Intellektuellen-Kitsch à la americaine

Der neokonservative Schwenk des Hans Ulrich Gumbrecht, der den Kitsch der anderen Intellektuellen zerlegt und selbst einem Patriotismus-Kitsch anheimfällt

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Die Kette von Irrtümern und Selbsttäuschungen, denen Intellektuelle im Laufe ihres Lebens erlegen sind, ist ebenso lang wie legendär. Heideggers überschwängliche Begeisterung für den Nazismus, Sartres Fahrt nach Stammheim und Habermas' langjähriges Vertrauen in Amerikas normative Autorität bilden nur eine kleine Auswahl aus der Fülle von Blamagen, Missverständnissen und Fehlleistungen, deren sie sich schuldig gemacht haben. Auch Michel Foucault, um noch eine weitere Adresse einzuführen, ist alles andere als frei davon gewesen, wie jetzt im bei Suhrkamp erschienenen dritten Band der "Dits et Ecrits" nachzulesen ist, der Vorträge, Aufsätze und Wortmeldungen aus den 70er Jahren versammelt und vor allem Auskunft über die politischen Aktivitäten des Pariser Historikers gibt.

Den Leidenschaften die Sporen geben

Merkwürdigerweise beginnt Foucaults Engagement unmittelbar nach seiner Berufung ans Collège de France. Warum er ausgerechnet für die Lage der Inhaftierten Partei ergreift und mit Sartre zusammen auf der Straße für die Verbesserung von Haftbedingungen streitet, mag theoretischen Interessen geschuldet sein, die Feldstudien ausdrücklich einschlossen. Warum er aber auch dann noch das Mullah-Regime in Teheran verteidigt, als für jedermann klar war, dass auch die Revolution der Bärtigen ihren jakobinischen Ausgang nehmen würde, kann damit nur schwerlich begründet werden. Die Zukunft der islamischen Revolution feldpostartig zu begleiten, wäre auch möglich gewesen, ohne dem fundamentalistischen Aufstand das Wort zu reden.

Offensichtlich ließ auch Foucault bisweilen die nötige Distanz zum Gegenstand vermissen. In vielerlei Hinsicht erinnert diese Haltung an Julien Bendas "La trahison des clercs", das 1927 erstmals erschien und die Intellektuellen des Verrats ihrer ureigensten Prinzipien beschuldigt. Statt zu beobachten und zu analysieren, hätten sie Anfang des 20. Jahrhunderts begonnen, im Spiel der politischen Leidenschaften mitzumischen; und statt auf der Ebene "abstrakter Gerechtigkeit" zu verbleiben und die politischen Ambitionen und Passionen der Völker zu zügeln, hätten sie diesen noch die Sporen gegeben und an der geistigen Mobilmachung aktiv mitgewirkt. Den Verlauf und Ausgang von WK I vor Augen, lastet Benda den Intellektuellen eine gehörige Portion Mitschuld am "Krieg der Ideen" an, der Transformation des politischen Kriegs in einen "Kampf der Kulturen".

If this is madness, yet there is method in it.

Shakespeare

Aus heutiger Perspektive erscheint Bendas Schelte als viel zu grob gestrickt. Den Einfluss, den Intellektuellenworte haben, die Wirkung, die sie in der Medienöffentlichkeit erzielen, wird häufig überschätzt. Nicht nur von Lesern und Zuschauern. Oder von Kommentatoren, die sich gern über eine flüchtige Bemerkung, einen persönlichen Einwurf oder eine programmatische Rede ereifern. Auch von den Intellektuellen selbst, wie Bernhard Lévy oder André Glucksmann.

Ihre öffentliche Rolle ist längst nicht mehr mit der zu vergleichen, die Benda einst vor Augen hatte, als sie stellvertretend für andere im Namen der Menschheit das Wort ergriffen. Meist erreichen ihre Sätze und Äußerungen gerade mal die Spalten des Feuilletons. Vor allem, wenn sie, wie Sloterdijks "Regeln zum Menschenpark" (Zarathustra ad portas?) oder Ted Honderichs Rechtfertigung palästinensischer Selbstmordbomber (Widerstand gegen Terrorismus) höchstens zur Entfachung eines Miniskandals taugen.

