Triumphbogen gegen Völkerschlachtdenkmal

Welche Kulisse braucht das Medienspektakel Olympia, das zudem mit dem Internet konfrontiert wird?

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Am "Picadilly Circus" in London präsentiert seit Jahren die "New Shakespeare Company" William Skakespeares gesammelte Werke in 108 Minuten. Die "jüngste Geschichte der Olympischen Spiele in drei Stunden" konnte man am Wochenende bei einem internationalen Symposium erleben. Wissenschaftler aus Montreal (1976), Moskau (1980), Los Angeles (1984), Seoul (1988), Barcelona (1992), Atlanta (1996), Sydney (2000) und Athen (2004) waren nach Leipzig gereist und analysierten mit 60 Experten aus 15 Ländern, wie sich durch Olympia das globale Image und die lokale Wirtschaft ihrer Städte gewandelt haben.

Olympische Spiele werden von Milliarden von Menschen verfolgt. Kein Ereignis garantiert einer Stadt mehr internationale Aufmerksamkeit. Und spätestens seit in Mexico City 1968 erstmalig Satelliten eine Fernseh-Live-Übertragung der Sportwettkämpfe rund um den Globus möglich machten, sind die Spiele zum gigantischsten Medienspektakel der Welt und zur Triebkraft für die Entwicklung innovativer Kommunikationstechnologien und Mediendienste geworden.

Von einer "dreckigen Hafenstadt" zur "Kulturmetropole"

Wenn die Sportler nach dem Verlöschen der olympischen Flamme wieder nach Hause zurückkehren, bleibt dem Gastgeber in der Regel eine neue weltweite Wahrnehmung und eine exzellente Infrastruktur. Barcelona gelang es z.B. durch eine geschickte Medienstrategie, Sport mit Kunst zu verbinden und sich als Stadt von Miro, Picasso und Gaudi zu präsentieren. Fast unmerklich wandelte sich so das globale Image der Katalanenmetropole. Aus der dreckigen Hafenstadt der 50er Jahre wurde die europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2000

München

Einen ähnlichen Langzeiteffekt erlebte München. Die Spiele 1972 fielen mit dem Beginn der sogenannten "Informationsrevolution" zusammen. München brachte den flächendeckenden Durchbruch des Farbfernsehens. Nie zuvor wurden so viele Satellitenfernsehübertragungen realisiert. Und nie zuvor berichteten mehr Journalisten von den Spielen, die trotz der Terroranschläge das Bild einer "Weltstadt mit Herz" um den Globus trugen. Olympia pushte in München frühzeitig den Strukturwandel von der Industrie- zur Informationswirtschaft und bahnte den Weg zur heutigen Medienmetropole.

Ein Forschungsprojekt zum Thema "Olympic Cities and the Media: Images, Infrastructure and Innovation", das von der Sports & Media Section der Internationalen Gesellschaft für Medien und Kommunikationsforschung (IAMCR), einer Unterorganisation der UNESCO, in Kooperation mit den Universitäten in Leipzig und Halle koordiniert wird, will jetzt durch eine vergleichende Analyse herausfinden, welche langfristigen Wirkungen die Veranstaltung von Sommerspielen auf das globale Image und die lokale Wirtschaft einer Olympiastadt haben und welche kommunikationstechnologischen Innovationsschübe durch das Medienspektakel ausgelöst werden. Bei dem Leipziger Olympiasymposium waren nun erste Berichte aus allen Olympiastädten seit München 1972 zu hören.

Von Montreal (1976) nach Athen (2004)

Während die Münchener Bilanz weitgehend positiv ausfällt, präsentierte David Whitson vom Department of Political Science der University of Alberta mit den Montreal-Spielen so etwas wie ein Gegenbeispiel. Finanziell gesehen war Montreal ein Desaster. Noch heute zahlen die Bürger die Schulden ab. Montreal versuchte sich damals, der Welt primär als "Quebec", das "französische Kanada", zu präsentieren. Das aber gelang nur zur Hälfte und hatte wirtschaftlich eher negative Konsequenzen. Abziehendes amerikanisches Kapital vergrößerten Montreals Finanzprobleme nach den Spielen. Der Versuch, durch den Bau des Stadions in einem unterentwickelten Vorort eine nachhaltige Entwicklung auszulösen, schlug fehl. Erst jüngst ist Montreals Baseball Team wieder in die Innenstadt zurückgekehrt. Und das Image der Stadt leidet noch immer unter dem damals nicht fertig gewordenen Stadion.

