Der Herausforderer

Howard Dean: Dank Internet vom Außenseiter zum Star-Kandidaten

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Noch vor einem Jahr galt Howard Dean im Kampf ums Weiße Haus als obskurer Außenseiter. Seitdem haben ihm seine erfolgreiche Internetkampagne und sein Widerstand gegen den Irak-Krieg zum chancenreichsten Präsidentschaftskandidaten der demokratischen Partei gemacht.

In einer Woche beginnen in den USA die Vorwahlen, die über den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten entscheiden werden. Zuerst werden am 19. Januar in Iowa Wähler am komplizierten Ritus der Caucus-Abstimmung teilnehmen. Eine Woche später geht es in New Hampshire weiter, und bald darauf folgen Urnengänge in Arizona, New Mexico, Oklahoma und vier weiteren Staaten. Diese ersten Abstimmungen der mehrere Monate dauernden Vorwahlperiode gelten als kritisch für den Erfolg oder Misserfolg der Kandidaten. Insgesamt acht Männer und eine Frau stehen zur Wahl, um sich im Herbst gegen Bush zu messen.

Die Tage vor der Wahl dominiert jedoch ein einziger Kandidat: Howard Dean. Der ehemalige Gouverneur von Vermont zierte in der vergangenen Woche die Titelbilder von Newsweek, Time Magazine und The Economist. Zwar schlagen viele Blätter kurz vor der Wahl einen kritischen Ton an: Ist ein so liberaler Kandidat wirklich wählbar? Kann er gegen Bush gewinnen? Was steckt hinter Deans öffentlichkeitswirksam inszenierten Ärger? Die Umfragen sehen Dean dennoch weiter als Anführer des Felds. Sowohl in Iowa wie auch New Hampshire ist er demnach auf Platz eins.

Der Aufstieg des Internetkandidaten

Vor einem Jahr hätten wohl nicht einmal Deans Mitarbeiter mit derart guten Werten gerechnet. Im Januar 2002 galt Dean als Außenseiter, dem kaum Chancen gegen demokratische Prominenz wie Dick Gephardt und Joe Lieberman eingeräumt wurde. Doch schon im Frühjahr mehrten sich Berichte, die von einer unerwarteten Aufbruchsstimmung bei seinen Wahlkampfauftritten sprachen. Dean sprach sich energisch gegen einen unilateralen Irak-Krieg aus. Er wetterte nicht nur gegen Bush, sondern auch gegen das demokratische Establishment, das sich hinter die Kriegspolitik des Präsidenten gestellt hatte. Das kam an bei der Basis.

Richtig Schub bekam die Kampagne jedoch erst, als man im März 2003 den Dean-Anhänger und Weblogger Mathew Gross anheuerte. Noch am Tag seiner Anstellung bastelte Gross ein provisorisches Weblog, das auf den Servern von Blogger.com beheimatet war. In den folgenden Wochen wurde das System auf einen eigenen Server verfrachtet, auf Movable Type umgestellt und mit dem nicht eben bescheidenen Namen Blog for America ausgestattet. Mit seinem lockeren Plauderton und dank Kommentarfunktion regem Austausch zwischen Autoren und Lesern wurde es bald zu einer lebhaften Alternative zu den steifen und statischen Webseiten der demokratischen Konkurrenz. Schnell stellte es auch Deans ursprüngliche Kandidaten-Webseite in den Schatten und mauserte sich zum heimlichen Zentrum der Kampagne.

Stammtische sogar in Berlin

Zur gleichen Zeit beobachteten Deans Mitarbeiter, dass einige ihrer Anhänger die Online-Plattform Meetup.com für sich entdeckt hatten. Meetup.com ermöglicht gleichgesinnten Aktivisten und Hobbyisten das Einrichten thematischer Stammtische. Man entschied sich, diese monatlichen Meetups auch offiziell zum Teil der Kampagne zu machen - und landete damit den zweiten Glücksgriff: Die Idee einer losen, übers Internet koordinierten Selbstorganisation gefiel Deans Anhängern so gut, dass man innerhalb weniger Monate Tausende von Aktivisten in allen Bundesstaaten und über die USA hinaus organisiert hatte. Mittlerweile haben sich 170 000 Dean-Unterstützer bei Meetup.com angemeldet. Selbst in Berlin treffen sich regelmäßig in Deutschland lebende US-Amerikaner und deutsche Sympathisanten, um gemeinsam für Deans Nominierung zu mobilisieren.