Dennoch macht der Vorwurf, den Benda den Intellektuellen vorhält, auf Haltungen, Neigungen und Einstellungen aufmerksam, die Sepp Gumbrecht, Komparatistikprofessor in Stanford, vor einigen Tagen bei einem Auftritt an der Universität Regensburg zurecht als "Intellektuellen-Kitsch" bezeichnet hat.

Anfällig für Kitsch

Auf Einladung der Johann Vielberth Stiftung (Die deutsche Vorzeige-Uni) sowie des hiesigen Graduiertenkollegs Kulturen der Lüge das Wochenende in der alten Reichshauptstadt verbringend, bezichtigte Gumbrecht Intellektuelle im weiteren und Kulturwissenschaftler im engeren Sinn als besonders kitschanfällig. Um das zu belegen, bediente er sich einer Definition, die Ludwig Giesz vor einem halben Jahrhundert aufgestellt hat. In seiner "Phänomenologie des Kitsches" hatte der Heidelberger Ästhetikprofessor den Begriff des Kitsches nicht objektbezogen eingeführt, sondern als Zustand und Einstellung, als Stimmung und Disposition eines Beobachters erklärt, den dieser bei der intensiven Beschäftigung mit einer Sache oder einer Theorie, einer Marke oder einem Erlebnis erfährt.

Hans Ulrich Gumbrecht in Regensburg. Foto: Rudolf Maresch

"Im Kitscherleben", so Giesz in dem schmalen Bändchen, werde "die spezifische Distanz des Ästhetischen zugunsten eines Zustandsgefühls weitgehend unterdrückt." Dieses, mit Nietzsche gesprochen, "Gefühlchen" werde nicht nur gefühlt, sondern "auf ästhetisch kokette Weise noch genossen. Der Niederschlag solchen primären Erlebens ist Kitsch." Kitsch-Effekte stellen sich laut Giesz immer dann ein, wenn ein Beobachter von der "Klebrigkeit" eines Gegenstandes übermannt wird, sich von der "Warmherzigkeit", den dieser ausstrahlt, vereinnahmen lässt und im Banne dieser "Rührung" die Distanz zu ihm verliert. Im subjektiv sentimentalen Selbstgenuss mutiert der Beobachter zum willig konsumierenden Rezipienten.

Wie Goethes Faust

Wer die intellektuellen Leidenschaften "des Mannes aus Stanford" näher kennt, den dürfte dieser Rückgriff auf das "totale Erleben", das Gumbrecht neuerdings umtreibt, nicht überrascht haben. Seitdem er an vorderster Front alle antihumanistischen Theoriemoden der letzten Jahrzehnte, darunter Systemtheorie, Poststrukturalismus und Diskursanalyse, aktiv "durchlebt" und mitgemacht hat (Katalysator intellektueller Komplexität), ist er wieder zu seinen Konstanzer Ur-Sprüngen, zu Rezeptionsästhetiken und literarischen Hermeneutiken à la Hans Robert Jauß und Wolfgang Iser zurückgekehrt.

Davon zeugt nicht nur sein jüngstes Buch "Die Macht der Philologie", in dem er die Macht nicht mehr in "Aufschreibesystemen" verortet, sondern primär im Begehren des Philologen nach Präsenz, in der Sehnsucht des Autors, sich den von ihm bearbeiteten Text anzueignen, sich gleichsam einzuverleiben. Davon zeugt auch seine Begeisterung für alle Formen des Mannschaftssports (Baseball, American Football, Basketball, Eishockey), vor allem aber für durchtrainierte, auf Hochleistung getrimmte und modisch aufgepeppte Körper, die Zuschauer, Fans und auch Philologen und Mediävisten in die Sporthallen und Sportstadien treiben, um dort deren perfektes Spiel und deren dynamische Bewegungen zu genießen.

