Attentat auf die Attentäterin in effigie

Der israelische Botschafter Zvi Mazel attackiert in Schweden ein Kunstwerk

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Die Installation: Das Foto einer lächelnden Palästinenserin treibt in einem Boot mit der Aufschrift "Schneewittchen" in blutrotem Wasser, umspielt von den Klängen einer Bach-Kantate. Bei der Frau handelt es sich um die Selbstmordattentäterin Hanadi Dschadarat, die vor einigen Monaten in Haifa 21 Menschen in den Tod mitriss. Der israelische Botschafter in Schweden, Zvi Mazel, konnte diesen Anblick im Historischen Museum in Stockholm nicht länger ertragen. Er warf mehrere Scheinwerfer auf das Boot und versuchte es anschließend aus dem Wasser zu holen. Augenzeugen zufolge soll er sich sehr heftig erregt, ja wie "irrsinnig getobt" haben.

Das Attentat auf die Attentäterin in effigie könnte ein Interpretationsversehen sein. "Das war kein Kunstwerk. Es war eine Ungeheuerlichkeit, eine obszöne Verzerrung der Realität", erläuterte der Botschafter seine Tat. Dass Kunstwerke eine Ungeheuerlichkeit sind, spricht nicht gegen sie. Dass Kunstwerke die Realität - welche überhaupt? - umformen, ist ihr Geburtsrecht. Dem Botschafter zufolge glorifiziert das Werk jedoch Selbstmordattentäter. Fürwahr ist Schneewittchen doch ein Symbol der Unschuld, die in ihrer Schönheit strahlt und alle Mittel heiligt: "Weiß wie Schnee, rot wie Blut (!) und schwarz wie Ebenholz." Sollte diese motivische Überblendung ein provokatives Kalkül des Künstlers gewesen sein, die Attentäterin zur erhabenen Unschuld zu erhöhen?

Das sieht der Künstler freilich fundamental anders. Der gebürtige Israeli, Dror Feiler, will laut Selbstinterpretation mit seinem plakativen Werk Schneewittchen und der Irrsinn der Wahrheit demonstrieren, wie die Hilflosigkeit Menschen zu furchtbaren Taten anstiften kann. Das klingt politisch sehr korrekt, aber jene empörten Israelis, die jetzt seine Ausbürgerung fordern, nehmen ihm diese Gesinnung nicht ab. Und liegen nicht ohnehin Welten zwischen künstlerischen Absichten und Werken?

Der Künstler verweist auf den Hintergrund seiner Arbeit: Die palästinensische Attentäterin hatte kurz vor ihrer Tat erlebt, wie ihr Bruder von israelischen Soldaten erschossen wurde. So ganz füllt dieses Motiv allerdings auch nicht das Format des Werks. Ist das unschuldige Schneewittchen (Selbstmordattentäterin) von der bösen Königin (Israel) vergiftet worden, um selbst böse zu werden? Oder ist die Wahrheit Irrsinn und Gift, das zuvor unschuldige Menschen explodieren lässt? Und wer ist überhaupt der Prinz? Der Künstler selbst? Solche "offenen Kunstwerke" lassen sich variantenreich interpretieren, bis sich jeder seinen eigenen Reim darauf macht und alle schließlich des Streitens müde sind. Doch so weit sind wir hier noch nicht.

