Amerika will zum Mars? Europa auch!

Eine bemannte Marsmission ist nur als internationales Projekt sinnvoll

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Nach der Rede von US-Präsident George W. Bush, mit der er die neuen Ziele der amerikanischen Raumfahrt skizzierte, haben sich die europäischen Sektionen der Mars Society mit einem Offenen Brief an den EU-Komissar für Wissenschaft und Forschung, Philippe Busquin, gewandt. Darin rufen sie ihn auf, "die europäischen Ressourcen und Projekte zu bündeln, um zugunsten unserer Kultur, Gesellschaft und unserer Bürger den Weg zum Mars frei zu machen".

Wir sind der Überzeugung, dass die Erforschung des Weltraums eine große Chance bietet, dem europäischen Ziel, die international führende Wissensgesellschaft zu werden, einen gewaltigen Schritt näher zu kommen.

Damit befindet sich die Mars Society in diametralem Gegensatz zur deutschen Forschungspolitik. Die drängt es nicht zu anderen Welten, sondern lediglich zu anderen Marktanteilen. Von großen, kulturell bedeutsamen Zielsetzungen halten Schröder und Genossen wenig und predigen stattdessen unermüdlich die rasche Umsetzung von Forschungsergebnissen in kommerzielle Produkte. Wie eine so bescheidene und kurzsichtige Zielsetzung talentierte Wissenschaftler und Ingenieure inspirieren soll, ist schwer zu verstehen.

Der Mars aus 5,5 Millionen Kilometer Entfernung, aufgenommen am 1.12.2003 vom Mars Express

Forschungsministerin Edelgard Bulmahn antwortete noch vor wenigen Tagen in einer Fernsehsendung auf die Frage nach einer bemannten Marsmission: "Europa wird es nicht machen. Das kann ich sagen." Woher sie diese Gewissheit hat, ist gleichwohl ihr Geheimnis: Bei der europäischen Weltraumorganisation ESA wird im Rahmen des Aurora-Programms längst an der Vorbereitung eines bemannten Fluges zum Mars gearbeitet. Deutschland vertritt in dieser Frage innerhalb der ESA eine Minderheitenposition.

Die Bush-Rede ("Wir werden Ressourcen auf dem Mond oder dem Mars entdecken, die unsere Vorstellungskraft übersteigen") bietet eine Gelegenheit, diese Position zu überdenken. Zwar wäre es schöner gewesen, wenn eine weniger zweifelhafte Person als der amtierende US-Präsident die neue Raumfahrtvision verkündet hätte. Inhaltlich ist das Programm gleichwohl überzeugend: Auf Dauer macht eine Raumfahrt, die nicht den Weltraum zum Ziel hat, keinen Sinn. Die gebetsmühlenartig wiederholte Formel von der "Raumfahrt für die Erde" hat sich als Sackgasse erwiesen und dem viel versprechenden Projekt der Internationalen Raumstation (ISS) schweren Schaden zugefügt. Es war ein Fehler, die Mikrogravitationsforschung auf der ISS und ihren möglichen Nutzen für Anwendungen auf der Erde in den Mittelpunkt zu stellen. Der Sinn einer Raumstation besteht in erster Linie darin, die weiteren Schritte des Menschen ins All vorzubereiten. Diese Ansicht hat sich nach dem Absturz der Raumfähre Columbia jetzt offenbar auch bei der NASA durchgesetzt.

Wir werden unsere zukünftige Forschung an Bord der Raumstation auf die Langzeiteffekte von Raumfahrtmissionen auf die menschliche Biologie konzentrieren. Strahlung und Schwerelosigkeit sind gefährlich für die Gesundheit. Wir müssen noch viel über ihre langfristigen Auswirkungen lernen, bevor Menschen für mehrere Monate durch die Weiten des Alls reisen können.

US-Präsident Bush

Es ist auch richtig, den Flug zum Mars nicht als einzelnen Kraftakt zu planen, sondern Schritt für Schritt eine Weltraum-Infrastruktur aufzubauen, die den Weg zu dem fernen Ziel ebnet. Bemannte Stationen im Erdorbit und auf dem Mond ermöglichen Erfahrungen mit Langzeitmissionen und der Nutzung von Weltraumressourcen. Die bisherigen Planungen im Rahmen des Aurora-Programms sehen ganz ähnlich aus. Der große Unterschied: Bei der ESA wurde eine bemannte Marsmission bislang immer als internationales Projekt konzipiert, Bush hingegen propagiert sie als amerikanisches Vorhaben, zu dem er andere Nationen einlädt.

Bild von der Frontkamera von Spirit, aufgenommen Sol 12

Mehr war wohl realistischerweise nicht zu erwarten. Wer diesen Führungsanspruch der USA nicht akzeptieren will, dem bleibt nichts anderes übrig, als ihm etwas eigenes entgegenzusetzen: ein europäisch-russisches Marsprojekt etwa, das offen ist für die Teilnahme möglichst vieler anderer Nationen. In Russland gab es bereits Reaktionen auf die Bush-Rede, in denen erklärt wurde, dass die Russen schneller und billiger zum Mars gelangen könnten als die Amerikaner.

Technisch könnte der erste Flug zum Mars im Jahr 2014 durchgeführt werden. Es würde ungefähr 15 Milliarden Dollar kosten. Die Schätzungen der Amerikaner für ihr Projekt liegen dagegen bei 150 Milliarden Dollar.

Leonid Gorshkov, Chefdesigner beim Raumfahrtkonzern Energia

Es wäre fatal, wenn nur eine oder einige wenige Nationen zum Mars aufbrechen würden. Die wertvollste Chance, die ein solch gewaltiger Sprung bietet, wäre dann vertan: Statt uns auf eine neue zivilisatorische Ebene zu heben, würde er die Gräben zwischen den Kulturen vertiefen. Nur wenn die Erkundung und Besiedelung des Mars und anderer Himmelskörper von vornherein als Projekt der gesamten Menschheit konzipiert wird, kann sie als Fluchtpunkt dienen, von dem aus eine gerechtere Gestaltung der menschlichen Zivilisation in Angriff genommen werden kann. So gesehen hat die Mars Society völlig recht: Die Amerikaner dürfen es nicht allein machen.