Dass die körperliche Nähe, die der Beobachter in den Sportarenen erlebt; dass die "synästhetische Verschmelzung von Stimmungsmomenten" (Ludwig Giesz), denen er dort erliegt, dass der Überschuss an Wert oder das Zuviel an Semantisierung, das auf ihn einstürmt, ein "strukturelles Problem" darstellt, das Intellektuelle und da vor allem Geistes- und Literaturwissenschaftler teilen, die eine affektive Beziehung zu ihren Gegenständen entwickeln, versuchte Gumbrecht an einer Vielzahl konkreter Beispiele, Motive und Themen zu erläutern. Unerwartet, nicht ohne Augenzwinkern, geriet diese kurze Reise durch zeitgenössische Kitsch-Effekte, denen Kulturwissenschaftler jüngst erlegen sind, zu einem genussvollen Spaziergang durch Gumbrechts eigene wie so manch andere intellektuelle Biographie.

Dem Kitsch auf der Spur

Zum Kitsch-Thema erkor Gumbrecht zum Beispiel die "Wiederentdeckung des Körpers", deren Adepten vor allem in Berlin residieren. Sie hoffen, in der Gerührtheit und Mitleid über den geschundenen Marsyas ihre eigene Kreatürlichkeit neu zu entdecken. Kitsch zu erzeugen, unterstellte er sodann jenen, die dauerhaft Begeisterung für die Figur des Flaneurs zeigen, dessen gespielte Gleichgültigkeit zur Rechtfertigung sozialer, moralischer oder persönlicher Unverantwortlichkeiten herhalten muss. Und schließlich auch jenen, die offensichtlich gerührt vom schlechten Gewissen über eigene Privilegien sich entweder für kulturelle Minderheiten, sei es für die Indio-Mutter im Chiapas oder den Maisbauern in Bangladesh engagieren, oder nach zu unrecht vergessenen Autoren und Künstlern graben.

Doch nicht nur alle Kamper-Schüler und Lacanianer, Benjamin-Adepten und Judith Butler-Fans wurden mit Spott überhäuft, auch Derridadaisten, Luhmaniacs und Kittlerianer bekamen "Gumbrechtsches Fett" ab. Sah er in der verspäteten Zurkenntnisnahme der sprachlichen Verfasstheit der Welt Tränen der Melancholie auf die weißen Hemden der Dekonstruktivisten tropfen, wollte er in der Begeisterung für alte Radios, Grammophone und anderes Heereskriegsgerät, das in Berlin und Weimar herrscht, allenfalls die warmherzige Gelassenheit der Medienarchäologen über die totale Manipulation des Medienverbunds erblicken.

Und nachdem Gumbrecht sich noch über US-akademische Rituale mokiert hatte, die durch das ständige Nicken des Kopfes Lösungen vorgeben, ohne das Problem selber klar gemacht zu haben, belustigte er sich über den Beobachter-Kult der Luhmaniacs in Bielfeld, Witten oder anderswo, die ihren trockenen Humor stets dann verlieren, wenn sie mit der simplen Wahrheit konfrontiert werden, dass ihr Meister an Aids gestorben ist.

Stolz darauf, Amerikaner zu sein

An diesem Punkt kam die Selbstironieproduktion des Stanfordprofessors jäh zum Stillstand. Mehr Selbstanwendung wollte Gumbrecht sich und den Zuhörern nicht zumuten. Was verwunderte. Schließlich hätte es dafür berechtigten Anlass gegeben. Spätestens seit seiner feierlichen "Transformation" vom Alien zum US-Bürger sowie den Ereignissen vom 11. September ist er vom coolen Beobachter und Antihumanisten zum bekennenden Patrioten mutiert.

Hans Ulrich Gumbrecht in Regensburg. Foto: Rudolf Maresch

Einschlägig bekannt ist sein Erlebnisbericht im "Merkur", der "Zeitschrift für europäisches Denken". In Proud to be American gibt er freimütig (sicher auch um Gefolgsleute, Mitstreiter und Gegner zu provozieren) über Gefühlswallungen Auskunft, die ihn übermannt haben, als er mit tausend anderen Neo-Amerikanern gemeinsam drei Finger aufs Herz legen und dabei die US-Hymne stimmungsvoll intonieren durfte.

