Der Fall Djindjic und das BKA

Das Attentat auf den serbischen Premier Zoran Djindjic gibt weitere Rätsel auf. Doch dazu tragen nicht nur serbische Polizei und Regierung, sondern auch das mit der Ermittlung betraute Bundeskriminalamt in Wiesbaden bei

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"Wir scheißen auf Berlin", mit derlei Sprüchen schafften es die Beamten des Bundeskriminalamtes (BKA) am vergangenen Samstag bis in die Tagesschau. Sie waren in Wiesbaden auf die Straße gegangen, um gegen die Umzugspläne von Innenminister Schily zu protestieren. Zur gleichen Zeit - jedoch 1300 km südöstlich - schaffte es das BKA gleich auf mehrere Titelseiten. In Serbien beschäftigten sich die Medien jedoch nicht mit der Neuordnung der Behörde, sondern mit der Arbeit der deutschen Beamten selbst. Denn das Kriminaltechnische Institut des BKA ermittelt im "Fall Djindjic" (Schockzustand in Serbien) zum Tathergang.

Nach nur drei Verhandlungstagen war erst einmal Schluss. Der mit großem Medieninteresse verfolgte Auftakt des Prozesses gegen den Djindjic-Attentäter und weiterer Beschuldigter, ist nun schon seit Wochen unterbrochen. Ein ärztliches Gutachten lässt auf sich warten. Doch ansonsten dürfte für die geistigen Väter des Prozesses alles nach Plan gelaufen sein. Mitten im Wahlkampf - kurz vor den serbischen Parlamentswahlen ("Was ist nur los mit diesem Land?") - wurde den Wählern ein Hightech-Sondergericht und dazu passende finstere Gestalten der Öffentlichkeit präsentiert.

Den Haag ließ grüßen - und das war sicher nicht ganz unbeabsichtigt. Schließlich soll nun der kommende "Schauprozess" der Prototyp für künftige Kriegsverbrecherprozesse in Serbien sein. Doch ganz wie beim großen Vorbild wurden auch kritische Stimmen laut, die ebenso wieder verstummten. So bezeichnete Aleksandar Cvejic, Berater des UNO-Menschenrechtsbüros in Belgrad, den Prozess als "juristischen Skandal". Er verwies auf die Missachtung der Rechte der Angeklagten und bemängelte, dass deren Aussagen aus der Untersuchungshaft bereits in den Medien veröffentlicht wurden. Auch würde es an Beweisen mangeln. Die Beweise, die vorlägen, würden aus ziemlich unzuverlässigen Aussagen von geschützten Zeugen (z. B. Kronzeugen) stammen. Er warf den Politikern vor, für den Zeitpunkt der Prozesseröffnung, die "Justiz missbraucht" zu haben. Doch wenig später kam das Dementi. Das UNO-Büro distanzierte sich von den Aussagen seines Mitarbeiters und entschuldigte sich öffentlich dafür.

Der Nullpunkt

Kritik oder Zweifel am Djindjic-Prozeß und damit der offiziellen Version des Tathergangs gibt es seit Anfang an. Doch auch plausible Medienenthüllungen, die Mängel oder Widersprüche aufdeckten, hatten letztendlich keinen Einfluss auf die Anklageschrift. In dieser wird Zvezdan Jovanovic als einziger Schütze angesehen. Er habe am 12. März 2003 aus einem Gewehr der Marke "Heckler und Koch" von der Admirala Geprata Straße 14, Büro Nr. 55, Zoran Djindjic erschossen und dessen Leibwächter mit einem zweiten Schuss getroffen. Doch dieser Version stellt man bei der renommierten politischen Wochenzeitschrift NIN ausreichende Gegenargumente entgegen.

Die Aufrechterhaltung der offiziellen Version durch Justiz und Politik beschert der Zeitschrift Woche für Woche eine Titelstory, mit der sie ganz ohne Probleme einen Kaufanreiz schafft. Schon vor Wochen wurden Polizeifotos veröffentlicht, die die offizielle Version als nicht länger haltbar darstellte (Wie wurde Djindjic erschossen?).

Dabei scheint das Interesse an dem Attentat mehr denjenigen zu gelten, die noch immer in Amt und Würden sind, als der politischen Person Djindjic. Obwohl einige Medien seine Rolle unkritisch und nostalgisch bejubeln, scheint er für viele Serben schon wieder fast vergessen zu sein. In Erinnerung bleibt er dabei lediglich als eine von vielen unglücklichen Episoden der jüngsten Geschichte Serbiens.

So trägt auch die jüngste NIN-Ausgabe das Konterfei des lächelnden Premiers. Auf seinem Körper prangt die Zielscheibe eines Gewehrs. Schwerpunkt diesmal: Die Ergebnisse des ebenfalls mit der Untersuchung beauftragten Kriminaltechnischen Instituts des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden. Unter dem Betreff: "Ermittlungen wegen des Tötungsdelikts zum Nachteil des serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic am 12. 03. 03 in Belgrad", wurden Dokumente des BKA veröffentlicht. So kommt die Zeitschrift zu dem Schluss, dass die Untersuchungen der deutschen Experten, "den Angaben der Anklage zur Ermordung des Premiers widerspricht".

