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Die Frühstücksdirektoren der Deutschland AG haben ein neues Betätigungsfeld für die Belegschaft im Restaurant am Ende des Sozialstaats ausgemacht

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Sie fordern unbezahlte Mehrarbeit ein. Und um die Forderung zu veredeln, nennen sie die Mehrarbeit "Ehrenamt".

Eigentlich gibt es ja nicht den geringsten Mangel an Bereitschaft zu ehrenamtlichen Tätigkeiten. Ehrenamt findet statt. Vom freundlichen Einkauf für die Nachbarin bis zur Kindererziehung wird in diesem Land ehrenamtliche Arbeit geleistet, dass es nur so kracht. Es ginge auch gar nicht anders - Gesellschaftlichkeit als solche erfordert Altruismus in jeder Sekunde.

All die salbungsvollen Appelle an den Gemeinsinn

Warum dann all die salbungsvollen Appelle an den Gemeinsinn, warum die Bürgerempfänge in den Rathäusern, wo Tränen der Rührung vergossen werden, weil es immer noch Menschen gibt, die sich unentgeltlich als Fußballtrainer für die E-Jugend zur Verfügung stellen? Warum dann der ständige Hinweis aufs Ehrenamt, vor allem von denen, die für ihre Sonntagsreden fürstlich bezahlt werden, und aufgrund lauter wichtiger hauptamtlicher Tätigkeiten fürs Ehrenamt nur dann einmal fünf Minuten Zeit haben, wenn mindestens drei Kamerateams anwesend sind?

Nun, die politische Klasse sieht dieses Land als eine Firma, die Gewinn zu erwirtschaften hat. Sie führen sich auf wie Betriebswirtschaftler im Dienste der Geschäftsleitung. Früher leistete man sich zur Abfederung von Härtefällen ein mehr oder weniger funktionierendes Sozialsystem, es gab da ja auch noch den Staatssozialismus, dessen Behauptungen vom menschenfresserischen Kapitalismus es zu widerlegen und dessen Sozialleistungen es zu übertrumpfen galt. Passend dazu wurde die These vertreten, der Laden laufe sowieso besser, wenn nicht allzu viele soziale Probleme Sand in die Maschine streuten.

Diese beklemmenden Zeiten der Kompromisse und halben Sachen sind vorbei, jetzt ist Kostenminimierung angesagt in der Deutschland AG, damit die Weltgeltung in Konkurrenz zu anderen Groß-AGs gewahrt bleibt. Bildung und Gesundheit für alle und der ganze Sozialklimbim sowieso haben die Wertschöpfungskette in dieser AG lange genug belastet. Produktion, Konsum und Verwaltung bleiben offensichtlich auch bei einer ständig anwachsenden Arbeitslosigkeit und immer knapperen Sozialleistungen stabil. Wenn der Altruismus von anderen diese Verhältnisse stützt, umso besser. Dass sich unbezahlte Mehrarbeit wenigstens scheinbar dazu verwenden lässt, die Lücken zu stopfen, die in voller Absicht in das soziale Netz gerissen wurden, ist das ganze Geheimnis hinter der neuerlichen öffentlichen Aufwertung des Bürgerengagements - ein Sozialsystem powered by Oma und Ehrenamt ist schon einmal ein paar Bundesverdienstkreuze und vergoldete Anstecknadeln wert.

Das "Ehrenamt" als neue Dienstleistungsmarke

Die Masche funktioniert bis hinunter in die kleinsten Abteilungen der Deutschland-AG, die Kommunen. Durch eine antisoziale Steuerpolitik bis zum Kollaps ausgeblutet (vgl. Die beste Demokratie, die man für Geld haben kann), verfallen sie auf die Idee, kommunale soziale Dienste durch die Inanspruchnahme ehrenamtlicher Unterstützung vor dem Zusammenbruch zu bewahren, Kitas, Jugendhäuser, und andere Institutionen rechnen plötzlich mit dem Ehrenamt als Produktivitäts- und Kostenminderungsfaktor. Dass dadurch nebenbei zunehmend qualifizierte Arbeitsplätze unter Existenzdruck geraten, wird von den Strategen in den Rathäusern billigend in Kauf genommen. Wirklich arbeitsfähig ist dieser Pfusch natürlich nicht, aber man kann eine Weile so tun, und das ist alles, worauf es ankommt.

Gebetsmühlenartig werden im Fernsehen dazu Phrasen von "Gemeinsinn" und "Eigenverantwortung" wiederholt, vorzugsweise von Leuten, denen beides abgeht - noch eine Parallele zwischen dem System Schröder und dem System Kohl. Die Umwertung aller Werte ist unter den neoliberalen Krypto-Nietzscheanern und den modernen Politpfaffen dabei in vollem Gang: "Solidarität" meint die absurde Solidarität der Schwächeren mit den Stärkeren, nicht die der Schwächeren untereinander, "Gemeinsinn" dient den Partikularinteressen weniger, "Eigenverantwortung" heißt, sich abstrampeln zu können wie man will, und doch immer das Nachsehen zu haben. Die "Ehre" beim Ehrenamt ist der warme Händedruck für die unbezahlte Selbstausbeutung, die alles am Laufen hält, solange es eben geht. Öffentlich das Wasser des Altruismus predigen und heimlich den Wein der Privilegien trinken - seit den Zeiten Heinrich Heines hat sich weniger geändert als man meinen sollte.

Heimlich den Wein der Privilegien trinken

Wer jetzt glaubt, das seien alles bedauerliche temporäre Fehlentwicklungen, die durch ein Wiedererstarken des Sozialstaats, möglicherweise unter einer anderen Bundesregierung, zu korrigieren seien, täuscht sich. Genauso wie die Studenten, die Ende letzten Jahres auf rührende Art vorrechneten, dass die Nation sie noch brauche und daher "kostenlose Bildung für alle" die beste Zukunftsvorsorge für den Standort Deutschland sei. Diejenigen, die hierzulande das Sagen haben, begegnen diesen gut gemeinten Ermahnungen mit einer Radikalität, die von ihren Opfern noch weitgehend unterschätzt wird. Ob sie sich damit letztendlich durchsetzen, wird die Zukunft zeigen.