussion über ethnisch aufgeteilte Staatsgebilde innerhalb des Iraks nur für weitere Ärgernisse sorgen kann? Die Reaktion der Turkmenen ist hier wohl nur der harmloseste Dominoeffekt.

Bis Ende Februar soll ein Komitee, das der Regierungsrat bestimmt hat, einen Entwurf für ein vorläufiges "Grundgesetz" (fundamental law) verfassen. Wenig Zeit, um die Konflikte zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden auf eine für alle zufrieden stellende Weise auszubalancieren. Zudem sind die Kurden sehr darauf bedacht, ihre derzeitige Halb-Autonomie auszubauen.

So haben die USA durch das Tempo, das der neue Zeitplan für die Übergabe vorgibt, nicht nur ihren Einfluss auf die Gestaltung des föderativen Systems neu überdenken müssen, sondern auch die Privatisierungspläne aufgegeben. Zuvor hoffte man, dass man mit der Privatisierung der staatseigenen Firmen, die von Saddam Hussein gegründet wurden, die Wirtschaft ankurbeln könne. Jeder wisse, dass man damit nicht warten könne, bis eine gewählte Regierung eine Wirtschaftsreform in Gang bringen würde, sagte Bremer noch vor einigen Monaten. Jetzt beantwortet Bremer entsprechende Nachfragen mit dem Hinweis, dass man darauf warten müsse, bis der Irak von einer eigenen Regierung regiert wird.