"Der Krieg war nicht die beste und nicht die einzige Option"

US-Studie über irakische Waffen bringt Bush-Regierung in Bedrängnis

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Einmal mehr gerät die Legitimation der US-Regierung für den Irak-Krieg in Kritik. Das angesehene US-Forschungsinstitut "Carnegie Endowment for International Peace" (CEIP) veröffentlichte die Studie WMD in Iraq: Evidence and Implications, wonach die Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen "systematisch" aufgebauscht worden wäre. Kritisiert wird zudem, dass auf die US-Geheimdienste im Vorfeld des Krieges zusehends politischer Druck ausgeübt worden sei. Es sei höchste Zeit, die Hintergründe für den Krieg, der dei Beziehung mit den arabischen Ländern und der gesamten Welt verändert habe, herauszuarbeiten und daraus zu lernen. Die Öffentlichkeit sei verwirrt und es habe bereits ein "Revisionismus" eingesetzt, wenn nun mehr und mehr behauptet wird, dass der Krieg nicht primär wegen der Massenvernichtungswaffen geführt wurde, sondern um den Irak sowie den gesamten Nahen Osten zu demokratisieren.

The threat comes from Iraq. It arises directly from the Iraqi regime's own actions - its history of aggression, and its drive toward an arsenal of terror. Eleven years ago, as a condition for ending the Persian Gulf War, the Iraqi regime was required to destroy its weapons of mass destruction, to cease all development of such weapons, and to stop all support for terrorist groups. The Iraqi regime has violated all of those obligations. It possesses and produces chemical and biological weapons. It is seeking nuclear weapons. It has given shelter and support to terrorism, and practices terror against its own people. The entire world has witnessed Iraq's eleven-year history of defi ance, deception and bad faith.

US-Präsident Bush am 7. Oktober 2002

Auf mehr als hundert Seiten nimmt das Institut u.a. Geheimdienstmaterialien sowie Berichte der UN-Waffeninspektoren unter die Lupe. Die Studienautoren Jessica T. Mathews, George Perkovich und Joseph Cirincione kommen dabei zum Schluss, dass die (angeblichen) Massenvernichtungswaffen keine unmittelbare Bedrohung dargestellt hätten.

Das Nuklearprogramm war bereits seit vielen Jahren eingestellt, so die Autoren. Der Irak habe sich eine "latente" Möglichkeit auf die Entwicklung von chemischen und biologischen Waffen durch Dual-use-Technologien gehabt, habe aber keine Möglichkeiten zur Waffenproduktion besessen. Die noch vorhandenen irakische Nervengifte hätten bereits 1991 den Großteil ihrer Vernichtungskraft verloren. Operationen wie "Desert Storm" und "Desert Fox" ebenso wie die UN-Inspektionen und die internationalen Sanktionen hatten laut CEIP nachhaltig die Produktion von chemischen Waffen zerstört. Die internationalen Mechanismen wie Sanktionen, Import/Export-Kontrollen usw. wären zudem bedeutend effektiver gewesen, als man eigentlich angenommen hatte.

While worst case planning is valid and vital, acting on worst case assumptions is neither safe nor wise.

Im Vorfeld des Krieges ortet das Forschungsinstitut vielmehr eine fatale Verquickung politischer Interessen mit Karriereambitionen in den US-Geheimdiensten, speziell bei der CIA. Fazit: Die Geheimdienste hätten versagt und wären zudem noch missinterpretiert worden. Sie haben das Vorhandensein chemischer und biologischer Waffen im Irak aufgebauscht, sind von der Regierung auf unangemessene Weise unter Druck gesetzt worden und haben auch die Bedrohung durch die angeblichen irakischen Programme für Massenvernichtungswaffen und Trägerraketen falsch dargestellt.

Beweise für Verbindungen zwischen dem irakischen Regime und Terrorgruppen wie al-Qaida konnten ebenso wenig geliefert werden wie solche für die Behauptung, dass das Hussein-Regime Massenvernichtungswaffen an Terroristen weiter gegeben habe. Indem die Regierung die verschiedenartigen Bedrohungen von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen oft allgemein als Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen zusammen gezogen hat, kam es zu falschen Kosten-Nutzen-Analysen für den Krieg. Und die Behauptung, dass durch die Anschläge vom 11.9. die Bedrohung durch feindliche Staaten offenkundig geworden sei, hielte einer ernsthaften Nachprüfung nicht stand.

Auch bei der Suche nach Massenvernichtungswaffen nach Beendigung des Krieges erteilt das CEIP der US-Regierung schlechte Noten. Man habe einfach wichtige Ressourcen, wie anerkannte irakische Wissenschaftler und das Team der IAEA oder UN-Waffeninspektoren mit ihrem Wissen schlichtweg ignoriert.