Herrschaft über die Zeichen

Der Botschafter fühlte sich jedenfalls nicht allein durch die Reizfarbe "Rot" zu seinem protokollwidrigen Verhalten provoziert. Nun mag man so viel spontane Erhitzung einem Diplomaten nicht so recht glauben. Und in der Tat: Mazel soll der Zeitung "Haaretz" gegenüber erklärt haben, er habe keineswegs aus spontaner Wut gehandelt. Es sei ein geplanter Protestakt gewesen. Das macht die Angelegenheit nun ästhetisch kompliziert. Denn sollte es beim Botschafter auch ein polit-künstlerischer Akt gewesen sein, eine aufmerksamkeitsheischende Performance, die ihre Mittel nicht weniger präzise wählte als der Schneewittchen-Künstler seine eigenen? Spiegelt sich nicht das militärische Vergeltungsschema in diesem inszenierten Angriff auf die Kunst wieder? Und überhaupt hat doch erst die Aktion des - in den Augen des Künstlers - "zügellosen Hooligan" das Blutsee-Kunstwerk zu dem gebracht, was es jenseits dieses Polit-Spektakels aus eigener Kraft kaum je erreicht hätte: Globale Aufmerksamkeit jenseits der Umzirkelung von Galerien und Museen.

Denn hier geht es längst nicht nur um Kunst bei der Frage, wen man trifft, wenn man das Kunstwerk trifft. Ariel Sharon heißt die Tat jedenfalls im Schulterschluss mit seinen Ministern gut. Das schwedische Außenministerium insistiert dagegen auf einer Entschuldigung des Diplomaten. Für Sharon ist des Botschafters inszenierte Kunst der Kunstzerstörung ein Zeichen gegen den wachsenden Antisemitismus. Das Kunstwerk ist also so notwendig wie unwichtig, um den Eklat zu produzieren und die Herrschaft über die Zeichen zu erlangen. Israels ehemaliger Botschafter in der Türkei, Alon Liel, erläutert die psycho-hygienische Austauschbeziehung zwischen provokanter Kunst und provokanten Reaktionen durchaus plausibel:

Wir haben einfach nicht genug Gelegenheit, unsere Wut über die schrecklichen Selbstmordanschläge rauszulassen.

Ob die Lösung des Wutstaus und die Aufmerksamkeit für den präzedenzlosen Bilderstreit nun fatale oder heilsame Wirkungen für den Israel-Palästina-Konflikt hat, wissen wir nicht. Wir erleben aber zumindest einen der glückhaften Momente der Kunst, nicht wie üblich in ihrem eigenen selbstbezüglichen System politisch völlig folgenlos verrechnet zu werden und kaum je die nächste Vernissage zu überleben. Der Botschafter und der Künstler haben in ihrer unvorhergesehenen Kooperation synästhetische Qualitäten bewiesen, die unseren zeitgenössischen Begriff von Kunst auf das Vorzüglichste bedienen.

Denn nur solange Kunstwerke Fragen stellen, die nicht beantwortet werden, bleiben sie Kunst - wobei es jedem Zuschauer nun freigestellt ist zu entscheiden, ob hier der Kunstprofi oder der Politiker die eindringlichere Form der Kunst gefunden hat. Alexander Demandt hat in seiner instruktiven Zeitreise durch die Geschichte des Vandalismus den möglichen Endpunkt dieser Historie so markiert:

Wird Gewalt gegen Kultur zur Form von Kultur, so ist mit der Kunst auch der Vandalismus am Ende. Die Hoffnung aber scheint mir verfrüht.

Der undiplomatische Vandalismus von Stockholm ist ein solches Kunstwerk der Provokation, in dem die Rollen von Provokateur und Provoziertem zerlaufen und ineinander übergehen. Die Kunst liebt diese Ambivalenzen. Aber die Politik befasst sich nun mit dieser originellen Aktion wieder anhand ihres tradierten wie bleiernen Formenkanons. Die Museumsleitung hatte die Arbeit eigens im Blick auf eine internationale Konferenz in Stockholm aufgestellt, die sich Ende Januar mit dem Thema Verhinderung von Völkermord befassen soll. Die Schweden wollen ihr Kunstwerk weiterhin in diesem Kontext präsentieren und drängen auf Abbitte des Botschafters. Das israelische Außenministerium droht dagegen an, diese Konferenz zu boykottieren. Diese Politik ist die Fortsetzung der Kunst mit schlechteren Mitteln.