Und bekannt ist auch seine Deutschlandschelte, als er alle Kriegsgegner des Antiamerikanismus beschuldigte und sie im Stile Robert Kagans als "Weenies", "Weedies" und "Weakies" abkanzelte. "Tröstlich" sei für ihn, so der Neuamerikaner in der FAZ vom 4.10.2004, nur die "Tatsache, dass das heutige Deutschland weder argumentativ noch wirtschaftlich, noch militärisch Entscheidendes oder auch nur wirklich Wichtiges zur Lösung der großen internationale Konflikte beizutragen" habe.

Schuster, bleib' bei deinen Leisten

Diese Zurückhaltung aufgegeben, seine Selbstdistanzierung verloren und Einblick in die eigene Kitschproduktion gewährt hatte Gumbrecht noch Tage zuvor. Zusammen mit Jochen Hörisch war er vom hiesigen philosophischen Institut zum Seminarthema "Zeit des Menschen und die Zeit danach" geladen.

Aufgefordert über das mögliche "Ende des Menschen - konkret" zu sprechen, malte er den "grey goo" an die Wand. Dieser könne durch eine unkontrollierte Kettenreaktion, den neue Technologien verursachen (Gumbrecht dachte da vermutlich an Nanotechnologien), ebenso ausgelöst werden wie durch einen Selbstmordbomber, der mit einem nuklearen Sprengsatz, am Flughafen von L.A. gezündet, diese Millionenstadt auf Jahrzehnte unbewohnbar mache. In diesem Fall bliebe einem amerikanischen Präsidenten, so Gumbrecht, wohl nichts anders übrig, als den Ausnahmezustand auszurufen, ein Umstand, der ihn und Richard Rorty, von dem dieses worst case scenario stamme, mehr ängstige als das eigentliche Attentat.

Die Frage, ob es nicht vielleicht die Aufgabe und Pflicht der amerikanischen Wähler wäre, die Wahl eines solchen "wild um sich schießenden Mannes" an die Spitze der Supermacht zu verhindern, kam ihm ebenso wenig in den Sinn wie zu prüfen, ob es für einen Selbstmordattentäter technisch wie praktisch überhaupt möglich sei, in den Besitz spaltbaren Materials bzw. einer smart dirty bomb zu kommen, die diese Wirkung hervorrufen könne. Und auch die simple Frage, auf wen ein amerikanischer Präsident dann zurückschießen würde, sollte diese Schreckensvision Wirklichkeit werden, wusste er nicht zu beantworten.

Stattdessen erklärte er die Verletzung der Menschenrechte in Guantanamo Bay zu einem zweitrangigen Problem. Bis heute verstehe er nicht, wie sich angesichts dieser Dynamik von ihm geschätzte Kollegen über den Rechtsbruch, den drei oder vier Afghanen erleiden, derart ereifern könnten. Er freue sich schon darauf, mit Giorgio Agamben demnächst darüber zu diskutieren. Anders als der italienische Philosoph, der vorsorglich und öffentlich schon kundgegeben hat, dass er nicht mehr nach Amerika reisen werde, weil er es für eine Schande halte, bei der Einreise wie ein Tier behandelt zu werden (Körper ohne Worte), mache es ihm nichts aus, am Flughafen Schuhe ausziehen oder ohne Laptop herumreisen zu müssen. Solange die Homeland Security so funktioniere wie sie funktioniere, könne er mit solchen präemptiven und biopolitischen Maßnahmen gut leben.

Im Übrigen werde der Begriff des Todes in den westlichen Ländern viel zu individualistisch verhandelt, nämlich als Ende eines Selbst. Nötig seien neue historische Kopplungen. Beispielsweise die Bereitschaft zum Selbstopfer, die Bereitschaft, vom Hedonismus Abstand zu nehmen; die Bereitschaft, für andere oder eine größere Sache zu sterben. So direkt wollte er die deutschen Wohlstandsbürger zwar nicht zu mehr Opferbereitschaft und Präemption, zu mehr Korpsgeist und Nationalismus anhalten. Der Sprengstoff, den dieser Klartext enthielt, war zu offensichtlich. Aber in der Art, wie Gumbrecht diese Fragen formulierte, war klar, welche Antworten er wohl für die richtigen erachten würde.

