Schizophrenie, Antisemitismus und Fakten

Der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Jamal Karsli zwischen eigener Aufklärungsarbeit und Wahnvorstellungen

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Jamal Karsli kann's nicht lassen. Im Mai 2003 gründete er seine eigene Partei FAKT, im November erschien die Neuauflage seines Buches "Maulkorb für Deutschland. Fakten, Analysen, Aufklärung zur Antisemitismusdebatte". Die Erstauflage trug noch den weniger reißerischen Titel "Der Fall Karsli", erschienen sind beide im Selbstverlag. Journalisten widmet der Ex-Grünenpolitiker sein Buch handschriftlich "mit besten Wünschen" und outet sich darin "gleich zu Beginn" als das, was er ist: schizophren. Aber, der Reihe nach.

Nachskizziert wird in "Maulkorb für Deutschland" jene "Antisemitismusdebatte", in die Karsli und dessen früherer nordrhein-westfälische Landtagskollegen Jürgen W. Möllemann böse verstrickt waren. Karsli versucht nun darzustellen, dass er das Opfer einer "Hetzkampagne" ist - initiiert von der "zionistischen" und "pro-israelischen Lobby", dem Zentralrat der Juden in Deutschland alias Paul Spiegel und dem unterdessen als Schnee- und Frauenkönig bekannten Michel Friedman sowie all der "Handlanger". Eine logische Erklärung dafür, warum jene Übermacht einen Landtagshinterbänkler von den Bündnisgrünen via "Rufmord" killen musste, liefert Karsli aber nicht. Er selbst glaubt, weil er der israelischen Armee "Nazi-Methoden" vorwarf, sei er zur Abschreckung für Folgekritiker platt gemacht worden.

Zudem erklärt der Recklinghäuser im Buch, dass jene Lobbytruppe, die er nicht als jüdische verstanden wissen möchte, sondern nur als zionistisch alias politisch-ideologisch einstuft... Nun, was er ausbreitet, ist, dass jene Lobby zwar keine richtige Weltverschwörung ist. Aber, besehen im Vergleich zum prozentualen Anteil an der Weltbevölkerung, übe sie einen gewaltigen Einfluss auf die Weltpolitik via der Supermacht USA aus. Nur deswegen dürfe Israel in Palästina "ethnische Säuberungen" durchführen. Dass Karsli das kritisiert, nennt er einen "Tabubruch". Dass es auch in Deutschland viele ähnlich sehen und manche dafür, anders als der derzeit fraktionslose Landtagsabgeordnete, "die Juden" verantwortlich machen, scheint ihm manchmal wohl unbekannt zu sein.

Wer ist der "wahre Antisemit"?

Stattdessen stellt Karsli fest, der Logik der kleinen Rassenkunde folgend sei der Großteil arabisch stämmiger Menschen in Nahost dem "Volk" der Semiten zuzurechnen. Er als gebürtiger Syrer könne also qua Herkunft gar kein Antisemit sein. Weiterhin schreibt er auf Seite 136, gegenwärtig bestünden 80 Prozent des "Weltjudentums" aus "askenasischen Juden", Herkunft Osteuropa. "Der größte Teil des modernen Judentums ist somit nichtsemitischer Abstammung, wohingegen praktisch alle arabisch-stämmigen Menschen Semiten sind," schreibt Karsli weiter. Aber eigentlich dürfte er wissen, dass der Begriff des Antisemitismus in Deutschland einen anderen Sinn hat.

Wenn Karsli dann aber sogar noch nachkartet und argumentiert, Israels Ministerpräsident Ariel Scharon sei "askenasischer Abstammung" und sehe Palästinenser als auszurottendes "Ungeziefer" an, dann... - beginnt er, Worte auf Goldwaagen zu legen. Und schimpft, es zeige "sich hier wohl deutlich, wer der wahre Antisemit ist." Scharon nämlich. Aber eine Goldwaage haben auch andere.

Auf Seite 22 nennt Karsli sich selbst "schizophren". Er meint damit seine "innere Zerrissenheit" als gebürtiger Syrer und überzeugter Deutscher, der mal hier, mal da, nicht weiß, wo seine wahre Heimat ist. Er meint, so wie es auf Seite 22 weiter steht, er sei eine gespaltene Persönlichkeit und ergo "schizophren". Aber Karsli irrt - und hat irgendwie doch recht! Denn der Autor sitzt einem Irrglauben aus der Bevölkerung auf. Schizophrenie ist nämlich medizinisch korrekt besehen eine Psychose. Menschen, die unter Schizophrenie leiden, verlieren bei Krankheitsschüben den Bezug zur Realität und fühlen sich von ihrer Umwelt bedroht. Ein Haupttyp der Krankheit ist die paranoide Schizophrenie, also ein Verfolgungswahn. Prominente und Geheimdienste - etwa der Mossad, welch Zufall! - können Inhalte dieser Wahnvorstellungen sein.

Zumindest in diesem Punkt kann man Karslis manchmal logischer, oft aber bedenklich abenteuerlicher Argumentation voll zustimmen. Man müsste ihm nur noch mit auf dem Weg geben: Schizophrenie ist heilbar. Und vielleicht wäre dies auch bitter nötig.

In Aachen vertraute der Mann nämlich Ende Dezember 2003 Parteifreunden und Pressevertretern an: "In absehbarer Zeit werden wir zur dritten großen politischen Kraft in Deutschland." Gemeint war damit die im Mai 2003 von ihm selbst gegründete FAKT-Partei, am Tag der Aussage immerhin laut des Masterminds 250 Mitglieder schwach, vorwiegend Migranten mit deutschem Pass. Ein Parteiprogramm gab es da noch nicht.

FAKT, erläuterte Karsli weiter, stehe für die vier großen Politiksäulen: Frieden sei wichtig, gerechte Ressourcenverteilung dessen Grundlage; Arbeit müsse gerecht verteilt werden; Kultur meine eine multikulturelle Gesellschaft; und Transparenz müsse im Behörden- und Parteienapparat einkehren. Und dann ergänzte er an jenem Dezembertag noch vollmundig: "Überall, wo wir zur Wahl antreten, werden die anderen Parteien plötzlich nervös."

Wie bereits angemerkt: Schizophrenie ist heilbar. Manchmal aber auch nur medikamentös zu lindern.