Der Tote Milan

Studie zum Klimawandel sagt die Auslöschung von über einer Million Arten voraus

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Forscher aus fünf Kontinenten veröffentlichen heute in Nature eine in Umfang und Aufwand bisher einzigartige Studie, welche bis zum Jahr 2050 die Auslöschung von über einer Million Arten prophezeit. Die Veröffentlichung sorgt seit gestern Abend in der Presse weltweit für Aufsehen.

Wenn die globale Erwärmung nicht gestoppt wird, so der leitende Autor des Papers, der Biochemiker und Molekularbiologe Chris Thomas von der Leeds University, könnten bis zu einem Viertel aller Landtiere und -pflanzen aussterben. In Europa soll es beispielsweise 25 Prozent der Vogelarten treffen, darunter auch den Roten Milan.

1103 Pflanzen und Tierarten aus artenreichen Gebieten in Australien, Mexiko, Europa und Südafrika wurden in die Untersuchung einbezogen, wobei die Forscher mit Hilfe von Computermodellen drei verschiedene Erwärmungsszenarios durchspielten und jeweils den Einfluss auf bestimmte Pflanzen, Säugetiere, Vögel, Reptilien und Schmetterlinge errechneten. Dabei wurden auch Flexibilität und Ausweichmöglichkeit der jeweiligen Arten berücksichtigt. Für eine mittelstarke Erwärmung sagen die Wissenschaftler das Aussterben von 24 Prozent der Arten voraus. Eine als absolut unabwendbar angesehene "minimale" Erwärmung von 0,8 Grad träfe immerhin noch 18 Prozent, während im Worst Case Scenario 35 Prozent der Arten ausgelöscht würden. Eine drastische Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes könnte laut diesen Berechungen 15-20 Prozent der Arten "retten". Vorausgesetzt, man nimmt es als sicher, dass der Mensch verantwortlich ist für die globale Erwärmung (vgl. Nach Dresden die Sintflut?).

"Der Klimawandel wird, das ist jetzt erwiesen, die größte Ursache für das Artensterben sein", so Mitautorin Lee Hannah von Conservation International.

Zoos und Naturschutzgebiete stellen laut Chris Thomas inadäquate Lösungen dar; das einzige, was man tun könne, sei, die Erwärmung möglichst zu minimieren. Ein weiterer Hoffnungsschimmer ist den Autoren der Studie zufolge, dass, wenn das langfristige Überleben einer Spezies unmöglich geworden ist, zumindest nicht sofort auch alle ihre Individuen sterben. Viele der bedrohten Spezies werden 2050 noch nicht vollkommen ausgelöscht sein; das, so Chris Thomas in einem Kommentar ("Action now could still save some threatened species") im Guardian, würde dann in den nächsten Jahrzehnten erfolgen, außer das Klima könne sich dank konsequenter Maßnahmen schnell wieder erholen. Wenn zwischen 2050 und 2100 allerdings, wie in den meisten Voraussagen erwartet, die Erwärmung so weitergeht, wie für die Zeit bis 2050 prognostiziert, dann, so Thomas, leben wir höchstwahrscheinlich bald auf einem Planeten, der heißer sei als vor zehn Millionen Jahren, als noch keine der heute lebenden biologischen Gemeinschaften existieren konnte. Konsequente Maßnahmen würden saubere Technologien und internationale Abkommen bedeuten, wobei Kyoto (vgl. Goodbye Kyoto?) nur ein Anfang sei.

Das Schaffen von soviel Unruhe im Lebenssystem der Erde muss dramatische Konsequenzen haben. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass soviel Mühe darauf verwandt wird, Leben auf dem Mars zu finden, während wir so überaus erfolgreich das Leben auf unseren eigenen Planeten auslöschen.

Chris Thomas