Wider die islamophobe Propaganda

Islam und Internet, Teil 3

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Welche Rolle spielt das Internet für die islamische Gemeinschaft? Entstehen durch die grenzüberschreitenden Kommunikationsmöglichkeiten im weltweiten Netz neue Formen der "Umma", der Gemeinschaft? Setzt das Netz, die virtuellen Treffpunkte und die Möglichkeit, sich jederzeit Wissen und Informationen zu beschaffen, die Entwicklung eines neuen Selbstbewusstseins unter den Muslimen in Gang? Sind die Cybermuslime "aufgeklärter" als frühere Generationen, moderner? Wie verstehen sie die Möglichkeiten, die ihnen das Medium bietet?

Ausgangspunkt dieser und anderer Fragen, die Telepolis per Email oder Telefon an deutschsprachige Muslime richtete, die entweder Netzseiten betreiben, Internetverteiler organisieren oder aktiv an muslimischen Diskussionsforen teilnehmen (vgl. Und Allah weiß es besser), war die Behauptung des britischen Politikprofessors Peter Mandaville (vgl. e-Islam: Geburt einer modernen muslimischen Umma?), wonach es "eine neue Qualität der Diskussion über den Islam im Netz" gebe: Für die große Mehrheit der muslimischen Diaspora, so Mandaville, welche sich online für den Islam interessiert, offeriere das Internet ein aufklärerisches Forum vor allem für politische Verhaltensregeln ("conduct of politics") innerhalb ihrer Religion.

Aufklärung nach innen

"Das Internet spielt für den 'innermuslimischen Diskurs' eine wichtige Rolle", bestätigt die Medienreferentin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Amina Baghajati (vgl. Und Allah weiß es besser), die dort u.a. einen Newsletter-Verteiler betreibt. Reaktionen und Anfragen, die per Email an sie gesandt werden, würden deutlich zeigen, wie wichtig diese Kommunikationsform für das Selbstverständnis der Muslime sei.

Über Mails lässt sich da einiges machen, aufklären, warum man diese oder jene Position vertritt, die zunächst auf Unverständnis stößt.

Dem widerspricht keiner der befragten muslimischen "Online-Aktivisten". Gerade im Kopftuchstreit, so Edin-Husein Topcagic, Webmaster von Moslem.de, zeige die rege Beteiligung in den Foren, dass "hier das Internet dabei hilft, sich entsprechend auszutauschen oder neue Denkanstöße zu vermitteln" und damit "Aufklärung in jeglicher Form zu betreiben".

Doch die Aufklärung übers Netz findet ihre Grenzen im Überangebot: Die beschriebene Art der "Binnenaufklärung" funktioniert sehr gut für Muslime, die bereits wissen, welcher Richtung sie angehören, welche Ansichten und Auslegungen für sie relevant sind, weil sie in diese Glaubensgemeinschaft hineingeboren und entsprechend erzogen wurden oder aus anderen Gründen. Diejenigen aber, die diese Orientierung nicht haben und sich allgemeiner über den Islam im Netz informieren wollen - was bei manchen sogar dazu geführt hat, dass sie sich zum Islam bekehrten, wie in einem Mail an die Redaktion zu lesen war -, werden mit einer Fülle von verschiedenen Richtungen und Auslegungen des Islam konfrontiert, die sich nicht nur widersprechen können sondern zum Teil regelrecht bekämpfen.

Das Hauptproblem sind die verschiedenen Strömungen in der muslimischen Gemeinschaft, die oft in aggressiver Weise die jeweils andere als irregegangene oder nichtmuslimische Gemeinschaften diffamieren. Oft schreiben die einen von den anderen Gruppen ab und geben so ungeprüft Falschinformationen weiter, die den Gegnern der Muslime helfen. Es gibt alles, von literalistischer Salafiya bis zu Muslims in Hip Hop, von laizistischen "Muslimen" bis zu Anhängern diverser Richtungen des Sufitums finden sich Seiten, Downloadareas usw. egal wie "orthodox" oder häretisch sie auch gesehen werden können

Moussa, Pressesprecher und Administrator des Forums von plattform-islam.de

Die Frage, wie den nun der "wahre Islam" auszusehen habe, welche Überzeugungen und welche Handlungen ihm entsprechen, wird im Netz allerdings nicht wesentlich anders diskutiert als in der "realen Welt". Eine neue Qualität der Diskussionen entstehe durch das Netz zuvorderst, so Moussa, dadurch dass man hier eine Präsenz behaupten und wahrnehmen könne, die den Muslimen in den herkömmlichen Medien nicht eingeräumt werde.

Aufklärung nach außen

Die Muslime dieser Welt fanden im Internet ihre Welt in virtueller Form wieder. Der Unterschied: Das Internet gibt ihnen die Möglichkeit, sich unabhängig von den Medien zu artikulieren...Auf falsche Vorwürfe und Darstellungen, besonders von evangelikalen fundamentalistischen Sondergemeinschaften, kann man antworten. Eine von Muslimen nicht erreichbare Medienpräsenz kann man teilweise durch die Präsenz im Internet ausgleichen und wenigstens teilweise der antiislamischen, islamophoben, islamfeindlichen Propaganda tatsächliche Hintergründe und Fakten entgegensetzen...Zu antiislamischen Seiten gibt es oft einen islamischen Widerpart, z.B. answering-christianity.

Moussa

Es gehe darum herauszufinden, wo die Vorurteile liegen, sagt auch Amina Baghajati. "Es geht um Transparenz: Wie denken die Muslime?" Man will mitmischen im Diskurs. Das gelte im Übrigen ganz besonders für muslimische Frauen.

Die Chance des Internet liegt für die Muslime eher in der Aufklärung nach außen

Amina Baghajati

"Partizipation" sei ein großes Stichwort für die österreichische Gemeinschaft der Muslime, die jedoch, wie Baghajati betont, durch die österreichische Verfassung auch bessere gesetzliche Grundlagen dazu habe. Man habe das Recht auf freie Religionsausübung und ganz wichtig: die "innere Autonomie" sei verfassungsrechtlich verankert; keine staatliche Institution dürfe "reinreden".

Was in Deutschland - und in Frankreich (vgl. "La Nation" in Gefahr) allenthalben befürchtet wird, die Abschottung der Muslime von der Gesellschaft, Reizwort "Parallel-Gesellschaft", ist in Österreich scheinbar kein großes Thema. Die muslimische Gemeinschaft dort engagiere sich für den Partizipationsgedanken, betont Baghajati mehrmals und verweist auf die Grazer Erklärung, die Positionen eines sich dynamisch entwickelnden Islam in Europa wiedergibt.

Ob man denn angesichts der vielen neuen Möglichkeiten, die sich für die muslimische Gemeinschaft durch das elektronische Netz ergeben auch davon sprechen könne, das sich hieraus eine neue Umma entwickelt? Auf die Ausgangsfrage dieser kurzen Artikel-Serie angesprochen, zögert Frau Baghajati kurz und lächelt:

Der Umma-Begriff ist auf das Internet angewandt etwas eigenartig, weil für mich mit Umma eine lebendige Gemeinschaft, das Zusammentreffen mit anderen Muslimen, mit Gesichtern, Gesten, mit wirklichen Gesprächen usw. verbunden ist - Real life eben.