Vom Protest zum Widerstand?

Arundhati Roys Rede und ihr Aufruf zum "globalen Widerstand gegen die Besatzung" im Irak auf dem Weltsozialforum in Bombay

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Eigentlich versprach das 4. Weltsozialforum, das am Mittwoch in Bombay zu Ende geht, keine großen Überraschungen. Was ist auch schon von einem Markt der Möglichkeiten des weltweiten Protest-Jetsets zu erwarten, das einmal im Jahr die Ungerechtigkeit der Welt beklagt? Selbst alte Weggefährtinnen der Sozialforumsbewegung beklagten dieses Jahr die Unverbindlichkeit.

Hätten nicht schlauere Organisatoren durchgesetzt, dass das WSF in diesem Jahr vom brasilianischen Porto Alegre nach Bombay umzieht, wäre das Medienecho viel geringer gewesen. So konnten die Bewegungsfunktionäre das von ihnen soviel beklagte Elend im wahrsten Sinne des Wortes vor der Haustür erleben.

Der Konferenzort lag neben einem der vielen indischen Slums. Aber die Veranstaltungsregie und die Wachen sorgten dafür, dass kein Bettler in die Hallen des WSF eindringen konnte. Aber der Ortswechsel hatte auch politische Konsequenzen. Vertreter der zahlreichen indischen Basisorganisationen wie der Dalits und der Bauernbewegung machten mit eigenen Aktionen auf sich aufmerksam. Mit dem antiimperialistischen Bündnis Mumbai Resistance erwuchs dem WSF zudem eine linke Konkurrenz.

Dann kam mit der Rede der indischen Schriftstellerin Schriftstellerin Arundhati Roy dann doch noch der Paukenschlag, der Auswirkungen selbst in den Büros von Organisationen hat, von deren Existenz man sonst selten etwas hört. "Arundhati Roy spaltet die Globalisierungsbewegung und liefert den Besatzern die Legitimation für weitere Gewaltakte", kritisiert Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Denn wenn die Schriftstellerin Roy beim Weltsozialforum in Bombay fordere, die Bewegung müsse Teil des Widerstands im Irak werden, "dann legitimiert sie auch den militärischen Widerstand".

Hat die wortgewaltige Inderin, die sowohl von linken wie von rechten Medien gehypt wird , etwa die umstrittene Kampagne "10 Euro für den irakischen Widerstand" ("Spenden für den Terror") unterstützt, von dem sich der besagte DFG-VK-Sprecher und langjährige Grünenfunktionär Grässlin erst im Dezember distanzierte? Oder ist sie eine Art weiblicher Rudi Dutschke, die aus dem WSF wie einst der Studentenaktivist auf dem Vietnamkongress in Westberlin den Protest in Widerstand verwandeln will? Das legt zumindest die Berichterstattung der taz vom Montag nahe. Mussten sich die Attac-Vertreter auf dem WSF deshalb gleich so wortreich distanzieren, wie der DFG-VK-Funktionär einige Stunden später?

"Wir müssen reale Ziele ins Visier nehmen .."

Die Lektüre der Rede hätte vielleicht manche Distanzierungserklärung überflüssig gemacht. Roy gab in Bombay nicht den Dutschke, sondern sie blieb ganz sie selber und brachte nur das Credo eines Globalisierungskritikers auf den Punkt. Der Krieg gegen den Terror werde mit dem Krieg gegen die Armut vermischt. Ausführlich ging sie auf die Verhältnisse in ihrem Heimatland Indien ein, wo sich eine hindunationalistische Regierung auch mit Pogromen an der Macht hält. Diese Ausführungen sind schon deshalb sehr bedenkenswert, weil hier nicht einfach das Feindbild USA für die Übel in der Welt verantwortlich gemacht werden, wie es auf manchen Treffen von Globalisierungskritikern oft Usus ist.

Zum Schluss kommt jener Passus, der zu den Distanzierungen führte. Sie schrieb den versammelten NGO-Vertretern einige ihnen unangenehme Wahrheiten ins Stammbuch: "Dennoch besteht das Risiko, .... dass das WSF, das eine entscheidende Rolle in der Bewegung für globale Gerechtigkeit gespielt hat, zu einem Guthaben unserer Feinde wird. Wir müssen dringend unsere Strategien des Widerstands diskutieren. Wir müssen reale Ziele ins Visier nehmen und wirklichen Schaden anrichten. Gandhis Salzmarsch war nicht lediglich politisches Theater." Auch der Mentor der Sozialforumsbewegung, der brasilianische Präsident Lula wird wegen seiner von seinen Vorgängern übernommenen neoliberalen Wirtschaftspolitik kritisiert. Dann warf sie einen kurzen Blick auf dem Irak, wo sie gerade nicht zum bewaffneten Widerstand aufrief:

Die Frage ist nicht, den Widerstand im Irak gegen die Besatzung zu unterstützen, oder zu debattieren, wer genau zum Widerstand im Irak gehört ( Sind sie alte Baath-Killer? Sind sie islamische Fundamentalisten?) Wir müssen der globale Widerstand gegen die Besatzung werden. Unser Widerstand muss mit der Zurückweisung der Legitimität der US-Okkupation Iraks beginnen. Das bedeutet Handeln, um es dem Imperium unmöglich zu machen, seine Ziele zu erreichen. Es bedeutet, Soldaten sollten sich weigern zu kämpfen, Reservisten sich weigern, eingezogen zu werden. Arbeiter sollten es ablehnen, Schiffe und Flugzeuge mit Waffen zu beladen...

Zum Abschluss schlug sie dann eine weltweite Boykottkampagne gegen zwei vom Irakkrieg profitierende US-Konzerne vor. Ein Vorschlag, der schon beim letzten WSF in Porto Alegre mit großer Zustimmung diskutiert wurde. So dürfte die Aufregung um Roys angeblichen Militanzaufruf eher den Konflikt zwischen den Bewegungsfunktionären und der Basis der Globalisierungskritiker widerspiegeln. Deren Seele erreicht Roy mit ihren flammenden Reden noch immer, wie der große Applaus in Bombay zeigte.