Riskant denken

Warum dieser neokonservative Kitsch später in Gumbrechts Aufzählung fehlte, ist schwer auszumachen. Es könnte sein, dass (im günstigsten Fall) die mentale Nähe zu eng und der zeitliche Abstand noch zu gering ist, als dass Gumbrecht den Kitsch-Effekt dieses Themas durchschauen, Distanz zu ihm bereits entwickeln und eine selbstkritische oder selbstironische Haltung dazu einnehmen könnte; es könnte aber auch sein, dass (im ungünstigsten Fall) der Komparatist aufgrund seines Enthusiasmus für große Namen und neue Theorien ein "Gesinnungstäter" wider Willen ist, einer, der dem Zeitgeist ständig auf der Spur, an vorderster Front dabei sein will, um die neuesten Moden, Stile und Trends nicht zu verschlafen.

Zeigen sich Naturwissenschaftler nämlich einigermaßen kitschresistent, werden Kulturwissenschaftler davon offenbar magisch angezogen. Ihre Kitschanfälligkeit hat vermutlich mit dem Gegenstandsbereich zu tun, die umso größer und heftiger ausfällt, je mehr es sich dabei um einen ästhetischen handelt. Darum ist Gumbrecht rundum zuzustimmen, wenn er seine Zunft auffordert, sich mit Kitsch intensiver als bisher zu beschäftigen. Gerade der Versuch, ihn aus dem Kanon relevanter Gegenstände und Themen zu eliminieren, könnte dazu führen, dass unbewusst, aber vermehrt, Kitsch produziert wird.

Um dem Wunsch nach "Berührtheit und Berührtwerden" zu entgehen und der "Rührung über die eigene Rührung" ein Schnippchen zu schlagen, schlug Gumbrecht (nicht zum ersten Mal) das Konzept des "riskanten Denkens" vor. Riskant ist ein Denken immer dann, wenn die Risiken, die es birgt oder transportiert, so groß sind, dass sie im Alltag nicht kommuniziert werden können. Das können Aspekte der medizinischen Forschung sein, Beihilfe zum Sterben oder Forderungen, 80-Jährigen kein Hüftgelenk mehr zu bezahlen; das können aber auch so ernsthaft gemeinte Fragen sein, ob Heidegger etwa nur darum zum bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts hat werden können, weil er Faschist war.

Die Universität, das philosophische Seminar oder das Graduiertenkolleg wären dafür geeignete Orte. Ohne Rücksicht auf Gutmenschentum und politische Korrektheiten könnten dort Komplexitäten erzeugt und andere Unterscheidungen und Beziehungen als die üblichen erprobt werden. Gewiss entkäme auch der "riskante Denker" nicht der Kitschgefahr. Doch ist Gumbrecht davon überzeugt, dass sie minimiert werden könnte, weil durch riskante Rückfragen die zu verhandelnden Gegenstände der Rührung nicht mehr zugänglich wären.

Schön ist die Welt

Sowohl diese Idee von "Elite-Universität" als auch der Kitschvorbehalt, den Gumbrecht dem Unterscheidungsartisten ausstellte, geriet schlussendlich denn doch zu kitschig. Am Horizont schwebte schon der "neue Intellektuelle" in den Hörsaal herein, der selbstverliebt in die Kunst des Unterscheidens und der wunderbaren Komplexitätsvermehrung sich frei von jeglichem Kitschverdacht in seinem Bürosessel wiegt und die Wunder der Welt an sich vorüberziehen lässt.

Zu sehr erinnerte diese Figur an die Tage davor von Gumbrecht und Hörisch gemeinsam gegebene Versprechen, angesichts der schlimmen Lage, in der sich die Politik, die Welt und ihre Eliten manövriert hätten, durch Auswahl, Präsentation und Behandlung entsprechender literarischer Themen und Motive zumindest im eigenen Umfeld (Vorlesung, Seminar) für glückheischende Momente bei ihren Studenten sorgen zu wollen.

Nachdem der Geist auf seiner langen Gang durch die Geschichte den Stand des "absoluten Wissen" erreicht hat, bleibt wohl nichts anderes übrig, als Hegels Empfehlung zu folgen. Entweder, wie der Philosoph meint, zum "Sonntagsspaziergang" aufzubrechen oder sich Jochen Distelmeyers wunderbare Kitsch-Hymne: "Schön ist die Welt" auf den Plattenteller zu legen.