Wir müssen leider draußen bleiben

Sicherheitswahn in den USA gefährdet Wissenschaft und Forschung

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Mit drastischen Sicherheitskontrollen versuchen die USA Terroristen an der Einreise zu hindern. Dadurch bleiben auch ausländische Studenten und Wissenschaftler außen vor und sie entdecken zunehmend, dass sich der Einsatz für die Wissenschaft andernorts ebenfalls lohnt.

Seit dem 11. September drehen die USA an der Sicherheitsschraube. Anfang dieses Jahres wurde ein weiteres Mal nachjustiert, seitdem werden alle Ausländer, die mit Visum einreisen, erkennungsdienstlich erfasst: An 115 Flughäfen und den meisten Seehäfen werden von ihnen Fingerabdrücke und Fotos genommen (vgl. Datenspeicherung für 100 Jahre). Doch was Terroristen und andere Schurken abschrecken soll, trifft vor allem ausländische Studenten und Wissenschaftler - die USA, einst bekannt als Hort für Wissenschaft und Innovation, sind dabei, diesen Ruf zu verspielen. Kritiker prophezeien bereits, dass die USA ihre Führungsrolle in Wissenschaft und Forschung verlieren könnten. In einem Schwerpunkt widmet sich das Wissenschaftsmagazin Nature in seiner aktuellen Ausgabe diesem Thema.

Seit vielen Monaten häufen sich die Berichte, von Wissenschaftlern und Studierenden, die nach einem Heimaturlaub mehrere Monate auf ihr Visum warten müssen oder gar keines mehr erhalten. Sogar die Vorsichtigen, die sich mit Zeugnissen und Bestätigungen aller Art zu wappnen suchen, landen oft in monatelangen Genehmigungs-Warteschleifen. Es ist schwierig, so berichten die Nature-Reporter, das Problem statistisch sauber in den Griff zu bekommen, zu unterschiedlich werden die Daten erfasst. Doch die Zahlen, die Universitäten und Bildungsinstitutionen sammeln, belegen, dass von ein paar Ausnahmefällen nicht die Rede sein kann.

Im vergangenen November etwa hat die Lehrervereinigung Association of International Educators (NAFSA) in Washington eine Studie veröffentlicht, der Daten von 300 Universitäten und Colleges zu Grunde liegen. Danach war die Zahl der Studenten, deren Visa-Erteilung sich deutlich in die Länge zog, 2003 um 48 Prozent höher als im Vorjahr, bei Postdoc-Studenten sogar um 76 Prozent. Drei Viertel der Studenten, die über Verzögerungen klagten, studierten Naturwissenschaften; in den Bio- und Ingenieurwissenschaften waren 98 Prozent betroffen. Eine Studie des American Institute of Physics ergab, dass einem Viertel der ausländischen Bewerber, die in den USA in Physik promovieren wollten, anfangs das Visum verweigert wurde. Auch die Zahl der Gaststudenten (Visiting Scholars) ist im vergangenen Jahr erstmals rückläufig gewesen.

Die größten Probleme für ausländische Studenten und Wissenschaftler sind die Visa-Programme Mantis (Visas Mantis) und Condor (Visas Condor). Ersteres existiert schon seit Jahren, um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Gütern mit möglichem militärischen Nutzen (Dual Use) zu verhindern. Staatsbürger aus Ländern, die als Geldgeber des Terrorismus gelten, oder die sich mit Wissensgebieten beschäftigen, die auf der so genannten Technology-Alert-Liste stehen, müssen daher gesondert geprüft werden. Das Condor-Programm ist eine unmittelbare Folge des 11. Septembers und trat im Januar 2002 in Kraft.

Betroffen davon sind in erster Linie Bürger aus islamischen Ländern, geprüft wird auf mögliche terroristische Hintergründe. Erschwerend kommt hinzu, dass im vergangenen Juli eine Regelung außer Kraft gesetzt wurde, bei der eine Einreisegenehmigung als erteilt gilt, wenn die prüfende Behörde 30 Tagen lang nichts einzuwenden hat. Damit kann ein Visum nun Stunden oder Monate dauern. Besonders schlimm für die Einreisewilligen ist die völlige Undurchsichtigkeit dieses Prozesses. Seit 1993 gilt außerdem, dass Konsularbeamte, falls sie einen Terroristen ins Land lassen, persönlich haftbar sind und mit einer Strafe rechnen müssen. Ein guter Grund also, jeden Antrag zweimal zu checken und beim geringsten Zweifel abzulehnen.

Dass sich die USA mit ihrem Sicherheitswahn ins eigene Fleisch schneiden, dürfte außer Frage stehen. Denn gerade in den Naturwissenschaften läuft dort ohne Ausländer gar nichts: Nach Angaben der National Academy of Sciences (NAS) stammen rund die Hälfte der in den Natur- und Ingenieurwissenschaften im Hauptstudium Studierenden aus dem Ausland.

Doch während die Amerikaner sicherheitshalber die Schotten dicht machen, nutzen andere Länder die Gunst der Stunde, um ihren Anteil an der akademischen Elite abzufischen. Am meisten profitieren den Nature-Reportern zufolge Großbritannien, Kanada und Australien. Schon seit den 90er-Jahren steigt in Australien der Zufluss ausländischer Studenten jedes Jahr um 13 Prozent, seit 2001 hat sich dieser Wert sogar um 32 Prozent erhöht. Und auch Großbritannien, das lange Zeit wegen seines Klimas und des Essens nicht so hoch im Kurs stand, kann Zuwächse verbuchen.

Und auch Deutschland bekommt offenbar ein Stück vom Kuchen ab. Seit 1999 ist hierzulande die Zahl ausländischer Studenten von 113.000 auf 200.000 gestiegen. Und mancherorts wird auch etwas dafür getan, dass das so bleibt: Da Deutschland nicht gerade bekannt ist für seine Ausländerfreundlichkeit, geht z. B. die Alexander von Humboldt Stiftung, die Forschungsaufenthalte jüngerer, hoch qualifizierter ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fördert, das Problem ganz aktiv an und kürt alljährlich Deutschlands freundlichste Ausländerbehörde. Im vergangenen Jahr konnten sich Bochum, Kassel und Regensburg dieser Auszeichnung rühmen.