70 blaue Flecken

Zähne zeigen, sich selber finden: Tom Cruise bei der Deutschlandpremiere von "Last Samurai"

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"Ich habe acht Monate trainiert, 12 Kilo Muskeln aufgebaut." - es lohnt sich also doch, zum Bodybuilding zu gehen, keine Salami mehr zu essen und den Nachtisch wegzulassen. Tom Cruise ist der Beweis. Denn um seine Worte zu untermauern, stieg er kurzerhand auf den Tisch und gab vor der versammelten europäischen Presse eine Gymnastikstunde: Und eins und zwei, Fingerspitzen bis zum Knie, begleitet von eigenem Gelächter, damit auch jeder merkt, dass dies nur den Zustand vor dem Training zeigen soll, dann und drei, und vier, Fingerspitzen bis zu den Füßen - wer möchte da nicht selbst zum Samurai werden?

Von "70 blauen Flecken", die Cruise während der Dreharbeiten bekam, war allerdings auch noch die Rede bei der Europapremiere zu Cruise's neuem Film "Last Samurai" (vgl. Der letzte Indianerversteher) am Montag am Potsdamer Platz in Berlin. In dem Film, der heute in die Kinos kommt - Regie führte Edward Zwick - spielt Cruise einen traumatisierten US-Bürgerkriegssoldaten, der 1876 nach Japan kommt und zum Samurai wird. Durch den Kontakt mit der fremden Kultur heilt er schließlich auch seine Seele.

"Respekt vor anderen Kulturen" sei ihm wichtig, erklärte Cruise auch in Berlin, "In diesen Zeiten müssen wir eine gemeinsame Grundlage finden. Das geht nur mit Kommunikation". Wer würde da widersprechen wollen? Ein leichtes Zischen gab es unter den anwesenden Journalisten nur in dem Moment, in dem Cruise wie regelmäßig bei seinen öffentlichen Auftritten auf die Scientology-Kirche zu sprechen kam, als deren prominentester Botschafter er seit Jahren bekannt ist: "Mir hilft Scientology dabei, anderen zu helfen. Mein Ziel ist es, anderen zu helfen, Bedürftigen, Drogenabhängigen. Ich bin froh, so viele Leute von Drogen abgebracht zu haben." Soso denkt man, hört, wie Cruise von Drogenabhängigkeit und schlechten Eltern redet, und überlegt, wie es wohl zugeht, wenn er gemeinsam mit Penelope Cruz, seiner Ex Nicole Kidman und den gemeinsamen Adoptivkindern den Sylvesterurlaub verbringt.

Dann ist der obligatorische Scientologyabschnitt vorbei, und Cruise wieder auf die Schiene der üblichen Hollywoodunverbindlichkeiten eingeschwenkt: "Als Held verstehe ich mich privat nicht." Na klar. "Ich war sehr nervös, den Film in Japan zu zeigen", wer wäre das nicht? "Mit Werten wie Ehre, Loyalität und Verantwortung kann ich mich identifizieren", na logo! "Ein Oscar ist eine wunderbare Auszeichnung. Aber ich mache Filme nicht, um Preise zu bekommen." I wo, wer hätte das auch geglaubt? "Ich mache Filme, um an etwas Befriedigendem zu arbeiten. Das Schöne am Schauspielern ist das Reisen und das Eintauchen in fremde Kulturen." Wir haben es doch immer geahnt. Lächeln. Blitzlicht.

Und da war es auch wieder, das jungenhafte, fast schon bubiartige Cruise-Grinsen, wohlerzogen und nett, aber auch die Zähne zeigend. Das sind die Momente, in denen der 41jährige am meisten an seine frühen Filme erinnert, an "Top Gun" oder "The Colour of Money", die jetzt auch schon bald 20 Jahre her sind und in denen er am liebsten in die Rollen glatter Yuppies schlüpfte, schülerhafter Aufsteiger, die ihren Lehrer im richtigen Moment verrieten.