Die Aufmerksamkeit der Medien erlangte Dean jedoch erst im Sommer 2003, als sich die Internetkampagne auch ganz praktisch bezahlt machte. Mittels zahlloser kleiner Einzelspenden wurde Dean in kürzester Zeit zum bestfinanzierten Kandidaten der Demokraten. In den letzten beiden Quartalen sicherte sich Dean durch kontinuierliche Internet-Spendenmarathons jeweils rund 15 Millionen US-Dollar - mehr als je ein demokratischer US-Präsidentschaftskandidat zuvor.

Lange Zeit wurde Dean dafür kritisiert, mit seiner Internetfokussierung nur wohlhabende Weiße anzuziehen und die traditionelle Klientel der demokratischen Partei wie etwa Einwanderer, Schwarze und Gewerkschaften zu vergessen. Doch die Dynamik seiner Kampagne begann spätestens im Herbst auch außerhalb des Netzes Wirkung zu zeigen. Dean konnte sich die Unterstützung einiger einflussreicher Gewerkschaften sichern, darunter auch die für ihre politische Schlagkraft bekannte Dienstleistungsgewerkschaft SEIU. Anfang Dezember gelang Dean dann schließlich ein Paukenschlag, als Al Gore die Unterstützung seiner Kandidatur bekannt gab.

"Der Wert des Netzes liegt in seiner Offenheit begründet"

Wenn es um Deans Netzkampagne geht, scheinen seine politischen Positionen oftmals fast in Vergessenheit zu geraten. Deans Kampagne konzentriert sich auf seine Opposition zum Irak-Krieg, auf seinen Einsatz für ein reformiertes Krankenversicherungssystem und sein Bekenntnis, die von Bush eingeleiteten Steuersenkungen für Besserverdiener komplett zurückzunehmen. Er ist gegen die Ausweitung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA und will statt dessen die Überwachung von Arbeitsbedingungen in Handelsabkommen festschreiben. Er will homosexuelle Beziehungen rechtlich der Ehe gleich stellen, scheut sich aber vor einem Bekenntnis zur Homo-Ehe. Er kritisiert den Patriot-Act und hat mehrfach erklärt, zumindest Teile davon zurücknehmen zu wollen.

Klassische Netz- oder Copyright-Themen finden sich in Deans Wahlkampf-Eckpunkten trotz aller Netzaffinität nicht. Zwar thematisieren die Leser seines Blogs immer wieder die Auseinandersetzung um die Sicherheit von elektronischen Wahlmaschinen - Deans Team bezieht dazu jedoch keine Position. Auch als Dean im vergangenen Sommer bei Lawrence Lessig als Gast-Blogger auftrat, äußerte er sich zur Enttäuschung der meisten Leser nicht zu DMCA & Co (siehe auch: Die kuscheligste Präsidentschafts-Kampagne).

Verlorenes Vertrauen der Netzgemeinde konnte Dean jedoch wiedergewinnen, als er im September 2003 ein unter anderem mit David Weinberger, Joi Ito und Lessig selbst hochkarätig besetztes Beratergremium für Netzpolitik an Bord holte. Gleichzeitig bekannte sich Deans Team zu einer Reihe von recht allgemein gefassten, aber dennoch deutlich von Lessigs Gedanken beeinflussten Internetgrundsätzen. So heißt es darin etwa: "Der Wert des Netzes liegt in seiner Offenheit begründet."

Ganz gleich, ob Dean letztendlich zum Spitzenkandidaten seiner Partei nominiert wird oder nicht - sein Interneteinsatz hat schon heute Politikgeschichte geschrieben. Innerhalb weniger Monate begannen fast all seine Konkurrenten ebenfalls Weblogs als Wahlkampf- und Kommunikationsmedium einzusetzen. Auch Meetups gehören mittlerweile bei allen großen Kampagnen zum Standard-Repertoire. So dürfte es kaum überraschen, wenn bei nächster Gelegenheit auch deutsche Politiker die Macht des Webs im Wahlkampf entdecken. Dabei sollte man sich durchaus auch auf ungewöhnliche Anleihen gefasst machen: So hat Deans Erfolg sogar Bushs Wahlkampfteam dazu gebracht, zumindest rhetorisch die Graswurzel-Revolution auszurufen.