Montreal

Yassen Sassurski, Dekan der journalistischen Fakultät der Lomonossow Universität Moskau, wusste von den 80er Spielen ähnlich Zwiespältiges zu berichten. Die "Öffnung" Moskaus wurde konterkariert durch die staatlichen Anstrengungen, die Kontakte der jungen Moskowiter mit den trotz Boykott angereisten ausländischen Besuchern unter Kontrolle zu halten Der imageschädigende Versuch war doppelt kontraproduktiv. Der "Rote Platz" wurde zum Ost-West-Treffpunkt und, so Sassurski, der Prozess Richtung Glasnost und Perestroika, der fünf Jahre später im Kreml begann, wurde durch die Olympischen Spiele nicht unwesentlich beschleunigt. Ohne Olympia hätte Moskau aber auch nicht sein Ostankino TV Zentrum. Und während ein Großteil der Sportanlagen verfallen sind, dient das damalige Olympische Medienzentrum heute den russischen Präsidenten als Platz für ihre internationalen Pressekonferenzen.

Moskau

Los Angeles 1984 war total anders, so Joseph Manguno von CNN. Das Finanzloch von Montreal hatte damals alle Mitbewerber aussteigen lassen. Der in Moskau neu ins Amt gekommenen IOC Präsident Samaranch akzeptierte, um den letzten Kandidaten bei der Stange zu halten, den nicht problemlosen Deal, die Spiele erstmalig in die Hand eines privaten Konsortiums zu geben. Das war der eigentliche Beginn der Kommerzialisierung der Spiele. Samaranch erkannte dabei die Möglichkeiten einer globalen totalen Fernsehvermarktung und baute das neue Geschäftsmodell der vom IOC veranstalteten Spiele auf.

Davon profitierte als erste Stadt Seoul. Den Koreaner zogen zusätzlich Nutzen aus dem sich abzeichnenden Ende des Kalten Krieges, der zum ersten mal seit Tokio 1964 Olympische Spiele ohne politische Attacken (1968 in Mexico "Black Panther", 1972 in München "Schwarzer September", 1976 in Montreal "Afrika Boykott", 1980 in Moskau "Westboykott" und 1984 in Los Angeles "Ostboykott") ermöglichte. Seoul und damit auch ganz Korea gelang es, sich den Medien und damit der Welt durch Präsentation einer Mixtur von Kulturgeschichte und Hightech ein völlig neues globales Image zu geben. Statt "Entwicklungsland mit Diktator" begann man Korea als aufstrebenden wirtschaftlicher Tiger mit einer stärker werdenden demokratischen Bewegung wahrzunehmen. Jae Won Lee, Kommunikationsprofessor von der Cleveland University, der 1988 in Seoul im Pressenzentrum als rechte Hand von Koreas IOC Mitglied Kim gearbeitet hatte, beschrieb in Leipzig eindrücklich, welchen entscheidenden Anteil die 88er Spiele an den nachfolgenden Demokratisierungsprozessen hatten. Seoul stieg durch die Spiele in die Reihe der "großen Weltstädte" auf.

Los Angeles

Die oben bereits erwähnte Erfolgsgeschichte der 92er Spiele - Samaranch brachte Olympia in seine Heimatstadt - bestätigte Chris Kennet vom "Olympic Study Center" der Universität Barcelona. Das "kulturelle Image Design", hinter den sich am Anfang ganz Katalonien und später ganz Spanien stellte, hat wesentlichen Anteil, dass sich z.B. die Zahl der Barcelona-Besucher zwischen 1990 und 2000 fast verdreifacht hat, wobei zwei Drittel des Zuwachses von ausländischen Touristen kam, die die TV-Olympiabilder von "La Rambla", "Monjuc" oder der "Sagrada Familia" noch im Kopf hatten.