Lange hat es gedauert, bis aus diesem eher unangenehmen, jedenfalls seltsam kühlen und distanzierten Typ, dessen Starruhm immer etwas rätselhaft war, ein Top-Schauspieler wurde, einer den man ernst nehmen muss, und dessen Werdegang und Entwicklung unbedingt die Betrachtung lohnen - weil Cruise interessant ist, auch wenn man ihn vielleicht nicht liebt. Seit seinen frühen Filmen hat sich viel getan und Cruise hat eine ganz erstaunliche Fähigkeit zur Selbstironie entwickelt, und dazu, zu entblößen, sich selbst zum Thema seiner Filme zu machen, eine Leinwand-Persona zu entwickeln. So wie ein Film mit Bruce Willis immer ein Bruce-Willis-Film ist, einer mit Johnny Depp immer ein Johnny-Depp-Film, gibt es mittlerweile auch Tom-Cruise-Filme. Genau diese Fähigkeit ist es, die den Star vom Darsteller unterscheidet. Vielleicht war es Stanley Kubrick, der die entscheidende Veränderung bewirkte, in dem er Cruise in "Eyes Wide Shut" als weichen Loser-Gatten neben einer starken Nicole Kidman zeigte, und ihn eine Höllenfahrt ins Reich der Obsessionen und Gefühle erleben ließ. Indem er ihn lehrte, Schwäche zu zeigen. Seitdem hat Cruise seine Rollenauswahl auf intelligente Weise erweitert, verdrängt in seinen Filmen nicht mehr eigene Schwächen, sondern macht sie zum Thema.

Denn immer schien Cruise ein wenig am Peter-Pan-Syndrom zu leiden: Ein Mann, für den das Erwachsen-Werden eine "mission impossible" ist, ein nur knapp 1,70m kleines großes Kind, welches das Pubertär-Jungenhafte in sich kultiviert, als Hollywoodheld seine Nase zwar an den Hüften vieler schöner Frauen reibt, abseits der Leinwand aber von Gerüchten um Impotenz, Scientology und Homosexualität verfolgt wird - und vielleicht gerade darum lange Zeit im Kino den starken Mann markierte. Aber in Paul Thomas Andersons "Magnolia" ironisierte er plötzlich als Macho-Guru, der eine Selbsthilfegruppe für frauengeschädigte Männer leitet, voller Humor die harten Kerls in Hollywood-Filmen. Und der grandios unterschätzte "Vanilla Sky" von Cameron Crowe ist über weite Strecken ein Essay über männliche Eitelkeit und irritierte Selbstbilder, über die Angst eines Mannes vor der Ehe, vor Bindung und Entscheidung. Da Cruise das Script vom Spanier Alejandro Amenábar gekauft und den Film koproduziert hat, darf man "Vanilla Sky" mit gutem Grund als weiteren, intelligenten und mutigen Versuch des Schauspielers ansehen, sich mit seinem Starimage offen auseinander zu setzen und ihm damit auch ein Stück weit zu entkommen.

Auch in "Minority Report" und jetzt in "Last Samurai" geht es im Prinzip um das Gleiche: Ein harter, vielen überlegener Mann ist traumatisiert und in gewissem Sinn gefühlsunfähig geworden. Indem er lernt, sich zu öffnen, Schwäche zu zeigen, wird er wieder stark und damit endgültig erwachsen. Ein Bruce Willis hat solche Probleme gar nicht. Und einen Satz wie diesen, würde man von ihm wohl auch nicht zu hören bekommen: "Sehen Sie sich den Zustand der Welt an, wie heruntergekommen die ist. Sich mit fremden Kulturen auseinander setzen bedeutet, die anderen kennen zu lernen." Mit Scientology hat das wohl eher wenig zu tun. Jeder ist der Schöpfer seiner Biographie, aber ein Hollywood-Star noch etwas mehr. Manchmal, denkt man, versucht Tom Cruise vielleicht einfach auch in diesen neuen Rollen und in seinen öffentlichen Auftritten immer noch, dem Bubihaften, dem Peter Pan in sich zu entkommen, Mann zu sein, Muskeln zu zeigen, hart zu werden.

In eisiger Kälte flanierte Cruise danach weit über eine Stunde lang auf dem roten Teppich vor dem Cinestar-Kino im Berliner Sony Center, wo er bereits die Premieren zu "Minority Report" und "Vanilla Sky" gefeiert hatte. "Ich liebe Berlin", sagte Cruise. Hunderte von Fans begleiteten jubelnd diesen Auftritt. Und Cruise gab bereitwillig Autogramme und ließ sich geduldig lächelnd fotografieren - ein bisschen so, als wolle er sich seiner Popularität immer aufs Neue versichern. Wer ihn dabei beobachte, spürte: In diesem Augenblick, in der Menge, die ihn liebte, war er fast bei sich selbst.