"Evolutionäre Medizin" durch Selektion

DNA-Mutationen helfen dem Menschen, sich an die Kälte anzupassen

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Die Mitochondrien von Menschen in Europa oder gar Sibirien lassen mehr Hitze entstehen und liefern weniger Energie als die ursprünglichen Mitochondrien aus Afrika. Nach Analyse von 1125 menschlichen mitochondrialen DNA-Sequenzen folgern Eduardo Ruiz-Pesini und Mitarbeiter von der Universität in California in Science, dass das Klima die Genetik beherrschen kann.

Diesem Wissen liegt die mitochondriale oxidative Phosphorylierung (OXPHOS) zugrunde. Sie hat nämlich zwei primäre Funktionen: die ATP (Adenosin Triphosphat)-Produktion sowie die Bildung von Wärme. Dabei folgt die relative Verteilung der Kalorien durch die OXPHOS-Koppelung der durch äußere Faktoren wirksamen Regeln. Danach wird die Energie von den diätetischen Kalorien zur Mitochondrienmembran gebracht, damit die ATP-Synthase das ATP bilden kann. Während also eng gebundenes OXPHOS die ATP- Synthese fördert, entwickelt ein höherer Anteil ungekoppeltes OXPHOS eher die Erwärmung und damit die Hitze, was wiederum im kälterem Klima von Vorteil ist.

Die Herkunft der frühen Amerikaner

Um diese Rolle zu prüfen, werden 1125 komplette Sequenzen von mtDNA gesammelt und analysiert. Im Vordergrund stehen dabei Menschen der Erblinien (Haplogruppen) A, C, D und G, die vornehmlich im nordöstlichen Sibirien vorkommen (75% versus 14% im temperierten Asien). Diese Gruppen (Haplogruppen A, C und D) sind offensichtlich über die Beringstraße nach Amerika eingewandert, während Menschen der Haplogruppe G erst nach der Unterbrechung der Landbrücke nach Sibirien kamen.

Dementsprechend beherrschen Menschen der Haplogruppen A, C und D das alte Amerika. Dieses Muster wird ergänzt von jenen Menschen der Haplogruppe B, die offensichtlich eine unabhängige Migration aufweisen. Diese scheint von der Mitte oder der südlichen Region Amerikas auszugehen, und durchmischt sich relativ rasch mit den ursprünglichen Haplotypen-Menschen. Andererseits finden sich an den Großen Seen Kanadas vor allem Menschen der Haplogruppe X, die wiederum mehr in Europa als in Asien heimisch ist. Aus dieser Sicht unterscheiden sich die Gruppen ACDX hinsichtlich des RF1-Wertes (0,61 versus 0,39), d.h. hinsichtlich der adaptiven Selektion. Dasselbe bestätigt sich anhand des CL1- Wertes (51 versus 39), weil er auf eine zweite Mutation, die der Aminosäuren hinweist.

Die Haplotypen der ursprünglichen amerikanischen Bevölkerung stehen in Übereinstimmung mit den eurasischen Menschen (Bild: Science)

Bezogen auf die Menschen, die Amerika besiedelt haben, dokumentieren die Haplogruppen drei Einwanderungsphasen. Menschen der Haplogruppe A, C und D sind über die Beringsche Landbrücke gekommen. Menschen der Haplogruppe X repräsentieren eine Besiedlung, die auf europäische Wurzeln zurückgeführt werden kann. Und Menschen der Haplogruppe B, die sich mit den anderen Gruppen, namentlich A, C und D mischt, weisen auf eine Bevölkerung hin, die möglicherweise vom Ozean, sprich mit dem Schiff oder über die Küste gekommen sind.

Solche Feinheiten finden erst langsam Eingang in die Besiedlung des Kontinents. Tatsächlich sind mit dem kürzlichen Nachweis einer Einwanderung zur Zeit um 24.000 v. Chr. erstmalig die Vorstellungen neu gruppiert worden (vgl. Es war einmal in Sibirien...). Insofern scheinen die unterschiedlichen Funde in Nordamerika mit der Art der Besiedlung vergesellschaftet zu sein. Erste Versuche, nach Haplogruppen zu differenzieren, werden möglicherweise klarere Aussagen machen als die Bodenfunde.

Haplogruppen in Europa

Im Gegensatz dazu dokumentieren die Befunde in Europa zwei Phänomene. Da ist einmal die angepasste Mutation, die eine Bereitschaft, an energieverzehrenden Erkrankungen zu leiden, mit sich bringt. So haben Menschen der Haplogruppe J und K eine verstärkte Anfälligkeit für Multiple Sklerose und verschiedene seltenen Funktionsstörungen. Zum anderen scheinen Menschen der Haplogruppe K geschützt gegen Alzheimer zu sein, und Menschen der Haplogruppen J und K leiden nicht an Parkinson. Ferner ist ihnen eine längere Lebenszeit sicher.

Die gesteigerte Anfälligkeit gegenüber bestimmte Erkrankungen einerseits, aber der Schutz vor neurodegenerativen Leiden und die längere Lebenserwartung andererseits stehen in Übereinstimmung mit den mtDNA Kopplungsmutationen. So wird die Veränderung, die eine Verminderung der ATP-Produktion beinhaltet, die Empfänglichkeit für bestimmte Erkrankungen erhöhen. Gleichzeitig kann die verminderte Oxydation den Schaden verringern, indem sie den neuronalen Zellverlust vermindert und die Überlebenszeit fördert.

Wenn man bedenkt, dass die Anpassung der mtDNA-Sequenzen vom warmen Afrika über die Verbreitung in Europa und Asien zu erheblichen Unterschieden führt, sind die Mutationen geeignet, neue oder zumindest veränderte Menschen hervorzubringen. Da die Mitochondrien-DNA nur über die Mutter vererbt wird, können Genforscher anhand dieses Erbmaterials feststellen, wann sich bestimmte Bevölkerungsgruppen getrennt und entwickelt haben. Und mehr noch: die Anpassung findet in der jeweiligen Umgebung, sprich Haplogruppe statt. Womit die "evolutionäre Medizin" zum Motor neuer Fragen wird, die sich aus dem Muster der Haplotypen ergibt.