Ein zweites Gewehr

Demnach sei das BKA erstmals am 13. März - einen Tag nach dem Attentat - in Belgrad eingetroffen und hatte eigene Untersuchungen angestellt. Einen Tag später verließen die Beamten Serbien wieder, jedoch ohne jegliche unmittelbare Beweismittel. Diese wurden ihnen ca. zwei Wochen später von der serbischen Polizei zugesandt und trafen am 27. März in Wiesbaden ein. Im Paket waren unter anderem: ein Gewehr Marke "Heckler und Koch" mit Seriennummer, dazu eine passende Patrone und ein dazu passendes Magazin mit 15 Patronen. Ebenfalls dabei: ein Gewehr Typ "Kalaschnikow" ohne Seriennummer, mit einer dazu passenden Patrone und einem dazu passenden Magazin mit 29 Patronen.

"Was hatte nun aber ein zweites Gewehr in Wiesbaden zu suchen?", fragte sich NIN-Journalist Nikola Vrzic. Schließlich wurde offiziell stets immer nur von einem einzigen Schützen und einem Gewehr gesprochen. Niemals wurde von der Polizei irgendwo ein zweites Gewehr erwähnt. Würde das ein weiterer Hinweis auf einen zweiten Schützen sein, so wie es Milan Veruovic, der beim Attentat verletzte Bodyguard von Djindjic, bereits im Oktober dargestellt hatte? Wollte die serbische Polizei, die spätestens mit dem Versand des Paketes nach Wiesbaden seit dem 26. März 2003 von einer zweiten Waffe wusste, etwas verheimlichen?

Nikola Vrzic. Foto: Stefan Tenner

Die Antwort kam bereits am nächsten Tag nach der Veröffentlichung. Die Polizei in Belgrad widersprach erneut der These, dass bei dem Attentat aus zwei Waffen geschossen wurde. Es wurde zwar neben dem Gewehr des Attentäters auch ein zweites Gewehr nach Wiesbaden gesandt. Dieses sei zusammen mit der Tatwaffe gefunden worden, habe jedoch keine Verbindung mit dem Attentat.

Aus dieser Waffe wurde nicht geschossen, als der Premier ermordet wurde. [...] Es ist kein Mysterium, warum diese zweite Waffe nach Deutschland gesandt wurde. Die originale Seriennummer auf der Waffe wurde entfernt und unsere Polizei konnte die Nummer nicht ermitteln. Wir waren daran interessiert, ob dieses Gewehr möglicherweise in einem anderen Mordfall benutzt wurde.

Erklärte General Milan Obradovic, Personalchef der Belgrader Polizei. Und führte weiter aus, dass weitere 58 Gewehre im Ausnahmezustand und der Polizeiaktion "Säbel" unmittelbar nach dem Attentat auf Djindjic gefunden wurden. Er wolle nicht Medienspekulationen und Zweifel am Polizeibericht über das Attentat auf Djindjic kommentieren, weil das als Beeinflussung des Gerichts interpretiert werden könnte. Er stehe zu 100 Prozent hinter der polizeilichen Untersuchung. Der Fall sei nach dem Gesetz und allen nötigen Expertenanalysen durchgeführt worden. Deshalb sei er über gegenteilige Aussagen überrascht, so Obradovic.

Die These des BKA

Auch bei der Zeitschrift NIN wurde der Einsatz einer Kalaschnikow für das Attentat als eher ungewöhnlich eingeschätzt. Einem Experten zufolge würde niemand eine Kalaschnikow für so weite Entfernungen nutzen. Auch habe weder Zvezdan Jovanovic oder einer der weiteren Verdächtigen je von einer Kalaschnikow gesprochen. Das Augenmerk lag deshalb auch auf den Thesen, dass das BKA aus den Beweisen zog. Ungewöhnlich war nur, dass ihnen einige entscheidende Details fehlten. Hatten die Belgrader Behörden doch lediglich eine, anstatt der gefundenen zwei Patronenhülsen des Gewehrs "Heckler und Koch" nach Wiesbaden gesandt. Erklärt wurde das in der Zeitschrift damit, dass für die ballistische Untersuchung lediglich eine der Patronen nötig sei.