Atlanta 1996 wiederum war zunächst die One-Man-Show des Geschäftsmannes Billy Paine, der ein profitables "Geschäftsmodell" kreierte, dessen Versprechungen für das IOC so reizvoll waren, dass Samaranch damals alle Einwände wegbügelte. Athen, das die Spiele zum 100. Olympia-Geburtstag haben wollte, aber keinen "Business Case" präsentierte, zog den Kürzeren. Die "Akropolis" verlor gegen "Coca Cola". Das Atlanta-Organisationskomitee versuchte, die Stadt medial als die "Wiege der Bürgerrechtsbewegung" des "neuen Südens" der USA zu verkaufen, eine nachhaltige Entwicklung hat Olympia in der Stadt aber nicht ausgelöst. Die meisten Sportanlagen wurden "zurückgebaut". In der Erinnerung haften geblieben ist vor allem das "Atlanta Bombing". Und einzig und allein der "Cientential Park" wird von den Besuchern und Bürgern noch heute als Spazierplatz gerne genutzt.

Seoul

Ganz anders hingegen Sydney. Helen Wilson von der Southern Cross University sieht die Inszenierung der Kulisse von Sydney - Opera House, Kleiderbügel, Bondi Beach - als ein wesentlicher Imagebildner. Sydney war schon vor den Spielen schön, die Olympiade hat aber dieses bis dahin vorwiegend in der südlichen Hemisphäre angesiedelte Wissen um den Globus getragen. Olympia hätte das Problem "Aborigines" weltweit thematisiert. Und dann war Sydney, allen voran "Darling Harbour", natürlich die bis dato größte olympische Freiluftparty. Nie zuvor wurden in dieser Dimension die Wettkämpfe in den Stadien auf öffentliche städtische Plätze übertragen. Und nie zuvor verschwand die Grenze zwischen Live im Stadion und Live auf der Großbildleinwand.

2004, so Roy Panagiotopouplou von der Universität Athen, wird Olympia "back home" sei. Sie beklagte, dass die Medien im Vorfeld ein falsches Image der Stadt zeigen. Bauverspätung und Verkehrsprobleme seien mediale Mythen, die Wirklichkeit sähe anders aus. Man rechnet allein mit rund 20.000 akkreditierten und nicht akkreditierten Journalisten und sei gut gewappnet. Zwar seien die Athener wegen der jahrelangen Bauarbeiten ermüdet, aber 82 Prozent der griechischen Bevölkerung finden die Olympiade für ihr Land sehr wichtig oder wichtig.

Barcelona

Jede Olympiade ist einzigartig. Der Vergleich aber macht Entwicklungstendenzen deutlich und zeigt Problemfelder auf, mit denen alle Gastgeber ungeachtet ihrer Einzigartigkeit zu ringen haben. Nachfolgende Gastgeberstädte können dabei manches lernen aus den Erfolgen und Misserfolgen ihrer Vorgänger. Das reicht von der Kommunikations- und Investitionsstrategie bis zum Umgang mit Zehntausenden von Journalisten und Hunderttausenden von Touristen. Und sie können auch lernen, wie man mit unvermeidbaren weltpolitischen Umständen - vom "Kalten Krieg" bis zum "Kampf gegen den Terrorismus" - kreativ umgehen kann.

Herausforderung Internet

Ein immer wiederkehrender Punkt ist, dass die Olympiaden kommunikationstechnischen Innovationen zum Durchbruch verhelfen. Athen wird erstmals einen die ganze Stadt abdeckenden drahtlosen Kommunikationsdienst - Wireless Olympic Work (WOW) - sehen, mit denen jedermann mittels mobiler Endgeräte Zugang zu der offiziellen Olympiadatenbank hat.

Die langfristigen Folgen der Medienkonvergenz und insbesondere die Rolle des Internet für die mediale Präsentation und Vermarktung der Olympischen Spiele, standen auch bei der Leipziger Diskussion im Mittelpunkt. 1992 lag die Zahl der Internetnutzer in der Welt noch erheblich unter einer Million. Im Jahr 2012 wird es 1.5 Milliarden Internet Nutzer weltweit geben. Die Medien verschmelzen weiter. Das Internet verheiratet sich mit der mobilen Kommunikation. Und mit Breitband und UMTS wird sich die Vielfalt von digitalen Audio- und Videodiensten kaum noch überschauen lassen. Damit wird mittelfristig natürlich das auf der Vermarktung der Fernsehrechte basierende olympische Geschäftsmodell herausgefordert. Läuft das auf einen Konstellation hinaus, bei der, ähnlich wie beim Musikgeschäft, eine P2P-Kommunikation der Nutzer einer etablierten Musikindustrie das Fürchten lehrt?