Die Schlussfolgerung des Berichts ist eine harsche Kritik an der US-Regierung und eine indirekte Bestätigung der Kriegsgegner und der Haltung der UN. Man hätte einen unilateralen Krieg vermeiden können, indem man den UN-Waffeninspektoren so lange Zeit gegeben hätte, bis alle Waffen zerstört worden wären oder die Mission abgeschlossen gewesen wäre. Oder man hätte die erwiesenermaßen wirksamen Sanktionen noch verstärken können. Und schon im Vorfeld hätte die US-Regierung wissen können, dass selbst ein erfolgreicher Krieg im Zeichen der Prävention negative Folgen haben kann:

Selbst ein in anderer Hinsicht erfolgreicher Krieg kann drei wichtige Bedrohungen durch Massenvernichtungswaffen zur Folge haben: verlorenes Material, "freigesetzte" Wissenschaftler und die Botschaft, dass nur Atomwaffen einen Staat vor der Invasion schützen können. Die neue Doktrin einer präemptiven militärischen Aktion der nationalen Sicherheitsstrategie ist in Wirklichkeit eine zweifelhafte Maßgabe für einen präventiven Krieg unter dem Deckmantel einer legitimen Präemption.

Empfohlen wird vor allem, die Doktrin der Präventivschläge, abgesehen als Reaktion auf eine unmittelbare Bedrohung, wieder aus der nationalen Sicherheitsstrategie zu streichen und eine enge internationale Kooperation mit allgemein gebilligten Prinzipien zu suchen, wenn es um Prävention geht.

US-Waffensucher erfolglos abgezogen?

Etwa zeitgleich mit dem Erscheinen des CEIP-Berichts wurde bekannt, dass klammheimlich 400 Angehörige der Joint Captured Materiel Exploitation Group, die ein wichtiger Bestandteil der von der CIA geleiteten Iraq Survey Group war, aus dem Irak abgezogen worden sind. Das gilt als Zeichen dafür, dass nun auch die US-Regierung nicht mehr mit dem Fund von biologischen oder chemischen Waffen rechnet. Von offizieller Seite gab man sich dazu wortkarg. Der Sprecher des Weißen Hauses verwies lediglich auf einen Zwischenbericht der US-Kontrolleure, wonach Saddam Hussein gegen die Irak-Resolution 1441 des Weltsicherheitsrates verstoßen hätte. Weiter betonte er, dass die sogenannte "Survey Group" weiterhin ihrer Arbeit nachgehen würde. Wie viele Leute von der 1.400 Mann starken Gruppe tatsächlich abgezogen wurden, ließ er offen. Ein Pentagon-Mitarbeiter erklärte freilich, dass die meisten Mitglieder der Gruppe inzwischen die Aufgabe hätten, den Widerstand zu brechen.

Gegenüber der New York Times hatte ein Mitglied der "Survey Group" erklärt, dass das Team immer noch "mit etwas rechnet, was beseitigt werden muss". Hohe Geheimdienstangehörige wie Stuart Cohen, der Vizevorsitzender des National Intelligence Council, geben ebenfalls noch vor, dass sie weiterhin an die Existen von irakischen Massenvernichtungsmittel glauben. Dabei wird die Rhetorik allerdings immer durchsichtiger, man setzt offenbar allmählich auf das Vergessen all der vor dem Krieg gemachten Behauptungen. "Wir haben Sorge, was mit diesen Waffen geschehen ist", sagte Cohen. "Es gibt viele Theorien darüber, was geschehen sein könnte." Und um dies noch zu toppen, wiederholte er bereits die von Rumsfeld lange vor dem Krieg erprobte Rhetorik (Rumsfeld und der Gottesbeweis), dass auch der Umstand, keine Waffen finden zu können, noch lange kein Beweis für deren Nichtvorhandensein ist, sondern nur die Raffinesse des Regimes zeige: "He's (Saddam Hussein) had 15 years to hone his ability to hide this stuff. The footprints of these weapons are very small."

Auch Außenminister Colin Powell, der von seinem schon damals nicht glaubwürdigen Feuerwerk an angeblichen Beweisen vor der UN eingeholt wird (Nichts als die Wahrheit oder Onkel Powells Märchenstunde?), musste sich ebenfalls einigen unangenehmen Pressefragen stellen. Bezüglich des Carnegie-Berichts ließ er sich keine eindeutige Stellungnahme entlocken. Vielmehr flüchtete er sich zunächst in semantische Spitzfindigkeiten und verteidigte schließlich das Vorgehen der US-Regierung. Er vertraue zudem nach wie vor den Informationen der US-Geheimdienste. Für die Verbindung des Hussein-Regimes mit Terrorgruppen, so räumte er immerhin ein, habe es keinen handfesten Beweis ("smoking gun") gegeben. "Aber die Möglichkeit solcher Verbindungen hat es gegeben und es war klug, sie zu dieser Zeit in Betracht zu ziehen, wie wir dies taten".