Außerdem fehlte im BKA-Bericht ein weiteres Detail, welches vor wenigen Wochen ebenfalls in der Zeitschrift NIN veröffentlicht wurde (siehe: Wie wurde Djindjic erschossen?). Damals erschienen dort geheime Polizeifotos, die neben einem Geschoss an der Fassade auch zwei Geschosse innerhalb des Gebäudes zeigten. Im BKA-Bericht, wie in der offiziellen Version, tauchte lediglich eine Kugel in der Fassade auf. Ebenfalls war die Tatsache bekannt, dass die laut offizieller Version einzigen abgefeuerten Kugeln jeweils den Körper von Djindjic und seines Bodyguards Veruovic durchdrungen hatten. Gehe man davon aus, dass auf Djindjic und Veruovic vom gleichen Ort aus geschossen wurde, wo war dann die zweite Kugel gelandet und wieso steckte sie nicht ebenfalls in dieser Fassade?

Dabei ist die Kernfrage, wen die Kugel in der Fassade durchdrungen hat. Nach offizieller Lesart "stammt" sie von Veruovic. Das BKA ist sich dem jedoch nicht sicher, nimmt jedoch an, dass sie von Djindjic stamme. Die Möglichkeit wird allerdings offen gelassen, dass sie auch von Veruovic stammen könnte. Die BKA-These möglicher anderer Varianten in diesem Punkt spricht, so NIN, aber gegen die offizielle Version. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass Bodyguard Veruovic die Kugel in der Fassade einem ganz anderen Abschussort, als der Admiral-Geprata-Straße zuordnete.

Laut BKA-These wurden aufgrund ihrer Untersuchung bei dem Attentat nicht mehr als zwei Kugeln abgefeuert. Es gab auch keinen anderen Ort, von dem aus geschossen wurde. Djindjic soll sich zum Zeitpunkt des Attentats 24 cm von seinem Fahrzeug entfernt befunden haben. Laut NIN sei aber nicht ersichtlich, wie das BKA zu dieser These gekommen sei. Damit habe Djindjic gerade das Auto verlassen und habe mit dem Gesicht zu ihm gestanden. So wie es auch die offizielle Version darstellt. Ein weiteres Detail welches durch das BKA festgestellt wurde, war die Tatsache, dass Spuren des im Büros in der Admiral-Geprata-Straße gefundenen Handtuchs auch am Gewehr "Heckler und Koch" festgestellt wurden. Verbrannte Elemente auf dem Handtuch ließen darauf schließen, dass der Schütze das Gewehr auf dem Handtuch abgelegt hatte und dann schoss.

Doch viele Fragen bleiben weiterhin offen, die einer "klaren und überprüften" Darstellung des Tathergangs durch die serbische Regierung und Polizei widersprechen: Warum wurde bisher ein Geheimnis aus dem zweiten Gewehr gemacht? Wo bleiben bei der Rekonstruktion der Ereignisse, die Einschüsse innerhalb des Gebäudes? Wo ist das zweite Geschoss abgeblieben, welches von der Admiral-Geprata-Straße aus abgefeuert wurde? Wessen Körper durchdrang das Geschoss in der Fassade und stammt es überhaupt vom offiziellen Abschussort? Gibt es einen zweiten oder gar dritten Abschussort? Welche Beziehung besteht zwischen dem gefundenen Gewehr und der Kugel? In welcher Richtung stand Djindjic, als er erschossen wurde? Unter welchen Umständen hat Zvezdan Jovanovic das nun zurückgezogene Geständnis gegeben? War er überhaupt der eigentliche Schütze? Es scheint Serbien ein langer Prozess bevor zu stehen.

"Ich kann Ihnen das nicht sagen."

Die Zeitschrift NIN konstatierte, dass die Aussagen des BKA sehr vorsichtig und in ihren Analysen sehr konkret geblieben waren. Auf der anderen Seite gab es dafür in Belgrad genug Zeit, um bestimmte Fakten zu vertuschen, war das BKA doch erst einen Tag nach dem Attentat eingetroffen. So wollten die Journalisten schließlich eine Erklärung für all dies und fragten beim BKA in Wiesbaden konkret nach. Doch ebenso konkrete Antworten blieben aus. So waren einige Beamte bei nochmaliger Nachfrage plötzlich nicht mehr erreichbar oder man wurde mit dem oft gehörten Satz abgewimmelt "Ich kann Ihnen das nicht sagen."

Auch die Hierarchie innerhalb der Behörde brachte Unterschiedliches ans Licht. So antwortete ein ranghöherer Beamter auf die Frage nach dem zweiten Gewehr: "Welches zweite Gewehr? Ich kenne nur eins." Und entgegnete auf den Hinweis, dass doch zwei Gewehre beim BKA eingegangen seien: "Ich kann Ihnen nicht mehr dazu sagen." Es wurde lediglich darauf hingewiesen, dass man seine Aufgabe erledigt habe, indem man alle Dinge untersucht habe, die man bekommen habe. Auch die Pressestelle des BKA verwies darauf, dass man keine Erklärung innerhalb einer laufenden Untersuchung geben würde. Auf die Frage, was man denn zu einer alternativen Version zum Tathergang sage, antwortete ein BKA-Beamter unteren Ranges: "Das sieht nach einer Verschwörung aus, die noch immer läuft. Passen sie auf!"