Kinder-DNA-Datei für "Klau-Kids"

Hessische Initiative findet geteiltes Echo

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Die Hessische Landesregierung beabsichtigt, eine umfassende DNA-Datenbank anzulegen und darin auch DNA-Proben von strafunmündigen Kindern zu speichern. Eine Umfrage von Telepolis in den anderen Bundesländern und bei Fachleuten erbrachte ein erstaunliches Ergebnis. Während verschiedene CDU-geführte Landesregierungen den Hessen-Vorschlag ablehnen, kann der Hannoveraner Kriminalwissenschaftler Professor Christian Pfeiffer der Idee durchaus etwas abgewinnen.

Der Hessische Innenminister hat am 19. November 03 den Entwurf zur Änderung des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) vorgestellt. Darin enthalten ist auch die

Schaffung einer Befugnisnorm, um unter besonderen Voraussetzungen zum Zwecke der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten Material für eine molekulargenetische Untersuchung - DNA-Analyse - entnehmen zu dürfen.

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Auf einer Pressekonferenz erklärte Volker Bouffier (CDU) dass diese DNA-Datei auch mit den Daten strafunmündiger Kinder gespeist werden solle. Schließlich, so erläuterte sein Sprecher telefonisch, würden die auch älter und somit strafmündig. Dann habe man sie für den Fall der Fälle schon mal erfasst. Der Autor kenne doch als Bonner sicher selbst das Problem der "Klau-Kids" im benachbarten Köln. Für solche Fälle sei die "Kinder-DNA-Datei" vorgesehen. Tatsächlich ließ sich Kölns Polizeipräsident Steffenhangen mit vergleichbaren Vorschlägen vom "Spiegel" zitieren. In Köln hielten sich öffentliche Proteste gegen das Vorhaben in Grenzen. Der Vorsitzende des Vereins Rom e.V. wandte sich hilfesuchend an die Datenschutzbeauftragte des Landes NRW. Dort wird derzeit noch geprüft.

Die Hessischen Grünen halten die von Bouffier vorgeschlagene Befugnisnorm zur Schaffung einer DNA-Datei für nicht strafmündige Kinder für "absoluten Unfug". Als erster äußerte sich Omid Nouripour, Mitglied des Bundesvorstandes zum Vorhaben der Regierung Koch und bezeichnete die geplantenVeränderung des hessischen Polizeigesetzes als "populistischen Irrsinn". Eine DNA-Datei für Kinder hane mit der Bekämpfung von Kriminalität nichts zu tun. Im Gegenteil: Koch marschiere mit Siebenmeilenstiefeln in Richtung Überwachungsstaat.

Offenbar hat Hessen sein Vorhaben mit anderen Bundesländern nicht abgesprochen. Denn seit 4.7.2003 liegt dem Bundesrat ein gemeinsamer Gesetzesentwurf der Länder Bayern und Hessens vor, zur "Verbesserung der Regelungen zur DNA-Analyse" (Bundesratsdrucksache 465/03). Darin ist kein DNA-Test für Kinder vorgesehen.

Entsprechend verhalten waren die Reaktionen auch bei den unionsregierten Ländern. So sieht das Bayerische Staatsministerium des Innern seine Priorität zunächst einmal in der Verabschiedung des gemeinsam mit Hessen eingebrachten Entwurfs und erklärt:

Wie sie vielleicht wissen, hat Bayern vor kurzem gemeinsam mit Niedersachsen einen Gesetzentwurf zur Änderung der StPO in den Bundesrat eingebracht, mit dem die Möglichkeiten, DNA-Proben zu nehmen, ausgeweitet werden sollen. Sollte es gelingen, diesen Gesetzentwurf auch Gesetz werden zu lassen, und die allgemeine Diskussion um die Notwendigkeit der DNA-Analyse lässt verhaltenen Optimismus zu, werden wir sorgfältig prüfen, ob es noch Regelungslücken gibt, die dann mit Hilfe unseres Polizeiaufgabengesetzes zu schließen wären. Das würde auch für die von Ihnen angesprochene Tätergruppe gelten.

Auch in Sachsen-Anhalt liegt die Priorität auf der Umsetzung der bereits im Bundesrat eingebrachten hessisch-bayerischen Vorschläge. Insbesondere geht es um den darin vorgesehenen "Verzicht auf den Richtervorbehalt bei anonymen Spuren."