Atlanta

"Die Leute wollen professionelle Bilder haben", sagte in Leipzig Rod Ackermann, internationaler Sportkorrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) mit Sitz in Paris und New York, "da kann ein Handy-Reporter, der von der Tribüne aus den Zehn-Sekunden-Clip des 100-Meter-Laufs ins Netz stellt, nicht mit konkurrieren." Das ist sicher richtig. Aber, auch das wurde auf dem Symposium deutlich, unter den professionellen Journalisten gibt es eine zunehmenden Zweiteilung. Auf der einen Seite finden sich die Rechteinhaber, die privilegierten Zugang zu den besten Tribünenplätzen und zur "mixed zone" haben und de facto einer Art "embedded journalist" des IOC sind, und auf der anderen Seite befinden sich die "non-accredited journalists" und "free lancer", die die "andere story" suchen oder einfach kreativ das kopieren, bearbeiten, mixen oder weiterleiten, was andere produzieren oder einfach in digitaler Form verfügbar ist. "Creative Second Hand Journalism", zielgerichtet abgestellt auf spezielle Nutzergruppen als komplementärer Dienst zu den etablierten Angeboten der Platzhirsche?

Welche Kommunikationsmöglichkeiten mit welchen Konsequenzen die technische Revolution im kommenden Jahrzehnt hervorbringen wird, ist schwer abschätzbar. Sicher scheint aber, das im Kampf um die "Eyeballs" das klassische Fernsehen Federn lassen wird. Fernsehen wird für lange noch das vorrangige Sportmedium bleiben, aber ein sich verschärfender Wettbewerb mit den neuen Medien nagt an der Wertigkeit der TV-Exklusivrechte. Damit ist zwangsläufig das einst von Samaranch erfundene Finanzierungsmodell der Olympischen Spiele herausgefordert. Das IOC hat strenge restriktive Regelungen für eine Internetberichterstattung aus Athen erlassen. Man kann gespannt sein, wie das funktioniert. Langfristig aber ist Kontrolle und Einschränkung keine Strategie. IOC-Präsident Jacques Rogge hat dieses Problem längst erkannt und höchstpersönlich den Vorsitz der "IOC Internet Rights Commission" übernommen. Spätestens nach Athen wird man sich den Kopf konkret zerbrechen müssen.

Sydney

Eine mögliche Reduktion von TV-Einnahmen - ein Problem, mit dem auch FIFA, UEFA oder der deutsche Fußball ringen - muss mit einer Doppelstrategie kompensiert werden, die sowohl die Erschließung neuer Einnahmequellen über die neuen Medien als auch die "Verbilligung der Spiele" einschließt, so Rod Ackermann, der für die NZZ seit München 1972 über alle Olympischen Spiele berichtet hat. Aus "groß" mach "klein"?

Noch ist es nicht so weit und NBC hat sich erst kürzlich eine Milliarden-Option für 2010 und 2012 gesichert. Für ihr Geld wollen die Fernsehmacher aber immer spektakulärere Kulissen, um sportliche Konflikte wie einst "Carmen vs. Carmen" dramatisieren zu können. "Triathlon & Sydney Oper", "Marathon & Akropolis", das schaut sich gut an und lässt sich verkaufen.

Was heißt das für 2012? Steht im Juli 2005 in Singapur bei der Vergabe der Sommerspiele dann auch "Sacre Coeur" gegen "Bachs Thomaskirche" zur Wahl? Beach-Volleyball vorm Eiffelturm gegen Jagdspringen vor Canalettos Dresden Kulisse? Der Pariser "Triumphbogen", der an Napoleons Siege erinnert, gegen das Leipziger "Völkerschlachtdenkmal", das Napoleons Niederlage symbolisiert? Kann man große Kulisse auch etwas billiger haben?

In seinem "Faust" nennt Johann Wolfgang Goethe Leipzig ein "Klein-Paris". Wenn es IOC Präsident Jacques Rogge ernst meint mit seiner Absicht, angesichts der sich verändernden wirtschaftlichen und kommunikationstechnologischen Rahmenbedingungen den Kurs seines Vorgängers Samaranch zu verlassen und umzusteuern, öffnet sich für die Stadt an der Pleiße möglicherweise ein "Window of Opportunity".