Deutlich war dagegen die Ablehnung einer "Kinder DNA-Datei" seitens der Saarländischen Regierung. Auf die Telepolisanfrage teilte die Polizeiabteilung des saarländischen Innenministers mit:

Die Saarländische Landesregierung bereitet zur Zeit eine Novellierung des Saarländischen Polizeigesetzes vor. Der Gesetzesentwurf befindet sich momentan in der externen Anhörung. Die Möglichkeit einer DNA-Analyse bei strafunmündigen Kindern ist darin nicht vorgesehen.

Uwe Bieler, Sprecher des Baden-Württembergischen Innenministeriums zeigte sich am Telefon von der Hessen-Initiative sichtlich "überrascht", er habe "davon noch nichts gehört" und betrachtet "eine DNA Datenbank für Kinder nicht als vorrangig". Auch sein niedersächsischer Kollege Michael Knaps sieht "keinen Bedarf für eine Änderung dahingehend, eine DNA Datei für strafunmündige Kinder anzulegen. Dafür gibt es seitens der Polizei auch keine Nachfrage".

Seitens des Hessischen Datenschutzbeauftragten wird der Regierungsvorschlag in einer Anhörung schon aus rechtlichen Gründen abgelehnt.

Soweit von der Regelung strafunmündige Kinder erfasst werden sollen, stellt sich dies im Rahmen der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung als ein Mittel mit generalpräventiver Wirkung dar. Damit würden gegenüber Kindern intensivere Mittel eingesetzt als im Jugendstrafrecht. Dort ist die Generalprävention kein zulässiger Sanktionszweck.

Für Thilo Weichert, den Vorsitzenden der deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) haben

die Planungen der hessischen Landesregierung, nun auch strafunmündige Kinder, sog. Klau-Kids, bei der Polizei mit ihrem genetischen Fingerabdruck zu registrieren, nichts mit Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung und schon gar nichts mit einem pädagogisch richtigen Umgang mit gefährdeten Kindern zu tun, sondern mit der falschen und gefährlichen Vorstellung, durch Datensammelei könnte mehr Sicherheit geschaffen werden. "Klaukids" lassen sich nicht anhand von Gewebeproben überführen geschweige denn abschrecken; dazu ist diese Methode ungeeignet. Für die Einführung einer solchen Maßnahme wären auch nicht die Länder, sondern der Bund zuständig. Die Einführung einer DNA-Datei für Strafunmündige hätte vor allem einen Effekt: die frühzeitige polizeiliche Stigmatisierung von Kindern, die sozialpädagogische Betreuung benötigen und nicht ein Kriminellen-Mal für den Rest ihres Lebens.

Eine gegenläufige Auffassung vertritt Professor Christian Pfeiffer Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) in Hannover und zuletzt Justizminister in der SPD-Regierung von Sigmar Gabriel.

Ich finde den Vorschlag des Hessischen Innenministers in Grenzen richtig (...) wenn 13 jährige Gewalttaten verüben, dann ist es völlig korrekt dass man ihre DNA-Feststellung ermöglicht, weil es ja durchaus denkbar ist, dass sie später erneut auffallen. Ich würde allerdings bei der Frage, bei welchen Delikten ist das angemessen, dem Rechnung tragen, dass es sich um Kinder handelt und es auf schwerwiegende Delikte begrenzen und nicht jeden Kinderkram zum Anlass nehmen für eine DNA-Analyse

Ganz ähnlich hatte auch ein Sprecher des Hessischen Innenministeriums am Telefon argumentiert. Im Bundestag hat derweil die CDU/CSU einen neuen Anlauf genommen und fordert in ihrem Antrag (15/2159)"Eine konsequente Nutzung des so genannten genetischen Fingerabdrucks für eine wirksame Verbrechensbekämpfung. Die Fraktion bezieht sich dabei nach eigenen Angaben

auf Forderungen von Praktikern aus Polizei und Justiz, wonach die Ermittlung und Speicherung eines DNA-Identifizierungsmusters wie bereits beim herkömmlichen Fingerabdruck als normaler Bestandteil der erkennungsdienstlichen Behandlung erfolgen sollte.

Ausdrücklich gefordert wird darüber hinaus, für Fahndungsansätze die Geschlechtsbestimmung durch die DNA-Analyse zuzulassen und den bisherigen Richtervorbehalt bei der Untersuchung von anonymem Spurenmaterial aufzuheben. Ein Missbrauch von DNA-Proben solle dabei unter Strafe gestellt werden. In ihrer Begründung wenden sich die Unionsabgeordneten dagegen, dass der genetische Fingerabdruck gegenwärtig nur genommen werden kann, wenn bereits schwere Straftaten geschehen sind. Das geltende Recht sehe eine Entnahme und molekulargenetische Untersuchung von Körperzellen gegen den Willen von Betroffenen nur in sehr engen Grenzen vor.